Stuart MacBride – Das Knochenband

Bekiffte Killer, beknackte Ermittler

„Das Opfer wurde nicht einfach stranguliert. Man hat es angezündet. Und mit Messerstichen gequält. Wer verübt einen derart grausamen Mord? Und noch einen. Und noch einen. Und wer hinterlässt kleine Knochenbündel vor der Tür von Detective Inspector Logan McRae? Die Zeit läuft. Gegen die Polizei. Und für einen Serienkiller, der Aberdeen in die reinste Horrorkulisse verwandelt.“ (Verlagsinfo)

Der Autor

Stuart McBride war schon alles Mögliche: ein Grafikdesigner, dann ein Anwendungsentwickler für die schottische Ölindustrie und jetzt Kriminalschriftsteller. Mit seiner Frau Fiona lebt er in Nordostschottland. Seine Krimis um Detective Sergeant Logan McRae spielen in Aberdeen. Mehr Info unter www.stuartmacbride.com.

Werke:

1) Cold Granite (2005) = Die dunklen Wasser von Aberdeen
2) Dying light (2006) = Die Stunde des Mörders
3) Broken skin (2007; US-Titel: Bloodshot) = Der erste Tropfen Blut
4) Flesh House (2008) = Blut und Knochen
5) Blind eye = Blinde Zeugen (2009)
6) Halfhead (2009, SF)
7) Dark Blood (2010) = Dunkles Blut
8) Shatter the Bones (2011) = Knochensplitter
9) Sawbones (2011)
10) Birthdays for the Dead (2012; Das 13. Opfer, 2013)
12) Close to the bone (2013, Das Knochenband 2014)

Handlung

Logan McRae, der in einem Wohnwagen hausende Star der ersten Krimiserie des Autors, hat es mittlerweile zum Detective Inspector gebracht. Allerdings nur durch Betreiben seiner lesbischen Vorgesetzten und Nervensäge Detective Inspector Roberta Steel, und auch nur vorläufig, sozusagen auf Bewährung. Und im vorliegenden Fall bekleckert er sich zunächst nicht gerade mit Ruhm.

Ein Mann wurde auf einem Schrottplatz mit einem Autoreifen versehen und dieser angezündet. Dieses „Necklacing“ genannte Verfahren, das aus der Zeit der Hexenverfolgung stammt, endete für das Opfer mit etlichen Verbrennungen. Doch die Todesursache erstaunt McRae: Das Opfer wurde erstochen. Anhand eines teilweise vorgefundenen Fingerabdruck ist der vorbestrafte Täter bald ausfindig gemacht: Er liegt im Krankenhaus.

Dort verüben seine Komplizen einen Anschlag auf ihn, den McRae und seine Truppe in letzter Sekunde vereiteln können. So erfährt der Inspektor zu seinem Leidwesen, dass der Messerstecher das brennende Opfer nur von seinen Qualen erlösen wollte. Das gefällt McRaes Vorgesetzten, die sich bereits über die Aufklärung des Falls freuten, überhaupt nicht.

Aber es kommt noch dicker. Detective Inspector Steel drückt ihm einen weiteren Fall aufs Auge. Während er sich noch wundert, was die komischen Knochenbündel sollen, die er morgens an der Tür seines Wohnwagens vorfindet und achtlos wegwirft, durchsucht er mit der ehrgeizigen Detective Sergeant Chalmers das Kinderzimmer der verschwundenen Agnes Garfield. Deren Mutter Doreen ist ein echter Kontrollfreak. Kein Wunder also, dass im Zimmer alles unpersönlich und reinlich aussieht – bis hin zum selbstinszenierten Tagebuch. Doreen jammert, dass der gleichfalls verschwundene Anthony Chung am Verschwinden ihrer 18-jährigen Tochter schuld sei. Woher will sie das wissen, fragt sich McRae.

Doch unter der Treppe entdeckt McRaes Spürsinn ein geheimes Kämmerchen, in dem sich Agnes wirklich aufgehalten hat. Sie höhlte Bücher aus und versteckte darin Pillen und eine erkleckliche Menge bestes Marihuana. Der erstaunlichste Fund ist aber eine Kopie des Drehbuchs für den Film „Witchfire“, der derzeit in Aberdeen gedreht wird. Die Hauptdarstellerin, die aus der Stadt stammt, ist als Besitzerin des Skripts genannt. Wie konnte es einem Teenie gelingen, sich ein geheimes Drehbuch zu besorgen?

Eine interessante Frage, auf die der Produktionsassistent Insch eine Antwort weiß. Insch arbeitete früher selbst bei der Mordkommission, bis ihn fatale Umstände zwangen, umzusatteln. „Sie ist eingebrochen und hat es aus der Requisite oder der Garderobe von Nichole Fyfe gestohlen“, lautet seine anklagende Auskunft. Es sieht danach aus, als habe sich Agnes Garfield mit Rowan, der Hauptfigur von „Witchfire“, einer Hexe, die nicht Hexen glaubt, identifiziert. Ihre Gegner sind die Schergen der Inquisition, die Fingermen.

Als sich ein Anwohner über den Gestank von nebenan beschwert, stoßen McRae und sein unfähiger Assistent Rennie auf die grausig entstellte Leiche eines Mannes, der erst nach den Regeln von „Witchfire“ in einem magischen Ring gefoltert wurde, bevor sich Ungeziefer über ihn hermachte. Die Rekonstruktion durch eine forensische Anthropologin bringt das gesicht von Anthony Chung ans Licht. Dessen Vater identifiziert die Leiche als die seines Sohnes.

„Aber das ist unmöglich“, protestiert Professor Gould, der an der Uni Psychologie lehrt und McRae therapiert. (Oder vielmehr soll.) McRae fällt aus allen Wolken, als Gould enthüllt, dass Agnes Garfield die Klientin seines nicht sonderlich geschätzten Kollegen Prof. Richard Marks gewesen ist. Während Marks in Beugehaft einsitzt, weil er sich auf die Schweigepflicht beruft, hat sich Gould unerlaubten Zutritt zu den Patientenakten verschafft: „Agnes würde so etwas ihrem praktisch vergötterten Freund niemals antun.“

Während Agnes weitere Leichen und Knochenbündel in Aberdeen verteilt, steht die Mordkommission nun vor einem scheinbar unlösbaren Widerspruch. Da ergreift die ehrgeizige DS Chalmers die Initiative und ermittelt auf eigene Faust. Das wird ihr und ihren sie suchenden Kollegen um ein Haar zum Verhängnis…

Mein Eindruck

Auf den ersten 200 Seiten, also im ersten Drittel, scheint zunächst nichts voranzugehen, und die Mitglieder der Mordskommission, die Detectives, scheinen mehr mit eigenen Querelen beschäftigt zu sein als mit der Lösung des Falls. Und weil sie nicht vorankommen, bekommen sie die Hilfe der Kollegen aus der Grafschaft Strathclyde aufs Auge gedrückt. Was die Dinge nicht wirklich bessert, aber McRae wenigstens zu einer Liebesnacht mit seiner alten Flamme DS Watson verhilft. Sie inzwischen verheiratet, aber in der Ehe nicht glücklich.

Scheinwelt

Wie McRae allmählich erkennt, sind die Dinge nicht das, was zu sein scheinen. Da ist zum einen das Buch „Witchfire“, das die Vorlage zum in Aberdeen gedrehten Film liefert. Die beiden Hauptdarstellerinnen des Films Nichole Fyfe und Michelle Morgan sind ständig in den Gazetten, Klatschspalten und Talkshows vertreten. Das ist ja ganz nett, wenn auch etwas lästig bei den Ermittlungen, denkt McRae – bis er den beiden Damen leibhaftig begegnet.

Besonders Michelle scheint sich in ihre Rolle der Schurkin geradezu hineinzusteigern. Sie habe sogar einen echten Hexenzirkel in Wyoming besucht, um sich auf ihre Rolle vorzubereiten, erzählt sie. Ist sie womöglich die Serienmörderin, schießt es McRae durchs überarbeitete Hirn, und nicht etwa Agnes Garfield, die ihre Tabletten abgesetzt hat? Unvermittelt bricht die Handlung des Buchs aus dem Bereich der Fiktion heraus in die Realität. So verwandelt sich die Stadt auf unheimliche Weise in die Kulisse eines weitaus größeren „Films“, den man gemeinhin „Realität“ nennt.

Hexentrio

Zusammen mit einer Kollegin besucht McRae das Hexenhäuschen dreier Schwestern in einem Vorort. Die Wortführerin, ganze hundertvierzig Zentimeter groß, teilt sich mit ihren Schwestern Ina und Ellie eine gemeinsame Brille. Sie könne mit den Augengläsern besser hören, behauptet sie. Wie sich herausstellt, hat das muntere Trio Agnes Garfield in allerlei Hexenkunde unterrichtet, tja, bis sich Agnes an den Gebeinen der Mutter des illustren Trios vergriff, einer mächtigen Hexe. Ein Trio von Greisinnen, das sich ein gemeinsames Auge teilt, kommt bereits in der antiken Perseus-Sage vor: die Graien. Man kann sie in der Neuverfilmung von „Kampf der Titanen“ bewundern. In der nordischen Mythologie tauchen sie als Nornen auf: die Schicksalsgöttinnen.

Im Koma

Zu guter Letzt führt der Autor selbst den Leser hinters Licht. So oft er kann, seilt sich Logan McRae ab und besucht seine seit zwei Jahren im Koma liegende Freundin Samantha. Sie fiel seinerzeit einem Brandanschlag zum Opfer. Dass sie im Koma liegt, erschließt sich dem Leser erst sehr spät, denn Sam „antwortet“ Logan sehr ausführlich auf alle seine Fragen und „spricht“ sogar am Telefon mit ihm. Da er aus „Witchfire“ vorliest, erhält er genau Kenntnisse über die fiktionalen Figuren, die sich auf einmal auf den Straßen seiner Stadt herumtreiben. Diese Szenen sind anrührend, aber der Autor muss sie grotesk überhöhen, um sie in ihrem emotionalen Gehalt mitteilen zu können – der Leser würde sie sonst zynisch als Kitsch wegbügeln. Samantha wünscht sich beispielsweise eine Katze, die sie Cthulhu nennen will, nach einem Supermonster aus Lovecrafts Erzählungen.

Knochenbrecher

Dies wäre kein MacBride-Thriller, wenn es nicht auch ordentlich blutig zur Sache ginge. Dass Männer in einem Hexenring zu Tode gefoltert werden – pippifax! In einer anderen Szene verfolgt Agnes Garfield, wie ein Knochenbrecher der Macleod-Brüder einen vermeintlichen Verräter bestraft, indem er ihm die Knie zu Brei schlägt – zu den Klängen von Steppenwolfs „Born to be wild“.

Auf der Gegenseite der Macleods herrscht Wee Hamish Mowat über das organisierte Verbrechen Aberdeens, und dessen Sohn Reuben, ein Berg von einem Kerl, hat seine eigenen Methoden, um unwillige Zeugen zum Reden zu bringen. Die Knochen brechen solange, bis McRae die Nerven verliert und auf eine klügere Taktik setzt: Reden statt Gewalt. Ob das wirklich wirkt, muss sich noch herausstellen.

Der Showdown ist schließlich derart spannend und gewalttätig, dass sich der Thrillerfan nichts Besseres wünschen kann. Spreng- und Stromfallen sowie Killerhunde sind nur der Vorgeschmack auf das, was folgt. Aber ob McRae noch rechtzeitig eintrifft, um DS Chalmers retten zu können, darf hier nicht verraten werden.

Die Übersetzung

Andreas Jäger hat auch diesen MacBride-Roman astrein ins Deutsche übertragen. Man muss „Übertragung“ sagen, denn dabei ging es darum, vor allem die umgangssprachlichen Entsprechungen zu finden, die dem deutschen Leser den gleichen Inhalt vermitteln, wie er dem Aberdeener Autor vorschwebte. Die Figuren sagen als durchaus mal „Ach du Scheiße“ oder „Schockschwerenot“ (wobei letzterer Ausdruck nur von einer Polizistin gebraucht wird, die vom Lande kommt und noch ältere Ausdrücke kennt).

Auch die Übertragung der Ausdrücke einer solch kreativen Figur wie DI Steel war sicher knifflig. Die männlich ausgeprägte Lesbierin Steel liebt es, Männer mit Ausdrücken zu traktieren, in denen das Hinterteil und der untere Teil des Gemächts allerlei unschönen Veränderungen unterzogen werden, wo der „Stiefel im Arsch“ noch die harmloseste Variante darstellt.

Hinzukommen noch dialektal geprägte Sätze, denn der Aberdonian-Dialekt unterscheidet sich deutlich von dem aus Glasgow oder Edinburgh. Der Lokalpatriotismus der Einheimischen wird im Original von MacBride-Krimis, die ich kenne, stets sehr deutlich in der Sprache ausgedrückt. Im Deutschen bleibt davon meist nur ein Satz mit vielen Auslassungszeichen und knuddeligen Wörtern wie „Bursch“ übrig.

Druckfehler habe ich keine gefunden, was für ein exzellentes – und aufwendiges – Korrektorats seitens des Verlags spricht. Der Leser bezahlt also auch für bestmögliche Textqualität.

Unterm Strich

Nach dem ersten Drittel stockte mein Lesefluss doch erheblich, denn die Mordkommission schien nicht mehr zu sein als ein Käfig voller Narren, einer unfähiger als der andere. Doch der Schein trügt: Die Figuren sind nur so sarkastisch gezeichnet, aber dafür unverwechselbar. Der einzige Cop, der die Ermittlung voranzubringen scheint, ist Logan McRae, aber er wird ständig von seiner Chefin Steel untergebuttert.

Das mittlere Drittel liefert zahlreiche weitere Hinweise, führt aber zu keiner Entscheidung, sondern vielmehr zu dem oben genannten Widerspruch: Ist Agnes Garfield nun die gesuchte Serienmörderin und hat ihren Freund Tony Chung auf dem Gewissen, oder verhält sich alles ganz anders? Ein paar falsche Fährten führen unsere Helden des Coup-Alltags in die Irre, und die Realität des Lebens Aberdeens wird immer fadenscheiniger.

Das letzte Drittel macht alles wieder wett. Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis der Showdown vorüber war. Trotz aller menschlichen Unzulänglichkeiten gelingt es McRae zudem doch noch, die Tücken des polizeilichen Systems zu umgehen und den Amtsschimmel auszutricksen. Hier geht denn auch der erste Spannungsbogen zu Ende: Wer hat das erste Necklacing-Opfer auf dem Gewissen? Die Antwort verheißt nichts Gutes für Inschs Filmprojekt.

Wären die unnötigen Längen am Anfang und in der Mitte nicht gewesen, hätte ich dem Buch durchaus die volle Punktzahl gegönnt.

Taschenbuch: 608 Seiten
Info: Close to the bone, 2013
Aus dem Englischen von Andreas Jäger
ISBN-13: 978-3442481941

www.randomhouse.de/goldmann

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