McCrea, Barry – Poeten der Nacht, Die

Bücher über die Leidenschaft zu Büchern sind stets ein besonderer Genuss für den wahren Bücherfreund. Auf fantasievolle Art und mit einem Blick für die tiefe Verbundenheit dem Medium Buch gegenüber hat schon so mancher Autor es geschafft, den Leser mitten ins Herz zu treffen – manifestiert sich in der Lektüre doch stets auch die eigene Leidenschaft des Lesers für das gedruckte Wort. Zwei passende Beispiele wären hier „Das Papierhaus“ von Carlos Maria Domínguez oder [„Der Schatten des Windes“ 2184 von Carlos Ruiz Zafón. Ein Buch, das sich anschickt, sich in diese Galerie einzureihen, ist der Debütroman „Die Poeten der Nacht“ des irischen Autors Barry McCrea.

Auch „Die Poeten der Nacht“ handelt von der Leidenschaft zu Büchern. Eine Leidenschaft, die im Fall des jungen Studenten Niall ein dunkler Sog wird, der ihn wie ein schwarzes Loch zu verschlingen droht und ähnlich absurd-sonderbare Ausmaße annimmt, wie es z. B. in Domínguez‘ Roman [„Das Papierhaus“ 2814 geschieht.

Doch von all dem ahnt Niall noch nichts, als er sein Studium am altehrwürdigen Trinity College in Dublin antritt. Zunächst genießt er einfach nur das Studentenleben, zieht abends mit seinen Kommilitonen durch die Pubs von Dublin, schließt neue Freundschaften und hat außerhalb seines Elternhauses erstmals auch die Gelegenheit, seine homosexuelle Seite zu erforschen und auszuleben.

Doch auch das wird zunehmend bedeutungslos, als Niall im Nachklang einer Party erstmals mit den „Sortes“ in Berührung kommt. Das Prinzip der „Sortes“ funktioniert folgendermaßen: Man stelle eine Frage, dann nehme man blindlings und rein intuitiv ein Buch aus einem Bücherregal, schlage es ebenso blindlings auf und lese eine intuitiv gewählte Textpassage. In dieser Textpassage steckt die Antwort auf die gestellte Frage – natürlich nicht wortwörtlich und oft rein metaphorisch. Lässt sich zwischen Textpassage und Frage keinerlei Verbindung herstellen, war die Frage nicht präzise genug formuliert.

All das sieht nach einem harmlosen literarischen Partyspiel aus, wenngleich die „Sortes“ eine uralte Tradition darstellen, derer man sich schon im alten Rom bedient hat. Schon von Anfang an ist Niall fasziniert von der Stimmigkeit der Antworten, und insgeheim lässt ihn dieses Thema nicht mehr los. Während seine beste Freundin Fionnuala die „Sortes“ schon längst wieder vergessen hat, versucht Niall auch nach der Party immer wieder, mit Sarah und John in Kontakt zu kommen, den beiden, die ihn auf der Party an die „Sortes“ herangeführt haben.

Er fängt an, den beiden mit Hilfe der Bücher hinterherzuspionieren. Er missachtet Johns stetige Warnungen sich zurückzuhalten und nervt ihn so lange, bis der ihn in weitere Geheimnisse einweiht. So erfährt Niall von „Pour Mieux Vivre“, einem Geheimbund, der neben den „Sortes“ noch weitere Praktiken anwendet, die allesamt mit Büchern zu tun haben.

Widerwillig nehmen Sarah und John Niall in ihre kleine Gemeinschaft auf, und schon bald ist Niall hoffnungslos den „Sortes“ verfallen. Er trifft keine Entscheidung mehr, ohne vorher die Bücher zu befragen. Studium, Freundschaften und der Kontakt zur Familie – alles bleibt auf der Strecke, während Niall wie ein einsamer Wanderer, stets begleitet von einem Stapel Bücher, durch Dublin streift und nach Antworten sucht. Zu spät merkt Niall, mit welcher intensiven Macht die Bücher ihn zu verschlingen drohen …

Zugegeben, der Plot mutet bei näherer Betrachtung schon etwas bizarr an. Niall, der Bücherjunkie, der ganz und gar abhängig von Büchern ist, der keine Entscheidung mehr fällt, ohne vorher die Bücher zu befragen. Zu beobachten, wie er durch die Straßen von Dublin wandelt, sich durch die Bücher den Weg weisen lässt und dabei doch keinen Schimmer hat, wohin der Weg ihn eigentlich führt. Das Ganze mutet irgendwie surreal an, und es braucht unbestreitbar schon ein gewisses Erzähltalent, damit der Leser diesem skurrilen Spiel folgen mag.

Und so ist es eben auch Barry McCreas wunderbare Art zu erzählen und plastische Bilder in den Kopf den Lesers zu projizieren, die dem Roman seinen besonderen Glanz verleiht. Die Figuren wirken durch seine Beschreibungen außerordentlich lebensnah. Man hat das Gefühl, wirklich direkt neben ihnen zu stehen und sie zu beobachten. McCrea entwirft sympathische Figuren, in denen man sich wiederfinden kann. Ganz alltägliche Menschen, in die er sich gekonnt einfühlt.

Ein wichtiger Hauptdarsteller des Romans ist die Stadt Dublin. Niall ist täglich in den Straßen der Stadt unterwegs, lässt sich durch Pubs und Clubs treiben, durchstreift Parks und Shoppingmeilen und beobachtet die Menschen, die unterwegs zur Arbeit und zum Einkaufen sind.

Und so ist „Die Poeten der Nacht“ eben auch ein Dublin-Roman, eine kleine Huldigung an die Stadt und ihre Einwohner und eine treffsichere Bestandsaufnahme, die mit geschultem Blick Irlands Verwandlung vom ehemaligen Armenhaus Europas zum „keltischen Tiger“ begleitet. War sonst immer „Ulysses“ von James Joyce der klassische Dublin-Roman, so hat McCrea mit „Die Poeten der Nacht“ ein zeitnahes, modernes Gegenstück geschaffen.

Sprachlich ist „Die Poeten der Nacht“ ein wirklich gelungener Roman. Es ist McCreas Sprache, die Grundlage seiner wohlakzentuierten Figurenskizzierung und seiner Beobachtungen Dublins ist. Treffende Beschreibungen, ein kontinuierlich aufstrebender Spannungsbogen und ein flüssiger Erzählstil sorgen dafür, dass „Die Poeten der Nacht“ wirklich angenehm zu lesende Lektüre ist.

So gelingt McCrea es eben auch, eine so bizarre Geschichte wie Nialls Besessenheit von den „Sortes“ und das stetig voranschreitende Entgleisen seines Lebens zu dokumentieren – zumal das Ganze stets auch von einem etwas mystischen Nebel umgeben wird. Niall trifft immer wieder die ominöse Figur des Pablo Virgomare, von dem nie weiß, ob er wirklich existiert oder vielleicht nur ein Produkt von Nialls Fantasie ist. Je mehr Niall sein Leben entgleitet, desto sonderbarere Züge nimmt auch der Plot an. Das ist einerseits faszinierend, aber andererseits eben auch nicht wenig verwirrend. Man weiß nicht, was man davon halten soll. So wie Niall offenbar immer wieder von seiner Wahrnehmung an der Nase herumgeführt wird, scheint auch McCrea den Leser an der Nase herumzuführen.

Und so bleibt der Roman eben bis zum Ende hin von einer unergründlichen und rätselhaften Ader durchzogen. Das mag manchen Leser faszinieren und sorgt dafür, dass „Die Poeten der Nacht“ ein Buch ist, dass auch bei zweimaliger Lektüre noch seinen Reiz haben dürfte – wer jedoch am Ende eine klare Auflösung und ein erklärendes Ende erwartet, der dürfte etwas enttäuscht sein. McCrea lüftet den Schleier des Rätselhaften nicht wirklich, und so bleibt einem auch Niall trotz der gelungenen Figurenskizzierung am Ende immer noch ein wenig fremd, weil man nicht ganz nachvollziehen kann, was in ihm vorgeht.

So ist „Die Poeten der Nacht“ unterm Strich ein Buch, das gleichermaßen rätselhaft wie faszinierend ist. McCrea offenbart ein wunderbares Erzähltalent, fühlt sich sehr gut in seine Figuren ein und hat einen lesenswerten Dublin-Roman abgeliefert. Doch mit der mystischen, rätselhaften Art des Romans muss man erst einmal warmwerden. Vieles bleibt auch am Ende immer noch offen und mysteriös. Dadurch klingt der Roman im Kopf zwar noch lange nach, bleibt aber eben auch ein etwas unbefriedigendes Lesevergnügen, da man auf viele Antworten vergebens wartet.

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