de Vigan, Delphine – Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin

Mit [„No und Ich“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5680 hat sich die französische Autorin Delphine de Vigan in die Herzen ihrer Leser geschrieben. Mit „Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin“ will sie an diesen Erfolg anknüpfen.

_Im Mittelpunkt der_ Geschichte steht Mathilde. Nachdem sie früh Witwe geworden ist, zieht sie ihre drei Söhne alleine auf und arbeitet Vollzeit in der Marketingabteilung eines Nahrungsmittelkonzerns. Sie opfert sich auf, macht viele Überstunden und schafft es, die rechte Hand ihres Vorgesetzten Jacques zu werden. Doch ein kleines, unwichtiges Ereignis auf der Arbeit setzt einen Prozess in Gang, an dessen Ende Mathilde beinahe vernichtet wird.

Bei dem Vortrag eines Kunden widerspricht sie ihrem Chef, was dieser persönlich nimmt. Doch statt ein offenes Gespräch mit ihr zu suchen, beginnt er, Mathilde leise und heimlich zuzusetzen. Er lässt ihr Besprechungstermine nicht zukommen, nimmt ihr allmählich ihre Verantwortungsbereiche ab, bis sie letztendlich mehr oder weniger arbeitslos in einem kleinen Büro sitzt und an ihrer Situation verzweifelt.

Zur gleichen Zeit fährt der mobile Hausarzt Thibault durch Paris, versorgt seine Patienten und hängt in Gedanken seiner Geliebten Lila nach, mit der er am Morgen endgültig Schluss gemacht hat. Während er rastlos seinen Gedanken nachhängt, schöpft Mathilde am schlimmsten Tag ihres Lebens nur aus einer Sache Hoffnung: eine Wahrsagerin hat ihr für genau diesen Tag eine besondere Begegnung voraus gesagt …

_“Ich hatte vergessen_, dass ich verwundbar bin“ ist ein minimalistisches, nicht besonders langes Buch, das schnell gelesen ist, dabei aber nie oberflächlich wird. Im Gegenteil ist es unglaublich atmosphärisch und erschafft mit Hilfe einer leicht zu lesenden, sehr lebendigen, beinahe poetischen Sprache einen ganz eigenen Erzählkosmos.

In dessen Mittelpunkt stehen zwei Personen: Mathilde und Thibault. Die Autorin hält dabei lange offen, ob die beiden sich treffen und ob sie überhaupt die besondere Begegnung sind, von der die Wahrsagerin gesprochen hat. Spannung erhält die Geschichte zum Einen aus diesem Handlungsstrang, sie besticht aber auch durch die atmosphärische Schilderung der Leben der Protagonisten sowie ihres Alltags. Begierig folgt man den Figuren in Vergangenheit und Gegenwart, um mehr über sie zu erfahren.

De Vigan schafft es nämlich, ihre Charaktere unglaublich mitreißend zu gestalten. Mathilde und Thibault erzählten beide aus der dritten Person, doch als Leser erhält man einen tiefen Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt. Nach der Lektüre hat man das Gefühl, die beiden tatsächlich kennen gelernt zu haben – und kann sich möglicherweise sogar mit ihnen identifizieren. Während die eine mit Mobbing am Arbeitsplatz zu kämpfen hat, hadert Thibault mit der Liebe. Beide Situationen dürften den einen oder anderen Leser ansprechen. Da de Vigans Figuren keine Übermenschen sind, sondern im Gegenteil sehr alltäglich wirken, fällt es leicht, sich in sie hinein zu versetzen. Thibault und Mathilde wirken auf den ersten Blick zwar nicht unbedingt originell, aber dafür werden sie umso eingehender und intensiver beschrieben und dargestellt.

Dies alles wird durch de Vigans Schreibstil zusammen gehalten, der bereits in „No und ich“ sehr viel zur Qualität beigetragen hat. Einfach und schnörkellos, in einer leicht verständlichen Sprache, gleichzeitig aber auch sehr tiefsinnig und poetisch erzählt die Autorin. Die traurige Grundstimmung passt zu den Protagonisten, es ergibt sich ein rundherum stimmiges Bild.

_“Ich hatte vergessen_, dass ich verwundbar bin“ ist ein würdiger Nachfolger von „No und ich“. Die Handlung hat zwar etwas weniger Substanz und besteht zu einem großen Teil aus Erinnerungen, doch das Gefühl, das beim Lesen aufkommt, die Sprache und die leicht zugänglichen Protagonisten lassen diesen Makel vergessen. De Vigans Roman ist ein kleines belletristisches Kleinod, das zum Nachdenken anregt und den Leser lange nicht loslässt.

|Gebunden: 251 Seiten
Originaltitel: |Les heures souterraines|
Deutsch von Doris Heinemann
ISBN-13: 978-3426198865|
http://www.droemer.de

Schreibe einen Kommentar