Scott, Lisa – Mord unter Schwestern

Blut ist dicker als Wasser. Normalerweise. Im Fall von Bennie Rosato hat man da allerdings seine Zweifel, denn ihre eineiige Zwillingsschwester Alice, die getrennt von ihr aufgewachsen ist und die sie erst vor zwei Jahren kennen gelernt hat, macht ihr das Leben zur Hölle.

Dabei hat Bennie eigentlich schon genug Probleme. Ihre Kanzlei, die sie sich über die Jahre aufgebaut hat, bekommt die Rezession in Amerikas Wirtschaft deutlich zu spüren. Der momentan einzige Mandant eröffnet der ehrgeizigen Anwältin nach dem gewonnenen Prozess, dass er insolvent ist und sie nicht bezahlen kann.

Bennies Hoffnung, ihre Kanzlei doch noch vor dem Untergang retten zu können, wird dadurch zunichte gemacht. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ein französische Hersteller von optischen Linsen, der nach Amerika expandiert hat, engagiert sie, um eine Gruppenklage gegen einen amerikanischen Industrieverband zu führen, der das Wettbewerbsgesetz verletzt hat. Obwohl weder Bennie noch ihre Angestellten Erfahrung mit Gruppenklagen haben, erklären sie sich dazu bereit, Robert St. Amien zu unterstützen.

Zur gleichen Zeit taucht Bennies kriminelle Zwillingsschwester Alice wieder in Philadelphia auf und versucht alles, um ihre Schwester in Verlegenheit zu bringen. Sie kleidet sich wie sie, stürzt in einer Bar ab, klaut ein paar teure Diamantenohrringe und versucht Bennies Hund zu töten. Sie will den Ruf ihrer Schwester zerstören, was ihr auch beinahe gelingt.

Doch dann wird Bennies Aufmerksamkeit von einem ganz anderen Problem gefesselt: Robert St. Amien, die Rettung ihrer Kanzlei, wird auf offener Straße erstochen. Während die Polizei an einen Touristenmord glaubt, wie er vor kurzem schon einmal passiert ist, ist Bennie fest davon überzeugt, dass die Anwälte und andere Kläger der Gruppenklage ebenfalls einen Grund gehabt hätten, St. Amien zu beseitigen. Sie beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und bringt sich dabei in tödliche Gefahr …

„Mord unter Schwestern“ fühlt sich anfangs an wie ein amerikanischer Gerichtsthriller, letztendlich dreht sich die Geschichte aber um Bennies Leben, ihre Kanzlei und den Mord an St. Amien. Scott schafft es dabei, eine starke Sogwirkung zu entfalten, indem sie die teilweise rätselhaften Ereignisse, welche die Spannung noch steigern, schnell aufeinander folgen und von einer sympathischen, erfrischend unkonventionellen Erzählerin zusammenhalten lässt.

Bennie, die Erzählerin, schreibt allerdings nicht aus der Ich-Perspektive, sondern aus der dritten Person. Die Autorin schafft es trotzdem, die Anwältin so lesernah wirken zu lassen wie aus der Ich-Perspektive erzählt, was auf jeden Fall von Vorteil ist. Ebenfalls sehr vorteilhaft sind die witzigen, teilweise selbstironischen Bemerkungen, die immer wieder in den Text einfließen und Scotts Schreibstil prägen.

|“Bennie war wie betäubt. Sie konnte nicht rechnen, weil das Blut so laut in ihren Ohren rauschte. Allerdings konnte sie auch nicht rechnen, wenn kein Blut in ihren Ohren rauschte.“| (Seite 29)

Die Autorin stellt ihre sympathische Protagonistin gerne durch derartige Bemerkungen bloß, was Bennie Rosato unperfekt und dadurch authentisch wirken lässt – was bei amerikanischen Krimis und Thrillern ja nicht immer an der Tagesordnung ist.

Doch nicht nur anhand von Bennie schafft es die Autorin, die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln. Die Handlung erweist sich als vielschichtiger Plot, der nie zerfasert, sondern Spannung aus allen möglichen Ecken bezieht. Neben dem Mordfall sind da noch die zufälligen Verstrickungen, in die Bennie dank ihrer Zwillingsschwester gelangt, und die Angst um die Kanzlei. Dadurch, dass immer wieder ein Hoffnungsschimmer auftaucht, der dann wieder zerfasert wird, fiebert der Leser bis zum Ende mit. Gleiches gilt für die rechtlichen Auseinandersetzungen, die Scott kurzweilig und interessant gestaltet, so dass auch ein Laie versteht, was vor sich geht.

Eigentlich ist bei „Mord unter Schwestern“ alles in Ordnung. Kurzweilig, spannend, packend ist das Buch, doch das dicke Ende kommt erst noch. Dann nämlich reimt sich Lisa Scott eine absolut unbefriedigende, da an den Haaren herbeigezogene Lösung des Mordfalls zusammen, der ein überzogener und unlogischer Showdown vorausgeht.

Wieso ist die Lösung unbefriedigend? Der wirkliche Täter ist einfach zu überraschend. Bennie, die mit ihren Angestellten wider die Belehrung von Detective Needleman auf eigene Faust ermittelt, findet schnell ihren Kreis von Verdächtigen, doch der eigentliche Täter war darin (natürlich) nicht vorgesehen. Dummerweise legt die Autorin auch keinerlei Spuren im Vorfeld, die sanft in dessen Richtung zeigen. Dadurch wirkt das Ende sehr überraschend und, wie bereits erwähnt, nicht gerade logisch.

Wenn Scott vorher nicht 380 Seiten packende Literatur abgeliefert hätte, wäre es um dieses Buch geschehen. Obwohl die Protagonistin und der mit ihr eng verknüpfte, humorgeprägte und genaue, aber nicht ausschweifende Schreibstil mehr als gefallen, sorgt das Ende der spannenden Handlung für einiges Stirnrunzeln. „Mord unter Schwestern“ schwächelt auf den letzten dreißig Seiten, und das ist traurig, denn sonst wäre das Buch eine Empfehlung cum laude gewesen.

http://www.blanvalet-verlag.de

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