Die EU auf dem Sprung zur Militärmacht (Teil 1)

|Der nachfolgende Artikel von _Winfried Wolf_ erschien zuerst am 14.07.2004 in der Tageszeitung [junge Welt]http://www.jungewelt.de/ und wird an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung der jW-Redaktion veröffentlicht. (Darstellung in alter Rechtschreibung)|

Die Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Europaparlament am 13. Juni 2004 lag EU-weit bei 44,2 Prozent. In Polen, dem wichtigsten neuen EU-Mitgliedsstaat, erreichte sie 20 Prozent. Die |Süddeutsche Zeitung| kanzelte die Bevölkerung schon vor der Wahl mit dem Satz ab: »Das Europa der Bürger – es trägt sich beim Urnengang selbst zu Grabe« (12.6.2004). Dabei geht die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger offensichtlich davon aus, daß man nur zu Grabe tragen kann, was zuvor lebendig war. Es gab vor der Wahl kein »Europa der Bürger«, so wie es nach den Leibesübungen vom 13. Juni keinerlei Demokratie und nicht einmal eine ernsthafte demokratische Mitbestimmung auf EU-Ebene gibt. Dies zeigte sich bereits wenige Tage nach der Wahl, als um die Nachfolge des EU-Spitzenmannes Romano Prodi gefeilscht wurde. Es kam erst gar niemand auf die Idee, daß das soeben neu gewählte Europaparlament etwas damit zu tun haben könnte, wer den EU-Spitzenjob verrichtet.

Dabei geht es bei der EU um viel. Es geht sogar um das wichtigste Projekt, das es seit der Bildung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert – und aus deutscher Sicht: seit der Bildung des Deutschen Reichs 1871 – gab. Den Eigentümern und dem Topmanagement der in Europa maßgeblichen Konzerne und Banken erscheint seit einigen Jahrzehnten der nationalstaatliche Rahmen, in dem sie sich bewegen – das heißt, in dem sie Arbeitskräfte ausbeuten, in dem sie Steuern (nicht) zahlen, in dem sie auf Infrastruktur, Polizei und Militär zurückgreifen und in dem sie eine Regierung kontrollieren – zu eng. Diese Herren und wenigen Damen sehen dies vor allem mit Blick auf die wichtigsten Konkurrenten so: Die US-amerikanischen Konzerne und Banken verfügten von vornherein über einen weit größeren Binnenmarkt, um den herum sie Schutzzölle und Handelshemmnisse errichten konnten, aufgrund dessen sie über eine weit mächtigere Regierung, die für sie militärisch die Eroberung der Weltmärkte absicherte, zurückgreifen konnten. Hier galt und gilt es, einen Gegenpol zu schaffen. Nicht ein »Europa der Bürger«, wohl aber ein Europa der Konzerne und Banken und eine EU der Bosse und Bürokraten war und ist das Ziel. Die Einrichtung des Europaparlaments, die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Europäische Verfassung sollen dieses Projekt demokratisch ummänteln.

|Alte Ziele in neuem Gewand|

Die wichtigsten materiellen Ziele der Europäischen Union wie Zollunion, gemeinsame Wirtschaftspolitik, Europäische Zentralbank und einheitliche Währung, wie sie in der neuen EU-Verfassung, die Mitte Juni von den EU-Regierungen beschlossen wurde, festgeschrieben sind, wurden zu einem frühen Zeitpunkt wie folgt formuliert: »Die Einigung Europas … ist eine zwangsläufige Entwicklung. Die ungeahnten Fortschritte der Technik, die Schrumpfung der Entfernungen infolge der modernen Verkehrsmittel … und der Zug der Zeit … nötigen Europa zum engeren Zusammenschluß. Europa ist zu klein geworden für sich befehdende und absperrende Souveränitäten. Es besteht … das Ziel … einer europäischen Zollunion und eines freien europäischen Marktes, fester innereuropäischer Währungsverhältnisse mit dem späteren Ziel einer europäischen Währungsunion.«

So lautete der Entwurf einer Denkschrift des deutschen Auswärtigen Amtes »über die Schaffung eines Europäischen Staatenbundes« vom 9. September 1943. (1)

Die klügsten Vertreter von Nazi-Deutschland und die mit ihnen eng verbundenen Bosse der großen deutschen Banken und Konzerne strebten an, nach einem militärischen Sieg im Zweiten Weltkrieg ein Europa zu schaffen, dessen wirtschaftliche Grundlagen denjenigen entsprechen, die heute mit der EU verwirklicht werden. Damit erfolgt keine Gleichsetzung zwischen der NS-Europapolitik und der EU-Politik bzw. der Berliner EU-Politik. Es wird lediglich nüchtern festgestellt, daß der materielle und vor allem der wirtschaftliche Gehalt der jeweiligen Europa-Strategien identisch ist.

Da die führenden deutschen Wirtschaftskreise und das deutsche Militär zweimal, im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, dabei scheiterten, ein solches Europa mit militärischen Mitteln zu schaffen, lag nach 1945 der Versuch nahe, vergleichbare Zielsetzungen mit friedlichen Mitteln zu verfolgen. Stationen auf diesem Weg waren 1950 die Bildung der Montanunion (EGKS – Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), 1956 die Bildung einer »Europäischen Atomaren Gemeinschaft – Euratom« und 1957 die Bildung der »Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)«. Diese »europäische Zusammenarbeit« hatte von Anfang an eine militärische Komponente. So sollte – vorangetrieben durch die Regierungen in Paris und in Bonn – schon 1952 die »Europäische Verteidigungs-Union (EVU)« gebildet und damit vorzeitig eine deutsche Wiederaufrüstung betrieben werden. Bereits damals hätte dieses Projekt in Widerspruch zu einer transatlantischen militärischen Zusammenarbeit, wie es sie mit der NATO gab, gestanden. Die EVU scheiterte dann am französischen Parlament, in dem zu dieser Zeit noch die Furcht vor einem Westdeutschland mit eigenem Militär überwog. Anstelle der EVU wurde später als europäische militärische Struktur die Westeuropäische Union (WEU) gebildet, die allerdings bis in die neunziger Jahre hinein ein Schattendasein führte.

|F. J. Strauß: »Warum nicht wir?«|

Bereits bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 war die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit von Paris und Bonn entscheidend für deren Zusammenhalt und Zukunft. Aus französischer Sicht sprach für eine enge Kooperation der einstigen Kriegsgegner von 1870/71, 1914–1918 und 1939–1945 die Hoffnung auf eine deutsche wirtschaftliche Unterstützung bei der Umstrukturierung der eigenen Ökonomie. Nach Krieg und Besatzung war die Wirtschaft Frankreichs zusätzlich mit Kolonialkriegen in Indochina (bis 1954) und Algerien (bis 1962) und mit dem Verlust des größeren Teils seines Kolonialreichs belastet. Es war die EWG, die in dieser Hinsicht Frankreich eine Auffangstellung bot. Der EWG-Vertrag regelt explizit das spezielle Verhältnis Frankreichs zu seinen »überseeischen Ländern und Territorien«. Aus Kolonien wurden in der Sprache der EWG-Bürokraten »Überseeterritorien«. Diese Bestimmungen gelten bis heute fort. Als der Euro eingeführt wurde, wurde ausdrücklich festgelegt, daß die französische Regierung in ihren Kolonien und in den von Paris abhängigen Regionen, in der sogenannten Franc-Zone, eine eigene Währungspolitik praktiziert.

Es ist interessant, daß die westeuropäische Linke das »Projekt Europa« jahrzehntelang in seiner Bedeutung nicht erkannte. Nur vereinzelt gab es Kritik. So forderte der französische Intellektuelle Frantz Fanon, der sich im Algerien-Krieg auf die Seite der algerischen Befreiungsfront stellte, in seinem 1961 verfaßten Werk »Die Verdammten dieser Erde« dazu auf, die verlogenen Begriffe von einem Europa der »Demokratie« und »Menschenrechte« nicht nachzuplappern. Die nachfolgende Passage aus diesem Buch liest sich wie eine vorweggenommene Kritik am Schengener Abkommen und an der EU-Verfassung. |»Europa hat jede Demut, jede Bescheidenheit zurückgewiesen, aber auch jede Fürsorge, jede Zärtlichkeit. Nur beim Menschen hat es sich knausrig gezeigt, nur beim Menschen schäbig, raubgierig, mörderisch. Brüder, wie sollten wir nicht begreifen, daß wir etwas Besseres zu tun haben, als diesem Europa zu folgen.«|

Die französischen Regierungen erhofften sich, mit der Achse Paris–Bonn und später Paris–Berlin die bereits wieder erstarkte westdeutsche Wirtschaftsmacht in eine EWG einbinden zu können. Dabei sollte diese EWG politisch, militärisch und kulturell von Frankreich bestimmt sein. Aus Bonner Sicht sprach für das Bündnis mit Paris der Wunsch, die NS-Zeit und die daraus resultierende politische Isolierung überwinden zu können. Gleichzeitig bot eine Achse Paris–Bonn die Chance zur Herausbildung eines europäischen Wirtschaftsblocks, der langfristig zu einer Herausforderung für die Hegemonialmacht USA werden sollte.

1967 erschien in Frankreich das Buch »Die amerikanische Herausforderung«, verfaßt von Jean-Jacques Servan-Schreiber, einem führenden Wirtschaftsjournalisten. Darin wurde die EWG als europäische Antwort auf die Macht der US-Konzerne definiert. 1968 verfaßte Franz Josef Strauß, damals der wichtigste Politiker, der für einen wirtschaftlich und militärisch erstarkenden deutschen Imperialismus eintrat, das Vorwort zu dieser Streitschrift. Darin hieß es, die EWG sei bereits »zur Frontlinie der amerikanischen Industrie, zum Schlachtfeld ihrer Macht geworden«. Strauß stellte die rhetorische Frage: »Warum die Amerikaner? Warum nicht wir?« Strauß begründete kurz darauf in seiner Zeit als Finanzminister der Großen Koalition (1966–1969) die Ziele der deutsch-französischen Zusammenarbeit folgendermaßen: |»Mit dem Entschluß Frankreichs und Deutschlands, ihre Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu verringern … läßt sich die politische Einigung Westeuropas in Gang bringen. Unsere beiden Länder sollten ihre Mittel auf allen Gebieten der modernen Hochleistungstechnik für wirtschaftliche und militärische Zwecke zusammenlegen.«|

|EWG als »Resonanzboden«|

Doch genau zum letzteren kam es nicht. Trotz mancher politischer Gesten und Bemühungen dominiert auf der wirtschaftlichen Ebene auch innerhalb Europas die alte Konkurrenz der Konzerne und Banken. Außerdem hat sich der Abstand zwischen der deutschen und der französischen Wirtschaft und ihren jeweiligen größten Unternehmen vergrößert. Darauf wird zurückzukommen sein. Sicher ist, daß das Projekt Europa auf der jeweiligen nationalen Seite immer so gesehen wurde – als ein Projekt, um die eigene Wirtschaftsmacht zu vergrößern und »Rest-Europa« zu dominieren.

So definierte auch der maßgebliche deutsche Industriellenverband BDI 1967 sein instrumentelles Verhältnis gegenüber der EWG. Danach diene diese in erster Linie als »Resonanzboden zur Verfolgung der spezifischen westdeutschen Interessen«. Die europäische Zoll- und Freihandelsunion schuf in erster Linie einen vergrößerten Raum für ein Wettrennen der jeweils nationalen Konzerne in die europäischen und internationalen Spitzenpositionen.

In der Globalisierungsdebatte wird in der Regel der Aspekt der Blockkonkurrenz und der »nationalen« Eigentümerstrukturen der großen Unternehmen nicht gesehen und von einer abstrakten »Macht der großen Konzerne« ausgegangen. Wenn überhaupt die »nationalen Farben« von Konzernen angesprochen werden, dann geraten die US-amerikanischen Konzerne ins Visier. Tatsächlich erschien das Projekt EWG/EG/EU lange Zeit eher als eine rein technische und kaum als eine machtpolitische Angelegenheit. Für diese Annahmen gab es historische und wirtschaftspolitische Gründe. Schließlich wurde die EWG lange Zeit von den USA gefördert. 1961 hatte der US-Präsident John F. Kennedy erklärt: |»Der Gemeinsame Markt … sollte unser größter und einträglichster Kunde sein. Seine Verbrauchernachfrage wächst ständig, vor allem die Nachfrage nach jenen Gütern, die wir am besten produzieren. … Es ist ein geschichtliches Zusammentreffen von Notwendigkeit und großer Möglichkeit: In demselben Augenblick, in dem wir dringend eine Steigerung unserer Exporte brauchen, um unsere Zahlungsbilanz zu schützen und unsere Truppen im Ausland zu bezahlen, entsteht jenseits des Atlantiks ein gewaltiger neuer Markt.«|

Für diese US-Position gab es damals drei gute Gründe. Erstens waren die USA mit großem Abstand Weltmarktführer; der Anteil der US-Wirtschaft am Weltmarkt lag bei 16 Prozent, der westdeutsche bei sieben und derjenige Frankreichs bei fünf Prozent. Der britische Anteil an den gesamten Exporten lag noch bei zehn Prozent, wobei Großbritannien damals kein EWG-Mitglied war.

Zum zweiten spielten in dieser Periode US-Konzerne innerhalb Europas eine deutlich größere, teilweise eine dominante Rolle. 1960 stammten von allen weltweit hergestellten Pkw noch 50 Prozent von den Fließbändern in US-Fabriken, wobei es in den USA nur »nationale« Pkw-Hersteller gab: General Motors (GM), Ford, Chrysler und American Motors. 25 Prozent stammten aus Europa, wobei damals ein gutes Drittel der europäischen Pkw-Produktion auf Produktionsstätten der US-Konzerne in Europa entfiel, also auf die Pkw-Fertigung bei GM Europe (bzw. die der GM-Töchter Opel und Vauxhall in Europa), auf Ford Europe und auf die damalige Chrysler-Tochter Simca (die später als »Talbot« bei Peugeot landete und inzwischen vom Markt verschwand). Rund zehn Prozent der weltweiten Pkw-Fertigung entfielen 1960 auf Japan. Ähnlich sah es in anderen wichtigen Branchen aus. Unter diesen Bedingungen profitierten die US-Konzerne in erheblichem Maß von einem wachsenden europäischen Binnenmarkt.

|Neue Blockkonkurrenz|

Vor allem aber gab es zum Zeitpunkt der zitierten Kennedy-Rede – drittens – noch ein gemeinsames »höheres« Ziel aller kapitalistischen Länder: die Rückgewinnung der Kontrolle über diejenigen Gebiete, die seit 1917 (Rußland) bzw. seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Mittel- und Osteuropa und China) bzw. in der Zeit des Kalten Kriegs (Kuba, Indochina) einen nichtkapitalistischen Weg eingeschlagen hatten. Solange dieses Ziel den Kapitalismus einte, solange standen gemeinsame Institutionen wie die NATO oder allgemeine politische Orientierungen wie die »transatlantische Zusammenarbeit« im Zentrum. Die innerimperialistische Konkurrenz war in dieser Periode teilweise verdeckt und schwelend. Allerdings hatten sich im Rahmen dieser fortgesetzten »stillen« Konkurrenz die Kräfteverhältnisse bereits erheblich verändert. Die westeuropäischen und die japanischen Konzerne und Banken eroberten von Jahr zu Jahr mehr Terrain und drängten die US-Konzerne zurück.

Insofern war die »Wende« 1989/90 auch eine Wende hinsichtlich der Dynamik, mit der sich der Kapitalismus bewegt. Mit dieser historischen Zäsur entfiel nicht nur die eine und andere soziale Rücksichtnahme. Es entfiel vor allem das übergreifende Interesse des Kapitals, die Kräfte gemeinsam darauf zu orientieren, die Arbeitskraft der mehr als 1,5 Milliarden Menschen in der UdSSR, in Mittel- und Osteuropa, in China und Indochina auszubeuten. Damit aber brach die innerkapitalistische Konkurrenz offen aus. Die Blockkonkurrenz verschärfte sich deutlich. Fast unmittelbar nach dieser Wende schlossen sich 1994 zunächst die USA und Kanada zur NAFTA zusammen, zum |North American Free Trade Agreement|. Kurz darauf wurde Mexiko in diesen Block einer nordamerikanischen Zollunion einbezogen. Derzeit versucht die US-Regierung, einen noch größeren Wirtschaftsblock zu schmieden, der auch Mittel- und Südamerika einschließt.

Fast zur selben Zeit wurde in der EG der »Maastricht-Vertrag« abgeschlossen. Während sich fast vier Jahrzehnte lang die innereuropäische Entwicklung im Schneckentempo vollzog, wurde nun mit dem Maastricht-Vertrag ein ehrgeiziger Zeitplan vorgegeben: Schaffung einer Europäischen Zentralbank, Abschottung der EU nach außen (Schengener Abkommen), Schaffung einer EU-Währung und EU-Osterweiterung. Mitte 2004 sind alle diese Ziele realisiert.

Die aktuellen innerimperialistischen Kräfteverhältnisse sind von einem krassen Widerspruch geprägt. Das führende EU-Land BRD war 2003 Exportweltmeister – deutlich vor den USA liegend. Die EU als Ganzes liegt bei den Weltmarktanteilen nochmals deutlicher vor dem nordamerikanischen Block NAFTA. Es gibt nur noch wenige Branchen, in denen US-Konzerne führend sind – so mit Microsoft im Bereich der PC-Software. Anfang 2004 konnte im wichtigen Segment der Herstellung von zivilen Flugzeugen der europäische Konzern Airbus erstmals Boeing von Platz Eins verdrängen.

Auf der anderen Seite ist die militärische Macht der USA unangefochten. Dies wurde im April 2004 deutlich. Damals zielte die Strategie des »shock and awe« (das Schockieren und in Ehrfurcht erstarren lassen) nicht nur auf das irakische Militär; sie wurde auch mit Blick auf die Militärs in Rußland, China und Europa in Szene gesetzt. Die aktuellen US-Rüstungsausgaben betragen mehr als 40 Prozent der weltweiten und mehr als das Doppelte der Rüstungsausgaben, die die EU-Länder in der Summe aufbringen.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, sondern logisch, daß ein Kernpunkt im Entwurf der neuen EU-Verfassung, auf den sich die 25 Regierungen der erweiterten EU am Wochenende nach der EU-Wahl einigten, in der »Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« und in der Verpflichtung zur Aufrüstung besteht.

Die wirtschaftliche und militärische Hegemonie deckten sich in der Geschichte des Kapitalismus immer. Vor ziemlich genau 100 Jahren hatten wir eine vergleichbare Situation und einen ähnlichen Widerspruch. Damals, am Beginn des 20. Jahrhunderts, wurde der britische Imperialismus zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet von den USA auf Platz Eins abgelöst. Militärisch blieb er weiter die Nummer Eins. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieser Widerspruch aufgelöst – die USA rückten auch militärisch auf Rang Eins. Diese Doppelhegemonie wurde mit dem Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegsperiode zementiert. Die jetzt wieder gespaltene Hegemonie mit einer führenden Militärmacht USA und einer führenden Wirtschaftsmacht EU unter deutscher Dominanz stellt erneut einen antagonistischen Widerspruch dar, der nach einer Lösung drängt.

1) Das NS-Dokument von 1943 ist wiedergegeben in: Reinhard Opitz, |Europastrategien des deutschen Kapitals|, 1900-1945, Bonn 1994, S. 965

Der Artikel wird mit dem abschließenden zweiten Teil, [„Kerneuropa auf Kriegskurs“,]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=17 bei uns fortgesetzt.

_Winfried Wolf_
|Dieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung der Tageszeitung [junge Welt]http://www.jungewelt.de/ veröffentlicht.|