Emma Healey – Elizabeth wird vermisst

In unserer alternden Gesellschaft werden Krankheiten wie Alzheimer und Demenz immer wichtiger, immer präsenter. Und so findet dieses Thema auch immer häufiger Eingang in Filme oder Bücher. Erst im vergangenen Jahr hat sich die talentierte Schriftstellerin Lisa Genova mit ihrem überaus berührenden Roman „Mein Leben ohne gestern“ in meine persönliche Bestsellerliste geschrieben. Umso gespannter war ich nun auf das Werk der jungen Schriftstellerin Emma Healey, in dem es ebenfalls um Alzheimer geht.

Wie war das noch mal?

Maud ist bereits Anfang 80 und ist offensichtlich dement. Sie lebt zwar alleine, bekommt aber regelmäßig Besuch von einer Pflegekraft. Mit zahlreichen Zetteln, auf denen Maud sich allerlei Dinge notiert, versucht sie, sich durch den Dschungel des Alltags zu kämpfen. Dass das allerdings nicht mehr wirklich gut funktioniert, bemerkt man beispielsweise an der Menge an Teetassen, die sich auf dem Schrank an der Treppe ansammeln, wo Maud sie schlicht und einfach vergessen hat. Auch kochen soll sie sich nichts mehr, um nicht zu vergessen, das Gas wieder abzudrehen. Doch auch diesen Zettel weiß Maud nicht richtig einzusortieren.

Eine Frage aber treibt Maud ganz besonders um: Wo ist ihre beste Freundin Elizabeth geblieben? In ihrem Haus trifft sie lediglich Elizabeth‘ Sohn an, der aber wimmelt Maud und ihre Nachfragen immer wieder ab und meint lediglich, es sei alles in Ordnung. Auch Mauds Tochter geht nicht auf die Nachfragen ein, sodass Maud gezwungen ist, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Immer wieder gibt sie eine Vermisstenanzeige bei der Polizei auf, weil sie vergessen hat, dass sie das bereits getan hat. Sie ruft mitten in der Nacht bei Elizabeth‘ Sohn an, weil sie so verwirrt ist, dass sie gar nicht merkt, dass es mitten in der Nacht ist. Doch sie erhält keine Antwort auf die Frage, wo Elizabeth denn ist.

Auch in Mauds Vergangenheit gibt es einen Vermisstenfall: Ihre eigene Schwester Sukey ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Immer wieder wurde Sukeys Mann verdächtigt, nachweisen konnte man ihm aber nie etwas. Und während Mauds Eltern schnell die Hoffnung aufgegeben haben, hat Maud immer wieder versucht, Sukey wiederzufinden. Aber ohne Erfolg.

Vermisst!

Diese zwei Vermisstenfälle ziehen sich als roter Faden durch dieses Buch. „Elizabeth wird vermisst“ ist aus der Sicht Mauds geschrieben, was dieses Buch sehr lebendig macht und einem als Leser die Möglichkeit eröffnet, sich in einen an Demenz erkrankten Menschen hineinzuversetzen. Wir erleben hautnah mit, wie Maud versucht, sich im Alltag zurechtzufinden: Sie steht im Supermarkt und weiß nicht mehr, was sie eigentlich kaufen wollte. Also nimmt sie Pfirsiche in Dosen mit, denn die kann man immer gebrauchen. Zuhause allerdings türmen diese Dosen sich. Genau wie die vergessenen Teebecher und vollgeschriebenen Zettel. Die Zettel sind nämlich nur bedingt eine Hilfe, schließlich weiß Maud nie, welchen Zettel sie wann geschrieben hat und welcher deswegen wirklich wichtig ist. Hat ihre Pflegekraft ihr das Essen gekocht, isst Maud es sofort auf, weil sie vergessen hat, dass sie es bis zum Mittag stehen lassen soll. Immer schwieriger wird es für Maud, sich im Alltag zurechtzufinden. Als sie schließlich glaubt, neben einer fremden Frau zu sitzen, die sie wenige Minuten später doch als ihre Tochter wiedererkennt, ist es bereits sehr weit gekommen.

Eine Orientierungshilfe bieten die beiden Vermisstenfälle. Man hat das Gefühl, dass Mauds einzige Beschäftigung die Suche nach ihrer Schwester und nach ihrer besten Freundin ist. Leider nimmt niemand ihre Sorge ernst oder hilft ihr bei der Suche. Und so hat man oftmals das Gefühl, dass Maud von ihren Mitmenschen im Stich gelassen wird. Als sie mit ihrer Tochter und Enkeltochter einkaufen geht, verläuft Maud sich im großen Einkaufszentrum – aber wie bitteschön konnte die Tochter denn ihre Mutter aus den Augen verlieren, von der sie genau weiß, wie verwirrt sie ist?

Es ist ein Trauerspiel, das sich einem beim Lesen eröffnet. Da das Buch aus Mauds Sicht geschrieben ist, bietet sich die einmalige Gelegenheit, sich in einen dementen Menschen halbwegs hineinzuversetzen. Allerdings bringt dies auch einen großen Nachteil mit sich: Denn das Buch ist entsprechend wirr geschrieben. Nirgends finden sich Zeitangaben, sodass man weder weiß, wie viel Zeit im Buch vergeht noch weiß man immer sofort, in welcher Zeit Maud sich gedanklich gerade befindet. Oftmals denkt sie über ihre Vergangenheit nach, über Sukey, deren Ehemann, den Mitbewohner und die Suche nach Sukey. So muss man sich in jedem Abschnitt neu orientieren, was den Lesefluss doch etwas stört.

Hinzu kommen einige Längen. Zwar gefiel mir die Idee sehr gut, die Suche nach Elizabeth als roten Faden zu nehmen, doch strapaziert Emma Healey diese Frage aus meiner Sicht zu sehr. Immer wieder fragt Maud nach Elizabeth und kommt doch keinen Schritt weiter. Das Buch dreht sich daher über weite Strecken im Kreis, wodurch der Spannungsbogen stark leidet. Auch die Geschichte um Sukey wird sehr ausgebreitet. Ich hätte mir gewünscht, dass die Autorin sich auf eine der Geschichten konzentriert und nicht dieses Gemengelage aus zwei Vermisstenfällen UND der Schilderung der Demenz versucht. Das war meiner Meinung nach etwas zu viel.

Gut, aber…

Ich habe das Buch über weite Strecken sehr gerne gelesen und finde auch, dass es viel Verständnis weckt für Menschen, die an Demenz erkranken. In diesem Buch steht mal nicht jemand im Mittelpunkt, der einen dementen Angehörigen pflegen muss, sondern es geht um den Kranken selbst. Das gefiel mir sehr gut. Allerdings wird diese Idee zu sehr ausgebreitet und immer wieder von allen möglichen und auch gleichen Seiten beleuchtet. Kürzungen hätten dem Buch schon gut getan, dennoch kann ich es weiterempfehlen, auch wenn es längst nicht die gleiche Dramatik entfaltet wie „Mein Leben ohne gestern“ – ein Buch, das auf diesem Themengebiet aus meiner Sicht kaum zu übertreffen ist.

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 3,00 von 5)

Taschenbuch: 352 Seiten
Originaltitel: Strange Companions
ISBN-13: 978-3785761106

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