Brac, Virginie – In den Nächten brütet still der Tod

In Frankreich ist Virginie Brac mit ihrer Heldin, der Kriminalpsychiaterin Véra Cabral, schon längst keine Unbekannte mehr. In Deutschland kennt man sie bislang noch nicht, doch der Rowohltverlag dachte sich, dass es an der Zeit wäre, dies zu ändern und bringt deshalb „In den Nächten brütet still der Tod“ heraus.

Véra, eine attraktive Mitdreißigern, arbeitet im psychiatrischen Kriseninterventionszentrum, dessen Aufgabe darin besteht, bei Geiselnahmen und Ähnlichem für Deeskalation zu sorgen, wenn die Polizei nicht mehr weiterkommt.

Eines Nachts, nachdem sie ihre Nachtschicht beendet hat, wird Véra zu einem Fall gerufen, der selbst für sie keine Routine ist. Fred, der Sohn ihres Chefs Edouard Russel, hat im Drogenrausch seine Freundin zerstückelt und Russel will eine Expertenmeinung hören.

Ohne Hintergedanken tut Véra, wie ihr geheißen wird. Selbst als Russel sie zur persönlichen Psychiaterin ihres Sohns macht, riecht sie keine Lunte. Sie glaubt an das Gute, doch je mehr sie sich selbst mit dem Fall beschäftigt, um Freds Schuldunfähigkeit zu beweisen und anhand ihrer psychiatrischen Fähigkeiten erklären zu können, desto mehr stellt sie fest, dass in der Familie Russel das eine oder andere Geheimnis bewahrt wird und dass nicht jeder in dieser schicksalhaften Nacht die Wahrheit gesagt hat …

Véra Cabral ist eine ziemlich sympathische Romanheldin. Ihre Ich-Perspektive ist sehr beschwingt geschrieben, mit richtig Biss in Form von frechem, manchmal derbem Humor. Trotzdem gleitet die sehr subjektiv gefärbte Perspektive nie ins Ordinäre ab, sondern bewegt sich auf hohem literarischem Niveau, das eine authentische, junge Frau präsentiert. Einziger Wermutstropfen: Das obligatorische düstere Geheimnis von Véra ist doch etwas überzogen.

Doch das ist nicht das Einzige. Die Inspektorin Sanchez, welche die Ermittlungen im Fall Russel führt, ist eine einzige aufgeblasene Comicfigur. Es ist schwer zu begreifen, wie sich eine solche Gestalt in einen „seriösen“ Thriller verirren konnte. Das sehr beleibte Mannsweib steht kurz vor der Pension, trägt eine mit Klebeband geflickte Brille und Blümchenkleider und lebte bis vor kurzem immer noch mit seiner Mutter zusammen. Sie ist ein echtes Raubein, mit einer vorgefertigen Meinung und einer unschlagbaren Geheimwaffe, mit der sie sich lästige Kollegen vom Leib hält und Aufrührer bestraft: ihre Darmwinde.

Das wäre dann aber auch der einzige Schwachpunkt in der Besetzung. Alle anderen Personen sind gut ausgearbeitet, auch wenn sie teilweise einen leichten Hang zum Klischee haben, wie zum Beispiel Véras portugiesische Großfamilie.

Mit der Handlung verhält es sich ähnlich. Sie hat ihre guten, aber auch ihre schlechten Seiten. Auf der einen Seite ist sie kurzatmig und geht zügig voran, bringt fast in jedem Kapitel neue Erkenntnise. Auf der anderen Seite ist sie für dieses Vorgehen überraschend unspannend. Die Handlung tritt trotzdem oft auf der Stelle, was damit zusammenhängt, dass es sehr oft zwischen Véras Analyse von Fred und der eigentlichen Handlung keinen großen Zusammenhang gibt. Im Gegenteil wirkt es so, als ob Fred mit der Zeit so sehr in den Hintergrund rückt, dass er nur noch Statist in seinem eigenen Fall ist. Überhaupt ist das Psychologische, das doch vermutlich im Vordergrund stehen sollte, auffällig wenig vorhanden.

Vielmehr präsentiert sich „In den Nächten brütet still der Tod“ des Öfteren als Krimi, der seinen Tiefgang nur aus dem Seelenleben der Protagonistin bezieht. Trotzdem ist das Buch lesenswert, da die fehlenden Spannungsbausteine bei dem frischen, linearen Schreibstil nicht so sehr ins Gewicht fallen.

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