Roszak, Theodore – Schattenlichter

Dan Brown ist vermutlich einer der bekanntesten Autoren, die in ihren Büchern Spannung mit Religion verbinden. Viele haben ihn seitdem kopiert, die meisten eher weniger erfolgreich. Einer, der schon vor Brown da war, ist der Autor und Geschichtsprofessor Theodore Roszak, auch wenn sein Roman „Flicker“ in deutscher Übersetzung erst nach Brown erschienen ist. Tatsächlich wurde das Buch, auf Deutsch „Schattenlichter“, aber im Original bereits 1991 veröffentlicht – und hat vielleicht ein größeres Publikum verdient als Browns Bücher.

_Jonathan Gates_, der Ich-Erzähler, berichtet auf über 800 Seiten darüber, wie seine Liebe zum Kino entstanden ist und wohin sie ihn letztendlich führt. Dabei beginnt alles sehr harmlos in Los Angeles Mitte der 50er Jahre. Das für sein ausgewähltes Programm berüchtigte Untergrundkino Classic wird für den jungen Jonathan ein beliebter Treffpunkt. Er verliebt sich in die spröde, attraktive Clare, die Besitzerin des Kinos, und sie nimmt sich des Jüngeren an, um ihn in der Wissenschaft des Films zu unterrichten. Clare ist dabei allerdings sehr kritisch. Kommerzielle Filme sind ihr zu dumpf, künstlerische Filme häufig zu etepetete.

Der deutsche Regisseur Max Castle ist ihr beispielsweise ein absoluter Dorn im Auge. Seine Filme sind für sie Schund, da es sich hauptsächlich um B-Movies mit Titeln wie „Das Blutschloss“ oder „Graf Lazarus“ handelt. Doch Jonathan entdeckt während des Schauens, dass die Filme wesentlich mehr sind als bloß Filme. Die Beklemmung und andere negative Gefühle die sie erzeugen, sind außergewöhnlich. Max Castle wird immer mehr zu einer Obsession für Jonathan. Er möchte herausfinden, was diesen Regisseur ausgezeichnet hat und woher die Wirkung seiner Filme kommt, welche ausgefallenen Schnitttechniken er verwendet.

Clare schlägt ihm, der Filmwissenschaften studiert hat, schließlich vor, seine Doktorarbeit über Max Castle zu schreiben. Das Problem: Seine Filme sind zum Großteil verschollen. Auf der Suche nach den wertvollen Rollen spricht er mit diversen Akteuren aus Castles Leben – und entdeckt dabei, dass dieser zu einer merkwürdigen Vereinigung gehört hat, die sich „Sturmwaisen“ nennt. Und die sehen gar nicht gerne, was er da treibt …

_Das Auffälligste_ an „Schattenlichter“ ist sein Umfang. Über 800 Seiten bringt man normalerweise eher mit Fantasy in Verbindung, doch Roszak hat nichts in dieser Richtung geschrieben. „Schattenlichter“ ist vielmehr die Bibel für jeden Filmfreund, doch auch der Laie kann das Buch ohne Probleme lesen. Roszak erklärt viel, so dass man die wenigen Fachbegriffe auch versteht. Darüber hinaus wird leicht ersichtlich, wie umfangreich die Recherchen des Autors gewesen sein mussten. Das Buch strotzt nur so vor Details, wirkt aber nie überladen. Dabei wird nicht immer ersichtlich, ob diese Details fiktiv oder wahr sind. Wer nach der Lektüre des Buchs den Namen „Max Castle“ bei Wikipedia eingibt, muss nämlich enttäuscht feststellen, dass es sich dabei um einen fiktiven Regisseur handelt. Roszak beschreibt dessen Leben und auch seine Filmografie aber so anschaulich und ausführlich, dass leicht der Eindruck entsteht, dass Max Castle wirklich einmal gelebt hat.

Der Autor lässt sich sehr viel Zeit mit seiner Geschichte. Es vergehen einige Seiten, bis Max Castle überhaupt seinen ersten Auftritt hat, denn Roszak beschreibt zuerst, wie Jonathan und Clare sich kennen lernen und wie sich ihre Beziehung entwickelt. Anders als erwartet stellen diese und andere Nebenhandlungen jedoch kein Problem dar. Sie unterstützen eher noch die Spannung, weil sie die Spur Max Castle immer wieder unterbrechen, hinauszögern oder ihr ungewollt Zunder geben. Gerade am Anfang sind die Hinweise auf Castles Verbindungen zu den Sturmwaisen sehr rar gesät. Dadurch wird die Geschichte sehr mitreißend. Als Leser ist man ständig auf der Hut, damit man auch ja keinen der kleinen Hinweise verpasst. Am Ende verzichtet Roszak jedoch auf unnötige Elemente. Er wendet sich von seiner vorherigen Herangehensweise ab und beschränkt sich auf das Wichtigste. Dieser Umschwung fällt auf, dem einen oder anderen vielleicht auch negativ, doch der Autor kann dies mit seinem sauberen Schreibstil ausbügeln.

Hauptfigur und Ich-Erzähler Jonathan braucht, genau wie die Geschichte, seine Zeit, bis sein Charakter wirklich deutlich wird. Dennoch wirkt er fast das gesamte Buch lang eher wie ein Katalysator für die Geschichte als wie eine richtige Hauptfigur. Seine Gedanken und Gefühle werden häufig durch die Ereignisse, Zusatzinformationen oder Schilderungen verdrängt. Am Anfang steht sogar Clare mehr im Mittelpunkt als er und man erfährt seinen Namen erst Seiten später. Allerdings ist dies in gewisser Hinsicht auch geschickt, bedenkt man, dass Jonathan gerade in seinen Anfangsjahren als Filmstudent sehr stark von Clare beeinflusst wurde und keine eigene Meinung hatte. Das ändert sich mit der Zeit in dem Maße, in dem er immer mehr in den Vordergrund rückt.

_Ein solches Monstrum_ von Buch kann man nur erschaffen, wenn man wirklich schreiben kann. Gerade die gemächlicheren Teile des Romans würden sonst in Orgien der Langeweile ausarten. Zum Glück schreibt Roszak von der ersten Seite bis zur letzten flüssig, angenehm intelligent und sehr abwechslungsreich. Weder Humor noch Stilmittel lenken dabei von der eigentlichen Geschichte ab. Er bleibt nüchtern, aber dennoch detailliert, so dass der Leser sich alles gut vorstellen kann.

Und der Vergleich mit Dan Brown? In Anbetracht der Tatsachen, dass Roszak unglaublich gut schreibt, die Handlung weniger reißerisch, dafür aber wesentlich realistischer ist und dass er die Spannung geschickt und langsam aufbaut, besteht keine Verwechslungsgefahr. „Schattenlichter“ ist ein großartiger Roman, der viel Zeit in Anspruch nimmt, aber auch entsprechend viel zu bieten hat.

|Originaltitel: Flicker
Aus dem amerikanischen Englisch von Friedrich Mader
878 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3453525740|
http://www.heyne.de

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