Tom Clancy – Jagd auf Roter Oktober (Jack Ryan 4)

Seekriegsgarn mit großem Durchhänger

Der höchste Politoffizier der russischen Marine erfährt, dass »Roter Oktober«, das modernste russische Raketen-U-Boot, in den Westen überzuwechseln droht. Innerhalb kürzester Zeit machen sich 30 Kriegsschiffe und 58 Jagd-U-Boote an die Verfolgung. Es beginnt ein atemberaubendes Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Großmächten. (Verlagsinfo)

Dies ist, nach „Die Stunde der Patrioten“, der zweite, noch rasantere Auftritt von CIA-Berater Jack Ryan.

Der Autor

Tom Clancy, geboren 1947, wurde mit seinem Hightech-Thriller „Jagd auf Roter Oktober“ und dessen Verfilmung mit Sean Connery schlagartig als Bestsellerautor bekannt. Clancy arbeitete lange Jahre als Versicherungsagent, interessierte sich aber auch für Marinethemen. Eine Meuterei auf einem sowjetischen Zerstörer (die er im Text erwähnt) regte ihn dazu an, seinen ersten Thriller, „Jagd auf Roter Oktober“ zu schreiben und im Verlag der Marineakademie Annapolis zu veröffentlichen.

Auch „Die Stunde der Patrioten“, „Das Kartell“ und „Der Anschlag“ wurden erfolgreich verfilmt. In den USA gilt er als guter Militärexperte, der schon einige Fachbücher fabriziert hat, so etwa über Flugzeugträger. Inzwischen lässt Clancy andere für sich schreiben, doch seine Romane sind immer noch dicke 1000-Seiten-Wälzer. Mit nicht mal 400 Seiten ist meine Goldmann-Ausgabe von „Jagd auf Roter Oktober“ einer seiner kürzesten Romane.

Die Jack-Ryan-Reihe, sortiert nach der internen Chronologie:

Gnadenlos (orig: Without Remorse)
Die Stunde der Patrioten (orig: Patriot Games) (als Spielfilm Die Stunde der Patrioten)
Red Rabbit (orig: Red Rabbit)
Jagd auf Roter Oktober (orig: The Hunt For Red October) (als Spielfilm Jagd auf Roter Oktober)
Der Kardinal im Kreml (orig: The Cardinal of the Kremlin)
Der Schattenkrieg (orig: Clear and Present Danger) (als Spielfilm Das Kartell)
Das Echo aller Furcht (orig: The Sum of All Fears) (als Spielfilm Der Anschlag)
Ehrenschuld (orig: Debt of Honor)
Befehl von oben (orig: Executive Orders)
Operation Rainbow (orig: Rainbow Six)
Im Zeichen des Drachen (orig: The Bear and The Dragon)
Im Auge des Tigers (orig: The Teeth Of The Tiger)
Dead or Alive
Ziel erfasst (orig: Locked On)
Gefahrenzone (orig: Threat Vector)
Kampf um die Krim (orig: Command Authority)
Der Campus (orig: Support and Defend) von Mark Greaney
Mit aller Gewalt (orig: Full Force and Effect) von Mark Greaney
Under Fire von Grant Blackwood
Die Macht des Präsidenten (orig: Commander in Chief) von Mark Greaney
Pflicht und Ehre (orig: Duty and Honor) von Grant Blackwood
Anschlag auf den Präsidenten (orig: True Faith and Allegiance) von Mark Greaney

Bücher außerhalb der Chronologie

Im Sturm (orig: Red Storm Rising)
SSN (erschien nicht auf Deutsch)
Gegen alle Feinde (orig: Against all Enemies)

Handlung

Am Freitag, den 3. Dezember, sticht die „Roter Oktober“ unter dem Kommando von Kapitän Marko Ramius in See. Sie ist das mit über 30.000 Tonnen größte und mit 26 Raketen am schwersten bewaffnete strategische Raketen-U-Boot der Sowjetmarine. Allerdings ist sie bei Weitem nicht das schnellste Boot; die Jagd-U-Boote der Alfa-Klasse machen 42 Knoten, sie höchstens 18. Doch dafür verfügt die „Roter Oktober“ über einen einzigartigen Vorteil, der sie zu einer Erstschlagswaffe macht: Mit ihrem neuartigen hydrodynamischen Antriebssystem ist sie so leise, dass sie per Sonar praktisch nicht aufgespürt werden kann. Der Feind würde nicht einmal fünf Minuten Vorwarnzeit haben, wenn sie ihre rund 200 Atomsprengköpfe vor seiner Küste abfeuerte.

Moskau

Es ist bereits Dienstag, als Ramius‘ letzter Brief endlich seinen Adressaten erreicht: Admiral Juri Iljitsch Padorin, den höchsten Politoffizier der Sowjetmarine. Darin lässt Ramius seinen Wunsch durchblicken, mit dem wertvollsten russischen Schiff aller Zeiten – im Wert von mehreren Milliarden Dollar – zum Feind überzulaufen. Padorin muss den Brief mindestens dreimal lesen, um sicher zu sein, dass es sich nicht um einen Scherz handelt. Dann greift er zum Telefon, um Alarm zu schlagen.

London / Washington, D.C.

Jack Ryan, ein Militäranalytiker und CIA-Berater, lebt seit einem Jahr mit seiner Familie in London. Seine Frau und er sind mit britischen Militärs befreundet. Von der Admiralität Ihrer Majestät bekommt er interessante Fotos zugespielt: Sie zeigen die „Roter Oktober“ im Trockendock – und ihre rätselhaften Luken an Bug und Heck. Als er bei Admiral James Greer im CIA-Hauptquartier diese Fotos zeigt, heben sich die Augenbrauen. Worum könnte es sich handeln?

Und steht die „Roter Oktober“ im Zusammenhang mit den hektischen Aktivitäten, die die Nordflotte der Sowjetmarine auf einmal entfaltet? Das Atom-U-Boot ist ausgelaufen und seitdem spurlos im Nordatlantik verschwunden. Jack wendet sich an seinen Freund Skip Tyler in Boston. Der Marinewissenschaftler soll herausbekommen, wie schnell die „Roter Oktober“ sein kann. Denn diese ominösen Klappen deuten auf eine neue Art Antrieb – einen lautlosen.

Meuterei

An Bord der „Roter Oktober“, die bereits getaucht ist, kommt es bereits zum ersten Todesfall. Ramius, der Deserteur, hat alles durchgeplant und bereits beschlossen, dass Politoffizier Iwan Putin die amerikanische Küste niemals zu sehen bekommen wird. Nachdem er und Putin den Safe mit den Einsatzbefehlen zusammen per Code geöffnet haben, widerfährt dem Politoffizier ein tödliches Missgeschick, das ihm das Genick bricht. Nun haben die Verschwörer an Bord freie Hand. Die Offiziere sind alle von Ramius, dem Mentor und Former aller nördlichen U-Bootfahrer, ausgebildet und gefördert worden. Nun müssen noch die Amerikanski mitspielen.

Sonar

Sonar-Mann Zweiter Klasse Ronald Jones, ein Studienabbrecher, der Bach liebt, traut seinen Ohren nicht. Er sitzt an Bord der „USS Dallas“ und jagt das seltsame neue Geräusch, das er nördlich von Island aufgenommen hat, vor den Augen von Commander Mancuso durch den Zwei-Millionen-Dollar teuren Computer BC-10. Dessen Software stellt eine Magma-Verschiebung fest. Höchst merkwürdig, denn Magma findet sich in Tiefen von 400 Metern eher selten.

Aber wenn man das Geräusch zehnfach beschleunigt abspielt, klingt es verdammt verdächtig nach einer U-Boot-Schraube – oder etwas ganz Neuem. Als sich die „Dallas“ entlang der Roten Route Eins entlanghangelt, um diesem Geräusch zu folgen, wird Mancuso klar, wohin der Kurs führt: westlich von Island, wo die unterseeischen Passagen bei „Thors Zwillingen“ enden. Dort legt sich die „Dallas“ auf die Lauer, um dieses seltsame Wild abzufangen …

Der 8. Tag

Botschafter Arbatow gesteht dem amerikanischen Präsidenten den Grund für die „verstärkte Aktivität“ der sowjetischen Nordflotte ein: Es ist eine Such- und Rettungsaktion für ein verschwundenes U-Boot, nichts weiter. Der US-Präsident und sein Sicherheitsberater haben schon bessere Lügen gehört. Von Admiral James Greer wissen sie, was der US-Spion „Kardinal“ im Kreml herausgefunden hat: Die Russkis wollen die „Roter Oktober“ finden und um jeden Preis versenken. Jedes Schiff, das mehr als 30 Knoten schafft, ist auf der Jagd nach dem ausgebüxten U-Boot, also nicht weniger 88 Schiffe – und das soll eine Rettungsaktion sein?

Mit jedem Tag, der vergeht, wird es unwahrscheinlicher, dass „Roter Oktober“ die amerikanische Ostküste heil erreicht. Doch man hat nicht mit der Schläue des alten Fuchses gerechnet, der das derzeit begehrteste U-Boot der Welt kommandiert …

Mein Eindruck

Jeder von uns hat die Verfilmung mit Sean Connery als Kpt. Marko Ramius und Alec Baldwin als Jack Ryan sicher schon zigmal gesehen. Sie stimmt sogar in ein paar Teilen mit der literarischen Vorlage überein. Ganz besonders der Anfang stimmt nahezu exakt mit dem Buch überein. Doch je mehr sich die Ereignisse der US-amerikanischen Küste nähern, desto mehr übernimmt filmische Dramaturgie das Kommando.

So findet im Buch die Verfolgungsjagd zwischen den drei U-Booten „Dallas“, „Roter Oktober“ und „W. K. Konowalow“ (unter Kpt. Tupolew) nicht etwa im zweiten Drittel statt, sondern erst auf den Seiten 440 bis 480. Diese Passage ist in der Tat extrem spannend, denn nun steht alles auf dem Spiel – die Amis haben nämlich „Roter Oktober“ bereits in Empfang genommen, dessen Untergang erfolgreich vorgetäuscht und sämtliche Matrosen an Land gebracht.

Nun gilt es nur noch, das erbeutete U-Boot sicher zur Werft zu bringen, quasi als Nachspiel. Da greift Tupolew an, der als Aufpasser hinter der abziehenden russischen Flotte zurückgeblieben ist. Anders als im Film wird die „Konowalow“ nicht Opfer eines ihrer Torpedos, sondern eines Rammstoßes der „Roter Oktober“.

Wenn aber die Action nur am Anfang und am Schluss stattfindet, was wird dann dazwischen erzählt und wie wird Spannung erzeugt? Diese Frage weist auf das zentrale Problem der Buchvorlage hin: Es gibt einfach zu viel Leerlauf. Scheinangriffe der Amis auf mehr oder wenige veraltete Sowjetschiffe sind zwar ganz nett, aber es geht ja um nichts; es sind nur Drohgebärden, die „Kommt uns nicht zu nahe!“ ausdrücken sollen.

Wenn keine Scheinangriffe stattfinden, grübeln die Amis mit den Briten um die Wette, was die Riesenaktion der Sowjets im Atlantik, dem „amerikanischen Meer“, zu bedeuten hat. Diese Grübeleien sowie die praktischen Maßnahmen, die sie auf einem halben Dutzend Schiffen unter ebenso vielen Kommandanten lösten bei mir lediglich hartnäckige Langeweile aus.

Im Film steht Jack Ryan ständig im Mittelpunkt, wenn es um die Amis geht. Sein Konterpart ist Marko Ramius, der schlaue Fuchs. Der Roman degradiert diese Gegenüberstellung zu einem Zufall und die entsprechenden Figuren zu Randfiguren, die hinter Leuten wie Admirälen, Generalstäblern, dem Präsidenten und vielen mehr zurückzustehen haben.

Man ahnt es auch schon: Es kommen fast keine Frauen vor, was das Buch zu einem der chauvinistischsten Thriller überhaupt macht. Nur eine einsame FBI-Agentin namens Loomis darf mal einen Verräter in Washington, D.C., dingfest machen. Das war’s aber auch schon. Die weibliche Bevölkerung, so scheints, hat gefälligst treu sorgend und die Kinderbrut hütend zu Hause auf die kämpfenden Männer zu warten. Wie sie es schon seit Tausenden von Jahren tut. Diese Zeiten sind zum Glück vorüber, wenn man den jüngsten Hollywoodfilmen glauben darf. Die Mädels sind mittlerweile genauso fies drauf wie die Kerle. Merkwürdigerweise darf keine davon die Welt retten. Denn Gott ist keine Frau mehr, wie es eine Zeitlang aussah, sondern schon wieder ein Mann.

Die Übersetzung

Schon die ersten deutschen Ausgaben von 1990 waren bemerkenswert frei von Druckfehlern. Der Leser konnte jedem einzelnen Wort trauen. Diese Zeiten sind vorüber, denn inzwischen wurden alle Korrektoren durch Rechtschreib-Software ersetzt. Leider verhält sich diese Software zuweilen wie Jonesys Sonar-Software: Sie meint es gut, kriegt es aber nicht immer richtig hin.

In einem Vergleich mit der Ausgabe von 1990 stieß ich daher auf folgende Falschkorrektur: Auf S. 277 hat die Software aus der korrekten Strahlungsmesseinheit „rad“ einfach „Grad“ gemacht, als handle sich bei radioaktiver Strahlung um etwas so Harmloses wie Temperatur. Völliger Käse also.

Auf. S. 362 findet sich unten ein weiteres Beispiel für Verschlimmbesserung: „Die Zigarette schmeckte gräulich.“ Das soll aber nicht heißen, dass sie eine graue Farbe hatte, was bei Zigarette eher selten der Fall wäre. „Gräulich“ ist lediglich absolut korrekte neue Rechtschreibung der alten Form „greulich“. „Greulich“ bedeutet so viel wie „grässlich“, „besonders schlecht“. Summa summarum: In jedem Fall sieht die Form „gräulich“ einfach nur greulich aus.

Unterm Strich

Der Roman ist im Verlag der Marineakademie von Annapolis erschienen, nicht etwa in einem Publikumsverlag wie PenguinRandomHouse. Der Erscheinungsort ist etwas elitär, und so mag es nicht verwundern, warum sich zahlreiche Passagen des Buches wie ein Planspiel lesen. Der Autor, ein Versicherungsvertreter mit reichlich viel Phantasie, spielt ein Szenario nach dem anderen durch. Erst stellt mal ganz dumm und fragt; Was würde passieren, wenn ein sowjetischer Kapitän beschlösse, zu den Amis überzulaufen, um die Freuden des kapitalistischen Westens zu genießen und seinen sowjetischen Vorgesetzten eins auszuwischen?

Jack Ryan ist im Gegensatz zum Film nicht das Periskop, durch das wir die ganze Action auf und unter Wasser erleben. Als wasserscheuer und luftkranker CIA-Analytiker ist er vom Typ Schreibtischtäter und Bürohengst, der sich erlaubt, Bücher über berühmte Praktiker zu verfassen. Das klingt schon ein wenig arrogant, und Ramius stutzt ihn entsprechend zurecht. Dennoch versucht Ryan, als Ramius ihn ans Ruder setzt, die „Roter Oktober“ nicht in Grund und Boden zu rammen. Soviel Verstand müssen wir ihm zugestehen.

Wer die Langeweile des großen Mittelteils meiden will und lieber auf Dramatik, Humor und Menschlichkeit steht, ist beim Film genau richtig. Wem der Film zu unrealistisch wirkt, weil die Spione auf beiden Seiten fehlen und die Briten durch Abwesenheit glänzen – Ryan geht mit einem britischen Commander an Bord der „Roter Oktober“ – der sollte zum Buch greifen. Wem dieses aber wegen der fast vollständigen Abwesenheit von Frauen zu chauvinistisch ist, der sollte Tom-Clancy-Romane völlig meiden.

Taschenbuch: 492 Seiten plus 20 Seiten Bonusmaterial
Originaltitel: The Hunt for Red October (1984)
Aus dem US-Englischen von Hardo Wichmann.
Besprochene Auflage: November 2012

ISBN-13: 978-3453436718
www.heyne.de

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