Moers, Walter – Schrecksenmeister, Der. Ein kulinarisches Märchen aus Zamonien von Gofid Letterkerl

_Gottfried Keller auf Zamonisch_

Echo ist eine Katze. Nein – um genau zu sein, ist er eine Kratze. Eine Kratze unterscheidet sich von einer Katze nur insofern, als sie zwei Lebern besitzt, sehr viel Wissen in sich aufnehmen und sich mit jeder Daseinsform in Zamonien unterhalten kann.

Echo lebte lange Zeit glücklich mit seinem Frauchen in einem Haus in Sledwaya, einer Stadt, in der alle Bewohner dauerkrank sind. Bis sein Frauchen eines Tages starb und Echo von den neuen Bewohnern auf die Straße geworfen wurde.

Dort versucht er sich durchzuschlagen, ist aber bald vollkommen dürr und dem Tode nahe, wenn er nicht bald wieder etwas zu Fressen bekommt. Genau in diesem Augenblick läuft das Unglück von ganz Sledwaya über die Straße: der Schrecksenmeister Eißpin, der verantwortlich für die Krankheit der Bewohner ist und vor dem alle Angst haben. Als er Echo sieht, schlägt er ihm einen teuflischen Vertrag vor: Eißpin möchte Echo bis zum nächsten Schrecksenmond mit allerlei Köstlichkeiten durchfüttern, wenn er in der Nacht des Schrecksenmonds Echo töten und sein Fett auskochen darf, um es für seine alchimistischen Versuche zu verwenden. Echo bleibt keine andere Wahl und willigt in den Vertrag ein.

Wie versprochen füttert Eißpin Echo mit allerlei Leckereien und zeigt ihm all seine alchimistischen Geheimnisse. Da Echo aber nicht sterben möchte, versucht er mit allen Mitteln, den Kontrakt mit Eißpin zu brechen. Nichts davon scheint zu funktionieren und der Schrecksenmond rückt bedrohlich näher …

Zamonien ist ein weiterer Kontinent unserer normalen Welt, dessen Hauptstadt die Stadt Atlantis ist. In Zamonien leben alle Daseinsformen, die man sich nur vorstellen kann (oder eben auch nicht), wie Schrecksen, die in Zamonien behandelt werden wie im Mittelhalter normale Hexen, Fhernhachenzwergen, die immer optimistisch und lieb sind, Wolpertinger, Haifischmaden, Blutschinken, Lindwürmer, Schuhus, Laubwölfe und viele mehr. Es gibt Orte wie die Süße Wüste, in welcher der Sand aus Zucker besteht, eine Stadt namens Wolperting, in der lediglich Wolpertinger leben dürfen, Buchhaim, wo ein Bücherladen neben dem anderen steht und wohin alle angehenden Schriftsteller gehen, und Städte wie Sledwaya, in der alle Bewohner dauerkrank sind, weil der Schrecksenmeister den lieben langen Tag damit verbringt, sich neue Krankheiten für die Bewohner von Sledwaya auszudenken.

Wie schon bei seinem Märchen „Ensel und Krete“, das eine zamonische Version von „Hänsel und Gretel“ von den Gebrüdern Grimm darstellt, ist auch „Der Schrecksenmeister“ in seiner Grundform nicht von Walter Moers selbst. Bei seinem letzten Buch hat er sich Gottfried Kellers „Spiegel, das Kätzchen“ als Vorlage genommen und daraus ein typisch zamonisches Märchen gezaubert. Nachdem ich „Spiegel, das Kätzchen“ von Gottfried Keller gelesen hatte, war ich schon sehr gespannt darauf, was Walter Moers aus dieser Geschichte machen würde und erwartete von der Umsetzung sehr viel. Vielleicht ein wenig zu viel. Das Buch hat mir zwar sehr gut gefallen, allerdings war mir die Geschichte im Großen und Ganzen doch ein wenig zu nah am Original orientiert.

Ich kenne Walter Moers als einen Autor, dem es nie an verrückten und genialen Ideen mangelt. Seine Zamonien-Bücher sind alle zum Bersten gefüllt mit seinen verrückten Ideen, bei denen man nur den Kopf schütteln und sich immer wieder fragen muss: Wie kommt man denn auf |so| eine schräge Idee? Dies aber mitnichten im negativen Sinne, sondern ganz im Gegenteil. Walter Moers hat absolut verrückte Ideen und verpackt diese dermaßen gut und realistisch, als würde er nicht über eine völlig kuriose Welt erzählen, sondern den Inhalt seiner Vorratskammer beschreiben – einfach völlig selbstverständlich, und dem Leser bleibt auch nichts anderes übrig, als Zamonien als naturgegeben zu nehmen.

Genau das habe ich bei „Der Schrecksenmeister“ auch erwartet und war vom Ergebnis schon ein wenig enttäuscht. Zwar findet man in diesem Buch auch wieder die typischen Ideen von Walter Moers, dies aber ziemlich rar gesät und teilweise auch einfach nicht wirklich passend. Als sich zum Beispiel Echo und die Schreckse zusammenraufen, muss Echo der Schreckse zuallererst einen Zungenkuss geben. Normalerweise hat wirklich alles in Walter Moers‘ Büchern einen Sinn, und sei es auch noch so verrückt und durchgeknallt, aber warum Echo eine Schreckse küssen muss, damit sie zusammenarbeiten können, ist in diesem Zusammenhang gänzlich unklar. Und das ist leider nicht die einzige Idee dieser Art, die Walter Moers in seinen Roman unpassend eingebaut hat.

Eigentlich sind die alleinigen Hauptpersonen in diesem Buch Echo, der Schrecksenmeister Eißpin und die Schreckse Izanuela. Zwar gibt es noch einige Nebencharaktere, aber die spielen kaum eine Rolle und kommen auch nicht wirklich oft zum Zuge. Diese Begleifiguren scheinen für die Handlung nicht wirklich wichtig zu sein und wirken teilweise ein wenig Fehl am Platz. Normalerweise ist in den Zamonien-Büchern jeder Charakter wichtig, ob nun Nebencharakter oder nicht. Hier dagegen wirken diverse Figuren zusammenhanglos ins Erzählte hineingeworfen; zum Beispiel ist der Schuhu Fjodor F. Fjodor, der Fremdwörter nicht richtig aussprechen kann und versucht, Echo zu helfen, zwar an sich eine gute Idee, aber innerhalb der Geschichte praktisch völlig unnütz. Ich hätte es besser gefunden, wenn Walter Moers auch mehr auf seine Nebencharaktere eingegangen wäre und sie mehr in die Handlung integriert hätte, statt seine ganze Aufmerksamkeit lediglich Echo, dem Schrecksenmeister und der Schreckse zu widmen.

Was nun nicht wirklich gestört hat, ich aber ein wenig schade fand, ist, dass nicht nur die guten Ideen eher selten in „Der Schrecksenmeister“ zu finden sind, sondern dass diesmal auch sehr wenige Bilder beigefügt sind. Dagegen ist ja an sich auch nichts einzuwenden, aber an einigen Stellen hätte ich mir schon Bilder gewünscht, weil man sich nicht immer alles aus dieser phantastischen Weltenschöpfung so problemlos vorstellen kann. Gerade von der „Weißen Witwe“, einem sehr gefährlichen Wesen, hätte ich mir ein Bild gewünscht.

Was den Schreibstil Walter Moers‘ angeht, hat sich nicht allzu viel verändert, was auch gut so ist. Der Stil ist noch immer außergewöhnlich und unverwechselbar. Er beschreibt alles sehr blumig, detailreich und originell – eben typisch Moers. Die Formulierungen und Vergleiche, die er sehr oft verwendet, sind sehr einfallsreich und machen das Buch umso lebendiger. Wie man es ebenfalls von Moers kennt, ist sein Schreibstil sehr flüssig, sodass man komplett in die Geschichte eintauchen kann und mit der Lektüre auch recht zügig vorankommt.

_Fazit:_ „Der Schrecksenmeister“ ist im Großen und Ganzen zwar schon ein gelungenes Buch, kann aber mit den restlichen Zamonien-Büchern nicht richtig mithalten. Weil ich von den Vorgängern so begeistert bin, habe ich mir von dem hier vorliegenden Band ein wenig zu viel erhofft und wurde dementsprechend etwas enttäuscht. Dennoch ist „Der Schrecksenmeister“ ein Buch, das es wert ist, einen aufmerksamen Blick zu riskieren, und in eine Walter-Moers-Sammlung gehört es sowieso.

Wem der Name _Walter Moers_ unwahrscheinlicherweise nichts sagen sollte, der kennt vielleicht eines seiner zahlreichen berühmten Werke: „Das kleine Arschloch“, „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“, „Der Fönig“, „Adolf“ oder „Rumo“. Und das ist noch lange nicht alles, was Walter Moers bisher erschaffen hat. Die meisten seiner Werke stammen allerdings aus seiner selbsterfundenen Welt „Zamonien“, die von Lindwürmern, Wildschweinlingen, Haifischmaden, Schrecksen, Hundlingen und vielen anderen Kreaturen besiedelt wird.

Eigentlich kreiert Walter Moers hauptsächlich Comics (wie z. B. „Das kleine Arschloch“), aber im Jahr 1999 brachte er seinen ersten Roman heraus: „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“. Darauf folgten dann zahlreiche weitere Romane aus Zamonien, die allesamt sehr erfolgreich waren.

|Die Zamonien-Reihe:|

„Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ (1999)
„Ensel und Krete – Ein Märchen aus Zamonien“ (2000)
„Rumo & Die Wunder im Dunkeln“ (2003)
[„Die Stadt der träumenden Bücher“ 2486 (2004)
„Der Schrecksenmeister“ (2007)

Mehr Infos über Zamonien: http://www.zamonien.de

http://www.piper-verlag.de

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