Terry Pratchett – Kleine freie Männer (Lesung)

Disney-mäßig: Rettungs-Expedition ins Feenland

Nachdem ein Wasserdämon um ein Haar fast seinen kleinen Bruder Willwoll entführt hat, wendet sich das Milchmädchen Tiffany Weh an eine professionelle Hexe. Miss Tick gibt ihr nach vielen neugierigen Fragen einen wertvollen Ratgeber: eine sprechende Kröte. Als ihr Bruder aber wirklich von der Feenkönigin entführt wird, braucht Tiffany mächtigere Verbündete.

Da trifft es sich gut, dass die Wir-sind-die-Größten, kleine blauhäutige, saufende, stehlende und kämpfende Gnomen, eine Hexe suchen. Durch ihre Heldentat gegenüber dem Wasserunhold hat sich Tiffany eindeutig als solche qualifiziert und kriegt den Job. Zusammen nehmen sie es mit der grausamen Feenkönigin auf, deren Welt dabei ist, in unsere einzudringen, um Träume zu stehlen.

Doch die Rettungsaktion erweist sich als schwieriger als gedacht: Das Reich der Märchen ist längst nicht so schön, wie es uns die Geschichten immer weisgemacht haben, sondern kalt und voller Gefahren. Tiffany und ihre Truppe „kleiner freier Männer“ geraten von einer heiklen Situation in die nächste.

Der Autor

Terry Pratchett, geboren 1948, und seine Frau Lynn sind wahrscheinlich die produktivsten Schreiber humoristischer Romane in der englischen Sprache – und das ist mittlerweile ein großer, weltweiter Markt. Obwohl sie bereits Ende der siebziger Jahre Romane schrieben, die noch Science-Fiction-Motive verwendeten, gelang ihnen erst mit der Erfindung der Scheibenwelt (Disc World) allmählich der Durchbruch. Davon sind mittlerweile etwa drei Dutzend Bücher erschienen, auf Deutsch zuletzt „Weiberregiment“.

Nachdem diese für Erwachsene – ha! – konzipiert wurden, erscheinen seit 2001 auch Discworld-Romane für Kinder. Den Anfang machte das wundervolle Buch [„Maurice, der Kater“ 219 („The Amazing Maurice and His Educated Rodents“), worauf „Kleine freie Männer“ folgte.
Die Fortsetzung von „Kleine freie Männer“ trägt den Titel [„A Hatful of Sky“. 1842 („Ein Hut voller Sterne“; Buch & Audio auf Deutsch im Februar & März 2006 erschienen).

Doch auch andere Welten wurden besucht: ein Kaufhaus, in dem die Wühler und Trucker lebten, und eine Welt, in der „Die Teppichvölker“ leben konnten. Die Wühler-Trilogie „The Bromeliad“ soll zu einem Zeichentrickfilm gemacht werden. Mehr Infos unter www.lspace.org (ohne Gewähr).

Der Sprecher

Der in Berlin Charlottenburg geborene Schauspieler Boris Aljinovic wollte ursprünglich Comic-Zeichner werden. Er absolvierte aber von 1991 bis 1994 die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Danach folgten Engagements am Theater der Stadt Cottbus, am Staatstheater Schwerin und am Berliner Renaissance-Theater. Seit 2001 ist er der neue Berliner „Tatort“-Ermittler Felix Stark an der Seite von Dominic Raacke. Daneben hat er sich mit zahlreichen anderen Fernseh- und Filmproduktionen sowie als Hörbuchsprecher einen Namen gemacht.

Regie führte Produzent Oliver Versch. Das „Sound-Design“ stammt von David Braun, und die Aufnahmeleitung oblag Michael Hübbeker.

Boris Aljinovic liest die gekürzte Fassung, die Karin Weingart anfertigte.

Handlung

Die neunjährige Tiffany Weh ist eigentlich ein einfaches Milchmädchen, das auf der Farm seiner Eltern für die Herstellung von allerlei Milchprodukten wie etwa Käse oder Butter zuständig ist. Aber Tiffany hat zwei Vorteile im Überlebenskampf: ein ausgeprägtes Denkvermögen und eine Großmutter, die wohl so etwas wie eine Hexe war.

Tiffany erinnert sich so häufig an die Granny Weh, dass diese zu einer weiteren Hauptfigur wird. Und obwohl Granny nur eine einfache Schäferin war, die in der Region mit dem Namen Die Kreide, wo Tiffany lebt, Schafe hütete, war sie wohl auch so etwas wie eine göttliche Instanz: Sie war die Verkörperung des Landes. „Das Land ist in meinen Knochen“, pflegte die Omi Weh zu sagen. Und davor hatte selbst der Baron Respekt. Besonders dann, wenn Granny drohte: „Es wird eine Abrrrechnung geben.“ Und ihre zwei Schäferhunde Donner und Blitz knurrten dazu.

Nun liegt Tiffany am Forellenbach und kitzelt Forellen. Eigentlich sollte sie auf ihren kleinen Bruder Willwoll aufpassen, der in der Nähe spielt, aber die Forellen lachen so schön. Bis ein grüner Wasserdämon auftaucht, der ein allzu lebhaftes Interesse an kleinen Babybrüdern zeigt. Tiffany zieht Jenny Grünzahn mit der Bratpfanne eins über, bis der Dämon das Weite sucht.

Diese Heldentat bleibt keineswegs unbeachtet…

Die Hexe

Aber was haben Ungeheuer hier zu suchen? Wenige Tage später wandert Tiffany in das nächste Dorf, um zur Schule zu gehen und die Antwort auf diese Frage herauszufinden. Sie hat Glück. Mehrere Wanderlehrer haben am Rande des Marktplatzes ihr Zelt aufgeschlagen, in dem sie Unterricht geben. Bezahlt wird in Naturalien. Doch Tiffany ist weder an „Geokrafie“ noch an Rechtschreibung („Spaß mit Klammern!“) interessiert, sondern sucht eine Hexe. Das winzige Schild an dem Zelt, auf dem steht „Ich kann dich eine Lektion lehren, die du so schnell nicht vergisst“ erscheint ihr vielversprechend.

Sie fragt die Hexe, die sich „Miss Tick“ nennt (wie in „Mystik“), wie sie ebenfalls eine Hexe werden könne. Sie wolle nämlich solche Wasserdämonen, die es nur in Märchenbüchern gibt, loswerden. Wie interessant, denkt Miss Perspicazia Tick. Sie war eine der Personen, die bei Tiffanys Heldentat zugegen waren. Bei ihrer Erforschung des Universums war sie auf eine drohende Gefahr gestoßen: Eine andere Welt kollidierte mit ihrer eigenen und drang in sie ein. Das könnte unangenehm werden. Bemerkenswert, dass ausgerechnet jetzt Tiffany auftauchte.

Ohne allzu viel erfahren zu haben, geht Tiffany nach Hause. Doch sie hat von Miss Tick einen Schatz mitbekommen, der sich noch als sehr wertvoll erweisen soll: eine sprechende Kröte. Eine verwunschene Kröte. Eine Kröte, die alle möglichen Dinge weiß und sogar fremde Sprachen übersetzt. Sozusagen ein organischer PDA mit Spracheingabe. Von der Kröte erfährt Tiffany von der bevorstehenden Kollision der Welten.

Die „Wir-sind-die-Größten“

Um die Dinge ins Rollen zu bringen, ist aber noch etwas nötig: die titelgebenden Kleinen freien Männer. Sie haben blaue, weil tätowierte Haut (wie die historischen Pikten), knallrote Bärte, tragen Schottenrock und Schwert, reden seltsames Schottisch (nicht in der Übersetzung, logo) – und sind ungefähr fünfzehn Zentimeter groß. Und da sie gerade eine Hexe suchen, haben sie sich in Tiffanys Molkerei eingefunden. Warum gerade Tiffany Weh? Sie haben ihre Heldentat am Bach beobachtet und sich gedacht: Wir haben unsere Hexe gefunden!

Ihr Anführer stellt sich ihr als Rob Irgendwer Größter (= Rob Anybody Feegle) vor und sein Volk als die Wir-sind-die-Größten. Sie haben keinen König, keine Königin, keinen Herrn – daher sind sie die Kleinen Freien Männer. Sie haben, wie sich später herausstellt, nur vor zwei Dingen Angst: vor ihrer früheren Chefin, der grausamen Königin von Feenland, und vor — Anwälten.

Das Feenland

Als Tiffanys Bruder Willwoll wenig später spurlos verschwindet, weiß sie, an wen sie sich um Hilfe wenden kann: die Größten. Rob Irgendwer berichtet ihr, dass es höchstwahrscheinlich die Königin des Feenlandes war, die Willwoll entführt hat. Und es gibt nur einen Weg, in das Feenland zu gelangen: Nur eine echte Hexe kennt die Türen in die andere Dimension, wo die Zeit ein wenig verschoben ist.

Auf der Landschaft namens Die Kreide stehen Megalithen in rauen Mengen herum. Ob sie nun einen König oder einen Schatz beherbergen oder nur zur Beobachtung der Sterne dienten, das ist Tiffany wurscht. Solch ein Megalithentor fällt ihr schon bald auf: Erstens haut es mit dem Verlauf der Zeit nicht richtig hin, als sie es beobachtet. Und zweitens liegt hinter dem Tordurchgang auffällig viel Schnee, während auf dem Kreideland selbst noch Gras grünt. Ist im Feenland immer Winter?

Bewaffnet mit ihrer treuen Bratpfanne und begleitet von den ebenso treuen Größten, macht die Juniorhexe Tiffany Weh den ersten todesmutigen Schritt ins Land der Feenkönigin, um ihren entführten Bruder zurückzuholen.

Mein Eindruck

Die Wir-sind-die-Größten sind eine der genialsten Erfindungen des schreibenden Ehepaars Pratchett. Zwar treten auch schon früher in „Die Teppichvölker“ und in der Wühler-Trilogie, der „Bromeliade“, kleine, gnomenähnliche Wesen auf, doch die Wir-sind-die-Größten (im Original die „Nac Mac Feegle“) verleihen diesen Wesen einen unverwechselbaren Charakter. „They’re small. They’re blue. And NOBODY messes with them“, tönt das Titelbild der Originalausgabe anschaulich und prägnant.

Dass sie klein sind, ist schon klar. Dass sie blau sind, ergibt sich aus ihren blauen Tätowierungen, die mit Waid eingefärbt sind. Schon die ollen Römer wussten, um wen es sich handelt: Um die wilden Völker des schottischen Hochlandes, die ständig ihre Wälle und Festungen angriffen. Die „Bemalten“ nannten sie daher Picti, und unter dem Namen Pikten waren sie noch bis ins frühe Mittelalter bekannt, als ihr aktueller König dem König der Schotten, statt ihm eins auf die Rübe zu geben, die Hand schüttelte, um Frieden zu schließen.

Ob die Pikten reines Hochlandschottisch sprachen wie die Nac Mac Feegle, ist leider nicht überliefert. Das ist in der deutschen Übersetzung aber auch bedeutunglos. Die Größten sprechen Umgangs- und Gaunersprache. Zum Glück hat Tiffany ihren eigenen Dolmetscher dabei: die Kröte, die ihr (und uns!) aus der Verlegenheit hilft. Dass auch Whisky vorkommen muss, dürfte ebenfalls klar sein, doch wird er hier als Granny Wehs „Spezielles Schaf-Einreibemittel“ bezeichnet. Zur inneren Anwendung …

Selbstredend spielen die Größten auch den Dudelsack. Dies ist die Aufgabe des Schlachtenpoeten William, der immer so herrrrlich das R rrrollt. Und so alt er auch sein mag, so hat er doch ein paar Tricks auf Lager, um die „Jagdhunde“ der Feenkönigin in die Flucht zu schlagen.

Die Königin der „Wir sind die Größten“

Die Freundschaft der kleinen Riesen erkauft man nicht so einfach, findet Tiffany bald heraus. Geschenke erhalten zwar die Freundschaft, doch wenn es um die Verknüpfung von Schicksalen geht, müssen engere Bande geknüpft werden. Die Kobolde haben in ihrem unteridischen Bau eine Art Schwarmkönigin plus Schamanin: die „kelda“. Diese uralte Gnomen-Oma macht Tiffany zu aller Erstaunen zu ihrer Nachfolgerin, bevor sie in „das letzte Land“ geht. Sie erklärt Tiffany auch ihren keltischen Namen: „Land unter Wasser“ (das wird beim Finale noch wichtig).

Was Tiffany als neue „kelda“ nicht weiß: Sie muss als erste Tat einen Mann heiraten. Natürlich keinen von den „großen Leuten“, sondern einen der kleinen Riesen. Doch Bräuche sind dazu da, sie zu befolgen, ganz besonders gilt das für Anführer. Und so wählt Tiffany den wichtigsten Kobold: Rob Irgendwer. Und weil Tiffany eine Meisterin des Denkens ist, fällt ihr auch ein, wie sie die peinlichen Implikationen der Vermählung umgehen kann (wovon der Polterabend vermutlich die harmloseste ist) …

Hexensabbat

Keine Heldentat einer Hexe bleibt unbeachtet, und das gilt umso mehr für die einer Juniorhexe. Am Schluss taucht daher Miss Tick, die Wanderhexe, erneut bei Tiffany auf. Ihre Beifahrer auf dem Hexenbesen sind zwei alte Bekannte: Granny …, pardon: Mistress Weatherwax, und Nanny Ogg. Sie begucken sich die neue Heldin in ihren Reihen und halten mehr oder weniger Gericht über sie.

Sie sind reichlich erstaunt, dass Tiffanys Art der Magie auf dem Kreideland funktioniert, denn die gängige Theorie besagt, dass Hexenkraft harten Stein erfordert, und das Kreideland ist ja aus Kreide gemacht, dem weichsten Stein. Tiffany weist dezent darauf hin, dass in der Kreide etliche Stücke Flint, also Feuerstein, stecken, und das sei ja bekanntlich der härteste Stein. Die Hexen starren sie an, als wäre Tiffany die Verkörperung des Feuersteins, zufällig gefunden in einer weichen Gegend. Und in dieser Eigenschaft kommt Tiffany ihrer Granny gleich, die ja bekanntlich das Land in ihren Knochen hatte.

Die Wanderschule

Die Pratchetts haben wieder einige Lehren in ihrer Geschichte untergebracht. Die Kinder, die sie lesen, sollen schließlich aus dem Buch etwas lernen. Herkömmliche Wanderlehrer taugen offensichtlich wenig, die beste Schule scheint das Leben zu sein. Um dessen Schwierigkeiten zu bewältigen, sind aber nicht Träume, Wünsche und Illusionen hilfreich, sondern ein Sinn für die Realität und vor allem Denken.

Tiffany ist eine Meisterin des Denkens, doch selbst sie ist nicht gegen die Macht der Feenkönigin gefeit. Ich möchte nur so viel verraten: Deren Macht liegt in der Anwendung von Träumen und Illusionen als Waffen, um die Kinder, die sie entführt hat, zu versklaven. Darin gleicht sie der Schneekönigin in Andersens Märchen und in C. S. Lewis‘ erstem Narnia-Roman „The lion, the witch and the wardrobe“. Der fiesen Behauptung der Feenkönigin, die Menschen könnten es in ihrem Leben ohne Träume und Wünsche gar nicht aushalten, hat auch Tiffany nichts entgegenzusetzen. Der Krieg der Träume scheint für sie verloren, als sie sich an etwas erinnert, das ganz tief unten in ihrem Sein verborgen ist: Sie ist, wie ihre Granny, auch das Land, und das Land träumt Träume, die mit Menschen nichts zu tun haben …

Der Sprecher

Boris Aljinovics Stimme klingt zunächst ganz normal, eben männlich tiefer gelegt. Doch schon in den ersten Szenen mit Miss Perspicacia Tick, der Wanderhexe, erleben wir eine Überraschung. Fräulein Tick selbst verfügt eine höhere, sanfte Stimme, aber ihre Kröte – die leider durchweg namenlos bleibt, obwohl sie in einem früheren Leben ein Anwalt war – erstaunt immer wieder mit einer knarzigen, gequetscht klingenden und leicht näselnden Stimme, die einem solchen Amphibienviech gut ansteht. Und zu einem nervenden Besserwisser.

Am meisten gespannt war ich natürlich auf die Stimmen der Kobolde, der Königin und natürlich der Hauptfigur: Tiffany Weh. Wie bei jedem Stamm mit vielen Mitgliedern gibt es auch unter den „Größten“ ziemlich viele unterschiedliche Charaktere. Das macht ja gerade den Reiz der Geschichte und hörbar auch den des Hörbuchs aus. Ihr Anführer ist Rob Irgendwer, der mit seinem Kampfgeschrei jeden Angriff einleitet. Man kann sich seine Stimme, wenn sie erhoben wird, als gedämpften Schrei eines kauzigen Käptns vorstellen; wenn sie leise wird, als die eines sanften Helden. Mit Rob Roy hat er dennoch nix am Hut. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck. Und denken kann er auch (!).

Sein komplettes Gegenteil sind „der doowe Wullie“ mit seiner langsamen, tiefen Stimme und der Schlachtendudler William, der ein derart martialisch rrrollendes R aus der Kehle aufsteigen lässt, dass wir ihm seinen Mut durchaus abnehmen. Die Größten haben auch einen Flieger: Hamish. Er fliegt mit den Bussarden und landet per Fallschirm, wenn auch meist mit dem Kopf im Boden. Er ist an seinem eigenen Akzent einigermaßen gut von den anderen Durchschnittskobolden zu unterscheiden.

Daneben gibt es noch zwei Kategorien von Wesen: Kinder und Erwachsene. Während die neunjährige Tiffany ähnlich sanft wie Fräulein Tick spricht, aber immerhin mit ihren „dritten Gedanken“ sehr scharfsinnig wirkt, ist ihr kleiner Bruder Willwoll eher das Gegenteil: Er will bloß Süßigkeiten, und kriegt er keine, plärrt er. Als er aber die Kobolde sieht, fängt er an zu kichern und fröhlich „kleine Männer“ zu lallen. Der Baronssohn Roland ist nicht viel besser erzogen, aber mit seinen zwölf Jahren doch schon halbwegs vernünftig.

Bevor die Heldin auf ihre Widersacherin, die Königin der Elfen, trifft, muss sie erst eine Menge Bekanntschaften mit den Erwachsenen hinter sich bringen, sozusagen als Vorbereitung auf den äußerst langgezogenen Showdown mit ihrer Widersacherin, die ihren Bruder entführt hat. Hochnäsig und besserwisserisch klingen die Lehrer, die drei auftauchenden Anwälte, ihre Mutter, der Baron sowieso, aber keinesfalls ihre Oma Weh. Die sagt zwar ohnehin nur das Allernötigste, aber was sie sagt, ist nie hochnäsig. Auch nicht gegenüber dem Baron, mit dem sie einen Streit wegen seines wildernden Hundes hatte, der ihre Schafe riss.

Die Königin zu bezwingen, stellt sich auch akustisch als recht schwierig dar. Zunächst ist die Elfin nur arrogant und verschlagen, aber langmütig, so wie man es gegenüber einem dummen Kind ist, das nicht weiß, was es tut. Als aber Tiffany immer mehr Fähigkeiten an den Tag legt, verliert die Königin allmählich ihre Geduld. Alle ihre Trome, die Traumerzeuger, hat Tiffany ausgetrickst. Sogar das ihr eingetrichterte Schuldgefühl wegen des im Stich gelassenen Bruders überwindet die kleine Heldin. Als auch der Versuch fehlschlägt, sie mit den Anwälten von ihren Gefährten, den Kobolden, zu trennen, wird die Königin ernsthaft wütend. Sie lässt sowohl die Anwälte als auch die Größten mit einer Handbewegung verschwinden. Was jetzt? Doch Tiffany findet die Kraft, der Königin ein blaues Auge zu verpassen.

Alle diese Verwandlungen bewältigt der Sprecher bravourös und erinnert an die Leistungen von Rufus Beck und Philipp Schepmann. Allerdings kann ich mich nicht mit seiner Aussprache des Namens Oma Weh anfreunden. Was im Original „Granny Aching“ heißt, sollte das auch in der Übersetzung ausdrücken: nämlich Weh. Das tut Aljinovic aber nicht. Er sagt vielmehr „Oma Wieh“, und entsprechend auch „Tiffany Wieh“. Was das nun soll? Vielleicht soll es weniger |Weh|-leidig klingen als die Übersetzung, die Andreas Brandhorst geliefert hat.

Musik und Geräusche

Um die Qualität der Geräusche und der Musik zu beschreiben, könnte eigentlich ein Wort genügen: filmreif. Die Geräusche stelle man sich einfach so passend wie möglich vor: Wenn es regnet, rauscht es. Im Sommer zwitschern die Vögel, am Meer schreien die Möwen und BOING! macht Tiffanys Bratpfanne am Schädel des Wasserkobolds.

Man muss schon lange suchen, bis man auf ein ungewöhnliches Geräusch stößt. Gilt ein erstaunt „Mäh!“ machendes Schaf, das gerade von den Kobolden rückwärts weggetragen wird, als Geräusch? Gilt das Knurren von Todeshunden als außergewöhnlich? Immerhin insofern, als dieses Knurren keinem lebenden und natürlichen Hund gleicht – es ist elektronisch verzerrt worden. Ein Lob an den Sound-Designer.

Die Musik ist sehr vielfältig, und ich konnte feststellen, dass sich die Produktionsgesellschaft „the spotting image“ ziemlich ins Zeug gelegt hat, um einen ansprechenden Score zu erstellen. Von heiteren Weisen reicht die Palette über eine Art fröhlicher Zirkusmusik bis zu „Schlachtengemälden“, Dramatik und Melancholie. Ein richtiges Requiem ist allein Oma Wehs Begräbnis gewidmet. Wer sich auf die Musik einlässt, hat viel mehr vom Hörbuch, denn es wird dadurch fast zu einem Film für die Ohren. Kinder werden sich wie in einem Disneyfilm vorkommen.

Unterm Strich

Auch wenn das Buch „Kleine Freie Männer“ offensichtlich für Kinder ab neun oder zwölf Jahren geschrieben wurde (die Heldin ist neun), so kommen dabei doch Themen zur Sprache, die alle Menschen ansprechen. Da wäre zum einen die Macht der Träume, Wünsche und besonders der Geschichten. Beispielsweise solche aus Büchern.

|Die Macht von Träumen und Geschichten|

Tiffany kennt exakt drei Bücher, nämlich ein Wörterbuch, ein Märchenbuch und das Erbstück ihrer Oma, in dem die Behandlung von Schafkrankheiten beschrieben ist. Alle drei Bücher werden verwendet, erprobt und für gut oder schlecht befunden. Der Prüfstein dafür ist a) die Realität, b) das Abenteuer im Feenland und c) Tiffanys Denken. Ob ihr Denken allerdings logisch ist, sei einmal dahingestellt. Dies ist zumindest, äh, interessant. Ihr beim Denken zu folgen, ist teils faszinierend, teils amüsant. Die meisten Bücher, besonders die mit den Lügen darin, kommen schlecht weg.

Identität

Ein weiteres wichtiges Thema ist Identität. Tiffany denkt zunächst, sie wüsste, wer sie ist: Tochter Nummer 3 der Weh-Familie, ein gewöhnliches Milchmädchen. Je mehr sie sich aber in die Abenteuer mit den Kobolden und der Feenkönigin verstrickt, desto weniger sicher wird sie sich ihrer selbst. Ist die Begegnung mit saufenden, kämpfenden und vor allem stehlenden Gnomen noch relativ lustig, so hört der Spaß spätestens beim Showdown mit der Feenkönigin auf. Erst spät, fast zu spät fällt Tiffany die richtige Antwort ein. Das verändert nicht nur sie, sondern alles um sie herum.

Das Hörbuch

Wie schon gesagt, sind Geräusche und Musik-Score praktisch filmreif – wenn damit ein Disney-Film gemeint ist. Der Sprecher Boris Aljinovic erweist sich als sehr wandlungsfähig. Ich frage mich immer noch, wie er wohl die Stimme der Kröte hingekriegt hat.

Alles in allem macht das Hörbuch richtig Spaß, besonders dann, wenn man sich die Mühe macht, etwas genauer hinzuhören – es sind lauter kleine Weisheiten darin versteckt, die man in ähnlichen Kinderbüchern lange suchen kann. Ob wohl Tiffany Weh eines Tages Harry Schotter Konkurrenz machen wird? Sie tut es ja bereits, und statt eines Besenstiels braucht sie nur eine Bratpfanne.

Originaltitel: The wee free men, 2003
Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Brandhorst
280 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13:
Random House Audio

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