Benedikt Böhm – Im Schatten des Manaslu: Speedbergsteigen in der Todeszone

Inhalt

Wir schreiben den 23. September 2012: Die Voraussetzungen für die Besteigung des Mount Manaslu, einem der schwierigsten 8000er im Katalog der 14 größten Herausforderungen des Höhenbergsteigens, könnten kaum besser sein. Mehr als 300 Menschen befinden sich zu dieser Zeit im Basecamp des achthöchsten Gipfels der Erde, allesamt bestrebt an diesem Tag der Tage den Versuch zu starten, die Spitze des Berges zu erreichen. Unter ihnen ist auch der erfolgreiche deutsche Skitourenbergsteiger Benedikt Böhm, der gemeinsam mit seinem langjährigen Weggefährten Basti eine weitere Speedbesteigung plant. Doch als Böhm und seine Begleiter in der Nähe ihres vorherigen Höhenlagers aufschlagen, finden sie ein Bildnis des Grauens vor.

Eine monströse Lawine hat viele Expeditionen ins Herz getroffen; mehrere Menschen werden im Schlaf überrascht und müssen mit ihrem Leben bezahlen; andere wiederum kommen mit dem Schrecken oder schwereren Verletzungen davon. Es ist vielleicht das wichtigste Kapitel im Leben Böhms, der als Manager des Bekleidungsunternehmens Dynafit das Privileg genießt, seine Passion für die Berge auch zum Beruf zu machen, denn nie zuvor wurde er so massiv mit dem Tod konfrontiert wie in dieser Nacht. Schwer beeindruckt und gezeichnet, aber dennoch nicht des Mutes entrissen gelingt es ihm nur eine Woche später, einen neuen Rekord bei der Erklimmung des Manaslu aufzustellen. Und doch sind all die Ereignisse in den Ausläufern des Himalaya nicht an ihm vorübergegangen. In seiner ersten, vorläufigen Biografie „Im Angesicht des Manaslu“ verarbeitet Böhm diese und auch viele andere Erlebnisse, die sein Leben in den attraktivsten Bergregionen dieser Welt geprägt haben. Und obschon Böhm, Jahrgang 1977, zu den jüngeren Gestalten gehört, die im extremen Alpinismus der letzten beiden Jahrzehnte vorne mitgemischt haben, ist seine persönliche Lebensgeschichte schon voller immens vielfältiger Erfahrungen!

Mein Eindruck:

Wer die literarische Welt des Höhenbergsteigens in den vergangenen Jahren verfolgt hat, wird entdeckt haben, dass neben den Vielschreibern Kammerlander und Messner durchaus auch vermeintliche Shooting-Stars den Buchmarkt für sich entdeckt haben und der ganzen Szenerie auch langfristig neue Impulse verpassen konnten und auch weiterhin können. Es sind häufig die tragischen Geschichten, deren Bann man sich nicht mehr entziehen kann – sicherlich auch weil die Faszination für die mannigfaltigen Gefahren in der sogenannten Todeszone und die nicht selten auch prominenten Todesfälle in den Regionen des Himalaya und des Karakorum bahnbrechend ist. Traurige Schicksalsschläge gehören vielleicht auch wegen ihrer niederschlagenden Wirkung zu den beliebtesten Vertretern des alpinistisch geprägten Bestseller-Marktes – warum sollte sich also nicht auch der junge Benedikt Böhm schon in Kürze dort etablieren, zu erzählen hat er schließlich genug?

Nun, vielleicht sollte er es auch gerade deswegen, weil er den brutalen Herbsttag des Jahres 2012 nicht zum Zugpferd seiner Erzählungen bestimmt. Vielmehr ist es dem Autor ein Anliegen, sein ganzes Leben, seine Passion für den Sport, aber auch den Umgang mit allen Entbehrungen zu teilen, die ihn in den vergangenen gut 20 Jahren begleitet haben. So dokumentiert er relativ ausführlich seine Jugend, seine Sturm-&-Drang-Phase als angehender Leistungssportler, aber auch den Wert von Freundschaft, den er in diesem Buch immerzu als besonders gut herausstellt. Böhm hat vor allem in den Hochregionen dieser Welt viele Gefährten begeistern können, gleichzeitig aber auch von deren Begeisterung profitiert.

Neue Höchstleistungen und Ideen, aber auch die logistische und praktische Umsetzung neuer Pläne wären niemals möglich gewesen, wären nicht viele Bekannte, Freunde, Kollegen, Geschäftspartner und vor allem seine Familie in die Bresche gesprungen und hätte ihm auf seinem Lebensweg unterstützt. Dieser Faktor ist schlussendlich auch die tragische Säule eines Buches, das von vielen Expeditionen in aller Herren Länder berichtet und sicherlich auch stolz verkündet, welche Leistungen dabei abgerufen wurden. Aber er ist definitiv auch ein Tribut an das gemeinschaftliche Verlangen und Erleben von Extremen, so wie Benedikt Böhm sie seit seinen ersten Gehversuchen in steter Regelmäßigkeit erfährt.

Natürlich endet sein Buch mit seinem bis dato größten Erfolg, der Speedbesteigung des Manaslu, an die er sich sehr langsam und unter viel Aufwand herangepirscht hat. Selbst die schlimme Tragödie, die sich nur eine Woche vor seinem erfolgreichen Rekordversuch ereignet hat, konnte ihn nicht aus der Bahn bringen. Und auch wenn genau dieser Umstand so abstrakt, unverständlich, ja vielleicht sogar verantwortungs- und respektlos klingt: Es ist eben genau das, wofür dieser Mensch lebt – und daran lässt er nun auch die ganze Welt teilhaben!

Dennoch ist seine erste Arbeit als Autor nicht komplett makellos, zumindest was die strukturelle Aufbereitung von „Im Angesicht des Manaslu“ betrifft. Böhm unternimmt von Anfang an sehr viele Zeitsprünge und entscheidet sich gegen eine lineare Dokumentation seines bisherigen Lebenswerkes. Folgerichtig fällt es ab und an doch recht schwer, den Gedanken dieses Menschen zu folgen, da er sich einmal hier, einmal dort und am Ende nicht immer bei der eigentlichen Story befindet. Vielleicht soll dieser Effekt auch noch einmal nachhaltig darstellen, dass Böhm sich selbst als ruhelosen, hektischen und antriebsstarken Menschen beschreibt – doch für die Leserschaft ist diese gelegentliche Verworrenheit nicht immer begünstigend.

Den Wert des Inhalts mag man derweil aber nicht bestreiten. Der Erfahrungsschatz, der hier weitergegeben wird, ist immens, der Unterhaltungswert gleichermaßen groß. Und zu guter Letzt ist es einfach nur sympathisch, dass Böhm seine Geschichte nicht um die große Katastrophe aufbaut, sondern in der Summe lediglich bei sich un seinen Abenteuern ist.

Fazit:

Das Leben am Berg ist ein Abenteuer, von Sensationen begleitet, von Erschütterungen geprägt, oftmals auch kritisiert – aber es ist und bleibt ein Abenteuer. Und wenn Benedikt Böhm eines geschafft hat, dann ist es ein Bild von seiner Lebenseinstellung zu zeichnen, welches nachhaltig beeindruckt. Zwischen all den tragischen Schicksalsberichten ist „Im Angesicht des Manaslu“ eine sehr angenehme Erscheinung in diesem Segment, die sich jedoch keineswegs vor den vielen Schicksalen am Berg verschließt. Lesenswerter Stoff – keine Frage!

Taschenbuch: 272 Seiten
ISBN-13: 978-3492405560

www.piper.de/verlag/malik

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