Katzenbach, John – Opfer, Das

Nachdem John Katzenbach sich im letzten Jahr mit seinen beiden Thrillern [„Die Anstalt“ 2688 und „Der Patient“ einen Namen gemacht hat, ist er nun mit einem neuen Werk am Start: „Das Opfer“. Wieder ein Psychothriller, nur kommt diesmal kein Psychiater drin vor, wie in den beiden Vorgängerwerken. „Das Opfer“ bedient sich einer Thematik, die schon durch ihren aktuellen Bezug besticht: Stalking.

Der Geschichtsprofessor Scott Freeman findet im Zimmer seiner Tochter Ashley einen Brief, der böse Vorahnungen weckt. |“Keiner könnte dich jemals so lieben wie ich, weder heute noch irgendwann. Wir werden für immer zusammen sein – so oder so.“| – so lauten die Zeilen eines unbekannten Verehrers.

Wie richtig er mit seiner Vorahnung liegt, kann er noch nicht wissen. Auch die Kunstgeschichtsstudentin Ashley ahnt davon noch nichts. Angeheitert und aus einer spontanen Laune heraus, hat sie sich ganz gegen ihre Art auf einen One-Night-Stand eingelassen – mit dem Computerfreak und gerissenen Kleinkriminellen Michael O’Connell. Und genau der lässt sie anschließend nicht mehr in Ruhe.

Was zunächst einfach nur lästig ist, beginnt mit der Zeit, Ashley Angst zu machen. Verwelkte Blumen vor ihrer Tür, massenhafte E-Mails und das ständige Gefühl, verfolgt zu werden, machen ihr schon bald Sorgen. Als Ashley die Sache zu unheimlich wird, vertraut sie sich ihrer Familie an. Vater Scott und Mutter Sally, die Rechtsanwältin ist, suchen nach einem Ausweg, doch was sie auch versuchen, es scheint Michael nur noch mehr anzustacheln.

Michaels Nachstellungen arten in reinen Psychoterror aus und gnadenlos räumt er jedes Hindernis aus dem Weg, das ihm den Zugang zu Ashley versperrt. Schon bald droht die ganze Sache zu eskalieren und die Familie Freeman in ihrem dunklen Sog zu verschlingen – ein Katz-und-Maus-Spiel auf Leben und Tod …

Stalking ist ein durchaus brisantes Thema, das sich hervorragend als Stoff für einen Psychothriller eignet. Der Verfolger, der sich nicht abschütteln lässt und aus obsessiver Liebe heraus seinem Opfer den Alltag zur Hölle macht – das verspricht Spannung und Schauder zugleich. Vor allem ist ein Thriller um das Thema Stalking auch ein Lehrstück, das zeigt, wie verwundbar der Mensch ist, wie leicht ein Leben zur Qual werden kann, wenn sich jemand darin einmischt und wie wenig es braucht, damit Liebesbeteuerungen zu Psychoterror werden.

Dabei ist der Psychoterror selbst oftmals ein ganz subtiler. Und genau darum tun sich Gesetzgeber und Justiz so schwer damit, Stalking als das Verbrechen anzuerkennen, das es ist. Auch Ashley sieht sich mit dieser Problematik konfrontiert. Die Bedrohung durch einen Stalker ist (solange er keine nennenswerten Gesetzesüberschreitungen begeht) eine eher diffuse. Drohungen werden kaum konkret ausgesprochen, aber sie liegen dennoch auf der Hand, wenn auch in chiffrierter Form.

All diese Erfahrungen macht auch Ashley, wobei sie das Pech hat, obendrein an einen äußerst gerissenen und gefährlichen Psychopathen geraten zu sein. Michael ist intelligent und geduldig genug, um in Ashleys Leben jede Menge Schaden anzurichten, und er ist clever genug, um das Ganze so geschickt einzufädeln, dass seine Schandtaten kaum auf ihn zurückzuführen sind.

Ashleys Familie neigt zunächst dazu, die Gefahr, die von Michael ausgeht, zu unterschätzen. Lange Zeit sehen sie nicht, wie gefährlich die Lage für sie ist, und als sie es erkennen, ist es fast schon zu spät. Michael ist ein mächtiger Gegner, und zu beobachten, wie er seine Schachzüge vorbereitet und ausführt, sorgt schon für sich genommen für reichlich Spannung.

Katzenbach geht den Roman von Anfang an spannend an. Ständige Perspektivenwechsel zwischen den Protagonisten, eine Erzählweise, die versetzt über zwei Zeitebenen immer auch schon einen kleinen Blick in die Zukunft wirft und dabei dezente Andeutungen bevorstehender Ereignisse im gegenwärtigen Erzählstrang einstreut – Katzenbachs Rezeptur zur Romankomposition ist ausgeklügelt und wohlakzentuiert. Der Plot folgt einem stetig aufstrebenden Spannungsbogen, in dem auch Gedanken und Gefühle der unterschiedlichen Figuren nie zu kurz kommen.

Über weite Strecken entwickelt sich der Roman äußerst vielversprechend. Katzenbach erzählt zwar gerne ausführlich, aber die Spannung kommt in der Regel dennoch nicht zu kurz. Die Ausführlichkeit hat auch den Vorteil, dass man sich zunehmend gut in die Romanfiguren einfühlen kann.

Die Auflösung der Geschichte hat es obendrein ziemlich in sich. Katzenbach schlägt eine Richtung ein, die alles verändert und dafür sorgt, dass der Roman sich in seiner Grundstimmung vollkommen wandelt. Bereits im vorderen Teil der Handlung lässt Katzenbach auch immer wieder moralische Fragen durchschimmern, insbesondere wenn es um den Schutz von Stalkingopfern und die Verfolgung der Täter geht.

Die moralischen Zwischentöne werden zum Ende hin zunehmend lauter, und darunter leidet dann leider auch ein wenig die Spannung. Die Figuren müssen sich neu positionieren, vieles erscheint plötzlich in einem anderen Licht, und diese Umorientierung dauert ihre Zeit, so dass der ansonsten bis zu diesem Punkt so straffe, aufstrebende Spannungsbogen ein wenig an Fahrt verliert.

Am Ende bleibt ein Haufen Fragen. Die einen muss sich der Leser selbst stellen – in Bezug auf die moralischen Konsequenzen der Geschichte – und die anderen stellen sich in Form letzter nagender Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Handlungsweisen der Protagonisten. Letzteres offenbart eine Schwäche, die auch schon bei [„Der Patient“ 2994 am Ende ein wenig den Lesegenuss getrübt hat. So läuft ein eigentlich sehr gut begonnener Psychothriller am Ende in eine etwas merkwürdige Richtung und verliert etwas dabei an Fahrt, wenngleich nicht an Schärfe und Brisanz.

Unterm Strich also ein solider Thriller, der dem Leser viel Spannung beschert und eine ebenso packende wie aktuelle Geschichte abhandelt. Katzenbach kann so seinen Ruf als Autor spannender Thriller auf jeden Fall festigen, wenngleich er auch hier wieder zum Ende hin ein wenig schwächelt. Trotzdem, ein „Page-Turner“ ist ihm auch mit „Das Opfer“ über weite Strecken wieder einmal gelungen.

http://www.john-katzenbach.de/
http://www.droemer.de

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