Åke Smedberg – Verschollen. Ein Fall für John Nielsen

Tod in den Wäldern von Jämtland

Eines Tages verschwindet die neunzehnjährige Anna-Greta Sjödin spurlos in den einsamen Wäldern Nordschwedens. Ihre Leiche wird nie entdeckt, der Täter entkommt ungestraft. Bis der Journalist John Nielsen den Fall dreißig Jahre später wieder aufrollt und sich auf die Suche nach dem Schuldigen macht. Doch die Geister, die er ruft, werden ihm alsbald zur tödlichen Bedrohung: Denn ein unheimlicher Unbekannter beginnt mit Nielsen ein grausames Spiel… (Verlagsinfo)

„Ein Krimi, der die Nächte kurz werden lässt. Åke Smedberg dürfte nicht nur am skandinavischen Himmel zum Krimistar werden.“ SWR

Dieser Bericht beruht auf der Ausgabe bei RM Medien (2005).

Der Autor

Åke Smedberg (* 28. Juni 1948 in Hjässberget, Schweden) ist ein schwedischer Schriftsteller. Seit 1976 hat er eine Reihe von Gedichtbänden, Kurzgeschichten und Romanen veröffentlicht. Seine drei Kriminalromane mit dem Journalisten John Nielsen als Ermittler wurden ins Deutsche übersetzt und sind im Goldmann Verlag erschienen. Er wurde in Schweden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter 2001 mit dem Ivar-Lo-Preis und mit dem schwedischen Krimipreis für das beste Krimi-Debüt. (Quelle: Wikipedia.de)

• Verschollen. Roman. Goldmann, München 2003, ISBN 978-3-442-45844-8
• Tod im Sommerhaus. Roman. Goldmann, München 2006, ISBN 978-3-442-46188-2
• Vom selben Blut. Roman. Goldmann, München 2007, ISBN 978-3-442-46499-9

Handlung

Der Journalist John Nielsen hat sich mit seinen Artikeln auf verschollene und vermisste Personen spezialisiert und damit ein großes Echo hervorgerufen. Das ist auch der Grund, warum ihn in aller Herrgottsfrühe ein Polizist aus dem entlegenen Jämtland anruft: Es gebe eine neue Entwicklung im Fall der seit 30 Jahren vermissten Anna-Greta Sjödin. Nielsen fährt sofort hin.

Wachtmeister Olle Ivarsson weiß Erstaunliches zu berichten: Die Bürgerwehr, die in dieser waldreichen Gegend auf Einbrecher lauert, ist einem üblen Kerl in die Quere gekommen, der nicht nur die Knochen einer vergrabenen Leiche ausbuddelte, sondern einen Vertreter der Bürgerwehr derart brutal verletzte, dass der ins Krankenhaus gefahren werden musste. Außerdem zwang der Kerl einen Anwohner mit ähnlich brutalen Methoden, ihm die Schlüssel seines Wagens auszuhändigen. Inzwischen sei er wohl über alle Berge.

Gemeinsam sinnen Nielsen und Ivarsson über den Fall Anna-Greta Sjödin nach, den der Polizist seit 30 Jahren – mit Unterbrechungen – bearbeitet. Er ist überzeugt, dass die 19-Jährige damals ein Rendezvous mit einem Unbekannten plante. Warum sonst hätte sie nicht in ihr Elternhaus gehen sollen, vor dem ihre Freunde sie nach einem Campingausflug abgesetzt hatten? Dafür, dass der Fall Sjödin unvergessen blieb, sorgte Anna-Greta Vater, dessen Familie und Leben durch das Verschwinden seiner Tochter zerstört wurde. Der Alte ging auf eigene Faust auf Spurensuche, schrieb sämtliche Zeitungen und wetterte gegen die „unfähige“ Polizei von Jämtland. Olle Ivarsson hält den Alten für fähig, jene Postkarte aus Griechenland geschickt zu haben, die nur wenige Tage nach dem Tod des Alten eintraf. Sämtliche Nachforschungen liefen ins Leere. Tja, und jetzt das. Die Forensik bestätigt die Übereinstimmung der beinahe geraubten Knochen mit der DNA von Anna-Greta Sjödin.

Der direkte Nachbar der Sjödins namens Einar Westling wird von Nielsen und Ivarsson befragt. Auch dieser Mann ist von seiner Familie nach jenen Vorfällen verlassen worden. Dass Anna-Gretas Vater ihn, den besten Freund der Familie, einer solchen Bluttat verdächtigte, ja, sogar bezichtigte, gab Einar damals den Rest. Diesmal hat er jedoch eine Beobachtung beizutragen, die nicht in der Mordakte steht: Er hörte damals in der Nacht ein Auto, das über einen holprigen Waldweg über den Berg ins Tal kam – und auch dorthin wieder verschwand.

Altes Feuer

Nach einem sehr unschönen Zwischenfall im lokalen Pub verzieht sich Nielsen wieder nach Hause, nicht ahnend, dass sein Heim inzwischen verwanzt worden ist. Jede seiner Reisen wird überwacht. So auch die nächste, die er antritt, als Ivarsson ihm mitteilt, dass zwei weitere Leichenfunde gemacht wurden und Kennet Eriksson, dessen Wagen seinerzeit von dem Unbekannten gestohlen wurde, spurlos verschwunden ist. Vermutlich sei er nur in Urlaub gefahren, meint Ivarsson.

Das letzte lebende Mitglied der Sjödin-Familie will nicht reden, verweist ihn aber an Bernt Larsson. Dieser klein geratene Mann scheint kein geregeltes Einkommen zu haben, besitzt aber drei Autos. Aber Larsson, der alles andere als ein Freund der Polizisten ist, weiß sehr viel mehr über Anna-Greta, die Sjödins und ihre Clique. 1972 herrschten noch andere Sitten hier draußen im Jämtland: Viele Hippies veranstalteten Drogenpartys. Diese Aussage wird von der Krankenschwester Marianne Linde, die früher Anna-Gretas Schule betreute, bestätigt. Die Mädchen wollten über Verhütung aufgeklärt werden, die Jungs nicht. Und Anna-Gretas Freundin Desiree Härlin hatte Mukoviszidose, eine Krankheit, die ihr einen frühen Tod, etwa mit 30, in Aussicht stellte. Kein Wunder also, dass Desiree sehr lebenshungrig war und jede dieser Partys besuchte.

Doch Desiree und ihr ebenfalls adoptierter Halbbruder Kaj, der auf sie aufpasste, sollen laut Ivarsson bei einem gewaltigen Brand in ihrem Elternhaus ums Leben gekommen sein. Daran hat Bernt Larsson schwere Zweifel. Man fand zwar die Überreste der durch Sprengstoff in Fetzen gerissenen Eltern, aber nichts von den beiden Kindern. Wenn Desiree wirklich bereits an ihrer Krankheit gestorben sei, dann könnte Kaj heute noch am Leben sein. Und mit dem sollte sich keiner anlegen, weiß Bengt aus eigener Erfahrung. Larsson vermittelt Nielsen einen Hinweis, der auf den Verbleib von Kaj Härlin hinweisen soll…

Mein Eindruck

John Nielsen ist ein gewöhnungsbedürftiger, etwas unsympathischer Charakter. Seine Empathie hält sich sehr in Grenzen, aber man kann ihm nicht absprechen, dass er als Sprecher für die Toten durchaus bewährt. Sein Problem ist eher seine Unbedarftheit. Er ist hinsichtlich polizeilicher Ermittlungsmethoden kaum im Bilde, geschweige denn auf dem laufenden. So kommt ihm nie der Gedanke, dass Olle Ivarsson selbst ein zwielichtiger Typ ist, dem er mal auf den Zahn fühlen sollte. Kein Wunder, dass Ivarsson eines Tages spurlos verschwindet.

Als wäre dies eine Initialzündung, fordert Nielsen mehrere Ermittlungsakten an – und stößt auf mehrere Ungereimtheiten. Sie laufen alle darauf hinaus, dass hier etwas mit den Identitäten der befragten nicht stimmt. Welche Konsequenzen dies für ihn selbst als Schnüffler haben könnte, kapiert Nielsen ebenfalls reichlich spät. Ein Mikael Blomkvist von MILLENNIUM ist an ihm jedenfalls nicht verlorengegangen. Erst als sein treuer Hund eine schauriges Schicksal erleidet, schwant Nielsen, dass ihm sein unsichtbarer Gegner gleich unmittelbar auf die Pelle rücken wird.

Die Übersetzung

Die Übersetzung ist durchaus gelungen, löste bei mir aber eher Verwunderung gegenüber den schwedischen Kritikern aus, die den Roman in höchsten Tönen lobten. Die deutsche Erstausgabe erschien 2002 bei Goldmann, drei Jahre später bei RM Medien, also ebenfalls bei Bertelsmann.

Ich war sehr erfreut, kaum einen Druckfehler entdecken zu müssen, bis auf einen.

S. 283: „jemand auf dem Wag nach Hause…“ Statt „Wag“ sollte es wohl korrekt „Weg“ heißen.

Unterm Strich

Viele Zeitschriften und Sender loben diesen Kriminalroman über den grünen Klee. Eigentlich ist dies ein vertrackter „Cold Case“-Roman, der jeden Krimifan aufhorchen lassen müsste. Aber der Autor kann es an Raffinesse nicht mit den Star-Autoren Skandinaviens aufnehmen, also Edwardsson, der ihm am ehesten gleicht, und schon gar nicht mit Nesbö, Nesser und Arne Dahl.

Die zentrale Schwäche des Krimis ist meines Erachtens die Figur des John Nielsen. Er ist zu unbedarft, zu unsympathisch und zu planlos, um den Leser dazu zu veranlassen, ihm die Daumen zu drücken. Nielsen träumt vom Fallen und er hat niemanden, mit dem er sich direkt und vertrauensvoll austauschen kann. Alle seine Gesprächspartner verfolgen eigene zwielichtige Interessen, allen voran Bernt Larsson. Einen anderen muss Nielsen sogar schmieren, um Infos zu erhalten. Doch das Milieu, in dem dieser Typ arbeitet, wird nur skizziert, so dass eine genaue Vorstellung davon nicht entstehen kann. Das macht dieses Milieu belanglos und verunsichert den Leser zudem.

Anstelle von Waffen, wie sie in jedem US-Krimi eine zentrale Rolle spielen, fokussiert sich der Autor ausgiebig auf die Landschaft. Sicher, die Wälder und Seen von Jämtland mögen malerisch und romantisch sein und so manches Hippiemädchen bei Drogenkonsum gesehen haben, aber letzten Endes spielen sie für die Handlung keine Rolle. Sie sind das Jagdgebiet des Serienmörders, doch der Showdown findet ganz woanders statt. Dabei hätten die Gruben, Höhlen und unterirdischen Flüsse unzählige Gelegenheiten geboten, zum Schauplatz eines Kampfes gemacht zu werden. Der Autor verschenkt seine Chancen.

Schlussendlich war ich froh, diesen ungewohnt erzählten Krimi bewältigt zu haben. Denn so verunsichert wie John Nielsen bleibt auch der Leser zurück. Dass Nielsen am Schluss eine Last abwirft, die ihn zermürbt hat, kommt reichlich spät, um noch als Erleichterung aufgefasst werden zu können. Aber vielleicht sollte man den Roman einfach nur zwei Mal lesen, um ihn angemessen würdigen zu können.

Taschenbuch: 288 Seiten
O-Titel: Försvinnanden, 2001
Aus dem Englischen von Kerstin Schöps.
ISBN-13: 9783442458448

www.randomhouse.de

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