Müller-Kraenner, Sascha – Energiesicherheit. Die neue Vermessung der Welt

Fast kein Tag vergeht, an dem man nicht in den Nachrichten von steigenden Benzinpreisen, dem Energiehunger des aufstrebenden China und dem Kleinkrieg der amerikanischen Besatzungsmacht in Afghanistan und Irak hört. Der Energiebedarf der etablierten Industrienationen und schnell wachsender Schwellenländer wie China und Indien bei knappen oder zumindest schwerer zugänglichen Vorkommen an Kohle, Öl und Gas haben dazu geführt, dass eine dauerhafte und sichere Energieversorgung keine Detailfrage der Wirtschaftspolitik, sondern mittlerweile ein Kernthema für die Chefsache Außen- und Sicherheitspolitik ist.

Sascha Müller-Kraenner hat in seinem Buch „Energiesicherheit. Die neue Vermessung der Welt“ die gegenwärtige weltweite Energiesituation dargestellt und sich Gedanken über Auswege gemacht. Dabei ist ihm zwar ein nicht immer ausgewogenes, aber erfreulich nüchternes, sachliches und weitgehend faktengesättigtes Ergebnis gelungen. Das beginnt damit, dass er seinen Titelbegriff „Energiesicherheit“ nicht den Assoziationen des Lesers überlässt, sondern in einem kurzen Eingangskapitel klar definiert. Für Müller-Kraenner bezeichnet er nicht nur eine langfristige, verlässliche Energieversorgung, sondern auch die Berücksichtigung der Sicherheitspolitik und des Umweltschutzes in der Energiepolitik.

Besonders lesenswert sind die Kapitel über Russland sowie China und andere asiatische Staaten von Indien bis Japan. Mit einer hierzulande seltenen Klarheit stellt er die geopolitische Lage, d. h. Bodenschatzverteilung, Topographie, Grenzverläufe sowie die teils vereinbaren, teils divergierenden nationalen Interessen dar. Die Vorstellung der bekannten und vermuteten Öl- und Gasvorkommen im mittleren Asien von Iran über Kasachstan bis Sibirien macht die gegenwärtige politische Lage verständlicher. Dass Deutschland als importabhängiges Land hier mit viel diplomatischem Geschick seine Interessen vertreten muss und nicht als reiner Tor der Weltbeglückung zu dienen hat, macht Müller-Kraenner deutlicher als mancher Politiker. Auch die Situation der USA wird betrachtet, allerdings nicht der gleichen kritischen und ausführlichen Analyse unterzogen wie die übrigen erwähnten Staaten. Genauso auffällig ist, dass bei der Diskussion der offiziellen und inoffiziellen Atommächte (S. 186ff) Israel ausgeklammert wird. Da wundert es auch nicht, dass die US-kritischen südamerikanischen Regierungen von Chavez bis Morales sehr undifferenziert kritisiert werden, während der Milliardenspekulant George Soros, der Gerüchten zufolge schon fast einen privaten Geheimdienst unterhalten soll, als uneigennützige Friedenstaube gepriesen wird. Dass das Kapitel über die EU etwas richtungslos bleibt, mag daran liegen, dass regelungswütige Eurokraten, die gleichzeitig Tabakanbau und Nichtraucherkampagnen unterstützen, sich von harten Interessenkonflikten lieber fernhalten.

Müller-Kraenner liefert auch einige Lösungsansätze. Wenn er dem von Energieimporten abhängigen Industriestaat Deutschland die Diversifizierung bei Energieträgern und Exporteuren, Energieeinsparung und eine höhere Ausnutzung der Primärenergie vorschlägt, ist so weit zuzustimmen. Dass er die beiden letzten Punkte nur kurz anreißt, geht in Ordnung, da er ja kein Technikbuch geschrieben hat. An anderen Punkten merkt man, dass der Autor, der einige Jahre für die den „Grünen“ nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung gearbeitet hat, nicht über seinen Schatten springen kann. Die These, nach der CO2 das Klima beeinflusst, ist für ihn eine nicht hinterfragbare Wahrheit, auch wenn auffällig viele Wissenschaftler in letzter Zeit mit Formulierungen wie „wahrscheinliche Ursache“ oder „Mitverursacher“ zurückrudern. Ebenso ist für ihn die Ablehnung der Atomenergie über jeden Zweifel erhaben. Dass Uran ebenso wie Öl und Gas importiert werden muss, ist in der Tat ein schwerwiegendes Argument. Wenn aber alle Welt außer Deutschland wieder verstärkt auf Atomkraft setzt, hätte man zumindest die Frage erörtern müssen, ob womöglich nicht alle anderen Unrecht haben, sondern wir. Beim Thema der sogenannten „erneuerbaren“ oder alternativen Energien vermisst man erwartungsgemäß das Zauberwort „Wirkungsgrad“ (Für Nicht-Physiker: Der Wirkungsgrad eines Kraftwerks ist das Verhältnis der nutzbaren, von ihm zur Verfügung gestellten Sekundärenergie zu der von ihm benötigten Primärenergie.) Andererseits enthält das Buch interessante Abschnitte über Wasserstoff und Biomasse als künftig nutzbare Energieträger. Alternative Energien müssen für die langfristige Planung sicher ein Thema für Forschung und Entwicklung sein; jetzt und in absehbarer Zukunft jedoch, das muss man ganz klar sehen, sind sie kein Ersatz für Atomkraft und fossile Energieträger.

Die politischen Lösungsansätze des Autors kann man nur als blauäugig bezeichnen. Hier setzt Müller-Kraenner als Kind der deutschen Konsensokratie auf internationale Abkommen, bei denen gegenseitige Abhängigkeiten geschaffen werden und Staaten mitunter gegen eigene Interessen handeln. Die Frage ist, welches Land, das das nicht nötig hat, sich auf so etwas überhaupt einließe. Die USA, die Ölexporteure besetzen, Russland, das sich frühere Sowjetrepubliken mit Bodenschätzen durch Zuckerbrot und Peitsche wieder gefügig zu machen versucht, und China, das mit verschiedensten Regimen von Asien über Afrika bis Lateinamerika (!) langfristige Lieferanten bindet, machen jedenfalls auf ihre Art Nägel mit Köpfen. Das alles ist in seinem eigenen Buch nachzulesen.

Das Gesamturteil über das Buch fällt unentschieden aus. Wer sich über den Ist-Zustand der Energielage informieren will, dem kann man „Energiesicherheit. Die neue Vermessung der Welt“ unbedingt empfehlen. Wer Anregungen zum Soll-Zustand sucht, schaut sich besser anderweitig um.

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