Vier exemplarische Erzählungen der Nobelpreisträgerin
Sprachliche Präzision, leiser Humor und ein unbestechlicher Blick auf die Wirklichkeit kennzeichnen die Geschichten von Doris Lessing. Schauplätze sind die Stationen ihres eigenen Lebens: das Farmland in Afrika und die Großstadt London, denn sie sagt selbst: „Alles, was ich sah und berührte, konnte Ausgangspunkt einer Geschichte sein.“ (Verlagsinfo)
Die Autorin
Doris Lessing, 1919 im heutigen Iran geboren und auf einer Farm in Südrhodesien aufgewachsen, lebte seit 1949 in England. 1950 veröffentlichte sie dort ihren ersten Roman und kam 1953 zu Weltruhm. In Deutschland hatte sie ihren großen Durchbruch 1978. Heute ist Doris Lessing eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart, ihr umfangreiches Werk umfasst Lyrik, Prosa und autobiographische Schriften. 2007 wurde sie mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Doris Lessing verstarb 2013 im Alter von 94 Jahren. (Verlagsinfo)
Ihre „afrikanische Tragödie“ „The Grass Is Singing“ von 1950 gab anhand einer bewegenden und auch die Rassenfrage einbeziehenden Handlung erstmals einem Frauentypus der in Zentral- und Südafrika herrschenden weißen Minderheiten Gesicht und Stimme und fundierte Doris Lessings literarische Reputation. Während dieser Wegbereiter-Roman des Postkolonialismus in Großbritannien große Beachtung fand, kam er in Deutschland erst dreißig Jahre später heraus. Ihr bekanntester Roman „Das goldene Notizbuch“ erschien 1962 in englischer Sprache und 1978 in Deutschland.
Lessings literarisches Schaffen wird derzeit in drei Perioden eingeteilt:
1944 bis 1956 das sozialistische Thema, als sie radikale Gedanken über soziale Fragen verarbeitete
1956 bis 1969 das psychologische Thema,
danach das Sufismus-Thema (islamische Mystik), das von ihr ausführlich in dem fünfbändigen Science-Fiction-Romanzyklus „Canopus im Argos: Archive“ bearbeitet wurde.
Nach dem Sufi-Thema beschäftigte sich Doris Lessing mit allen drei Themengebieten.
Auf die Frage, welches ihrer Werke sie selbst als das wichtigste ansehe, nannte Lessing die Romane des Zyklus Canopus in Argos. Diese Bücher gründen sich zum Teil auf die Weltsicht der Sufis bzw. des Sufismus, zu der Lessing auf Vermittlung von Idries Shah gelangte. Auch schon frühere Werke zeigen einen Anklang an dieses Thema, beispielsweise „Briefing for a Descent into Hell“ und „Memoirs of a Survivor“. Zwei Bücher des Zyklus wurden von Philip Glass als Oper adaptiert: 1988 „The Making Of The Representative of Planet 8“ und „The Marriages between Zone Three, Four and Five“ 1997, wobei Lessing selbst die Bühnenfassungen schrieb.
Die Erzählungen
1) Bericht über die bedrohte Stadt
Einen „Bericht über die bedrohte Stadt“ sollen die Abgesandten der Außerirdischen erstellen. Sie wissen aus Erfahrung mit anderen Rassen, daß der Planet Erde kurz vor dem Kollaps steht, und doch scheinen sich dessen Bewohner dieser Tatsache nicht bewusst zu sein. Aber auch Versuche zur Kontaktaufnahme und Überzeugungsarbeit enden in einem Fiasko.
Doris Lessing schrieb mehrere Romane, die sich dem genre der Science Fiction zuschreiben lassen (siehe „Canopus im Argos: Archive“ und „Memoiren einer Überlebenden„) ist, wie man an ihrer Story von 1972 sieht, pessimistisch, was die Zukunft des Planeten angeht.
Auch zwei weitere Erzählungen teilen diese Skepsis, die der Warnung des Lesepublikums dient.
2) Die Höhe bekommt uns nicht
In „Die Höhe bekommt uns nicht“ erzählt sie aus der Sicht eines Mädchens die Geschichte einer Nachbarsfrau im Hochland der kenianischen Kolonie. Es ist eine Geschichte voll Verzweiflung, Sehnsucht und Betrug.
Diese Geschichte ist wie „The Grass Is Singing“ (Eine afrikanische Tragödie, 1950, dt. 1953) im Rahmen der literarischen Strömung des Postkolonialismus bedeutsam, der sich v.a. in den ehemaligen Kolonien mit der Vergangeheit und den perspektiven der nunmehr unabhängigen Ländern beschäftigt.
Dazu die Wikipedia:
„Postkolonialismus ist eine geistige Strömung, die sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus entwickelte. Sie wird dem Poststrukturalismus zugerechnet und beschreibt ein „dialektisches Konzept“, das zum einen die Dekolonialisierung und politische Souveränität der ehemaligen Kolonien gegenüber ihren Kolonialmächten zugrunde legt, zum anderen aber ein Bewusstsein für das Fortbestehen imperialistischer Strukturen in verschiedenen Lebensbereichen wie z. B. der Politik und Ökonomie schaffen will.“
3) Zwei Hunde
In „Zwei Hunde“ beschreibt sie zwei Hunde gegensätzlichen Charakters, der eine ein Außenseiter, der andere brav und ordentlich, aber sein Freund. Der Außenseiter stirbt am Schluss.
4) Zwei Töpfer / Frau auf dem Dach
Lediglich die Erzählung „Zwei Töpfer“ lässt so etwas wie Hoffnung zu. Zwei einander fremde Frauen finden über das Töpfern freundschaftlichen Kontakt. Doch nebenbei versteht es Lessing, eine kleine Familientragödie einzuflechten, als ob das einfach dazu gehörte. Für ihren unbestechlichen Blick auf die Wirklichkeit jedoch ist es so: Das eine gehört zum anderen und ist ohne es kaum denkbar.
Mein Eindruck
Ich fand die vier Erzählungen leicht zu lesen. Drei der vier Texte boten mir interessante Perspektiven auf Afrika und andere exotische Länder. Der Grund, aus dem ich das Buch gekauft hatte, war jedoch die Titelgeschichte. Ich hatte zuvor den dicken SF-Roman „Shikasta“ (Band 1 der „Canopus“-Romane) gelesen und war schwer beeindruckt. Darin interppretiert die Autorin nämlich das Alte Testament komplett um. Außerdem wird darin eindringlich vor dem Untergang des Menschengeschlechts gewarnt. Und das passiert ja erneut in „Bericht über die bedrohte Stadt“.
Taschenbuch: 140 Seiten
Aus dem Englischen von Adelheid Dormagen (Titelgeschichte und „Frau auf dem Dach“), Manfred Ohl und Hans Sartorius („Die Höhe bekommt uns nicht“, „Zwei Hunde“)
ISBN-13: 9783453052550
www.heyne.de
Der Autor vergibt: