Auf einer Seereise beobachtet der Schriftsteller Hammond zwei finstere Kerle, die sich an einer kleinen geheimnisvollen Kiste zu schaffen machen, die sie mit an Bord brachten. Für Hammond steht fest: Es muss eine Bombe sein. Zusammen mit seinem Freund Dick Martin versucht er die drohende Katastrophe zu verhindern und belauscht die Männer, fordert sie sogar mit Worten heraus. Schließlich muss er seine Feigheit überwinden und den Kampf mit ihnen aufnehmen. Da macht er eine überraschende Entdeckung. Arthur Conan Doyle – Die geheimnisvolle Kiste (Lesung) weiterlesen →
Drachenwelt ist die bekannteste Drachenschule und Drachenzucht aller Inseln von Bresal. Die unterschiedlichsten Drachen werden hier von Drachenmeister Huw ausgebildet: Jagd-, Wächter- und Renndrachen. Huws Tochter Cara ist für die Aufzucht und Pflege der Drachen mitverantwortlich, aber es ist ihr nicht erlaubt, auf ihnen zu fliegen. Doch gerade dies ist ihr sehnlichster Wunsch: einmal auf ihren Lieblingsdrachen Sternstürmer zu steigen!
Nim und ihr Vater leben auf einer tropischen Insel mitten im weiten blauen Ozean. Nim liebt die Insel und möchte nirgendwo anders sein. Außer an der Seite von Alex Rover. Doch der abgebrühte Abenteuerheld existiert leider nur in Büchern – und natürlich in Nims Fantasie. Als Nims Vater auf einer Exkursion verschwindet, benötigt das Mädchen, das sich verletzt hat, dringend Hilfe. Und wer meldet sich per E-Mail? Alex Rover! Dass sich hinter dem Pseudonym die neurotische Schriftstellerin Alexandra verbirgt, ahnt Nim nicht. Als Alexandra zu Nims Insel reist, hält das Zusammentreffen zahlreiche Überraschungen bereit.
Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab sieben Jahren. Das Buch wurde unter dem Titel „Die Insel der Abenteuer“ verfilmt und der Film kam im Juni 2008 in unsere Kinos.
Ein ausgestoßener junger Mann wird Zeuge eines Schiffsunglücks. Aus dem Wrack rettet sich nur ein missgestalteter Zwerg mit einer Seekiste. Der junge Mann klagt ihm sein Leid und der Zwerg bietet ihm einen seltsamen Tausch an: Wenn er für drei Tage die schöne Gestalt des jungen Mannes annehmen darf, so bekommt dieser zur Belohnung den Schatz, der sich in der Seekiste befindet. Nach langem Hin und Her willigt der junge Mann ein, doch nach drei Tagen ist der Zwerg noch nicht zurückgekehrt. Als Zwerg folgt er ihm auf seiner Spur und stößt auf alle Vorzeichen einer nahen Katastrophe … Mary W. Shelley – Die Verwandlung (Lesung) weiterlesen →
Im März 2003 begann die „erste erotische Hörspielserie für Frauen“ und mittlerweile sind es schon über ein halbes Dutzend Abenteuer in Amors Gefilden, in denen sich die vier Hauptfiguren Moni, Cora, Annica und Sylvia mit meist, aber nicht immer männlichen Partnern verlustieren dürfen. Die erste Erotikbox in pinkfarbenem Plastikherz kostete immerhin 24,90 Euro. Aber da waren auch Badekerzen mit Lavendeldurft drin. Nun vertreibt |Lübbe| die CDs des Kölner Herstellers „Sounds of Seduction“ exklusiv: für knapp 27 Euro pro Dreifach-CD.
Auf der ersten CD ist die Episode „Fesselnde Leidenschaft“ zu finden. Hier geht es um Bondage, handfesten Sex, aber auch um Eifersucht zwischen Freundinenn. Die zweite CD enthält das Abenteuer „Slow Motion“, das der ersten Episode sonderbarerweise zeitlich vorausgeht. Das Quartett erkundet in Indien die Liebeskunst, aber Moni gerät auf einer Strandparty in höchste Gefahr.
Die dritte Silberscheibe ist „eine Ratgeber-CD, die in Zusammenarbeit mit Christine Janson, der Autorin und bekannten Expertin in Fragen weiblicher Sexualität, zusammengestellt“ wurde. „Diese CD enthält praktische Tipps und Anregungen zu den Abenteuern unserer vier Freundinnen und ist ab jetzt Bestandteil jeder Box. Was sollte man bei einer Tantra-Massage unbedingt beachten?“ Danach wollen Mann und Frau das sicher gleich selbst ausprobieren. Christine Janson – Just4Women: Erotikbox 2 weiterlesen →
Im März 2003 begann die „erste erotische Hörspielserie für Frauen“ und mittlerweile sind es schon über ein halbes Dutzend Abenteuer in Amors Gefilden, in denen sich die vier Hauptfiguren Moni, Cora, Annica und Sylvia mit meist, aber nicht immer männlichen Partnern verlustieren dürfen. Die erste Erotikbox in pinkfarbenem Plastikherz kostete immerhin 24,90 Euro. Aber da waren auch Badekerzen mit Lavendeldurft drin.
Nun vertreibt Lübbe die CDs des Kölner Herstellers „Sounds of Seduction“ exklusiv. Das erste Abenteuer auf den drei CDs ist aber nicht wie ursprünglich „Frauenabend“, sondern „Sexperimente“. |Dabei geht es um Monis und Coras aufregende Erlebnisse in einem außergewöhnlichen Erotikclub. Moni und Michael geben sich – zugegebenermaßen nach einigen Startproblemen – einer heißen Nacht mit einem anderen Pärchen hin. Vor allem Moni kommt dabei voll und ganz auf ihre Kosten, und für sie steht nach diesem Ausflug fest: das war nicht der letzte Ausflug in ein Etablissement dieser Art… Aber Vorsicht, Moni, Suchtgefahr …| (Verlagsinfo) Christine Janson / Dana Geissler – Just4Women: Erotikbox 1 weiterlesen →
China im Jahre 1761. Nie ist Nugua einem anderen Menschen begegnet. Sie wächst als Mädchen unter Drachen auf, bis die Drachen spurlos verschwinden. So beginnt sie ihre lange Suche in den Weiten Chinas. Sie begegnet unsterblichen Magiern, fliegenden Schwertkämpfern – und Niccolo, einem Jungen mit goldenen Augen. Auch eist auf den Spuren der Drachen unterwegs, doch nun auch auf der Spur der Magierin Mondkind. Er muss das Mädchen töten, um das Wolkenvolk und ganz China zu retten. Doch wie kann er gegen ein Mädchen kämpfen, das er mehr liebt als das Leben?
Die Geheimen Händler bringen Feiqing und Wisperwind in die Himmelsberge, dort treffen sie Niccolo, Nugua, Mondkind und die verschwundenen Drachen wieder. Doch das Gleichgewicht der Welt ist bereits unwiederbringlich aus den Fugen geraten. Die weisen Drachen beschützen das Herz der Berge, doch unter dem unheilvollen Einfluss des Aethers erwacht eine uralte, langst verschwunden geglaubte Kreatur: Pangu, der Urschöpfer der Welt. Haben die Menschen, Riesen und Drachen auch nur die geringste Chance gegen eine solche Macht?
Hat ein Zeitreisender von Jesu Leben ein Video gedreht? Archäologen finden in Israel die Bedienungsanleitung für eine Videokamera, die erst in drei Jahren auf den Markt kommt. Und befindet sich die Kamera mit dem Video ebenfalls in Israel?
Während der Projektleiter, ein Industrieller, vom Vatikan 10 Milliarden Dollar für seinen Fund haben will, kontert die römisch-katholische Kirche mit einem Kommando der Heiligen Inquisition. Steht ein Religionskrieg bevor?
Der Autor
Andreas Eschbach, geboren 1959, schrieb mit „Das Jesus-Video“ einen der erfolgreichsten deutschen Unterhaltungs-Thriller: Er wurde von Pro7 verfilmt und als Hörbuch von Lübbe vertont. Inzwischen hat er neben Science-Fiction auch den spekulativen Wirtschafts-Thriller „Eine Billion Dollar“ und die Jugendbücher „Perfect Copy“ (über Kloning) und „Das Mars-Projekt“ veröffentlicht. Im September 2003 erschien sein neuester Roman „Der letzte seiner Art“, in dem es um einen Kyborgsoldaten im Ruhestand geht. Eschbach lebt in der Bretagne.
Der Sprecher
Matthias Koeberlin, geboren 1974, spielte den Stephen Foxx in der ProSieben-Verfilmung des Bestsellers. Als ausgebildeter Schauspieler weiß er seine Stimme wirkungsvoll einzusetzen und die Sätze deutlich und richtig betont zu lesen. Aber er kennt nicht die Aussprache jedes einzelnen ausländischen Namens – wer könnte es ihm verdenken? Daher betont er beispielsweise den Namen des Papst-Agenten Scalfaro falsch: Er sagt Scalfáro statt Scálfaro.
Handlung
Gibt es Zeitreisende – und wenn ja, wo sind sie geblieben? Haben sie was mitgebracht?
Stephen Foxx, Mitglied der New Yorker Explorer’s Society, findet bei archäologischen Ausgrabungen in Israel in einem 2000 Jahre alten Grab die Bedienungsanleitung einer Videokamera, die erst in drei Jahren auf den Markt kommen soll. Es gibt nur eine Erklärung (oder?): Jemand muss versucht haben, Videos von Jesus Christus zu machen. Der Tote im Grab wäre demnach ein Mann aus der Zukunft, dem es gelungen war, in die Vergangenheit zu reisen. Und irgendwo in Israel wartet eine Kamera samt Videoaufnahmen in einem sicheren Versteck darauf, gefunden zu werden.
Aber möglicherweise ist ja alles nur ein groß angelegter Schwindel. Schließlich hat ein Medienzar, John Kaun, seine Finger im Spiel. Er finanziert die Ausgrabung, und ein dubioser britischer „Wissenschaftler“ leitet die Grabungen. Als John Kaun dem Vatikan die noch nicht einmal gefundenen Videobänder gegen eine astronomische Summe verkaufen will, beginnt ein lebensbedrohliches Katz-und-Maus-Spiel für Stephen Foxx, das ihn zuletzt an den Rand des Verdurstens in der Wüste Negev führt.
Mein Eindruck
Eschbachs große erzählerischen Vorbilder sind Konsalik und Alistair McLean. Der Leser stößt dementsprechend allenthalben auf Kniffe und effektvolle Strukturen in Eschbachs extrem spannenden Thriller. Auffallend sind die vielen Cliffhanger-Schlüsse an Kapitelenden.
Flache Figuren
Leider sind seine Figuren notgedrungen entsprechend flach, geradezu stromlinienförmig. Sie erfüllen häufig nur dramaturgisch notwendige Funktionen. Nur Stephen Foxx‘ engste Freunde wie Peter Eisenhardt, Judith & Joshua Menes erfahren deutlichere Charakterisierung. Immerhin rettet seine stellenweise auftretende Selbstironie den Erzählton vor dem Abrutschen ins pathetische Drama. Am markantesten gelungen ist wohl der eremitische Vater eines der Ausgrabungshelfer – er gibt den entscheidenden Hinweis auf den Verbleib der Videokamera, doch schließt er sich selbst vom Geschehen, ja vom Rest der Welt aus.
Bildungsreise durch Israel
Ganz nebenbei vermittelt der Erzähler eine ganze Menge an Bildungswissen und wertvollen Einsichten: nicht nur über das politische Pulverfass Israel – allein schon der PLAN für eine Grabung an der Klagemauer könnte einen Krieg auslösen! -, sondern auch über seine vieltausendjährige Geschichte, auf die sich unter anderem auch unsere abendländische Kultur gründet. Hier agiert der Erzähler mit Tonnen von Material auf leichtfüßige Weise, glänzt stellenweise mit ironischem Witz und originellen Einsichten. Dies macht dieses Hörbuch nicht nur zu einem spannendem Hörerlebnis, sondern zu einem Vergnügen, das nicht so schnell zu wiederholen ist.
Zickzack-Epiloge
In den Epilogen, die der Haupthandlung folgen, verkehrt sich das vermeintlich so traurige Ergebnis der Haupthandlung mehrfach in ihr Gegenteil. Hier stellt der Autor die Frage, ob es so wahnsinnig wichtig ist, ob das Jesus-Video „echt“ ist und dies die „Wahrheit“ für alle Christen sei. Natürlich werden diese absoluten Wertkategorien relativiert. Aber rein aus Spaß an der Freud an diesem Spiel baut sich dann doch so etwas wie eine Zeitschleife auf. Nicht von ungefähr lautet der letzte Satz des Romans „Die Geschichte beginnt.“ Und der Begriff „Geschichte“ hat an dieser Stelle natürlich mehrere Bedeutungen. Selbst wenn wir dieses Buch lesen, sind wir Teil der „Geschichte“.
Originelle Sprache
Immer wieder fällt die abwechslungsreiche und originelle Verwendung der deutschen Sprache auf. So viele passende Begriffe wird man in kaum einer Übersetzung aus dem angelsächsischen Raum finden. Wörter wie „Kugelblitz“, „Glutball“, „herumfuhrwerken“ sind außerhalb der deutschen Sprache – und sogar innerhalb – nur wenig gebräuchlich.
Logischer Fehler
Ein Fehler ist auffallend, eine Fehlkalkulation in der Zeit: Die letzte Szene findet fünfeinhalb Jahre nach der Haupthandlung statt. Dort heißt es, die Videokamera käme in drei Jahren auf den Markt. Als der Zeitreisende auftaucht, sind die fünfeinhalb Jahre vergangen, die Kamera ist bereits seit zweieinhalb Jahren erhältlich. Dennoch wurde sie vom Verkäufer als „das Neueste vom Neuen“ empfohlen. Heute erscheinen zweieinhalb Jahre als eine Ewigkeit für einen Innovationszyklus.
Die musikalische Inszenierung
Diese Romanlesung ist sehr wirkungsvoll. Zum einen trägt ein ausgebildeter Schauspieler sie vor, zum anderen wurde sie mit dem Original-Soundtrack der ProSieben-Verfilmung inszeniert. Das bedeutet, dass jede CD mit einem Intro und einem Extro versehen ist, das den Zuhörer nach Israel versetzt. Das heißt auch, dass entsprechende Stimmen und Musikinstrumente erklingen, die in das jeweilige Milieu passen. Geräusche tauchen kaum auf. Sie würden auch nur stören, denn zwei „Tonspuren“ sind das Maximum, das das menschliche Gehör als erträglich empfindet (Grundkurs Tontechnik). Jede weitere Tonebene muss, wie jeder Spielfilm zeigt, entsprechend zurückgenommen werden.
Die letzte CD weist noch ein weiteres Schmankerl auf: den originalen Abschluss-Song, gesungen von einer Künstlerin. Unter „vocals“ gibt die Hörbuchbeilage „Anna“ an, mehr nicht. Die Musik selbst wurde komponiert, arrangiert, programmiert und aufgenommen von Egon Riedel (www.ego-n.de).
Unterm Strich
Die Hörbuchfassung vereint meines Erachtens das Beste aus beiden Fassungen: Gelesen wird die Buchfassung, aber mit der Musik und der Hauptrolle der ProSieben-Verfilmung. Der Film zeigt eine Variation der Geschichte und legt viel Wert auf Action und Tempo. Wer das Buch mag, kann man über den Film wohl nur den Kopf schütteln.
Deshalb bietet die Hörbuchfassung sozusagen das Original, aber multimedial aufbereitet: eine Rundumerfahrung, die die Längen des Buches hinter sich lässt (Redaktion: S. Scheibler), um zielstrebig zur Sache zu kommen (soweit das bei einer Katz-und-Maus-Jagd überhaupt möglich ist).
Mitten in Oslo werden innerhalb kürzester Zeit drei Frauen auf bestialische Weise ermordet. Kommissar Viken steht vor einem Rätsel, denn die schweren Verletzungen deuten auf den Angriff eines Bären hin. Doch wann hat man das letzte Mal von Bären in der Stadt Oslo gehört? Dann entdeckt der Kommissar, dass der beliebte Arzt Axel Glenne alle Toten kannte … (Verlagsinfo)
_Der Autor_
Torkil Damhaug, geboren 1958 in Lillehammer, studierte Medizin und Psychologie. Er arbeitete in Akershus als Psychiater, bevor er sich 2006 ganz dem Schreiben von psychologischen Thrillern widmete. Mit „Die Bärenkralle“, nominiert als bester norwegischer Thriller des Jahres 2007, gelang ihm der internationale Durchbruch. (Verlagsinfo)
_Der Sprecher_
Detlef Bierstedt ist die deutsche Stimmbandvertretung von George Clooney und Jonathan Frakes (Star Trek TNG). Er hat auch schon die Dick-Francis-Romane, Romane von Rebecca Gablé oder Lincoln Child sowie Dan Browns „Diabolus“ gelesen. Regelmäßig ist er in den Hörspielserien „Offenbarung 23“ und „John Sinclair“ zu hören.
Die Lesefassung erstellte Katja Wanoth. Regie im Berliner Studio XBerg führte Johanna Steiner, das Mastering erledigte Jochen Simmendinger.
_Handlung_
Es beginnt ganz langsam am Montag, den 24. September in Oslo. Der Arzt Axel Glenne besucht wieder einmal seine in der psychiatrischen Klinik, in der er vor zwölf Jahren arbeitete, lebende Mutter Astrid. Doch sie erkennt ihren Sohn nicht. Sein Vater, einst der höchste Richter Norwegens, ist schon längst unter der Erde. Im Krieg floh er vor der Gestapo nach Schweden, wo er im Widerstand arbeitete. Doch wo ist Axels Zwillingsbruder Brede? Er weiß es nicht, denn nach jener Sache vor 25 Jahren, als der Hund erschossen wurde (von wem?), wurde Brede, der rebellische Tunichtgut, in ein Heim gegeben und Axel sah ihn nie wieder.
Dienstag, 25.9. Axel Glenne hat Bereitschaftsdienst bei Verkehrsunfällen gehabt. Das Gesicht der tödlich verunglückten jungen Frau Liss geht ihm im Schlaf nach. Er nimmt sich vor, ihre Mutter Ingrid Brodal, quasi eine Schulkameradin, zu besuchen. Da ist ihm, als sähe er seinen missratenen Bruder auf der Straße in Oslo. Ein Irrtum. In der Praxis beginnt heute eine junge Praktikantin, die aus Litauen stammt, ihren Dienst: Miriam. Erste Patientin ist Cecilie Davidsen, eine Stewardess, in deren Brust ein Knoten zu ertasten ist. Er rät zu einer Mammographie. Miriam fährt ihn abends zur Fähre, wobei er ihr von Liss erzählt. Am nächsten Abend bringt er sie nach Hause. Sie lädt ihn zu sich ein, doch er verzichtet lieber. Schließlich ist er verheiratet und hat drei Kinder.
Donnerstags macht er immer seine Radtour in den nahen Wald. Dann ist die Praxis geschlossen. Er gelangt zu dem Weiher, an dem er in seiner Jugend oft mit Brede war und wo er seine Frau Vibeke zum ersten Mal liebte. Nach dem Bad im Teich entdeckt er einen Pfad und Stiefelabdrücke, die zu einer kleinen Hütte führen, in der noch Proviant liegt. Dies könnte eine der Schutzhütten für die Widerstandskämpfer sein, um die sich im Krieg sein Vater kümmerte. Doch wer versteckt sich jetzt hier? Sein Fahrrad hat einen Platten, und er muss gehen. Dabei stößt er auf eine Physiotherapeutin, der er einmal eine Patientin überwiesen hat. Wie hieß sie noch gleich?
Am Freitag hat er wieder Dienst, doch am Abend ruht er aus, denkt an die süße Miriam. Morgens um zwei kommt seine Frau Bi nach Hause, sie hat auf einem Ball mit einem Polizisten getanzt. Sie haben Sex miteinander, wobei er sie mit Handschellen fesselt. Am nächsten Tag kommt sie zu ihm und sagt, dass ihre Physiotherapeutin Hilde Paulsen verschwunden sei, ermordet. Das war doch die Frau, die er auf dem Waldweg sah, fällt ihm ein. Axel fühlt sich verpflichtet, dies bei der Polizei auszusagen.
Am Montagabend gesteht ihm Miriam ihre tiefe Zuneigung, und er küsst sie. Mehr darf aber nicht geschehen, sagt er sich. Er will ja nicht wegen der 26-Jährigen seine Ehe gefährden. Doch es kommt anders. Als er am Dienstag Cecilie Davidsen die schlechten Ergebnisse von der Mammographie persönlich überbringen will, trifft er nur ihr Töchterchen an. Es war ein Fehler zu kommen. Irritiert geht er wieder.
|Die Erste|
Am Sonntag, den 7. Oktober, betrachtet Hauptkommissar Hans Magnus Viken den Fundort der weiblichen Leiche. Eine erste Identifizierung liegt vor: Es handelt sich um die vermisste Hilde Paulsen. Auffällig ist die blutige Krallenspur, die vom Hals bis zur Wange führt, und eine zweite, die den Rücken zerfurcht. Von welchem Tier stammen die denn, will Viken von einem Experten namens Arve Nordag wissen. Die wohlüberlegte Antwort lautet: „von einem Bären“. Die Reporterin Fredvold vom Fernsehen schnappt das auf, und schon bald ist von dem Bärenmord in allen Medien die Rede. Ein Bär in Oslo, wundern sich die Experten, und Axel Glenne findet das schlicht „absurd“.
Arve Nordag zweifelt an der Bärensache: Die Krallenspuren seien jünger als der Todeszeitpunkt. Dieser lag laut Obduktion etwa eine Woche nach Paulsens Verschwinden. Als sie die Verletzung erlitt, lebte sie noch, was Nordags Darstellung widerspricht. Sie starb erst vor ein bis zwei Tagen, und zwar nicht am Blutverlust, sondern an einer Droge, die ihr gespritzt wurde, wie mehrere Einstiche zeigen: Thiopenthal, ein Barbiturat aus der Tiermedizin, das für Vollnarkosen benutzt wird. Wie konnte der Täter an solch einen streng kontrollierten Stoff gelangen, wundert sich Viken.
Am nächsten Donnerstag, den 11. Oktober, radelt Axel Glenne mit Miriam zu seinem geliebten Weiher hinaus. Es versichert ihr, dass es hier weit und breit keinen Bären gebe. Nach einem Picknick gehen sie schwimmen und joggen, doch ein Regenguss zwingt sie, Schutz in der versteckten Hütte zu suchen. Hier könnten sie einander endlich lieben, doch ein Gesicht über den Holzbrettern lässt Axel die Lust vergehen. Er glaubt, er habe seinen Bruder gesehen. Der sagte vor 20 Jahren, als er ihn zuletzt sah, er werde Axels Leben so zerstören, wie er seines zerstört habe.
|Die Zweite|
Am Freitag ruft Henrik Davidsen bei Axel an, dass seine Frau Cecilie, die Stewardess, vermisst werde. Er habe die Polizei verständigt. In dieser Nacht fährt Hans Magnus Viken wieder zu einem Fundort, wo er die Leiche von Cecilie Davidsen zu sehen erwartet. Doch diesmal liegt die von Krallen zerfetzte Leiche mitten in einem öffentlichen Park. Alles ist genauso wie bei Hilde Paulsen, nur dass diese Frau zehn Jahre jünger war. Wieder findet sich Thiopenthal im Blut. Als Vikens Assistentin Nina Jepsen die Verbindungen zwischen den beiden Mordopfern prüft, blinkt Axel Glennes Name auf.
Viken und Nordag vernehmen den Arzt eine geschlagene Stunde lang. Doch Axel will weder über Brede sprechen noch Miriam erwähnen. Das hätte gerade noch gefehlt: „Ich war allein.“ Diese Lüge hätte sein Vater, der Richter, sofort geahndet. Nina Jepsen geht in der tiefsten Provinz einer alten Meinungsäußerung nach, wonach man mal einen Bären zu den hohen Herren nach Oslo schicken sollte. Auf ihrem Weg stößt sie erstmals auf die Esso-Tankstelle mit dem Skinhead. Der Tankstellenbesitzer hat zwei Anklagen wegen Vergewaltigung, aber ohne Verurteilung. Sie wird hier noch mehrere Male vorbeikommen, unter zunehmend merkwürdigeren Umständen …
|Die Dritte|
Eine Woche vergeht, bis am Freitag, den 19. Oktober, ein Mann bei Miriams Nachbarin Anita Elvestrand klingelt. Die ehemals Drogensüchtige sorgt sich um ihre Tochter Viktoria, die im Heim lebt. Der Mann sagt, es gehe um Viktoria, und natürlich folgt sie ihm. An diesem Abend wird Anita Elvestrand zum letzten Mal lebend gesehen …
|Die Vierte|
Miriam hat die Liebesaffäre mit Axel Glenne intensiviert und sieht ihn mehrmals in der Woche. Am Montag vermisst sie Anita und hat schreckliche Angst um sie. Was, wenn der Serienmörder ihr, Miriam, immer näher kommen will? Dann wäre sie die nächste, die Nummer vier auf seiner Liste! Aber was verbindet alle Frauen, fragt sie sich. Immer ist es Axel. Als er in der Nacht eine blutverschmierte Leiche vor Miriams Wohnung entdeckt, erleidet Miriam einen Schock: Anita fehlen die Beine.
Als wenig später Hans Magnus Viken bei Miriam anklopft, sagt sie, sie habe die Nacht allein verbracht. Er durchschaut sie sofort, denn er hat bereits eine feste Theorie über den Täter. Wer war in der Nacht bei ihr?
_Mein Eindruck_
Zunächst klingt die Story ziemlich simpel: Axel Glenne muss der Killer mit der Bärenkralle sein. Aber wie soll das zugegangen sein? Müsste er sich nicht an seine Taten erinnern und von ihnen irgendwie beeinflusst sein? Er würde doch seine Geliebte nicht in den Wald mitnehmen, um sie dort ebenfalls zu töten – oder vielleicht doch? Kommissar Viken hat eine verwegene Theorie, die auf seinen Erfahrungen mit Serienmördern in Manchester basiert. Axel Glenne staunt im Verhör: Er soll schizophren sein und nichts von seinem Alter Ego, das all diese bizarren Morde begeht, wissen! Der Kommissar hat einige Punkte, die für seine Theorie sprechen. Doch dann verschwindet auch Miriam …
|Mein Bruder, mein Killer?|
Axel Glenne erinnert sich, seine Frau und seine Freundin immer wieder an seinen Zwillingsbruder Brede. Dieser Tunichtgut hat gedroht, sein Leben zu zerstören. Und da er absolut identisch wie Axel aussieht, würde es ihm leichtfallen, sich für ihn auszugeben und sich an seine Patienten und seine engeren Kontakte heranzumachen. Etwa, um sie in eine tödliche Falle zu locken. Der Zweck der Serienmorde würde dann darin bestehen, Axel zu bestrafen, denn es kann nicht ausbleiben, dass jegliches Vertrauen in ihn zerstört wird (etwa durch die allgegenwärtigen Medien) oder Axel selbst beginnt, an seinem Verstand zu zweifeln – aber das hat schon der Kommissar für ihn übernommen.
Der bis zuletzt unausgesprochene Grund, warum Axel ständig an Brede denken muss, ist ein tiefes Schuldgefühl. Dieses beruht auf einer Urszene, die mit der Erschießung von Axels Lieblingshund Baldur zu tun hat. Wer die Schuld hat und wer sie letzten Endes zugibt, sind zwei Paar Stiefel, wie sich herausstellt. Und der Grund, warum Brede seinen Zwilling so hasst, beruht auf Axels Verrat.
|Das blinde Auge des Gesetzes|
Das Grundthema des Thrillers dreht sich also um Vertrauen und Treue vs. Misstrauen und Verrat. Dies sind zwei zentrale Wertepole, die auch in der ganzen Gesellschaft wirksam sind. Die Kripo ist ein ausführendes Ermittlungsorgan dieser Gesellschaft, doch ihre Aufgabe besteht erst einmal darin, alle und jeden zu verdächtigen, so etwa auch den unbescholtenen Arzt Axel Glenne. So schräge Typen wie den geistig behinderten Oswald ignoriert die Polizei dann gerne, selbst wenn er lauthals brüllt: „Oswald Bären fangen!“
|VORSICHT, SPOILER!|
Die immense Ironie der Geschichte besteht nun darin, dass es genau die Kripo ist, die gegenüber sich selbst auf einem Auge blind ist. Der Serienmörder, den Viken so verbissen sucht, befindet sich in ihren eigenen Reihen. Und wann immer Nina Jepsen ihn auf Verdachtsmomente und Ungereimtheiten hinweist, will Viken nichts davon wissen. Oder Nina findet die Ungereimtheiten gar nicht erst, denn alle Dokumente und Informationen sind ja vom Täter manipuliert worden.
|ENDE SPOILER|
Diese Offenbarung kommt als totale Überraschung, und ich gebe sie hier nur sehr widerwillig preis, um mein Argument zu stützen: Das Versagen der eigenen Gesetzeshüter ist eine Folge fehlgeleiteten Vertrauens und Misstrauens. Jeder im Polizeiapparat, das zeigen die Cop-Szenen und Pressekonferenzen immer wieder, hat etwas zu verlieren und kocht sein eigenes Süppchen. Wie kann es Erfolg geben, wenn alle gegeneinander arbeiten, fragt der Autor unterschwellig. Und wenn es einen Einzelkämpfer wie Viken gibt, der auf einem Auge blind ist, ist der Justizirrtum fast vorprogrammiert.
Das nützt natürlich Miriam und Axel herzlich wenig, als sie sich in den Klauen des wahren Täters befinden, nur Zentimeter entfernt von einem echten Bären, der gerade aus seiner Betäubung erwacht …
|Der Sprecher|
Das Hörbuch wird von Detlef Bierstedt kompetent und deutlich artikuliert vorgetragen, so dass man dem Text mühelos folgen kann. Er muss sich nicht besonders anstrengen, denn die norwegischen Namen auszusprechen, ist diesmal kein großes Kunststück für einen Mann mit Allgemeinbildung. Durch seine tiefe Stimmlage trägt Bierstedt das grimmige und blutige Schauspiel recht glaubwürdig vor.
Da sich die Anzahl der Figuren in Grenzen hält – es gibt nur drei Hauptfiguren -, gerät man nie in Gefahr, die Übersicht zu verlieren. Bierstedt versucht sein Möglichstes, die Figuren zu charakterisieren, was ihm besonders gut bei den männlichen Figuren gelingt. Alle Frauenfiguren sind mit der gleichen hohen, sanften Stimmlage charakterisiert. Eine Ausnahme bei den Stimmen bildet der geistig behinderte Oswald, der – leider klischeehaft – mit einer hohlköpfig klingenden Stimme ausgestattet wird. Na ja, immer noch besser, als ihn auf nervende Weise quengeln zu lassen.
Bei so wenig Abwechslung in den Stimmlagen kommt es darauf an, die stimmliche Expressivität der jeweiligen Szene anzupassen und so den Ausdruck emotionaler und abwechslungsreicher zu gestalten. Dies gelingt dem Sprecher wesentlich erfolgreicher, und so kann sich der Hörer über Jammern, Verzweiflung, Hysterie, Schniefen, Stammeln, Verlegenheit, Angst, Spott, Arroganz, Sarkasmus, Nervosität, Erleichterung, Erschütterung, Aufregung, Besorgnis, Freude und viele andere Gefühlsausdrücke freuen. Ganz eindeutig ist dies Bierstedts eigentliche Stärke.
|Musik und Geräusche|
Musik und Geräusche gibt es keine, so dass ich darüber kein Wort zu verlieren brauche.
_Unterm Strich_
„Die Bärenkralle“ ist ein ungewöhnlicher Thriller, denn es gibt nicht viele, in denen ein (vermeintlicher oder realer) Bär als Täter auftaucht. Mir ist jedenfalls keiner bekannt. Außerdem wartet Kommissar Viken, der nicht an Mordbären glaubt, mit einer ungewöhnlichen psychologischen Erklärung auf: Der Mörder ist paranoid-schizophren und weiß gar nicht, dass er drei Frauen ermordet hat: Axel hat alle Taten seinem (eingebildeten?) Zwillingsbruder Brede zugeschrieben. Das klingt schon mehr nach Edgar Allan Poe als nach einem gewöhnlichen Krimi.
Aber es kommt noch besser. Viken ist so auf den etwas zwielichtig geschilderten Axel Glenne fixiert, dass er betriebsblind wird und nicht merkt, wo er den Mörder suchen muss. Dieser Mörder ist ein Produkt des wilden Umlands und der Vergangenheit Norwegens, was die Geschichte auch zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Spiegel macht: Die Gegensätze zwischen moderner Stadtkultur und alter Landkultur plus Wildnis wurden selten in einem skandinavischen Thriller so deutlich herausgestrichen. Der Mörder macht sich beides zunutze, denn nur der Mensch kann beides in sich vereinen: den alten Adam und den domestizierten homo digitalis. Der Autor macht, verpackt in eine spannende Handlung, ein paar interessante Aussagen.
Axel Glennes Geschichte sieht scheinbar völlig banal aus, mit seiner Dreiecksgeschichte aus Ehebruch und vermeintlicher Heimsuchung durch einen Zwillingsbruder. Aber die Geschichte ist so raffiniert erzählt, dass wir nur immer von ihm etwas über Brede erfahren. Ein Psychogramm ergibt sich allmählich, das auf ewiger Schuld durch Treuebruch basiert. Wenn Axel seinen Bruder – und durch eine Lüge auch seine Eltern – verriet, wie könnte er jemals seiner Frau treu sein, fragt man sich. Aber auch die scheinbar so süße Miriam ist nicht ganz aufrichtig, war sie doch bereits einmal verlobt …
Wo man also hinschaut, findet man Betrug, Verrat, Täuschung und Irrtum. Die Welt ist ein Irrgarten, wie das Labyrinth aus Fluchtverstecken, das Axels Vater seinen zwei (?) Söhnen gezeigt hat. Dies ist eine versteckte Unterwelt, die suggeriert, dass es zwar eine Welt an der Oberfläche gibt, wo es angeblich gemäß Recht und Gesetz zugeht, doch dort unten sieht das Leben ganz anders aus. Und das ist ein ziemlich beunruhigendes Bild, das der psychologisch geschulte Autor von der ach so modernen westlichen Gesellschaft zeichnet. Die Bärenkralle – sie ist uns stets nur einen Tatzenhieb weit entfernt.
|Das Hörbuch |
Das Hörbuch wird von Detlef Bierstedt in gewohnter Weise kompetent gestaltet, bietet aber ansonsten keine Zutaten wie etwa Musikuntermalung oder gar eine Geräuschkulisse. Vielleicht ist es wegen der fehlenden Ausstattung hinsichtlich Musik und Geräuschen ein wenig preisgünstiger als ähnliche Produkte mit sechs CDs ausgefallen. Es kostet knapp 20 Euronen.
|Originaltitel: Se meg, Medusa, 2007
Aus dem Norwegischen übersetzt von Knut Krüger
423 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 978-3866108486|
http://www.argon-verlag.de
|Buchausgabe bei Droemer, August 2009
432 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3426198360|
http://www.droemer.de
Info: Se meg, Medusa, 2007; Argon Verlag 2009, Berlin; 6 CDs, 423 Minuten, aus dem Norwegischen übersetzt von Knut Krüger
Commissario Brunettis sechster Fall. Er hat gerade nicht viel zu tun, denn Venedig erwacht erst allmählich aus seinem Winterschlaf. Doch da beginnen die Machenschaften der Kirche sein Berufs- und Privatleben zu überschatten: Suor Immacolata, die schöne Sizilianerin und aufopfernde Altenpflegerin von Brunettis Mutter, ist nach dem unerwarteten Tod von fünf Patienten aus ihrem Orden ausgetreten. Sie hegt einen schrecklichen Verdacht, denn die Verblichenen haben zuvor ihr gesamtes Vermögen der Kirche vermacht. Wird Brunettis Mutter das nächste Opfer sein? Brunetti stößt auf einen zwielichtigen Geheimorden. Donna Leon – Sanft entschlafen (Lesung) weiterlesen →
Richter Kömüves kommt übermüdet mit seiner Frau von einer Veranstaltung nach Hause. Überrascht erfährt er, dass sich ein Fremder in seiner Wohnung befinde, um ihn zu besuchen. Es ist Imre Greiner, ein Schulkamerad und Jugendgefährte, den er seit neun Jahren nicht mehr gesehen hat. Der Richter weiß, dass er Greiners Ehe mit der schönen Anna Fazekas am folgenden Morgen scheiden soll. Gibt es ein Problem damit? Und ob! „Die Verhandlung kann nicht stattfinden, weil ich heute meine Frau getötet habe“, antwortet Greiner. Und er will herausfinden, wer ihm seine Frau weggenommen hat – vor zehn Jahren. Wen hat Anna wirklich geliebt? Den Richter etwa?
Der Autor
Der ungarische Erzähler Sándor Márai (ausgesprochen „schandor maroi“) lebte von 1900 bis 1989. Sein Roman [„Die Glut“ 1367 erschien 1942. Jahrzehntelang war das umfangreiche schriftstellerische Werk des Ungarn in seiner Heimat verboten. Er hatte 1948 Ungarn verlassen und setzte – wie der ebenfalls ins Exil gegangene Stefan Zweig (gestorben 1942) – seinem Leben 1989 in San Diego ein Ende. Zu früh, so kurz vor der politischen Wende des Ostblocks. (Mehr Details am Schluss.)
Der Sprecher
Charles Brauer, geboren 1956, ist am bekanntesten als Kommissar Brockmüller an der Seite von Manfred Krug im „Tatort“. Er gehört zu den beliebtesten Hörbuchsprechern.
Regie führte Gabriele Kreis. Die Lesung umfasst den ungekürzten Text.
Das Titelbild zeigt „Charlotte von Hagn“, gemalt von Joseph K. Stieler. So könnten wir uns Anna Fazekas vorstellen.
Handlung
Es passiert wahrlich nicht allzu viel in der Geschichte, und doch könnte das Ergebnis tragisch ausfallen.
Christoph Kömüves, an die 40 und seines Zeichens Scheidungsrichter in Budapest, stammt aus einer Dynastie von Richtern, der „Kömüves-Schule“. Sein Büro liegt in den bedrückenden Gebäuden einer Haftanstalt. Am folgenden Tag soll er wieder einmal lösen statt zu binden, doch diesmal sind es zwei gute Bekannte, und das verleiht dem Fall eine besondere Bedeutung.
Imre Greiner, 38, war Christophs Schulkamerad und Jugendgefährte, den er aber seit rund neun Jahren nicht mehr gesehen hat, seit jener Zeit, als Imre die schöne Anna Fazekas heiratete. Christoph hatte vor rund zehn Jahre die ein wenig verwöhnte junge Dame ein paar Mal getroffen, und sie hatte dabei einen tiefen Eindruck hinterlassen. Dass sie und Imre seit einem halben Jahr getrennt leben, betrübt ihn ein wenig, aber da er selbst eine wohlgeordnete Familie hat, macht er sich keine falschen Hoffnungen auf eine Begegnung mit Anna.
Als er am Abend vor der Verhandlung übermüdet mit seiner Frau nach Hause zurückkehrt, erfährt er überrascht, dass sich ein Fremder in seiner Wohnung befinde, um ihn zu besuchen. Es ist Imre Greiner.
Christoph fragt, ob es wohl ein Problem mit der anstehenden Scheidung gebe? Und ob! „Die Verhandlung kann nicht stattfinden, weil ich heute meine Frau getötet habe“, antwortet Greiner. Er sei gekommen, um seinem Jugendfreund alles zu erzählen. Diese Erzählung nimmt fast die ganze Nacht in Anspruch. Vor vier Jahren hat der geschulte Arzt entdeckt, dass seine Frau frigide ist. Die folgenden Jahre waren die Hölle. Er will herausfinden, wer ihm seine Frau weggenommen hat – vor zehn Jahren. Wen hat Anna wirklich geliebt?
„Sag mir, Christoph, hast du in den letzten zehn Jahren von Anna geträumt?“ Was für eine unverschämte Frage! Träume?! Unsinn! Kömüves weist solche unwägbaren Kategorien weit von sich, denn in der Kömüves-Schule haben sie keinerlei Relevanz. Doch das Gespräch findet mitten in der Nacht statt, und zu dieser Zeit erhalten Träume sehr wohl eine Bedeutung …
Mein Eindruck
Das nächtliche Gespräch ist der Kulminationspunkt einer langen psychologischen Entwicklung, die sowohl in der Ehe Imres stattgefunden hat als auch im Leben Christophs. Nachdem der Autor detailreich jedes Ereignis im Leben des Richters ausgebreitet und erörtert hat, um seine geistige Disposition zu beschreiben, taucht sein Jugendfreund Imre wie das personifizierte Chaos auf. Und tatsächlich erlebt Christoph die nächtliche Begegnung wie einen hinterlistig vorgetragenen Angriff auf seine Person, sein Amt und seine Lebensphilosophie (die „Kömüves-Schule“).
Weitaus interessanter, weil romantischer, ist Imres Liebe zu Anna. Nach Imres Worten kann er sich keine innigere und absolutere Einheit zwischen zwei Menschen vorstellen. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander, denn die Ehe war ihm eine heilige Einrichtung, ein Sakrament, und die Bindung an seine Ehefrau nur durch den Tod zu lösen. Er war süchtig nach Annas Gegenwart, so dass er seine Arztpraxis in seiner eigenen Wohnung einrichtete, um ihr nah sein zu können. Demzufolge war auch seine Eifersucht eine absolute, bis hin zur Krankhaftigkeit. Er will ihren Körper besitzen, diesen „wundervollen Mechanismus“.
Doch vor vier Jahren meldete sich sein Unterbewusstsein damit, dass es etwas suchte, was es nicht kannte, aber dringend brauchte. Was war es? Imre weiß nur so viel, dass es ohne dieses Etwas nicht mehr weitergehen kann. Denn dann ist seine Ehe, ja, sein ganzes Leben nur eine leere Formel, deren Sinn abhanden gekommen ist. Wie sich herausstellt, liegen bei Anna alle Symptome der Frigidität vor, eine sexuell geäußerte Gefühlskälte. Anna ist selbst am meisten davon überrascht. Doch wie konnte es dazu kommen, fragt sich Imre, wer hat ihm Anna weggenommen? Wer erscheint ihr in ihren Träumen?
Da Anna ihm offenherzig alle ihre Lebenserlebnisse erzählt hat, weiß Imre natürlich von Annas Begegnungen mit dem vor zehn Jahren jungen Rechtsassessor Christoph Kömüves. Diese wenigen Begegnungen müssen sie aber so erschüttert haben, dass ihr die Ehe mit Imre nicht als ihre eigentliche Bestimmung erschien. Nun ist Anna tot, doch Christoph lebt. Ergeht es dem Richter ebenso? Erscheint ihm sein eigenes Leben nicht ebenfalls als eine Art Missverständnis? Als eine Formel ohne Sinngehalt?
Da gerät der Richter schwer ins Grübeln, und wir müssen uns seiner gesamten Biographie und der langen Gesellschaftsbeschreibung erinnern, die wir durch ihn erhalten haben. Erst dann können wir seine Reaktion verstehen. Wird er „ja“ sagen, oder wird er Imre, diesen personifizierten Angriff, wegschicken? Eines ist sicher: Nach dieser Nacht wird es keine Scheidungsverhandlung für Imre Greiner und Anna Fazekas geben. So oder so.
Die Gesellschaftsbeschreibung konzentriert sich immer wieder auf den sozialen Umbruch, den der Erste Weltkrieg zur Folge hat: den Untergang der KuK-Monarchie, das Auseinanderbrechen der Einheit Österreich-Ungarn, die Entlassung der Ungarn in eine Freiheit, die erst noch zu determinieren ist. Die alten Amtsträger treten ebenso ab, wie ihre Wertvorstellungen mit Füßen getreten werden. Die „Kömüves“-Schule ist ein Anachronismus, und ihr Begründer ist noch nicht einmal unter der Erde.
Innerhalb dieser katholischen und lateinisch-humanistisch orientierten Schule begreift Christoph Kömüves das Leben als Pflichterfüllung und freiwilligen Gehorsam gegenüber einer Gemeinschaft, die er als konkret seine Familie oder als erweiterte Quasi-Familie begreift. Die Pflicht ist in Demut zu erfüllen, denn dies ist die Vorbedingung für die göttliche Gnade. Doch die erweiterte Familie, die Volksgemeinschaft, hat aufgehört zu existieren, und alles um ihn herum scheint ebenso zu zerfallen wie die Ruinen der Burg in Buda, dem alten Teil der Doppelstadt Budapest.
Warum hat er also Anna Fazekas, die er doch so anziehend fand, seinerzeit nicht geheiratet? Er hielt nie um ihre Hand an, sondern wählte stattdessen Hertha. War es, weil eine Verbindung mit Anna eine Bindung des Herzens gewesen wäre statt eine der Pflichterfüllung? Wohl möglich. Dann ist sein Leben eines der Entsagung, das seine wichtigste Erfüllung in der Familiengemeinschaft und dem Dienst an seinen Klienten findet. Ist es darum ein „Missverständnis“, wie Imre behauptet? Der Leser muss diese Frage ebenso beantworten wie der Richter selbst. Wovon träumt er nachts?
Der Sprecher
Charles Brauer, inzwischen rund 70 Jahre alt, erledigt seinen Job mal wieder einwandfrei. Als erfahrener Schauspieler – etwa im „Tatort“ – hat er ein Gespür für das Besondere an einer Szene. Da weiß er einfach, wo die Pausen gesetzt werden müssen, so etwa in der extrem angespannten Begegnung zwischen Imre Greiner und Christoph Kömüves. Bewunderswert ist auch Brauers Aussprache der ungarischen Namen. Ich kann mir keinen besseren Sprecher für einen Sprachkünstler wie Sandor Márai vorstellen.
Unterm Strich
Auf ironische Weise wird aus dem Mann, der täglich sein Amt als Scheidungsrichter ausübt, ein Angeklagter, dem selbst einige recht zudringliche und höchst intime Fragen gestellt werden. Dies darf sich auch nur ein Jugendfreund erlauben. Dennoch beruft sich der Richter auf sein Recht, die Aussage zu verweigern – ein Schuldeingeständnis?
Zwei Lebensprinzipien stoßen ebenso aufeinander wie zwei Epochen: hier die alte, versunkene Welt der KuK-Monarchie, dort die neue Republik, hier Pflichterfüllung bis zur Selbstverleugnung in Demut, dort die totale Erfüllung in einem geliebten Partner. Imres Erfüllung stellt sich als Täuschung heraus, als Lebenslüge – wie steht es um die Lebenslüge des Richters?
Trotz der völligen Abwesenheit einer Handlung ist die Geschichte des Aufeinandertreffens dieser zwei Welten eine Angelegenheit, die zunehmend an Spannung gewinnt, je kritischer die Fragen des Arztes an den Richter werden. Etwas muss brechen, denn es ist die Nacht vor der Scheidung. Anna, die zwischen den beiden stand, ist bereits tot (ich verrate nicht, auf welche Weise sie starb) – wird es weitere Opfer zu beklagen geben?
Der Leser bzw. Hörer muss jede Menge Geduld und Aufmerksamkeit mitbringen, um über den Berg der Vergangenheit in die spannenden Gefilde der Gegenwart zu gelangen, die in einer einzigen Nacht ihren Kulminationspunkt findet. Große Literatur, die Anstrengung fordert, aber dafür umso mehr lohnt.
Mehr Details über den Autor
Sándor Márai, geboren am 11. April 1900 in Ungarn, studierte Philologie. Sein erster Gedichtband erschien 1918. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte Márai als Student und literarischer Feuilletonist in Deutschland und Paris. 1928 kehrte er zurück in die ungarische Heimat und erlebte dort in den dreißiger Jahren eine Zeit größter Schaffenskraft und literarischer Erfolge. 1948 floh er in den Westen und lebte in der Schweiz, in Italien und in Amerika. Nach dem Tod seiner Frau nahm Márai sich im Februar 1989 in San Diego, Kalifornien, das Leben.
Das Original erschien posthum in Toronto, deutsch zuerst 2004
aus dem Ungarischen von Margit Ban
377 Minuten auf 5 CDs
Nach dem Tod seines Vaters, des wegen Hochverrats angeklagten Earl of Waringham, zählt der zwölfjährige Robin zu den Besitzlosen und ist der Willkür der Obrigkeit ausgesetzt. Besonders Mortimer, der Sohn des neuen Earl, schikaniert Robin, wo er kann. Zwischen den Jungen erwächst eine tödliche Feindschaft. Aber Robin geht seinen Weg, der ihn zurück in die Welt von Hof und Adel – an die Seite des charismatischen Duke of Lancaster – führt.
Doch das Rad der Fortuna dreht sich unaufhörlich, und während ein junger, unfähiger König England ins Verderben zu reißen droht, steht Robin plötzlich wieder seinem alten Todfeind gegenüber … (Verlagsinfo)
Der Noll-Faktor: spannend, kurios, amüsant, makaber
Das Hörbuch umfasst fünf „schlimme“ Geschichten, die entgegen der Erwartung, die man an Noll-Storys hat, nicht immer mit dem Ableben eines Beteiligten enden. Fünf Protagonisten – eine Domina, eine virtuose Stickerin, eine blonde Krankenschwester, die alle Klischees erfüllt, die Ehefrau eines passionierten Anglers, die verheiratete Ärztin mit der Hundedame. Fünf überraschende Wendungen – auch wenn man „seine“ Ingrid Noll schon kennt.
Die Autorin
Ingrid Noll wurde 1935 in Schanghai geboren, also kurz vor der japanischen Invasion, und studierte in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Nachdem ihre drei erwachsenen Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie, Kriminalgeschichten zu schreiben, die allesamt Bestseller wurden. „Die Häupter meiner Lieben“ wurde mit dem Glauser-Preis ausgezeichnet, und „Kalt ist der Abendhauch“ sowie „Die Apothekerin“ wurden verfilmt.
Weitere Noll-Hörbücher:
– Die Häupter meiner Lieben
– Die Apothekerin (verfilmt)
– Kalt ist der Abendhauch (verfilmt)
– Selige Witwen
– Die Sekretärin
– Der Hahn ist tot
Die Sprecherin
Ursula Illert, 1946 in der Nähe von Frankfurt/M. geboren und aufgewachsen, ist eine Schauspielerin mit Erfahrung bei Theater, Funk und Fernsehen. Als passionierte Sprecherin hat sie für |Steinbach Sprechende Bücher| bereits zahlreiche Hörbücher gelesen. Ihre Begeisterung gilt Lesungen mit musikalischer Begleitung vor Publikum.
Handlung der 5 Erzählungen
1) Ein milder Stern herniederlacht
Eine Domina setzt sich mit 37 zur Reihe und verkauft all ihre Accessoires und Möbel – für ihre „Sklaven“ eine echte Überraschung. Drei Wochen später ist sie mit Oliver verheiratet, der sich schon auf das gemeinsame Kind freut. Mit dem drögen, anstrengenden Leben als Hausmütterchen werde sie schon zurechtkommen. Denkt sie. Denn Oliver weiß natürlich nichts von ihrem anrüchigen Vorleben.
Just im schönsten Moment in ihrem neuen Leben, beim Abendessen zu Weihnachten, klingelt es an der Tür und eine Gestalt der Vergangenheit verlangt ihr Recht: Georg, der Bankier, ist einer ihrer früheren „Sklaven“ und hat wegen Urlaub noch nicht mitgekriegt, dass sie aus dem Gewerbe ausgestiegen ist. Er verlangt hartnäckig sein Recht auf eine fachgerechte Demütigung.
Da die Ex-Domina nicht mit der Wahrheit über Gregors Verhältnis zu ihr herausplatzen kann, dauert es eine ganze Weile, bis Oliver die Sache endlich kapiert. Dann jedoch handelt er konsequent: Georg wird angekettet und darf den Abwasch machen. Ein weiterer „Sklave“ muss mit Demütigung versorgt werden: Er darf das Auto blitzblank schrubben. Schon bald finden sich jede Menge Haushaltsarbeiten, die es zu erledigen gilt, und der Haushalt ist endlich auf Vordermann gebracht.
Es gibt nur ein winziges Problem: Wie erklärt man den Familien der Sklaven ihr allzu langes Fernbleiben vom trauten Weihnachtsabendfeiern? Geniale Idee: Man inszeniert einen Frontalzusammenstoß der Autos, so dass man auch noch die Versicherung abzocken kann. Bei diesem im Schnee inszenierten Manöver geht leider etwas mächtig schief …
2) Stich für Stich
Das Geschlecht der Person, die ihre Geschichte erzählt, bleibt bis zuletzt unklar, denn darin besteht ja der Clou. Die Person liebt es schon seit ihrem 17. Lebensjahr zu sticken. Damals lag sie lange Zeit mit Hepatitis im Bett und musste ruhen. Ihre Mutter brachte ihr das Sticken bei und fortan stickte sie, was der Faden hergab: Deckchen, Brieftaschen, eine komplette Gemäldegalerie klassischer Meister.
Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, da die Person bei einem Schwächeanfall im Supermarkt umkippt und ihr der Arzt eine Kneipp-Kur in Bad Wörishofen verordnet. Gesagt, getan. Man findet einen Kurschatten, eine echte Freundin: Gunda Mortensen. Nach dem Abschied setzt ein Briefwechsel die Freundschaft fort.
Der freudige Tag naht, da Gunda unsere Hauptfigur in ihren eigenen vier Wänden besuchen wird, wo auf sie eine handfeste Überraschung wartet. Nein, die Stickereien habe keineswegs die werte Frau Mutter gefertigt, sondern seien alle selbstgemacht. Langes Schweigen. Danach kommt Gunda nie wieder … Schade, ein solches Talent links liegen zu lassen.
3) Die blaurote Luftmatratze
In der Privatklinik für psychosomatische Krankheiten hat sich eine Krankenschwester – nennen wir sie Isolde – in einen besonderen Patienten verliebt, den sie gerne Tristan nennt. Wie sie steht er auf altmodische Luftmatratzen, denn darauf liegt er gerne im schönen Park der Klinik. Sie nennt ihn aber auch den „Schlangenmenschen“, denn er sagt, er habe eine Phobie vor Schlangen. Sie fragt ihn, wie es dazu gekommen sei. Ach, das sei nur ein Vorwand, um in Ruhe gelassen zu werden, meint er.
Mit 24 sei er Privatdetektiv geworden und wurde von der deutschen Textilindustrie damit beauftragt, die Herkunft von besonders schönen Pullovern etc. festzustellen, die zu Dumpingpreisen angeboten wurden. Folglich blieben die deutschen Fabrikanten auf ihren Erzeugnissen sitzen.
Er flog nach Hongkong und entdeckte eine Spur, die ins Innere Asiens führte. Er versteckte sich auf einem LKW und fuhr dort zwei Wochen lang mit, denn obwohl ihn die Fahrer entdeckten, blieben sie freundlich. Und so gelangte er in eine tropische Region, in der eine versteckte Anlage von Männern in weißen Kitteln geleitet wurde. Lügen erwies sich als zwecklos, daher rückte er mit der Wahrheit heraus.
Statt ihn wegzuschicken, weil er spionierte, zeigten ihm die Männer voller Stolz ihre Anlage. Aber wo kamen die fabulösen Strickwaren her? Nirgendwo waren Strickmaschinen zu sehen. Da wies einer der Forscher ins Zentrum der weitläufigen Anlage, wo mehrere große Bäume standen. Und in den Bäumen befanden sich große Schlangen. Und jede Schlange strickte, was das Zeug hielt: Pullover, Westen, Schals, in allen Farben. Ja, er durfte sich sogar einen eigenen Pulloverentwurf wünschen.
Der Oberarzt glaubt natürlich kein Wort von diesem Garn. Professor Higgins wird von den gespannt lauschenden Patienten indigniert weggeschickt. Doch in der folgenden Nacht will Schwester Isolde die Wahrheit über den „Schlangenmenschen“ herausfinden und schleicht sich zu seiner Tür …
4) Fisherman’s Friend
Als sie 17, dumm und noch unschuldig war, lernte sie bei einer Fischerparty Eugen kennen, heiratete ihn mit 18 und wurde mit 19 Mutter von Jonas. Als Ladenbesitzer konnte ihr Eugen, der mittlerweile auf die 40 zuging, zwar ein Leben in Wohlstand bieten, doch sie erfuhr mit dem passionierten Angler weder Freude noch Liebe.
Da ist Uli schon ein ganz anderer Typ. Der Textilingenieur ist jung, gut aussehend und lustig. Sie verliebt sich sofort in ihn und hat eine Affäre. Sie überlegt, dass sie mit Eugens Erbschaft ziemlich angenehm mit Uli leben könnte. Ihren zielstrebigen Plan setzt sie in mehreren Phasen um, an deren Ziel sie und Uli Eugens Unfalltod beschließen. So weit, so gut. Doch der Plan sieht nicht vor, dass Uli und Eugen gute Kumpels werden und gemeinsam Angeln gehen!
Wütend und frustriert greift sie zur Selbsthilfe. Das unverdächtige Mordinstrument: selbstgemachte Frikadellen aus Fischpaste, in die sie ein paar Gräten platziert. Das funktioniert auch ganz hervorragend, allerdings mit einem ganz anderen Opfer als vorgesehen. Nach dem nächsten Angelwochenende berichtet die Zeitung von einem tot am See aufgefundenen Förster …
Monate vergehen, niemand wird festgenommen, doch die Affäre mit Uli endet. Da ruft die Witwe des Försters an und bittet um ein Treffen. Au weia, der Fluch der bösen Tat, denkt unsere Heldin und ist auf das Schlimmste gefasst. Zu ihrer Verwunderung bedankt sich jedoch Adelheid herzlich für die Tat. Sie erklärt, wie sie die Wahrheit herausgefunden habe und dass sie nun herrlich von der Erbschaft leben könne. Ob sie sich nicht erkenntlich zeigen könne?
Der Plan ist ganz einfach. Und tatsächlich hat Eugen diesmal keine Chance, der Falle zu entgehen.
5) Der gelbe Macho
Sie ist eine gefühl- und fantasievolle Ärztin, ihr Mann Oswald ein eher prosaischer Typ. Sie holt aus dem Tierheim einen Hund, der sehr anhänglich wird und sich als sehr klug erweist: Klara. Über ihre Spaziergänge lernt die Ärztin einen anderen Hundehalter kennen: Der junge Jens hat einen gelben Hund namens Macho. „Macho ist spanisch und bedeutet männliches Tier“, erklärt er. Macho und Klara werden unzertrennliche Freunde. Zwischen der Ärztin und Jens klappt es nicht gleich, denn erstens ist sie verheiratet, und zweitens hat er eine Freundin.
Aber sie merkt bald, dass sie Jens liebt, und die schlaue Klara merkt das auch. Sie beißt ihr Herrchen Oswald und gehorcht ihm nur noch widerwillig. Bei einer Abi-Party tanzt die Ärztin wild mit Jens und küsst ihn. Welch ein feinfühliger Mann: Er will nach dem Abi Psychologie studieren. Nachts darf Klara ins Bettchen von Frauchen, und Oswald muss im Arbeitszimmer schlafen.
Danach nimmt die Natur unaufhaltsam ihren Lauf. Klara wird läufig, und Macho muss weggesperrt werden. Doch während eines Schäferstündchens mit Jens vergeht die Zeit wie im Flug, und wer denkt da schon an die Hunde? Das Ergebnis der doppelten Liebesnacht ist schon nach wenigen Monaten zu besichtigen: Mischlinge.
Mein Eindruck
Im Grunde folgt nur eine einzige dieser fünf Erzählungen dem klassischen Muster, dass dem Schicksal „nachgeholfen“ und ein Mann geopfert wird – aber dies natürlich in unnachahmlicher Noll-Manier. Die anderen Geschichten fallen ziemlich aus diesem Rahmen und lassen sich wohl eher unter der Bezeichnung „ironisch erzählte Kuriosa“ zusammenfassen.
Unter diesen vier Geschichten hat mir jene mit den spinnenden und strickenden Schlangen auf den Bäumen am besten gefallen. Sie ist so wunderbar schrullig und doch unglaublich detailreich ausgeschmückt. Natürlich ist kein Wort davon wahr, würde jetzt Prof. Higgins wie in „My Fair Lady“ knurren. Aber hat das jemals passionierte Geschichtenerzähler und -lauscher gestört? Natürlich nicht. (Übrigens scheint dies eine der Storys zu sein, die seinerzeit für die „Süddeutsche Zeitung“ über „Die blaurote Matratze“ geschrieben wurden.)
Es ist ein wenig auffällig, welch eine bedeutende Rolle Erotik in diesen Storys spielt. Dass eine Ex-Domina ihre Ex-Sklaven wieder einspannt, ist ein netter Einfall. Doch dass auch der Ex-Domina-Mann der Sache auf pragmatische Weise einige positive Seiten abgewinnen kann, ist der typische Noll-Schlenker, der die Sache erst richtig interessant macht. Womit es natürlich nicht sein Bewenden haben kann.
Eine ganz andere Seite der Erotik zeigt sich in „Der gelbe Macho“. Hier kommt die Liebe sozusagen auf den Hund, um es mal flapsig zu sagen. Doch der Hund – gemeint ist die schlaue Klara – trägt viel dazu bei, der Liebe Gelegenheit zu machen, indem sie Herrchen Oswald auf Abstand hält. Der Hund ist doch der beste Freund des Menschen.
Die Sprecherin
Ursula Illert kann sich sehr gut in die Lage der weiblichen Protagonisten hineinversetzen. Mit Verve trägt sie ihre Geschichten vor, mit deutlicher Aussprache und der Betonung auf die richtigen Stellen. Allerdings ist die letzte Geschichte wegen der immerhin fünf Akteure so vertrackt, dass man sie vielleicht noch einmal anhören sollte.
Unterm Strich
Bis auf eine eher konventionelle – und daher umso willkommenere – Geschichte („Fisherman’s Friend“) wissen die fünf Beiträge in dieser Sammlung mehr durch ihre Schrulligkeit zu amüsieren als durch Spannung zu fesseln. Das macht aber nichts, denn der typische Noll-Faktor ist durchweg gegeben: eine ungewöhnliche, zuweilen makabre und augenzwinkernde Note ist stets eingeflochten. Ich kann nur hoffen, nicht zu viel verraten zu haben – und um Vergebung für meine Sünden zu bitten, falls ich es doch getan habe.
Die Sprecherin bringt die Erzählungen voll zur Geltung und beeinträchtigt die Botschaft der Autorin in keiner Weise. Das Hörbuch kann einem Zuhörer durchaus einen schönen Nachmittag bereiten.
„Case ist 24 und seine Karriere am Ende. Das Nervensystem des abgehalfterten Daten-Cowboys ist zerstört, er hat keinen Zugang mehr zur Matrix des Cyberspace. Bis er Molly kennen lernt, eine durch Implantate getunte Kämpferin. Ein unerwarteter Auftrag führt sie in die gefährliche Auseinandersetzung zwischen den künstlichen Zwillings-Intelligenzen Neuromancer und Wintermute …“ (Klappentext)
Der Musikkabarettist und Autor Jörg Maurer zeigt uns eine Seite von Mozart, die wir ganz sicher noch nicht kannten! In seiner Hommage an das „Wunder von Salzburg“ streift er schwungvoll und gekonnt abschweifend, um originelle Interpretationen und parodistische Variationen nicht verlegen, durch Sonaten, Evergreens und Anekdoten. So erfährt man auch einiges über die lückenhafte Biografie des Herrn Mozart. (bearbeitete Verlagsinfo) Anlass für dieses Kabarettprogramm war der 250. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2006. Die Aufnahme ist schon etwas älter, aber das merkt man der Tonqualität nicht an. Jörg Maurer – Jörg Maurer trifft Mozart (Audio) weiterlesen →
Am Grant College und in dessen Nähe findet die Polizei einen jungen Mann und eine junge Frau, beide Studenten, die anscheinend Selbstmord begangen haben. Doch bestimmte Unstimmigkeiten lassen Sheriff Tolliver und Gerichtsmedizinerin Sara Linton am Anschein zweifeln. Dass Saras hochschwangere Schwester in der Nähe eines der Tatorte überfallen und schwer verletzt worden ist, verwirrt und beunruhigt die beiden Ermittler in höchstem Maße. Werden sie bei ihrem Vorgehen beobachtet und manipuliert? Slaughter, Karin – Dreh dich nicht um (Lesung) weiterlesen →
So ein Spukhaus ist eine famose Sache: Es gibt immer was zu tun. Das denkt sich auch unser Ich-Erzähler, als er davon hört, und beschließt, es für sechs Monate zu mieten. Doch den Spuk gibt es wirklich, und nacheinander nehmen seine Bediensteten Reißaus, alle bis auf einen, der stocktaub ist. Es gibt also noch Chancen. John, der Erzähler, und seine Schwester Patty laden ihre ebenso famosen Freunde ein, sich die Sache mit dem Spuk mal genauer anzusehen: furchtlose Zeitgenossen allesamt. Doch in Master B.s Dachstube will trotz aller Mühen der Spuk nicht enden.
Der Autor
Charles Dickens, geboren 1812 bei Portsmouth, ist einer der wichtigsten Schriftsteller des viktorianischen Englands. 1824 wurde Charles‘ Vater wegen Schulden eingebuchtet, und seine Mutter und ihre acht Kinder mussten sehen, wie sie zu Brot kamen. Mit zwölf Jahren erfährt Charles in der Fabrik alles Elend, das Ausbeutung durch Arbeit bereithält (nachzulesen in „Hard Times“ und anderen Romanen).
Erst drei Jahre später kann Charles eine Schule in London besuchen. Er arbeitet tagsüber als Schreiber für eine Anwaltskanzlei und lernt nachts. Seine Studien zahlen sich aus. Er erhält eine Chance als Zeitungsreporter und wird Parlamentsberichterstatter. 1833 beginnt er, eigene Geschichten zu veröffentlichen und legt sich das Pseudonym „Boz“ zu.
Dickens‘ Durchbruch erfolgt 1837 mit den humoristischen „Pickwick Papers“, die ihn auf einen Schlag berühmt machen. Er heiratet die Tochter seines Verlegers Catherine Hogarth und arbeitet als Schriftsteller. In den folgenden Jahren schreibt er zahlreiche, mitunter recht umfangreiche Romane und etliche Erzählungen, ruft ein wöchentliches Literaturmagazin ins Leben, für das er als Verleger und Autor arbeitet, gründet ein Amateurtheater, in dem er selbst auftritt, und unternimmt ausgedehnte Reisen in Europa und nach Amerika.
1858 trennt er sich von seiner Frau, mit der er zehn Kinder hat, und beginnt eine Beziehung mit der Schauspielerin Ellen Ternan. Er stirbt am 9. Juni 1870 in Gadshill bei Rochseter an den Folgen eines Schlaganfalls.
Der Sprecher
Matthias Haase, geboren 1957, wurde an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Hannover ausgebildet, unter anderem am Klavier und am Cello sowie als Bariton. Neben Engagements am Schauspiel Köln sowie in Düsseldorf war er in zahlreichen Rollen in Film und Fernsehen zu sehen, unter anderem in „Atemnot“, „Heinrich Heine“, „Ein Bayer auf Rügen“, „Notaufnahme“, „SOKO Köln“ und „Verbotene Liebe“. Er hat bereits in rund 300 Hörspiel- und Hörbuchproduktionen mitgewirkt, so zum Beispiel in Hauptrollen in „Herr der Ringe“, „Das Foucaultsche Pendel“ und „Die Stadt der Blinden“.
Haases Vortrag ist mit Geräuschen und Musik untermalt.
Regie führte die Übersetzerin Daniela Wakonigg, die Tontechnik und Musikeinspielungen steuerte Peter Harrsch.
Handlung
Der fest auf dem Boden der Tatsachen stehende Ich-Erzähler der Geschichte bezieht als Urlaubsdomizil ein altes, verfallendes Haus, das den Einheimischen im nahen Dorf als Spukhaus gilt. Unser Erzähler ist ein vernünftiger Mann, der nichts vom Geisterglauben der Dörfler hält, schon gar nicht von den Anekdoten, die man sich vom Erscheinen einer verschleierten Frau und einer Eule erzählt. Allerdings trägt auch er insgeheim tief im Herzen eine gewisse Furcht vor jener „anderen Welt“ mit sich.
Nachdem er mit seinen Dienstboten für sechs Monate eingezogen ist, gibt es jede Menge zu tun: Nichts funktioniert – außer der Klingel zu „Master B.s Zimmer“. Nächtelang klingelt, klappert, knarrt und spukt es im Haus, bis es den Dienstboten schließlich zu viel wird – mit einer Ausnahme: Bottles, der Stallknecht, ist stocktaub und bekommt von dem allnächtlichen Aufruhr rein gar nichts mit. Das gibt unserem Erzähler und seiner klugen Schwester Patty zu denken: Was wäre, wenn man diese störenden Tonquellen einfach abstellen würde?
Das geht aber nicht alleine, sondern zu diesem Zweck laden die beiden ihre liebsten Freunde aus London ein. Darunter sind Anwälte und ein paar raubeinige Seeleute, die dem Tod schon mehrmals ins Auge gesehen haben. Diese kühlen Köpfe bereiten dem Spuk ein Ende, indem sie quietschende Wetterhähne, klappernde Fensterrahmen und gluckernde Wasserrohre reparieren. Außerdem überführt unser Held einen der Dörfler, seine Hand im Spiel zu haben.
Doch in Master B.s Dachstube endet der Spuk keineswegs, und hier hat sich der Erzähler zur Ruhe gebettet. Könnte es sein, dass all der Spuk nur mit ihm zu tun hat? Was hat er uns verschwiegen?
Mein Eindruck
In der ersten Hälfte des in einer Doppelfolge publizierten Textes herrscht eine melancholische Stimmung vor, die sich natürlich auf das verlassene Spukhaus konzentriert und gründet. Am Ende des zweiten Drittels des Gesamttextes verfliegt diese Stimmung endlich, als sämtliche Spukerscheinungen – bis auf eine – beseitigt und aufgeklärt sind. Dann schlägt die Stimmung wieder komplett um: ins Märchenhafte.
VORSICHT, SPOILER!
Dickens arbeitete ja bekanntlich viel mit Symbolen, Metaphern und Allegorien. Man denke nur an seine Weihnachtsgeschichte um Mr. Scrooge. Drei Geister erscheinen da, die Allegorien bzw. Verkörperungen der vergangenen, gegenwärtigen und der zukünftigen Weihnacht. In „Das Spukhaus“ praktiziert der Autor den gleichen Trick, allerdings mit einem anderen Sujet und weitaus weniger plump als bei Mr. Scrooge, sondern geradezu modern.
Spaltung
Die Hauptrolle beim Übergang zu dem, was kommt, spielt, wie könnte es anders sein, ein Spiegel. Denn dieses Ding ist das Symbol für die Spaltung und Verdopplung des Bewusstseins. Der Andere im Spiegel ist einer von drei Männern: ein Junge, dann der junge John (Erzähler) im Alter von 24 oder 25 Jahren, sein Vater und sein Großvater, den er nie gesehen hat. Was haben sie mit Master B. zu tun, dem ehemaligen Bewohner dieser Dachstube? John, unser Erzähler, glaubt, ein Skelett neben sich im Bett liegen zu sehen. Es spricht zu ihm und fordert ihn zu einer Reise auf …
Geistreise
Nach und nach und auf verschiedenen Vehikeln – Besenstiel, Schaukelpferd, Droschke und sogar ein kopfloser Esel – begibt sich John in ein seltsames Land. Er nimmt auch einen anderen Körper an, der dem seines Begleiters verblüffend ähnlich sieht: großer Kopf, aber kurze Beine, sowie altertümliche Kleider. Sie sind Kinder, und als Kinder werden sie von einer Gouvernante erzogen, von Mrs. Griffin. In diesem Kinderland erschaffen sich John und B. eine Fantasie, wie sie während des ganzen 19. Jahrhunderts sehr verbreitet war: der Orient. Sie beschließen, sich einen Harem zuzulegen. Und das klappt auch ganz prächtig …
Der Ursprung
Doch alle guten Dinge müssen enden. Und schließlich muss sich John, der Erzähler-John fragen, wohin dieses Wunderland verschwunden ist und was es überhaupt bedeutet. Es ist seine Kindheit, und er hatte sie vollständig verdrängt. Aus einem ganz bestimmten Grund: Das Ende dieser Kindheit wurde von einem schrecklichen Ereignis bezeichnet: dem Tod seines Vaters (so wie der Autor mit zwölf Jahren wegen der Verhaftung seines Vaters in die Fabrik musste). John verlor sein Heim und musste in die Waisenschule, wo man ihn hänselte und triezte. „Master B.“, das ist der Geist seiner eigenen Kindheit. Nun geht er gerne mit einem Skelett zu Bett.
Analytisch
Die Geschichte nimmt geradezu die Methode der Psychoanalyse vorweg, kleidet die Kräfte, die am Werk sind, in Symbole und Figuren. Die Kinderphantasie mutet wie ein Märchen an, doch der Harem, dem sich die Freundinnen anschlossen, scheint innerhalb der damaligen Orient-Phantasien durchaus möglich gewesen zu sein. In einem bestimmten Alter (hier: acht bis neun Jahre) spielen Kinder Rollen durch, und eine der Rollen ist zur Abwechslung mal eine Haremsdame statt einer Prinzessin. Die Favoritin des Harun al-Raschid (= John) heißt demnach stilecht Zobeide, und der Großwesir, eine Art Isnogud, zettelt tatsächlich eine Palastrevolution an. Für Aufregung ist also auch in diesem Teil der Geschichte gesorgt. Und da das gesamte Spiel vor Mrs. Griffin geheimgehalten werden muss, ist es obendrein auch noch spannend.
Humor
John, unser Chronist, ist ein abgeklärter, älterer Herr und seine Schwester Patty, 38, ein ebenso kluges Frauenzimmer. „Wir können doch auch ohne Dienstboten hier leben“, meint sie. Was für ein kühner, beinahe schon anstößiger Gedanke, findet John. Ein Mann seines Standes, und keine Dienstboten! Doch die besagten Bediensteten sind wenig zuverlässig. Besonders das junge Hausmädchen, eine Waise aus einem religiösen Bildungsinstitut, ist höchst labil, und über ihre Art, wie sie regelmäßig in einen starren, kataleptischen Zustand verfällt, macht sich John unterschwellig lustig. Sie sieht überall Augen, und wenn sie in Starre verfällt, kann man sie nur mit Riechsalz wieder zu sich bringen. Das ganze Haus stinkt danach, und das Riechsalz ist schließlich aufgebraucht. Dann ist für das Gesinde Feierabend.
Der Sprecher
Matthias Haase kann seine Stimme flexibel einsetzen, so dass er in der Lage ist, jedem Sprecher eine individuelle Charakteristik zu verleihen. Dadurch ist es dem Hörer möglich, die Figur von anderen zu unterscheiden. Während John, der Erzähler, mit einer relativ normalen, männlich tiefen Stimme spricht, äußert sich der durchtriebene Ikey aus dem Wirtshaus drucksend und schnell, jedenfalls alles andere als ehrlich und aufrichtig. Sein genaues Gegenteil ist die Köchin, die geradezu entsetzt ist über die Zustände, die sie im Spukhaus vorfindet. Ihr Gegenteil wiederum sind der brave Captain Jack Governor, ein Seemann von altem Schrot und Korn, und sein Kumpel Nat Beaver. Namen, die für sich sprechen!
Musik und Geräusche
Die Seemänner werden von den Klängen eines Schifferklaviers eingeführt und begleitet. Das Spukhaus jedoch bedarf einer ganz anderen Stimmung. Zunächst wird es durch ein trauriges Cello-Solo charakterisiert, später, als die Spukstimmung aufkommt, durch einen Soundeffekt, den ich einfach mal als „äolischen Sphärenklang“ bezeichnen will. Er klingt geisterhaft, mystisch und ist keinem klassischen Instrument zuzuordnen, das mir bekannt wäre.
Auf dem Höhepunkt der Spukmanie unter den Bediensteten ist eine interessante Kombination aus Glockenspiel und Geigenpizzicato zu hören (pizzicato: die Geigensaiten werden gezupft statt gestrichen). Alle diese musikalischen Motive werden mehrmals verwendet, so dass ihr Wiedererkennungswert hoch ist. Alle dienen wie stets dazu, die Emotionen des Hörers zu steuern und Assoziationen zu wecken, z. B. Schifferklavier und Seefahrt, oder: quäkende Flöte und Märchen-Orient.
Die Geräusche klingen zwar realistisch, werden aber nur dann eingesetzt, wenn sie wirklich etwas bringen. Also dann, um eine düstere Stimmung zu erzeugen, so etwa grollender Donner und das Krächzen von Krähen. Nur einmal drängeln sich die Geräusche in den Vordergrund, weil sie nämlich ein Element der Handlung bilden: Die Klingeln im Spukhaus treiben die neuen Bewohner schier in den Wahnsinn.
Unterm Strich
„Das Spukhaus“ ist innerhalb des Kanons an Geschichten über Gespensterhäuser eine sehr ungewöhnliche Geschichte. Der Spuk ist nicht bedrohlich, denn so etwas wie Vampire taucht nicht auf. Sondern es geht dem Autor vielmehr um eine Art Zeitreise in die eigene Kindheit.
Die Wirkung ist in dem letzten Drittel der Erzählung märchenhaft und will nicht zu einer einheitlichen Wirkung beitragen. Offenbar war Dickens kein Anhänger von Poes kritischer Theorie, wonach eine Kurzgeschichte in allen ihren Teilen eine einheitliche Wirkung auf den Leser ausüben sollte („Unity of effect“). Wie auch immer. Es ist schön, auch mal eine solche Spukgeschichte kennen zu lernen. Wer sich aber ein Vampir-Ambiente oder gar ein Poe-Imitat à la Lovecraft erhofft, ist hier an der falschen Adresse.
Dafür waren aber sicher die Viktorianer darüber entzückt, vor allem die Frauen. Nicht von ungefähr erwähnt unser Chronist John, dass zu seinen Freundinnen auch eine gewisse Belinda Bates gehört, die sich stark für die Belange der Frauen engagiert, also eine frühe Feministin. Da hat der Autor wohl Punkte sammeln wollen.
Originaltitel: The haunted house, 1859
Aus dem Englischen übersetzt von Daniela Wakonigg
70 Minuten auf 1 CD http://www.stimmbuch.de
Eine Frau will mit ihrer Kusine und deren Mann ein paar Tage in einem Jagdhaus in den Bergen verbringen. Abends unternimmt das Paar noch einen Gang ins Dorf. Am nächsten Morgen stellt sich heraus, dass die beiden nicht zurückgekehrt sind. Zusammen mit dem Hund macht die Frau sich auf, um sie zu suchen. Plötzlich kehrt der Hund mit blutender Schnauze zurück. Dann stößt sie selbst an ein unsichtbares Hindernis. Es ist eine riesige gläserne Wand. Die Frau, der Hund, eine Katze und eine trächtige Kuh sind in einem genau umgrenzten Stück Natur gefangen.
Die Autorin
Marlen (eigentlich Marie Helene) Haushofer wurde am 11. April 1920 in Frauenstein, Oberösterreich, als Tochter eines Revierförsters geboren. Sie studierte 1940 Germanistik in Wien und Graz und lebte später mit ihrem Mann, einem Zahnarzt, und zwei Kindern in Steyr. Sie starb am 21. März 1970 in Wien. Sie schrieb neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau und Sprechstundenhilfe hauptsächlich Romane, Novellen, Erzählungen sowie Kinder- und Jugendbücher. Sie wurde von österreichsichen Schriftstellern gefördert.
Obwohl sie unter anderem 1968 mit dem Österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet worden war, hatten ihre Bücher erst nach ihrem Tod großen Erfolg, als die Frauenbewegung sie für sich entdeckte. Aufgrund der Thematik ihrer Bücher wird sie in der Tradition August Strindbergs gesehen und mit Simone de Beauvoir in Verbindung gebracht.
Die Sprecherin
Elisabeth Schwarz spielte u. a. in Stuttgart, Frankfurt/M. und München Theater. Von 1985 bis 2001 war sie Ensemble-Mitglied des Hamburger Thalia-Theaters. In Film- und TV-Rollen war sie u. a. in „Aus einem deutschen Leben“ und im „Tatort“ zu sehen. (Verlagsinfo)
Handlung
Es ist der letzte Tag des Aprils, als unsere Chronistin mit dem Ehepaar Hugo und Luise Rücklinger in den Urlaub fährt, wobei sie die Kinder zurücklässt. Von deren Vater ist nicht die Rede. Luise ist ihre Kusine. Sie fahren hinauf in die Berge, wo sie im Jagdhaus der Rücklingers wohnen wollen. Auf dem Weg hat Hugo seinen Hund Luchs abgeholt. Es ist ein kluger, abgerichteter Jagdhund, der nur Hugo als seinen Herrn anerkennt.
Es ist die Walpurgisnacht. Abends gehen die Rücklingers noch einmal ins Dorf, und nachdem sie beim Licht einer Petroleumlampe – es gibt keinerlei Elektrizität – gelesen hat, geht sie zu Bett, ohne dass ihre Gastgeber zurückgekommen wären. Das merkt sie aber erst am Morgen, und sie macht sich gleich auf den Weg durch die Schlucht zum Dorf. Als der Hund mit einer blutenden Schnauze zu ihr zurückkehrt und sie daran zu hindern versucht, weiterzugehen, macht sie sich ein wenig Sorgen. Dann stößt sie mit der Stirn an die WAND.
Die Wand ist vollständig unsichtbar, sie kann nicht aus Glas sein, sondern aus einem anderen Material. Es spiegelt nicht, klingt nicht, gibt nicht nach. Zuerst weigert sich ihr Verstand, sich mit dem Hindernis zu beschäftigen. Sie bemerkt, dass die Wand den Bach gestaut hat; das Hindernis reicht nicht tief in den Boden. Da bemerkt sie einen Mann auf einem Weiler jenseits der Wand. Etwas ist sonderbar an ihm: Obwohl er sich am Brunnen wäscht, bewegt er sich nicht, als sei er völlig erstarrt. (Später bemerkt sie noch eine Frau und mehrere erstarrte Vögel.)
Warum ist die Straße leer? Warum kommt niemand? Ist die Welt auf einmal ausgestorben? Hat ein Krieg mit einer neuartigen Waffe stattgefunden, die nur Lebewesen tötet, so wie die Neutronenbombe? Die „humanste Teufelei“. Sie fragt sich, warum nur sie verschont geblieben ist und ob es noch andere Überlebende gibt. Nachdem sie mit Stöcken die Wand markiert hat, erkennt sie deren Verlauf: Sie ist eingesperrt. Panik. Luchs, der Hund, heult nach seinem verlorenen Herrn. Sie schläft nur noch mit einem Gewehr, das geladen neben dem Bett hängt.
Anderntags findet Luchs eine brüllende Kuh, die zwei Tage nicht gemolken worden ist, und treibt sie mit der Frau zum Jagdhaus. Sie erleichtert die Kuh, die sie Bella nennt, von ihrer schmerzenden Last. Auch Bella hat eine blutende Schnauze. Weil sie eine Verpflichtung darstellt, betrachtet sich die Frau nun als Gefangene. Sie beginnt ihren Bericht, den sie an einem 5. November beenden wird, weil ihr das Papier ausgeht. Anhand der Zündhölzchen kann sie ausrechnen, wie lange sie in der Lage sein wird, einmal pro Tag Feuer anzuzünden: zweieinhalb Jahre. Ihre Überlebensfrist.
Denn schon am 27. Oktober fällt der erste Schnee. Nachdem sie Kartoffeln geerntet und Heu eingebracht hat – ungewohnte, harte Arbeit -, zieht sie sich mit einer Katze und mit Luchs ins Haus zurück. Eines der Jungen der Katze, die schneeweiße „Perle“, ist schon gestorben. Draußen in der Wildnis ist das Kätzchen angegriffen und so schwer verletzt worden, dass es in der Hütte gestorben ist, vor den Füßen der Frau. Der Tod ist heimgekommen.
Der Kampf ums Überleben geht weiter, Rehe sind im Winter erfroren, und eine weiße Krähe ist aufgetaucht, die die Frau füttert, bis sie zahm ist. Sie hilft Bella bei der Geburt eines Kalbes, und es geht wieder hinauf auf die Alm. Aber diese ist nicht mehr verlassen …
Mein Eindruck
Die Geschichte ist durchweg sehr einfach in der sprachlichen Gestaltung. Die meisten Beschreibungen drehen sich um den Alltag der namenlosen Hauptfigur und Ich-Erzählerin, die sich von einer Städterin überraschend schnell zu einem „planenden Ackerbauer“ entwickelt. Sie kann offenbar auf viele Kenntnisse zurückgreifen, die ein Stadtmensch nicht besitzt. Das verwundert nicht, wenn man weiß, dass die Autorin die Tochter eines Revierförsters war. Und in den 20er und 30er Jahren, als sie aufwuchs, kannte man noch viele Dinge über das Landleben und beherrschte entsprechende Fähigkeiten. Für uns heutige Stadtmenschen wird der Roman zu einem Ausflug in eine archaische Welt, die am ehesten noch an realistische Fantasyromane erinnert.
Das bedeutet nicht, dass die Hauptfigur keine Zeit zum Denken hätte. Kalte Winterabende und verregnete Nachmittage können sehr lang sein, wenn man ganz allein ist auf der Welt. Beim Denken grübelt sie natürlich über die Ursachen und Folgen der drastischen Veränderung der Welt nach. Wenn ein Krieg die Ursache war und alles außerhalb der Wand tot ist, dann müssten auch die Kinder der Frau tot sein. Sie wagt nicht, sich das vorzustellen. Sie fragt sich, wo die Sieger bleiben, die ja das leere Land besetzen müssten. Kein einziger Sieger taucht jemals auf. Es muss ein furchtbarer Krieg sein, der keinen Sieger kennt – etwa ein Atomkrieg.
Nachdenken über die Frau an sich
Und obwohl sie nun auch über Begriffe wie Ehre, Freiheit und Liebe nachdenkt, ist es doch etwas anderes, was ihre Tätigkeiten anschaulich vor Augen führt. Es ist die Selbstverwirklichung einer Frau unter den – unrealistischen, weil utopischen – Bedingungen einer Isolation von jeglicher männlicher Dominanz und Einengung. Die Frau entdeckt eine Gegenwelt ohne soziale und technologische Zerstörung, ja, aber nur in ihrem eng umgrenzten, von der Wand beschützten Bereich. Diese Wand ist schon bald kein Hindernis mehr, sondern Teil ihres Ichs, an den sie nicht mehr denkt, weil sie ihn als gegeben hinzunehmen gelernt hat.
Das bedeutet aber nicht, dass hier kein Mann auftauchen kann. Als es unvermittelt dazu kommt, entlädt sich das Aufeinanderprallen der beiden Existenzwelten in einer Explosion tödlicher Gewalt. Drei Lebewesen kommen um. Danach ist das Leben der Frau erheblich ärmer, aber sie sieht auch jetzt noch einen Silberstreif am Horizont. Sie will nicht zulassen, dass die weiße Krähe stirbt.
Unterdrückung vs. Entfaltung
Nach Meinung von Literaturlexika ist es das Anliegen der Autorin, „die Unterdrückungsmechanismen aufzudecken, denen die Frau (also vor der Frauenbewegung) in einer patriarchalischen Gesellschaft ausgesetzt ist. Das entspricht einem Diktum von Simone de Beauvoir aus dem Jahr 1951: ‚Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.‘
Die Bereitschaft der Frau, die ihr zugewiesene Rolle hinzunehmen, und das Scheitern weiblicher Ausbruchsversuche werden psychologisch aus frühkindlichen Erfahrungen [der Autorin] abgeleitet.“ Die einfache Sprache ist dennoch auf subtile Weise ausdrucksstark; sie deutet tiefe Emotionen lediglich leise an. Tiere – im Roman etwa der Jagdhund Luchs – sind die Spiegel dieser Gefühle und dürfen sie deutlicher zeigen. Die Hauptfigur in „Die Wand“ legt ein außergewöhnliches Einfühlungsvermögen für alle Tiere an den Tag, die ja ihre einzigen Freunde sind.
Angeblich wirken die Zwänge des Frauenalltags blockierend auf die weibliche Persönlichkeitsentfaltung, und eine Folge sei die geistige und psychische Isolation. Die Autorin hat in Romanen wie „Eine Handvoll Leben“ (1955), „Die Tapetentür“ (1957) und „Die Mansarde“ (1969) dieses Thema variiert. In ihrem bekanntesten Roman, der negativen Utopie „Die Wand“, der im Jahr 1963 erschien, hat die Isolation eine symbolhafte Gestalt angenommen: eine transparente, ringsum eingrenzende Wand.
Diesmal engt die Wand nicht nur ein, sondern beschützt auch einen Spielraum für die Entfaltung einer Frau. Das Auftauchen eines Mannes bedroht diese Existenzform, wird keineswegs als Gelegenheit zur Fortpflanzung erkannt und genutzt, sondern führt vielmehr zu Zerstörung von Leben. Wahrscheinlich, so legt die Chronistin nahe, aufgrund eines Missverständnisses. Ist das nicht typisch für das Verhältnis zwischen Frauen und Männern?
Heidi-Land ist abgebrannt
„Die Wand“ ist also weit davon entfernt, eine Bergidylle à la „Heidi“ aufzubauen und zu befürworten. Hier, wo der Wildbach rauscht, kommen auch keine feschen Förster und Wilderer nächtens zu den Dirndln, um an ihre Stubenfenster zu klopfen. Das Bild, das die Autorin zeichnet, ist vielmehr das eines fortwährenden Kampfes ums nackte Überleben, wie sie es selbst als Förstertochter kennen gelernt haben dürfte. Was sie befürwortet, ist die Hand der Frau, die das Gedeihen und Wachsen von Flora und Fauna fördert, wohingegen der Mann, als er dann auftaucht, lediglich zerstört. Doch auch diese Utopie ist nur begrenzt haltbar: zweieinhalb Jahre, dann sind alle Zündholzer verbraucht.
Exkurs: Frauen-Utopias
Interessant wäre es auch gewesen, zwei oder mehr Frauen zusammen leben zu lassen. Die Zahl der weiblichen, um nicht zu sagen: feministischen Utopias ist nicht gerade groß, aber es gibt sie doch in einer beachtlichen Anzahl. Selbst männliche Großliteraten wie Gerhart Hauptmann haben sich darin versucht („Die Insel der Großen Mutter“, 1924). Später zählten „Herland“ und andere Inselwelten in der Tradition von Samuel Butlers „Erewhon“ (= „nowhere“ rückwärts geschrieben) dazu.
In den siebziger und frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden auch in Science-Fiction und Fantasy Frauenutopias, so etwa „Der Strand der Frauen“ von Pamela Sargent, „Planet der Frauen“ von Joanna Russ und „Die Frau am Abgrund der Zeit“ von Marge Piercy.
Wegweisend ist auch Ursula K. Le Guins preisgekrönter SF-Roman [„Die linke Hand der Dunkelheit“ 785 (auch „Winterplanet“), in dem die Angehörigen der einheimische Bevölkerung des Planeten Gethen vor ihrem Fruchtbarkeitszyklus nicht wissen, ob sie männlich oder weiblich sein werden. Da gibt es für Außenweltler interessante Entdeckungen zu machen, z. B. in einer Monarchie …
Die Sprecherin
Elisabeth Schwarz verfügt über eine angenehme, reife Stimme, die sie eindrucksvoll zu modulieren versteht. Kein Wunder, denn sie ist ja bereits seit Jahrzehnten Schauspielerin. Aber das sind andere Sprecherinnen auch, und doch ist damit noch nicht gesagt, ob man ihnen auch gerne zuhört. Bei Schwarz ist das jedoch der Fall. Man hört ihr die Anteilnahme am Schicksal der Chronistin von „Die Wand“ an. Ihr Vortrag ist ebenso subtil im Ausdruck wie der Text selbst. Ich habe festgestellt, dass man ihn öfters hören sollte. Man kann immer wieder Neues dabei entdecken.
Unterm Strich
„Die Wand“ ist einer der grundlegenden Texte der so genannten „Frauenliteratur“ – Literatur von, für und über Frauen. Zur Zeit der Frauenbewegung, also in den 60er, 70er und frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, fand die negative Utopie der Autorin viel Beachtung. Aber auch heute noch ist es interessant und vor allem bewegend zu lesen, wie eine isoliert lebende Frau lernt, selbständig zu überleben, obwohl sie von den Annehmlichkeiten der städtischen Zivilisation und von jeglicher männlicher Unterstützung (Landarbeit ist verdammt harte Arbeit!) abgeschnitten ist.
Dabei sollte man nicht übersehen, dass als Ursache für die Ausgrenzung offenbar eine neue Art von Krieg dient: Die Geheimwaffe hat alles Leben jenseits der „Wand“ erstarren lassen und abgetötet. Doch die Sieger marschieren nicht ein. (Die Autorin erlebte die Nazis in Wien und Graz, wo sie 1940ff studierte.) Als endlich doch einmal ein Mann auftaucht, ist das Ergebnis wieder einmal ein Missverständnis und die Zerstörung von Leben, so als wäre der Krieg, die technologische, von Männern befohlene Zerstörung, in das Tal der Frau eingedrungen.
Das Szenario erinnert an andere Bücher über das Überleben von Frauen nach einem verheerenden Krieg, sei er nun atomarer, chemischer oder gar biologischer Natur. (Es gibt einen Comic namens „Y“, in dem nach einer Seuche nur ein einziger Mann überlebt hat, die Frauen aber die Zivilisation weiterführen. Als er in ihrer Mitte auftaucht, gibt es ein paar recht hässliche Szenen.)
Die Sprecherin vermittelt die bewegenden Bilder und Szenen, die die Autorin ihrer Chronistin in den Mund legt, ebenfalls ausdrucksstark, aber dabei nicht übertrieben, sondern subtil. Ich könnte ihr stundenlang zuhören.
Hinweis
Das Buch wurde bereits 2002 vom kleinen Verlag |Hörsturz| vertont, mit der Schauspielerin Julia Stemberger („Der König von St. Pauli“). Die aktuelle, ebenfalls gekürzte Fassung ist preisgünstiger.
140 Minuten auf 2 CDs
Hörbuch Hamburg
ISBN 3899031962
ISBN-13: 978-3899031966
Mit der Eisenbahn will der Journalist Tom Langdon von Washington, D.C., bis nach Los Angeles fahren, um sein Versprechen bei seiner Freundin Lilya Gibson einzulösen – sie zu Weihnachten zu besuchen. Die Menschen, die er auf seiner Reise trifft, werden sein Leben beträchtlich verändern. Und als der Zug in den verschneiten Rocky Mountains in einem Schneesturm stecken bleibt, kommt es zu einer dramatischen Entscheidung.
|Der Autor|
David Baldacci ist der Verfasser u. a. von „Der Präsident“, das Clint Eastwood unter dem Titel „Absolute Power“ verfilmt hat. Der frühere Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist lebt in Virginia, USA. Weitere Baldacci-Hörfassungen bei Lübbe: „Das Labyrinth“, „Das Versprechen“, „Der Abgrund“, „Die Versuchung“, „Die Verschwörung“ und „Die Wahrheit“.
|Der Sprecher|
Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon zahlreiche Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken.
_Handlung_
Tom Langdon ist bereits über 40, also praktisch schon scheintot. Der frühere Kriegsberichterstatter und Globetrotter hat seine jugendlichen Illusionen über seine Möglichkeiten, die Welt zu verbessern, verloren. Jetzt schreibt er für Handwerker- und Frauenmagazine über Selbstverbesserung und die Verschönerung des Heims. Er lebt relativ allein, seit seine frühere Lebensgefährtin Eleanor Carter sich von ihm getrennt hat. Vor kurzem sind obendrein seine Eltern gestorben, und er selbst könnte ein paar Selbstverbesserungstipps gut gebrauchen.
Tom hat seiner Freundin Lilya Gibson versprochen, zu Weihnachten nach Los Angeles zu kommen, um mit ihr die Feiertage am schönen (wenn auch teuren) Lake Tahoe zu verbringen. Er hofft, die Zwei-Küsten-Fernbeziehung durch traute Zweisamkeit zu vertiefen. Doch erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt. Weil er bei einer der ätzenden Sicherheitskontrollen auf einem New Yorker Flughafen die Nerven verlor, wird er zu zwei Jahren inneramerikanischem Flugverbot verdonnert – und das ist noch ein mildes Urteil, findet die Richterin. Folglich kann Tom nicht wie geplant nach L.A. düsen, sondern muss den Zug nehmen. Es soll eine denkwürdige Reise für ihn werden.
|Die Reportage|
Um aus der Not das Beste zu machen, beschließt Tom, einem Wunsch seines Vaters zu folgen und wie einst sein Urahne Mark Twain auf der Transamerikafahrt eine Reisereportage zu schreiben. Dafür fährt er standesgemäß mit den noblen Zügen „Capital Limited“, der ihn bis Chicago bringt, und mit dem „Southwest Chief“ über Colorado nach Los Angeles. Er träumt von einem riesigen Schlafwagenabteil, wie es sich einst Cary Grant und Eva-Marie Saint in Hitchcocks Thriller „Der unsichtbare Dritte“ teilen durften.
An Bord stellt er fest, dass sein Abteil nur den Ansprüchen einer Sardine genügen dürfte. Die Wand des Bades lässt sich zudem beiseite schieben, um ins Nachbarabteil zu gelangen – sehr praktisch, aber auch sehr gewöhnungsbedürftig. Diverse interessante Fahrgäste gibt es kennen zu lernen. Einer dicken Frau namens Agnes Joe muss er ständig aus dem Weg gehen, sie ist seine Abteilnachbarin. Bald merkt er, dass ein Taschendieb ebenfalls den Zug zu seinem Arbeitsgebiet erkoren hat – sein Füller ist weg und ebenso diverse Objekte anderer Fahrgäste. Und dann sind da noch „die Filmleute“.
|Die Filmleute|
Bei seiner Recherche im Zug stößt Tom schließlich auf Max Powers, einen berühmten Hollywood-Regisseur, der bereits viele Preise gewonnen hat. Selbstredend reist Max nicht alleine. Er hat seinen Assistenten Cristobal und seine Drehbuchschreiberin dabei. Er plant nämlich, einen Film auf einem Zug drehen. Zu Toms maßlosem Erstaunen stellt sich die Drehbuchschreiberin als seine frühere Lebensgefährtin Eleanor Carter heraus.
Die ist allerdings gar nicht entzückt über die Begegnung: Sie gibt immer noch Tom die Schuld an der Trennung. Tom hingegen ist sich keiner Schuld bewusst. Eleanor hofft, er werde endlich mal erwachsen. Wovon, zum Geier, redet sie?, fragt sich Tom. Der nichts davon ahnende Max spannt Tom sogleich zum Drehbuchschreiben an; er und Eleanor würden sich bestimmt prächtig ergänzen. Von einem verlobten Pärchen werden sie gebeten, als Trauzeugen zu fungieren. Na, großartig.
Mit Ach und Krach schafft es der Zug nach Chicago. Tom schafft seinerseits beinahe schon die Aussöhnung mit Eleanor, die ihn trotz allem immer noch zu lieben scheint – da taucht Lilya Gibson auf. Die Überraschung ist Toms Freundin wirklich gelungen. Zu allem Überfluss macht sie ihm einen Heiratsantrag, denn sie will eine Familie mit mindestens acht Kindern gründen. Auf diesen Schrecken braucht Tom erst einmal eine wohldosierte Überdosis Alkohol.
|Der Schneesturm|
Während sich Eleanor und Lilya noch kabbeln, sobald sie erkannt haben, mit wem Tom gerade zusammen ist, erreichen schlechte Nachrichten von der Wetterfront den Zug. Auf der Westseite der Rocky Mountains hat sich ein Jahrhundertsturm zusammengebraut, der nun seine Schneemassen Richtung Süden voranschiebt. Die kritische Stelle ist der hoch gelegene Pass, den der Zug überwinden muss, will er die Ebenen von New Mexico erreichen. Der Pass selbst wird zwar von einem 800 m langen Tunnel unterquert, doch wer weiß, was sich auf der anderen Seite dem Zug entgegenstellt? Schneewehen, Lawinen, Felsbrocken?
Wie es der Eisenbahnveteran Higgins vorhergesagt hat, tritt der schlimmste Fall ein, und der Zug bleibt gleich neben einem Abgrund stehen. Dass er mit der nächsten Lawine in denselben zu kippen droht, ist nicht das drängendste Problem. Die Rettungskräfte können den Zug im Schneesturm nicht finden, geschweige denn erreichen. Die 340 Passagiere müssen also längere Zeit warten. Das geht aber auch nicht unbegrenzt: Sobald der Treibstoff verbraucht ist, fällt der Strom ebenso aus wie die Heizung. Werden die Leute in wenigen Stunden erfrieren?
Tom trifft eine dramatische Entscheidung. Er wird versuchen, das nächste Berghotel zu Fuß zu erreichen, um Hilfe zu holen. Erstaunt stellt er fest, dass Eleanor nicht davon abzubringen ist, ihn in den Schneesturm zu begleiten.
_Mein Eindruck_
Vor wenigen Jahren lieferte John Grisham mit dem verfilmten Roman [„Das Fest“ 292 (Skipping Christmas) eine perfekte Weihnachtssatire ab, die mir sehr viel Spaß bereitete. Nun ist sein Kollege David Baldacci dran, der in der Disziplin der X-mas-Story mindestens ebenso erfolgreich ist.
Die Handlung dieses „Weihnachtsmärchens“ ist an keiner Stelle langweilig und sorgt schon nach wenigen Minuten für gespannte Nerven und ein ein wohltrainiertes Zwerchfell. Die originellen Figuren wie etwa Agnes Joe oder der Ex-Pfarrer Kelly sind klar gezeichnet und werden bis zum Schluss eine Rolle spielen. Der ganze Hintergrund in zeitlicher, räumlicher und technisch-kultureller Hinsicht ist sauber recherchiert: Der Zug „Capital Limited“ hat ebenso seine Geschichte – etwa durch Mark Tawin – wie Tom Langdon selbst. Die Spieler haben die Bühne betreten, nun kann der erste Akt beginnen.
Die Handlung zielt selbstverständlich wie in jeder anständigen Romanze auf die Vereinigung der Liebenden, sprich: von Tom und Eleanor. Da dies aber eine Weihnachtsgeschichte ist, fehlt uns irgendwie noch die Rolle des Santa Claus. Keine Angst: Auch der ist mit an Bord. Damit alles ein wenig spannender wird, tauchen noch Eleanors Widersacherin, die Stimmenimitatorin Lilya Gibson, und der Taschendieb auf, der für erhebliche Unruhe sorgt.
Die Krise tritt natürlich auf dem Bergpass ein, als der Zug stecken bleibt und alle Passagiere sich mit einem vorzeitigen Lebensende konfrontiert sehen, das nicht im Fahrplan stand, und mit einer postmortalen Reise, für die sie kein Ticket haben. Jedenfalls sorgt die Katastrophe dafür, dass sich alle beträchtlich näher kommen und Solidarität gegenüber den Schwächeren üben: brave Amerikaner. Und wenn Tom und Elli nicht im Schneesturm umkommen, dann leben sie noch heute.
|Der Sprecher|
Selten hat Ulrich Pleitgen sein Stimmtalent derart vielseitig ausspielen dürfen. Es ist ein Vergnügen, ihm zuzuhören, wenn er die Stimmung einer Szene voll zur Geltung bringt. Sein eigenes Vergnügen ist ebenfalls herauszuhören, so etwa dann, als sich die dicke Agnes Joe amouröse Avancen von dem etwas belämmerten Tom Langdon erhofft (die Badwand ist offen!) und einen eindeutig zweideutigen Tonfall anschlägt.
Aber auch zur Komik gibt es reichlich Anlass. Und das betrifft nicht so sehr den Humor zwischen bereits gut abgefüllten Männern (Frauen haben sich offenbar nicht zu besaufen) wie etwa Max und Tom. Das betrifft zum Beispiel die Szene, in der Lilya Tom ihren Heiratsantrag macht. Wie in einer ordentlichen Screwball-Comedy stellt die Lady die von der Gesellschaft abgesegneten Verhältnisse – nur Männer dürfen Heiratsanträge machen – kurzerhand auf den Kopf und packt in ihr Horrorpaket noch acht Kinder hinein. Kein Wunder, dass Tom dadurch ein klein wenig abgeschreckt ist. – Es gibt noch zahlreiche weitere solche Szenen.
Das hindert aber einen Profi wie Pleitgen nicht daran, auch leise und geradezu intime Töne anzuschlagen. Die recht emotionalen Dialoge zwischen Eleanor und Tom kommen durch leise Töne besser zur Geltung, es sei denn, es geht um Leben und Tod. Und das tut es dann ja auch.
Das Finale ist etwas anspruchsvoller in der Dialogführung. Man muss genau aufpassen, wer was wann zu wem sagt. Denn wie in einer Komödie ist es besser, etwas zu verraten, wenn die Betreffenden nicht zugegen sind. Und Max Powers hat einiges zu erklären …
_Unterm Strich_
„The Christmas Train“ bietet perfekte Unterhaltung zum Familienfest. Hier kommen Liebende zusammen, die füreinander bestimmt waren – auch wenn sie das selbst ganz anders sehen. Und damit die Handlung sowohl für Herz und Zwerchfell als auch Adrenalinspiegel etwas bietet, sorgt der Autor mit zahlreichen geeigneten Zutaten für die entsprechende Dosis. Wer Realismus sucht, findet ihn allerdings eher woanders. Aber wer tut das schon zu Weihnachten?
Dem Sprecher Ulrich Pleitgen zuzuhören, ist ein wahres Vergnügen. Er moduliert seine tiefe Stimme auf vielfältige Weise. Ich konnte beispielsweise immer genau sagen, wann Eleanor spricht und wann Tom Langdon. Selbst ein alter Mann wie der 70-jährige Father Kelly ist genau herauszuhören. Und zu lachen gibt es, wie gesagt, hörbar auch einiges.
Auch der um rund zehn bis fünfzehn Euro herabgesetzte Preis bringt etwas zum Lachen, nämlich meinen Geldbeutel (oder das entsprechende Äquivalent). Das ganze Paket bietet also keinerlei Minus-, sondern ausschließlich Pluspunkte. So gefällt mir das: „Das Geschenk“ macht seinem Namen alle Ehre.
|Umfang: 285 Minuten auf 4 CDs
Originaltitel: The Christmas Train, 2002
Aus dem US-Englischen von Uwe Anton, Lübbe-Verlag November 2003.|
Die mehrbändigen „Chroniken von Narnia“ stehen in Großbritannien auf einer Stufe mit dem „Kleinen Hobbit“, „Alice in Wunderland“ und dem „Wind in den Weiden“. Zu Weihnachten 2005 kommt sogar eine 200 Mio. Dollar teure Verfilmung des Stoffes in unsere Kinos. Narnia ist also aktueller denn je!
Der dritte Teil der Saga berichtet von den Abenteuern eines Jungen, der ursprünglich aus Narnia kam, aber als Sklave im fernen Calormen aufwuchs. Erst als ein sprechendes Pferd namens Bree ihn mitnimmt und er ein ebenfalls entflohenes Mädchen kennen lernt, findet er seine wahre Identität heraus. Ist er ein Prinz, wie man zunächst glaubt?
_Der Autor und Narnia_
Clive Staples Lewis, der von 1898 bis 1963 lebte, war ein Freund und Kollege Professor J.R.R. Tolkiens (mehr dazu weiter unten). Dass dieser zufällige Umstand ihn auszeichnen soll, lässt darauf schließen, dass er im Bewusstsein der gegenwärtigen Leser hinter seinem bekannter gewordenen Kollegen zurückgetreten, wenn nicht sogar fast verschwunden ist. Tolkiens Stern leuchtet heller.
Dabei hat Lewis sowohl in der Fantasy als auch Science-Fiction Spuren hinterlassen. Auch in der Philosophie und Theologie schrieb er bekannte und gelobte Werke. Doch lediglich die „Chroniken von Narnia“, Fantasy für kleine und große Kinder, wurde auch verfilmt. Die Science-Fiction-Trilogie „Perelandra“, ein ambitionierter Weltentwurf, ist eben zu sperrig und dialoglastig für den heutigen Geschmack.
Viel ist in die Narnia-Romane hineingedeutet worden. Dies muss nicht alles wiederholt werden. Feststeht aber, dass die Narnia-Chroniken seit über 50 Jahren in Großbritannien zum Standard der Jugendliteratur gehören, und das sicher nicht ohne Grund – sie verbinden Abenteuer und Wunder mit einer christlichen Botschaft.
Hier kommen altbekannte Fantasythemen zum Tragen, so etwa der Gegensatz zwischen Gut und Böse. Außerdem ist Narnia eine Parallelwelt, die durch ein Tor erreicht wird; es gibt sogar Zeitreisen und andere Dimensionen. Die Bücher werden als christliche Allegorien interpretiert, aber das würde ihnen wenig gerecht: Sie sind hervorragende und bewegende Geschichten – wenn auch mit sprechenden Tieren.
Mehr Infos sind auf http://www.narnia.com und http://www.narnia-welt.de/ zu finden.
|C. S. Lewis und sein Werk bei Buchwurm.info:|
[Das Wunder von Narnia 1858
[Der König von Narnia 1758
[Hörbuchfassung 356
[Der Ritt nach Narnia 1933
[Perelandra-Trilogie 1665
[Der Reiseführer durch Narnia 1664
[C.S. Lewis – Der Mann, der Narnia schuf 1980
_Der Sprecher_
Philipp Schepmann, Jahrgang 1966, erhielt seine Ausbildung als Schauspieler an der renommierten Folkwang-Schule in Essen. Er ist laut Verlagsangaben verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Bergisch Gladbach bei Köln. Schepmann arbeitet als Sprecher und Schauspieler für Film, Funk und Theater.
_Handlung_
Es begab sich also im Jahre 1014 Narnianischer Zeitrechnung, dass König Lune von Archenland seinen verschwundenen Sohn Prinz Cor wiederfand. Dies ist die Geschichte, wie es zu diesem glücklichen Ereignis kam, über das sich ganz Narnia freute.
In Kalormen, dem südlich Narnias und Archenlands gelegenen Staat, lebt der Fischer Arashin mit seinem Sohn Shasta. Aarashin ermuntert ihn zuweilen durch Prügel zu größeren Anstrengungen. Shasta schaut häufig sehnsüchtig nach Norden: Gibt es ein anderes Leben dort für ihn?
Ein mächtiger Ritter taucht im Dorf auf, ein |tarkaan|, der bei Arashin um Essen bittet. Es wird nicht klar, warum, aber der tarkaan will Shasta kaufen. Und wie der lauschende Junge zu seinem Erstaunen erfährt, ist er gar nicht der leibliche Sohn Arashins, sondern wurde eines Tages in einem Boot gefunden, das Arashin barg. Jetzt wird Shasta auch klar, warum er blond ist, während Arashins Haar sehr dunkel ist.
Während die Männer feilschen und Shasta von einer hohen Abkunft träumt, macht sich das Schlachtross des tarkaan bemerkbar. Es spricht Shasta an! Nanu, ein Pferd, das sprechen kann? Ja, denn es stammt aus Narnia, wo alle Tiere seit der Erschaffung des Landes durch Aslan sprechen können. Shasta darf das Pferd Bree nennen. Bree hat einen Plan: Er will aus der Sklaverei durch den tarkaan ausbrechen und nach Narnia zurückkehren. Ob Shasta nicht mitkommen wolle? Der Junge willigt mit Freuden ein. Aber kann er auch reiten? Nein, kann er nicht, aber Bree bringt es ihm in den folgenden Wochen geduldig bei.
Weil aber ein ausgebildetes Schlachtross für einen Ritter ein wertvoller Besitz ist, wird der tarkaan garantiert eine Verfolgung einleiten, wahrscheinlich sogar mit Unterstützung des Tisrok, des grausamen Königs der Kalormenen. Deshalb reiten Bree und Shasta sehr schnell. Das fällt Bree nicht schwer, denn das Gebrüll von zwei Löwen in der Nähe treibt ihn an. Das gilt auch für einen anderen Reiter, mit dem sie sich bald ein Wettrennen liefern. Jenseits einer Meeresbucht sind beide Reiter in Sicherheit und haben Zeit, einander kennen zu lernen.
Die Prinzessin Aravis ist aus dem Palast ihres Vaters, des Tisrok, geflohen, indem sie eine List anwandte. Sie misstraut Shasta zunächst, doch zuerst Bree und dann ihre Stute Wynn – die ebenfalls sprechen kann – verbürgen sich für den Jungen. Also reisen sie zusammen. Sie erzählt, sie wolle nicht an den alten Knacker von einem Großwesir verheiratet werden und in einem goldenen Käfig leben müssen. Sie will zu ihrer Freundin Lazaraleen in der nahen Stadt Tashba’an.
Als abgerissene Nomaden aus der Wüste verkleidet, betreten Aravis und Shasta die Inselstadt Tashba’an. Hoffentlich sieht man ihren Pferden nicht an, dass es ganz edle Rösser sind, die sich ein echter Nomade niemals leisten könnte. Auf dem Marktplatz schlägt das Unglück zu. Eine Gruppe von Besuchern aus Narnia schnappt sich Shasta, denn sie glauben, dass er ein gewisser „Prinz Corin aus Archenland“ sei. Shasta hat weder diesen Namen noch von diesem Land jemals gehört, muss sich aber mitschleppen lassen. Vielleicht kriegt er ja etwas Gutes zu essen. Er hat nämlich mächtigen Hunger.
Auch Aravis hat ihre Schwierigkeiten in der Stadt. Sie findet ihre Freundin Lazaraleen, die sich allerdings wundert, dass Aravis ausgerissen ist. Sie selbst hat überhaupt nichts gegen das Leben in einem Palast, selbst als Nebenfrau eines alten Knackers. Dennoch verkleidet sie Aravis als Sklavin und will sie zu einer versteckten Pforte am Fluss führen, wo Aravis entfliehen kann. Doch sie kommen nicht so weit: Der Tisrok hält Kriegsrat mit seinem Großwesir und dem Prinzen Rabadasch, während die beiden jungen Frauen in einem Versteck lauschen. Der Tisrok droht: Wenn irgendetwas von dieser geheimen Unterredung verraten wird, dann ist derjenige des Todes.
Der Grund ist einfach: Rabadasch will Archenland angreifen und danach Narnia erobern, um ewigen Ruhm zu ernten. Niemand darf erfahren, dass der Tisrok diesen Kriegszug billigt oder auch nur von dem Plan weiß, sonst wird sein Land Aslans Zorn zu spüren bekommen. Die beiden Mädchen fürchten sich: Diese Staatsgeheimnisse könnten sie das Leben kosten!
_Mein Eindruck_
„Der Ritt nach Narnia“ ist ein schlagendes Beispiel dafür, dass sich auf nur zweihundert bis zweihundertfünfzig Seiten ein unterhaltsames und spannendes Kinderbuch realisieren lässt, das bis zum Rand mit Abenteuer und Action vollgepackt ist, ohne dabei an Zauber und Hoffnung einzubüßen.
Was als ein einsames Abenteuer eines einzelnen Jungen mit seinem Pferd (oder umgekehrt, je nach Standpunkt – siehe den O-Titel) beginnt, entwickelt sich allmählich zu einer regelrechten Staatsaktion, als sich Shasta bemüht, den König von Archenland vor dem heimtückischen Angriff der Kalormenen unter Rabadasch zu warnen. Wird es ihm gelingen? Oder wird die Stadt Anvard unter dem Ansturm der Kalormenen fallen und zerstört werden? Jedenfalls gibt es als Höhepunkt – mit zahlreichen Humoreffekten – eine regelrechte Schlacht. Der Ausgang darf nicht verraten werden.
|Entdeckungen|
Einer der wichtigsten Aspekte und Pluspunkte dieses schönen Buches sind Enthüllungen und Entdeckungen. Dass Shasta herausfindet, wer er in Wirklichkeit ist, wurde ja bereits angedeutet. Aber das ist ja nur eine äußere Identität. Als viel wichtiger erweisen sich innere Qualitäten, um ein Wesen zu charakterisieren, sei es Mensch, Pferd oder Fabelwesen. Auf seinem Weg nach Narnia entwickelt sich Shasta rasch weiter und entdeckt immer neue Eigenschaften an sich – zu seiner und seiner Freunde Verwunderung, zu unserer Freude.
Sein Pferd Bree, das ihn quasi adoptierte, hingegen scheint eine gegenteilige Entwicklung zu durchlaufen. Zu Anfang erscheint es Shasta als ein imposantes Schlachtross, das sich als sein Mentor betätigt. Doch zunehmend zeigen sich an Bree gewisse Charakterschwächen, zu denen nicht nur sein Dünkel zählt, sondern – leider, leider – auch Feigheit. Bree ist über diese Fehler selbst am meisten betrübt und würde sich am liebsten umbringen oder von diesem allgegenwärtigen Löwen fressen lassen, der ständig in der Nähe lauert.
Aravis jedoch scheint sich nicht allzu sehr zu verändern. Sie ist ein selbstbewusstes Mädchen, das die Freiheit einer gesicherten Zukunft in einer Zwangsehe vorzieht. Leider verkennt auch sie, ein wenig voreingenommen und von sich selbst überzeugt, die Qualitäten Shastas und ist daher sehr über seine Unternehmungslust und seinen sozialen Aufstieg überrascht.
Die Lektion, die sich in diesen Wandlungen verbirgt, ist eine für das Leben eines Kindes oder Jugendlichen wichtige: Beurteile Menschen und andere Lebewesen nicht nach dem Anschein oder so, wie du sie dir vorstellen möchtest, sondern danach, was ihre inneren Qualitäten sind.
(Gestern habe ich wieder einmal [„The Lord of the Rings“ 1330 gehört und da geht es im Kapitel „Der verbotene Teich“ intensiv um Faramirs Qualitäten: Wird er Frodo den Einen Ring rauben und ihn seinem Vater als Waffe im Kampf gegen Sauron übergeben? Oder wird Faramir Frodo den Ring lassen und ihn Gandalfs und Elronds Auftrag ausführen lassen, den Ring im Schicksalsberg zu zerstören? Es ist eine Schicksalsfrage mit weit reichenden Folgen. Sie wird in Buch und Jackson-Verfilmung unterschiedlich beantwortet.)
|Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit Gott?|
Eine ganz andere Frage ist die nach dem Wesen von Aslan, dem Löwen, der Narnia erschuf und es bis zur Gegenwart hütet. Wenn Aslan eine Inkarnation Gottes ist und er hinter all diesen Geschehnissen heimlich die Fäden gezogen hat, wo bleibt dann der freie Willen des Menschen? Das ist eine eminent wichtige theologische Frage, die Konsequenzen für Ethik und Moral hat. C.S. Lewis hätte sie wohl so beantwortet: Aslan manipuliert zwar die Ereignisse, doch rechnet er stets mit dem inneren Wesen des oder der Menschen, dass diese sich ihre eigenen Antriebe in die gewünschte Richtung bewegen bzw. lenken lassen. Ist Gott also eine Art Motivationshilfe? Es hat schon schlechtere Bilder von Gott gegeben.
|Der Sprecher|
Philip Schepmann verfügt über eine ähnlich große Fähigkeit, seine Stimme zu verstellen, wie Rufus Beck. Jede Figur erhält so ihre eigene charakteristische Stimmfärbung, um sie kenntlich zu machen. Und das sind eine ganze Menge unterschiedlichster Stimmen: Löwen, junge Frauen, wiehernde Pferde, wütende Beduinen, gebrechliche Einsiedler, selbstverständlich auch Zwerge und Faune.
Außerdem kommt dem Sprecher die moderne Technik zu Hilfe. Mal erklingen die Stimmen unisono, mal stereo, (oder trio) dann wieder mit einem Halleffekt. So ist für Abwechslung gesorgt. Bei nur vier CDs kann man in dieser Hinsicht nicht viel falsch machen. Aber es ist trotzdem eine Menge Text: fast fünf Stunden.
|Das Booklet …|
… weist nicht nur ein schönes neues Cover auf, sondern enthält auch eine Tracklist mit den Titeln der 17 Kapitel sowie Informationen über den Autor und den Sprecher. Dass sich auch jede Menge Werbung für weitere Narnia-(Hör-)Bücher findet, dürfte wohl nicht verwundern. Übrigens wird das Cover-Motiv auf den CDs selbst wiederholt, was das Einlegen und Abspielen auch zu einem optisch schönen Erlebnis macht.
_Unterm Strich_
Für Kinder ist dieses Hörbuch ein ideales Geschenk, das es durchaus mit Tolkiens „Kleinem Hobbit“ aufnehmen kann. Die Interpretation durch den Sprecher macht das Zuhören zu einem Erlebnis, dem man mit Spannung folgt. „Der Ritt nach Narnia“ ist ein unterhaltsames und spannendes Kinderbuch, das bis zum Rand mit Abenteuer und Action voll gepackt ist, ohne dabei an Zauber und Hoffnung einzubüßen. Es wartet mit zahlreichen Überraschungen, einer veritablen Schlacht und einer freudigen Entdeckung auf. Außerdem weist es so viel lehrreichen Humor auf, dass das Lesen oder Hören richtig Spaß macht und der junge Leser bzw. Zuhörer dabei etwas fürs Leben lernt.
|Die Übersetzung …|
… stammt nicht mehr von Lisa Tetzner (angefertigt 1982), sondern von Ulla Neckenauer. Sie klingt nicht mehr so betulich und antiquiert, sondern straff und modern. Aber es gibt immer noch ein paar Stolpersteine für junge Leute, die mit den ulkigen deutschen Wortformen des Konjunktivs nicht vertraut sind. Sie werden sich wohl fragen, was denn, bitteschön, „einlüde“ bedeutet. Dabei handelt es sich um den Konjunktiv II von „einladen“. Sie würden heute also „würde einladen“ sagen, jedenfalls in der Umgangssprache. Aus dieser ist der altehrwürdige Konjunktiv II fast völlig verschwünden, weil er so gestelzt klingt.
|Originaltitel: The Horse and His Boy, 1954
Aus dem Englischen übersetzt von Ulla Neckenauer
291:45 Minuten auf 4 CDs|
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