Andreas Eschbach – Der Jesus-Deal

Es gab eine Zeit, da war John Kaun ein Medien-Tycoon, ein Topmanager und Workaholic. Damals hetzte er der Selbstdarstellung hinterher, bis ihn seine Investitionen an eine Ausgrabungsstätte nach Israel führten, wo in einem 2000 Jahre alten Grag etwas ganz und gar unglaubliches entdeckt worden war: Die Bedienungsanleitung einer Filmkamera. Die erst in einigen Jahren auf den Markt kommen sollte. Zweitausend Jahre alt, nachprüfbar. Kaun mit seinem Sensationsgespühr nahm die nächste, sich daraus ergebende Folgerung, nämlich dass es sich bei der Leiche im Grab um einen Zeitreisenden aus nicht allzu ferner Zukunft von Kaun selbst handeln musste, um diesen Fund zu erklären, einfach hin und konzentrierte sich auf die Möglichkeiten, die sich eröffneten: Wo eine Bedienungsanleitung herkam, musste auch eine Kamera zu finden sein!

Zweitausend Jahre alt. Was mochte sie wohl für Bilder eingefangen haben? In Israel.

Jesus. Sein Wirken. Seine Kreuzigung. Wiederkehr. Himmelfahrt?

Damals gelang es Kaun tatsächlich, eine Aufnahme zu Gesicht zu bekommen, die möglicherweise Jesus zeigte – und das veränderte ihn grundlegend. Er erkannte sein Leben im Licht der Wahrheit und krempelte es vollkommen um, zerschlug seinen Konzern und zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück.

Bis er einige Jahre später in Oklahoma einem jungen Mann begegnete, dessen unverkennbares Feuermal an der Schläfe ihn eindeutig als einen der Menschen erkennen ließ, die Kaun damals auf dem Jesusvideo gesehen hatte.

John Kaun lebt ein recht wohlhabendes und erfüllendes Leben mit Frau und fünfjähriger Tochter. Doch gerade an jenem schicksalhaften Tag seiner Begegnung mit dem Zeitreisenden erfährt er, dass seine Tochter an Leukämie leidet. Und als sich nach und nach alle alternativen Behandlungsmöglichkeiten als undurchführbar erweisen, wächst ein undenkbarer, irrsinniger Plan in Kaun: Er muss den Zeitreisenden finden! Er muss ihn überzeugen, ihn, Kaun, und seine Tochter Kathleen mit in die Vergangenheit zu nehmen, um sie von Jesus heilen zu lassen!

Schritt um Schritt kommt Kaun dem Zeitreisenden und seiner Organisation näher. Doch genauso schrittweise nähert er sich einem Vorhaben von noch unvorstellbareren Ausmaßen, das mit Hilfe der Zeitreise nicht weniger zum Ziel hat als den Tag des Jüngsten Gerichts herbei zu führen …

Über Andreas Eschbach müssen nicht mehr viele Worte verloren werden. Er studierte, lebte und arbeitete irgendwo in Stuttgart, bis ihn der Erfolg des Schriftstellers ereilte. Da zog er nach Frankreich und lebt seither dort. Weitere Informationen findet man überall im Internet, unter anderem unter andreaseschbach.de.

»Der Jesus-Deal«. Ein Thriller-Titel von medienwirksamer Qualität, scheinbar ganz ausgerichtet auf die Zielgruppe des Romans. Entsprechend erwartet man einen Verschwörungsthriller, Verfolgungsjagden, Action, Illuminaten oder Ähnliches. Ganz im Stil der Verfilmung seines »Jesus-Video«. Und teilweise erfüllt Eschbach diese Erwartungen auch, allerdings mit ruhiger Hand und dem Hauptaugenmerk auf anderen Eigenschaften. Verfolgungsjagden gibt es so gut wie nicht, actionlastig wird der Roman ein wenig im letzten Drittel, als sich der Showdown und das große Finale ankündigen. Das läuft dann erfrischend unspektakulär aus, wenig Blei und wenig Blut beschweren die Seiten des Buches. Statt dessen stehen die verschiedenen Parteien der Angelegenheit im Mittelpunkt, ihre Beweggründe, ihre Sorgen, ihre Emotionen. Jedes Kapitel wird angeführt durch Abschnitte aus der Bibel oder anderen christlichen Verlautbarungen, die einen Einblick in die Grundlage für christliche Armageddon-Fundamentalisten geben. Eine der handelnden Parteien ist auch tatsächlich christlich, jedoch hat die katholische Kirche diesmal nichts damit zu tun. Evangelikal heißt die Bewegung, und Eschbach schildert das Amerika der nicht näher präzisierten Handlungszeit als tiefendurchdrungen von dieser Bewegung. Sie hat Macht durch reiche gläubige Anhänger, und sie hat wie wohl jede Gruppierung viele fanatische Mitglieder.

Was den »Deal« betrifft, nimmt Eschbach dem Titel im Verlauf des Buches seinen Marketingschimmer und führt ihn auf ganz konkrete Glaubensfragen zurück, was durchaus seine Anhänger finden wird, andererseits auch Ablehnung erzeugen kann. Nicht weniger kontrovers sind andere Aspekte der Geschichte zu sehen, die Eschbach nutzt, um einen motivierten Gegenspieler zu erzeugen. Religiöser Fanatismus ist ein Stichwort, und man kann nur hoffen, dass die unbescholtenen Anhänger religiöser Glaubensrichtungen sich nicht von der Darstellung der Intrigen und Irrleitungen einiger Protagonisten über einen Kamm geschoren fühlen.

Mit dem Zeitreisethema begibt sich Eschbach eindeutig auf den Boden der Science Fiction und vollbringt die interessante und beachtenswerte Leistung, dieses doch sehr spezielle Thema in eine Breitwandthrillerhandlung zu integrieren und allgemeinverständlich darzustellen. Der belesene Science-Fiction-Fan wird mit den Grundzügen der Zeitreise und möglichen Problemen bekannt sein, ihre Tücken und Logikfallen für Unbedarfte verständlich zu machen ist ein Kunststück, das Eschbach hier außerordentlich gut bewältigt. Und damit schafft er sich den Boden, die Zeitreise, die im »Jesus-Video« grundlegend war, auch tatsächlich durchzuführen.

Vielfältig sind die Verstrickungen, die Eschbach im Laufe des Romans erschafft, einerseits, was die Zeitreiseproblematik anbelangt, andererseits auch in Bezug auf die Thrillerhandlung selbst. Und insgesamt schafft er es erstaunlicherweise souverän, den Überblick zu behalten und alle Fäden zu vollenden, Knoten zu entwirren und Fragen zu beantworten – natürlich und erfreulicherweise bemüht er dazu auch ein wenig Gehirnschmalz beim Leser, die Querverbindungen zu knüpfen und Aha-Momente zu erkennen.

Im letzten Drittel, gerade für die Actionthrilleranteile, wird relativ abrupt der vermisste Protagonist aus dem »Jesus-Video« reaktiviert: Stephen Foxx wird erneut zum Zentrum der Geschichte. Mehr ist dabei nicht erwähnenswert, er passt ins Setting und bringt alles zu einem Ende. Ende? Nun ja, was der Klappentext vorwegzunehmen scheint mit den Worten beginnt da, wo das »Jesus-Video« endet und endet da, wo das »Jesus-Video« beginnt, ist Auslegungssache. Wörtlich kann man den Satz jedenfalls glücklicherweise nicht nehmen.

Ein Wort noch zum Video: Ursprünglich zeigte es Jesus oder den Mann, den man dafür halten musste, im Kreise seiner Jünger um einen Tisch versammelt beim Essen, ohne Tonspur. Kaun jedoch erinnert sich an eine Szene, in der Jesus dem feuerbemalten Zeitreisenden über den Makel streicht und damit heilt – also muss er tatsächlich das Video des ersten Zeitreisenden gesehen haben, das außer ihm höchstens noch die Leute vom Vatikan kennen dürften, die ihm die Kamera seinerzeit in Israel abjagten, dem gegenüber Stephen Foxx offenbar eines aus dem Fundus der in diesem vorliegenden Buch behandelten Zeitreisegruppe zu Gesicht bekam – siehe Jahreszahl des Fundes durch Charles Wilford-Smith, siehe »Jesus-Video«. Hiermit ist klar, dass man den »Jesus-Deal« zwar ohne Vorkenntnisse lesen kann, ihn aber nur in Zusammenhang mit dem ersten Buch vollständig verstehen wird.

Insgesamt ist der Roman ausgesprochen rund, spannend und aufschlussreich zu lesen, eine unerwartet fähige Fortführung der Ereignisse aus dem »Jesus-Video«. Kein billiger Abklatsch, sondern ein Eschbach-typisch hervorragend unterhaltend geschriebener Roman. Ein paar Kleinigkeiten in Bezug auf den technischen Fortschritt regen zum Schmunzeln an und einigen Lesern mag der Verschwörungsplot zu abgedroschen erscheinen – ich sehe vor allem die gelungene Zeitreisesequenz und die spannende Geschichte, die zur Entstehung gezwungenermaßen einen fanatischen Gegner mit ungeheuren finanziellen Mitteln benötigt, da sie sonst nicht durchführbar wäre. Und dabei ist zeitweise gar nicht klar, ob und inwiefern die religiöse Gruppierung negative Ambitionen mit der Zeitreise verfolgt. Der Aspekt ist mehr als einzelgängerisches Detail zu betrachten.

Gebundene Ausgabe, 736 Seiten
ISBN-13: 9783431039009
ORIGINALAUSGABE
Bastei Lübbe

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