Kornbichler, Sabine – gestohlene Engel, Der

Sophie, Ariane und Judith, alle Ende dreißig, sind seit der Schulzeit enge Freundinnen. Die drei teilen alle Probleme miteinander, so auch Sophies aktuelle Trennung von ihrem Mann Peer nach seinem Seitensprung und damals Arianes Scheidung von ihrem ebenfalls untreuen Ehemann Lucas. Diesmal jedoch übertrifft Arianes Kummer alles bisher Gewesene. Sie gesteht den Freundinnen, dass sie unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Für eine Operation ist es zu spät, die Chemotherapie wird vermutlich nur aufschiebende Wirkung haben.

Ariane möchte, dass die achtjährige Tochter Svenja nicht bei ihrem Ex-Mann Lucas aufwächst. Nachdem Ariane ihn an ihre Rivalin verloren hat, soll diese Frau nicht auch noch Svenjas Stiefmutter werden. Sie wünscht sich, dass Judith als Patin das Mädchen aufnimmt. Als Anwältin Sophie fürchtet, dass die Gesetze dem Vater den Vorzug vor der Patin geben werden, überrascht Ariane die Freundinnen mit dem Geständnis, dass Lucas nicht Svenjas leiblicher Vater ist. Tatsächlich erlebte Ariane während einer Ehekrise auf Sylt einen One-Night-Stand mit einem Unbekannten, von dem sie schwanger wurde, was ihr in der Ehe versagt geblieben war.

Alles, was Ariane über ihre Affäre weiß, ist sein Vorname. Außerdem besitzt sie einen Anhänger in Form eines goldenen Engels, der ihm am Strand aus der Tasche gefallen sein muss. Sophie macht sich auf die Suche nach Svenjas biologischem Vater und findet auch bald einen Anhaltspunkt. Doch nicht nur, dass ihr der Anhänger plötzlich gestohlen wird, auch Judith besteht vehement darauf, die Nachforschungen einzustellen. Sophie gibt nicht auf und stößt auf ein dunkles Geheimnis. Offenbar haben ihre Freundinnen ihr in einigen Punkten nicht die Wahrheit gesagt …

Sabine Kornbichlers Spezialität sind sanfte Spannungsromane, die das Schicksal von Frauen in den Mittelpunkt stellen.

|Spannende Suche nach der Vergangenheit|

Zum einen stellt sich für den Leser wie auch für Sophie die zentrale Frage, was hinter der Affäre zwischen Ariane und dem mysteriösen Andreas steckt. Sophie fühlt sich dazu berufen, den Besitzer des Engels zu finden und der kleinen Svenja für die Zukunft die Option zu bieten, dass sie ihren leiblichen Vater kennenlernen kann. Da sie kaum Anhaltspunkte besitzt, liegt eine schwierige Suche vor ihr, auf der sie aber nie ans Aufgeben denkt. Für zusätzliche Verwirrung sorgt die Auskunft, dass Frau Larsson, eine Geschäftsfrau Ende fünfzig, den Engel vor rund vierundzwanzig Jahren anfertigen ließ. Sophie will nicht daran glauben, dass der Anhänger rein zufällig in Arianes Besitz kam, sondern dass es eine Verbindung geben muss, die sie sich allerdings lange Zeit absolut nicht erklären kann.

Auffallend ist die Entwicklung des Verhaltens von Ariane und vor allem Judith, die plötzlich beide vehement dafür plädieren, dass Sophie ihre Suche einstellt. Immer stärker drängt sich der Freundin der Verdacht auf, dass ihr eine wichtige Sache verschwiegen wurde, dass Judith mit Ariane ein Geheimnis teilt und mehr über die Herkunft des Engels weiß – und vor allem einen guten Grund besitzt, dass Sophie den Besitzer nicht finden soll. Die Auflösung ist verblüffend, wird nicht zu früh angedeutet und fügt sich dennoch gut in das Muster ein, auch wenn die doppelte Pointe, die noch mal für eine letzte Überraschung sorgt, nachdem scheinbar alle Fragen geklärt sind, nicht notwendig gewesen wäre. Sophie stößt bei ihren Nachforschungen in ein Wespennest, sie gerät an eine wohlhabende Familie, die einiges zu verbergen hat, und kann lange Zeit ebenso wenig wie der Leser einschätzen, welche Verbindung es zu Ariane gibt.

|Dramatische Schicksale|

Als Ich-Erzählerin steht Sophie unweigerlich im Zentrum der Handlung, aber natürlich dreht sich ein großer Teil auch um die schwer kranke Ariane. Parallel zu der Suche nach dem Engel-Besitzer verfolgt man ihren Leidensweg. Ihre körperlichen Beschwerden nehmen zu, die Krankheit wird stärker, die Medikamente schlagen immer weniger an. Verzweifelt müssen die Freundinnen Judith und Sophie beobachten, wie Ariane sich langsam auf den Tod vorbereitet und sich vor allem um ihre Tochter sorgt. Während Judith als Hebamme den Umgang mit Kranken gewohnt ist, ist Sophie zeitweise überfordert, passiv mitzuerleben, wie Ariane immer schwächer wird. Dazu kommen die schwelenden Konflikte der drei, da Sophie sich weigert, ihre Forschungen einzustellen, auch wenn sie von Judith gar als besessen bezeichnet wird.

Schließlich spielt auch noch Sophies Beziehung zu ihrem Exfreund Peer eine große Rolle. Mitten in diesen Umwälzungen, die sich aus Arianes Erkrankung und der komplizierten Suche nach „Andreas“ ergeben, muss sie sich auch noch mit dem Aus ihrer Beziehung befassen. Peer hat sie betrogen, weil er sich vernachlässigt fühlte, wünscht sich jedoch einen Neuanfang und lässt nichts unversucht, um Sophie davon zu überzeugen, ihm noch eine Chance zu geben. Die prinzipientreue Anwältin Sophie will dagegen nicht von ihren eisernen Grundsätzen abweichen, auch wenn sie die ungewohnte Einsamkeit schmerzt und Ariane ihr dazu rät, sich mit Peer wieder zu versöhnen.

|Ein paar Schwächen|

Schade ist der etwas konstruierte Verlauf, der Sophie auf die Spur der Engels-Herkunft bringt. Zu ihrem Glück handelt es sich um ein Unikat, das eine freundliche Antiquitätenhändlerin sofort dem richtigen Goldschmied zuordnen kann, der wiederum genau weiß, dass er niemals eine weitere derartige Arbeit angefertigt hat, und der in seinen Unterlagen noch den Namen der Auftraggeberin hat. Sowohl mit der hilfreichen Antiquitätenhändlerin als auch mit der Frau des durch einen Schlaganfall geschwächten Goldschmieds kommt Sophie sehr schnell in guten Kontakt und erhält regelmäßig detaillierte Auskünfte, was in der Realität nicht so wahrscheinlich wäre. Die doppelte Pointe ist auch mehr ein unnötiger Überraschungseffekt; die Auflösung hätte keine Steigerung gebraucht.

Sieht man zudem von den überraschenden Wendungen der Handlung ab, verhalten sich die Charaktere selbst eher schematisch. Es fallen viele Gemeinplätze in den Gesprächen, sowohl bei den drei Freundinnen als auch zwischen dem getrennten Ehepaar Sophie und Peer. Gerade diesen Dialogen fehlt das individuelle Element, das sich von den schon allzu oft in sehr ähnlicher Form gelesenen Szenen abhebt.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer und spannender Frauenroman, der aber nicht deutlich über den Durchschnitt herausragt. Dank der überraschenden Wendungen bleibt man bis zum Schluss gefesselt, allerdings vermisst man vor allem in den Dialogen Abweichungen von Klischees. Empfehlenswert als leichte Lektüre, die mit ein wenig Krimi und Psychologie gewürzt wird.

_Die Autorin_ Sabine Kornbichler wurde 1957 in Wiesbaden geboren. Sie studierte zunächst VWL und arbeitete als Texterin und PR-Beraterin. Seit 1998 lebt sie als freie Autorin in Düsseldorf. Ihr Werk umfasst Romane und Kurzgeschichten. Weitere Bücher von ihr sind: „Majas Buch“, „Klaras Haus“, „Steine und Rosen“, „Vergleichsweise wundervoll“, „Annas Entscheidung“ und [„Im Angesicht der Schuld“. 2561

http://www.sabine-kornbichler.de/
http://www.knaur.de/

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