Wilson, Robert Charles – Axis

„Axis“ ist die Fortsetzung von Robert Charles Wilsons (* 1953, Kalifornien) mit dem |Hugo Award 2006| ausgezeichnetem Roman [„Spin“ 2703 und handelt einige Jahre nach dem Zusammenbruch des Energieschirms um die Erde. Ein riesiger Torbogen im indischen Ozean verbindet ihn mit den Meeren einer fremden Welt, die allmählich kolonisiert und von den meisten Bewohnern trotz einer riesigen Anzahl großartig klingender mythologischer Namensvorschläge nach ihrem größten Kontinent schlicht |Äquatoria| genannt wird.

Doch nach wie vor weiß man nicht, wer für den Spin verantwortlich war oder warum es ihn überhaupt gegeben hat. Der Glaube an die „Hypothetischen“ nimmt teilweise groteske Formen des Aberglaubens an, während verschiedene Gruppen gezielt versuchen, Kontakt mit den unbekannten Intelligenzen aufzunehmen, für einige Radikale gleichbedeutend mit einem Kontakt mit Gott. Jason Lawton hat dies bekannterweise bereits in „Spin“ versucht, überlebte die Kontaktaufnahme aber nicht.

Im Alter von zwölf Jahren scheint die Zeit des speziell zu diesem Zweck genetisch veränderten Isaac gekommen zu sein: Ein Meteoritenschauer erzeugt nicht nur hübsch anzusehende Sternschnuppen, sondern seltsame, absurde Lebensformen, die jedoch rasch sterben und die Städte mit lästig dicken Staubschichten bedecken. Auf der Suche nach ihrem Vater, der vor zwölf Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist, treffen Lise Adams und ihr Freund Turk Findley auf die aus „Vierten“ bestehende Gruppe um Isaac. Unterstützt werden sie von Diane Lawton, die enge Kontakte zu mehreren illegalen „Vierten“-Gemeinschaften unterhält, die von einer eigens dafür geschaffenen Regierungsbehörde – dem Ministerium für genomische Sicherheit – unnachgiebig verfolgt werden.

_Das Leben in einer Post-Spin-Koloniewelt_

Wilson schaltet trotz vieler offener Fragen einen Gang zurück. Er legt den Fokus jetzt auf das Leben der Menschen in einer neuen Welt, die kurz nach dem Ende des Spins kolonisiert wurde. Die Nachwirkungen des Spins beschäftigen noch immer die Gemüter, und so wird die Suche von Lise Adams nach ihrem gegen Ende der Spinzeit verschwundenen Vater auch zu einer Art Sinnsuche. Für Neueinsteiger ist das Buch nicht geeignet, denn Wilson setzt stillschweigend Kenntnis von „Spin“ voraus. Ohne diese Kenntnisse kann man mit Begriffen wie „Vierten“ für speziell lebensverlängerte Personen und der zumindest bei den Marskolonisten für sie existierenden Sozialhierarchie und den Problemen der Erdmenschen und Äquatorias mit den langlebigen „Vierten“ nichts anfangen; auch im Hinblick auf die „Hypothetischen“ werden Vorkenntnisse benötigt. „Axis“ ist der Mittelband einer geplanten Trilogie um den Spin, was mich überrascht. Denn auch wenn „Spin“ ein sehr offenes Ende hat, kann ich mir nicht vorstellen, was Wilson hier noch einbringen könnte. Gerade dass er auf nur 555 Seiten eine ungeheure Vielzahl von Ideen untergebracht hat, anstatt daraus einen mehrbändigen Zyklus zu produzieren, ehrte ihn in meinen Augen. Um eines vorwegzunehmen: Das Ende von „Axis“ ist faszinierend, aber auch unbefriedigend, da es eher zum Staunen anregt als neue Erkenntnisse zu liefern.

Isaac und seine Mutter Mrs. Rebka – benannt nach einem Charakter des verstorbenen Charles Sheffield aus seinem |Heritage|-Zyklus; er selbst wohl nach Isaac Asimov – stehen nicht im Zentrum der Handlung, obwohl die Geschichte mit Isaac und der mit Referenzen auf andere SF-Autoren ein wenig überfrachteten Vierten-Gruppe beginnt. Wilson hat keine dominante Hauptfigur, sofern man nicht unbedingt Lise Adams, Turk oder Isaac zu solchen erklären möchte; er erzählt vom Leben auf dieser neuen Welt aus verschiedenen Blickwinkeln und gibt dem Leser so einen Einblick in die Post-Spin-Gesellschaft und ihre zahlreichen Manien. Die Kolonisierung der neuen Welt hingegen wird recht stiefmütterlich behandelt: Neben Äquatoria gibt es noch eine Wüste, in der ein weiterer Torbogen steht, der auf einen Ödplaneten mit Giftatmosphäre führt, weshalb er noch nicht näher untersucht wurde. Nun, vielleicht geschieht dies ja im dritten Band; bei allem Fokus auf soziale Geflechte und Motivationen – was Wilson wirklich sehr gut gelungen ist; kein Vergleich zu seinem damit überfrachteten und mit dem Label Science-Fiction beinahe fehldeklarierten [„Quarantäne“ -, 4264 hat er beide Welten nur recht stiefmütterlich beschrieben. Diese Kolonie wirkt auf mich nicht fremdartiger als das heutige Hörensagen vom Leben in Australien; bis auf eine riesige Schiffabwracker-Industrie an den Stränden Äquatorias scheint der einzige nennenswerte Unterschied in der Haltung der Menschen zum mittlerweile vergangenen Phänomen des Spin und den Hypothetischen zu bestehen. Und diese Fragen bleiben leider auch am Ende offen – ebenso ergebnislos verläuft auch die etwas aufgesetzt wirkende Hetzjagd der genomischen Sicherheit, die Wilson nur etwas beiläufig nebenher eingebaut hat.

_Fazit:_

Leider fehlt es der Fortsetzung an der Ideendichte und dem atemberaubenden kosmischen Rahmen des Vorgängers „Spin“. Dafür sind alle Charaktere deutlich ausgefeilter und harmonisch in die Handlung eingebunden. Ebenso ist die Geschichte spannend erzählt und ein angenehmer Lesefluss die Regel. Wilson erweist sich als abwechslungsreicher Erzähler, doch bei aller Finesse und obwohl ich die Geschichte sehr gerne gelesen habe, frage ich mich, ob man dieses Bisschen zusätzlicher Information in einem eigenen Roman breitschlagen musste. Wer „Spin“ mochte, darf mit erwähnten Vorbehalten zuschlagen; wem das Ende von „Spin“ bereits zu unbefriedigend war, der sollte diesen Roman besser meiden. Erzählerisch hat Wilson „Spin“ übertroffen, insgesamt fehlt es diesem Roman jedoch an dem höheren Grad der Faszination und der geballten Ladung an Ideen, die „Spin“ einen |Hugo| einbrachten. Wilson selbst befürchtete solche Vergleiche, wie er auf seinen Blog erwähnt, denn „Axis“ sollte bewusst eine ganz andere Art von Buch sein. Vielleicht leidet „Axis“ einfach nur unter dem Mittelband-Syndrom; eventuell gelingt es Wilson, die Vorzüge von „Spin“ und „Axis“ in dem geplanten Abschlussband „Vortex“ zu vereinen.

http://www.heyne.de
http://www.robertcharleswilson.com

_Robert Charles Wilson auf |Buchwurm.info|:_

[„Spin“ 2703
[„Quarantäne“ 4264
[„Die Chronolithen“ 1816
[„Darwinia“ 92
[„Bios“ 89

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