Palmatier, Joshua – Regentin, Die (Der Geisterthron 2)

_Der Geisterthron_
Band 1: [Die Assassine 6031

Zum ersten Mal in der Geschichte Amenkors gibt es eine ehemalige Regentin. Obwohl Varis Eryn nicht ganz vertraut, ist ihre Vorgängerin dennoch ein wertvoller Informationsquell, außerdem ist sie die einzige, von der Varis lernen kann, den Fluss besser zu beherrschen. Und das ist bitter nötig. Denn nicht nur die verheerende Versorgungslage der Stadt macht Varis zu schaffen. Eine Vision von der Zerstörung der Stadt hat sie heimgesucht, doch die Richtung, aus der die Gefahr droht, blieb verborgen. Dann werden Teile eines Schiffswracks an die Küste gespült, und darauf finden sich einige seltsame Spuren …

Varis wächst erstaunlich schnell in ihre neue Rolle hinein und entwickelt ein ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen sowie eine wachsende Zielstrebigkeit. Ihre Gefühle bleiben dabei jedoch eher vage. Gelegentlich empfindet sie Unsicherheit, manchmal auch Angst, jedoch überwiegen Zorn und einen überaus starken Beschützerinstinkt. Dabei steht fast immer die Stadt als Ganzes im Zentrum, persönlichere Beziehungen wie die zu Erick oder gar zu William machen lediglich einen Hauch ihrer Persönlichkeit aus.

Die übrigen Figuren bleiben nach wie vor blass. Allein von Eryn erfährt man ein paar persönliche Details; der Oberhofmarschall Avrell, die junge Marielle sowie die Hauptleute Baill, Catrell und Westen bleiben lediglich grobe Skizzen. Selbst die Person Ericks, der Varis von allen Hofleuten am nächsten steht, wurde nicht weiter vertieft.

Die Handlung dagegen ist tatsächlich vielschichtiger geworden. Auch diesmal lässt der Autor es zunächst etwas langsamer angehen, lässt Varis sich erst einmal an ihre neue Rolle gewöhnen, während er den Leser mit den neuen Charakteren bekannt macht, die in diesem Band eine Rolle spielen. Doch da Varis sich wie gesagt recht schnell anpasst, nimmt die Handlung schon bald Fahrt auf.

Dabei baut Joshua Palmatier seine Probleme stufenartig auf. Zwar kommt die Vision von der Zerstörung der Stadt schon recht früh, dennoch widmet sich der Verlauf der Geschichte zunächst dem Problem der Nahrungsversorgung. Kaum ist dies nach einigen Aufwand gelöst, stellt sich heraus, dass immer wieder Kisten und Fässer spurlos verschwinden, dazu kommt das Auftauchen der Wrackteile. Beide Stränge wachsen trotz aller Bemühungen immer weiter an, bis Varis irgendwann vor einem einzigen riesigen Problemberg steht.
Das hat durchaus auch steigende Spannung zur Folge. Obwohl ich schon früh ahnte, wer hinter den verschwundenen Lebensmitteln stecken muss, war ich doch überrascht, welchen Weg die Waren letztlich genommen haben. Das warf allerdings die Frage auf, welche Motive der Dieb für seine Tat gehabt haben mochte. Die magere Ausarbeitung der Nebencharaktere gibt darauf leider keine Antwort.

Auch die Bedrohung von außen, die bereits im ersten Band – in der Entstehungsgeschichte des Thrones – gestreift wurde, hat jetzt ein Gesicht bekommen. Es ist ein interessantes, aber auch recht gnadenloses Gesicht. Immerhin wird hier die Motivation hinter den Angriffen auf Amenkor deutlich, was den Gegner allerdings nicht unbedingt viel menschlicher wirken lässt. Der Showdown ist dann ein überraschend kurzes, aber auch überraschendes Spektakel mit einem Ende, das ich so überhaupt nicht erwartet hätte.

Insgesamt hat mir der zweite Band wesentlich besser gefallen als der erste. Zwar geht es auch diesmal ziemlich blutig zu, immerhin wird Amenkor angegriffen. Diese Szenen beschränkten sich jedoch auf ein relativ kurzes Seegefecht und die Schlacht um die Stadt, sodass sich nicht wie im ersten Band eine Blutspur durch das gesamte Buch zieht. Statt dessen hat der Autor den Blickwinkel mehr auf Intrigen und Verrat gerichtet und dabei tatsächlich einige Haken geschlagen, um den Leser zunächst auf eine falsche Spur zu locken, was die Handlung weniger linear und weniger vorhersehbar gestaltet. Einziger Schönheitsfehler im Handlungsverlauf ist ein logischer Knacks im Zusammenhang mit der Entdeckung, wohin die gestohlenen Lebensmittel verschwunden sind.
Schade nur, dass die Charakterzeichnung so wenig plastisch ausfällt. Nicht nur die Motive des Diebes, auch die des feindlichen Priesters sind schlicht nicht vorhanden. Die Szenen im Zusammenhang mit der gegnerischen Kultur sind nur kurze Rückblenden, und der Zeitpunkt dieser Erinnerung nicht geeignet, um mehr als einen Grund für die Invasion der Fremden zu bieten. Alles andere bleibt lediglich eine vage Andeutung. Ich gehe mal davon aus, dass der Autor sich die Details über die Fremden, ihre inneren Machtkämpfe und ihren kulturellen Hintergrund für den dritten Band aufgehoben hat.

Zumindest hoffe ich das. Denn die bisherigen Informationen sind noch zu spärlich, um eine eigene Wirkung zu erzielen, sie erscheinen vorerst noch ein wenig wie ein Abklatsch Polynesiens. Auch die Charakterzeichnung dürfte für meinen Geschmack noch etwas eindringlicher und lebendiger werden, allerdings hege ich in dieser Richtung eher wenig Hoffnung, immerhin hat sich diesbezüglich im Vergleich zum ersten Band nicht viel getan.

Nun, immerhin sind meine Hoffnungen, die ich nach dem Lesen des ersten Bandes für den zweiten hegte, alle erfüllt worden. Vielleicht klappt das ja auch für den dritten Band.

Joshua Palmatier ist eigentlich Dozent für Mathematik an der Universität von Oneonta im Staat New York, schreibt aber schon, seit er in der Schule eine fantastische Kurzgeschichte auf bekam. „Die Assassine“ ist sein erster Roman und der Auftakt zur |Geisterthron|-Trilogie, die auf englisch bereits komplett erschienen ist. Auf Deutsch erscheint der dritte Band im Juni diesen Jahres unter dem Titel „Die Kämpferin“. Der Autor schreibt derweil am ersten Band seines nächsten Zyklus.

|Broschiert: 512 Seiten
ISBN-13: 978-3785760185
Originaltitel: |The Cracked Throne
http://www.luebbe.de

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