Robert E. Howard – Kull: Verbannt aus Atlantis

Nur drei Storys veröffentlichte Robert E. Howard (1906-1936) zu seinen Lebzeiten. Dennoch schuf er eine konturenstarke Figur, die er mit einer umfangreichen ‚Biografie‘ ausstattete und in jene mythische Urzeit versetzte, in der auch Conan, der Barbar, ‚lebte‘: Dieser (reich illustrierte) Band sammelt sämtliche Kurzgeschichten, Entwürfe und Fragmente, die aus Howards Feder stammen. Sie werden kundig kommentiert, sind vorzüglich übersetzt und belegen einmal mehr, wie nachhaltig Howard das Fantasy-Genre geprägt hat.

Inhalt:

– Klaus Schmitz: Einleitung, S. 9-12

– Verbannt aus Atlantis (Exile of Atlantis, 1967), S. 13-22: Zwar ist er unter wilden Tieren aufgewachsen, doch es ist eine Geste des Mitleids, die Kull dazu zwingt, seine Heimat Atlantis zu verlassen.

– Das Schattenkönigreich (The Shadow Kingdom, 1929), S. 23-72: Die schlangenhaften und zauberkundigen Ureinwohner von Valusien sind keineswegs ausgestorben; sie haben Kulls Hof unterwandert, sind bereit zum Königmord und zum Griff nach der Macht.

– Die Spiegel von Tuzun Thune (The Mirrors of Tuzun Thune, 1929), S. 73-88: Ein tückischer Magier lockt König Kull in seinen Palast, wo er ihm allmählich seine Lebenskraft raubt.

– [Entwurf ohne Titel] (1978), S. 89-118

– Die Katze und der Schädel (The Cat and the Skull, 1967), S. 119-154: König Kull wird Opfer eines Komplotts und ins Reich der fast vergessenen Seemenschen gelockt, wo er allerdings nicht wie vorgesehen ein schnelles Ende findet.

– Der kreischende Schädel der Stille (The Screaming Skull of Silence, 1967), S. 155-166: Einmal mehr tappt König Kull in die Falle eines Intriganten bzw. dorthin, wo die Stille mörderisch Gestalt und Willenskraft annimmt.

– Das Schlagen des Gongs (The Striking of the Gong, 1976), S. 167-174: Durch einen zufälligen Riss im Gefüge des Universums ‚fällt‘ König Kull in eine fremde Dimension, die keineswegs unbewohnt ist.

– Der Altar und der Skorpion (The Altar and the Scorpion, 1967), S. 175-180: Zaubermeister Gurun bringt ein junges Paar in seine Gewalt, hat aber die Rechnung ohne die Götter bzw. einen ganz bestimmten Gott gemacht.

– Der Fluch des Goldenen Schädels (The Curse of the Golden Skull, 1967), S. 181-186: Von Kulls Schwert niedergestreckt, spricht ein Magier einen letzten Fluch, der viele Jahrzehntausende später den ahnungslosen Entdecker seines Grabes trifft.

– Die schwarze Stadt [unvollendetes Fragment] (The Black City, 1978), S. 187-192

– [Fragment ohne Titel] (1978), S. 193-198

– Die Axt sei mein Zepter! (By This Axe I Rule!, 1967), S. 199-228: Geschickt schüren Revoluzzer den Widerstand gegen König Kull, um ihn schließlich in seinem Schlafgemach zu ermorden; erwartungsgemäß bleibt es beim Versuch.

– Schwerter des Purpurnen Königreichs (Swords of the Purple Kingdom, 1967), S. 229-264: Thronräuber rotten sich zusammen, um den König von Valusien in eine tödliche Falle zu locken.

– Der König und die Eiche (The King and the Oak, 1939), S. 265-268

– Könige der Nacht (Kings of the Night, 1930), S. 269-317: Um den römischen Invasoren Widerstand leisten zu können, ist Piktenkönig Bran Mak Morn bereit, einen seit Äonen toten Helden an seine Seite zu rufen – Kull von Valusien!

Verschiedenes

Die Fragmente zu Am-ra von den Ta-an

– Sommermorgen (Summer Morn), S. 322

– Am-ra der Ta-an (Am-ra The Ta-an, 2002), S. 323-325

– Die Geschichte von Am-ra (The Tale of Am-ra, 1998), S.326

– [Unvollendetes Fragment ohne Titel], S. 327-331

– [Unvollständiges Fragment ohne Titel], S. 332-335

– Das Schattenkönigreich [Entwurf] (The Shadow Kingdom [Draft]), S. 336-343

– Die Katze der Delcardes [Entwurf] (Delcardes‘ Cat [Draft]), S. 344-378

– Der König und die Eiche [Entwurf] (The King and the Oaks [Draft]), S. 379/80

– Klaus Schmitz: Nachwort, S. 381-404

– Veröffentlichungsnachweise und Anmerkungen zu Howards ursprünglichen Texten, S. 405-411

Die frühe Weltgeschichte als freie Bühne

Vor Conan, dem Barbar, war Kull, der Barbarenkönig von Valusien. Das macht Kull zum Vorläufer des ungleich erfolgreicheren Schlagetots (der übrigens ebenfalls einen Königsthron für sich eroberte), ohne ihn zu einem bloßen Schatten herabzuwürdigen, der erst in Conan echte Gestalt annahm. Tatsächlich war – und ist – Kull eine überaus selbstständige literarische Gestalt, die in der kurzen Zeit ihrer ursprünglichen Präsenz Marksteine setzte, vor denen viele Jahrzehnte später Fantasy-Leser voller Bewunderung stehen.

Diese Leistung ist umso höher zu bewerten, als Kull nur in drei Kurzgeschichten auftauchte, die zwischen August 1929 und November 1930 im Pulp-Magazin „Amazing Stories“ erschienen, wobei „Könige der Nacht“ – die letzte dieses Trios – eigentlich dem (ebenfalls überschaubaren) Reigen von Howard-Storys um den Pikten-König Bran Mak Morn angehört und Kull eher als ‚Gaststar‘ auftritt.

Dem ausführlichen Vor- und Nachwort, verfasst von Klaus Schmitz, ist zu entnehmen, dass Howard für Kull eine Art Geistesblitz verantwortlich machte, nach dem sich dieser im Hirn des Verfassers für eine Weile häuslich niederließ. Mit der für ihn typischen Intensität stürzte sich Howard auf Kull und investierte viel Zeit darauf, die imaginäre Vergangenheit von Atlantis und Valusien stimmig und farbenfroh ins Bild zu setzen. Noch war das „hyborische Zeitalter“, in dem Howard seine fiktive Vergangenheit und die reale Weltgeschichte kombinierte, eine vage Vorstellung, doch auf dem Weg dorthin wurde Kull ein wichtiger Weichensteller.

König werden ist nicht schwer …

Als Howard zum ersten Mal von Kull erzählt („Das Schattenkönigreich“), hat dieser anders als Conan die unsteten Wanderjahre der Jugend bereits hinter sich und ist König von Valusien. Eine Rückblende („Verbannt aus Atlantis“) blieb unveröffentlicht; sie transportiert keine ‚richtige‘ Handlung, ermöglicht aber einen Blick auf Kulls Charakter: Der Barbar mag aus Sicht seiner ‚zivilisierten‘ Zeitgenossen ein grober Wilder sein, doch gerade deshalb hat er sich einen Sinn für Recht und Unrecht bewahrt, dem er später als König folgen wird, obwohl ihn das ständig in Konflikt mit Gesetzen und Regeln bringt.

Vor allem in „Die Axt sei mein Zepter!“ und „Schwerter des Purpurnen Königreichs“ hadert Kull mit seinem Schicksal. Sein Amt hat er barbarisch errungen, indem er seinen Vorgänger umbrachte und sich dessen Krone aufsetzte. Nach archaischem Recht (und dank ihm gewogener, schlagkräftiger Verbündeter) war Kull damit König von Valusien. Dass ihn dies gleichzeitig zum Knecht uralter Vorschriften macht, muss Kull erst lernen. Keineswegs immer beugt er sich; dies gilt vor allem, wenn das Gesetz seinem Sinn für Gerechtigkeit widerspricht oder/und eine junge Liebe dadurch verhindert wird.

Paradoxerweise ist Kull ein guter König, der für das Wohl seiner Untertanen sorgt. Deshalb wundert er sich, dass ‚man‘ trotzdem gegen ihn intrigiert. Für politische Ränken ist er zu naiv, weshalb man ihn wie in „Die Spiegel von Tuzun Thune“, „Die Katze und der Schädel“ oder „Der kreischende Schädel der Stille“ recht einfach in magisch verstärkte, eigentlich tödliche Fallen locken kann. Doch immer kommt der Moment, in dem bloße Körper- und Willenskraft den Ausschlag geben. Am Ende mag Kull aus tausend Wunden bluten, aber seine Widersacher liegen mausetot zu seinen Füßen.

Spielball kosmischer Mächte

Robert E. Howard war ein Brieffreund von H. P. Lovecraft (1890-1937); die beiden tauschten sich angeregt über Ideen aus. Howard mochte Lovecrafts Konzept eines Universums, in dem die Erde und ihre Bewohner nur eine Nebenrolle spielen, während von ihnen selten bemerkt kosmische Wesenheiten seit Äonen gewaltige Kriege führen. In „Das Schlagen des Gongs“ greift Howard dies auf und lässt Kull durch Zufall hinter die Kulissen des Uni- bzw. Multiversums stolpern, wo ihm eine ausnahmsweise freundliche Entität einige Einblicke in die wahre Natur des Kosmos‘ gewährt.

In „Könige der Nacht“ wird die (naturwissenschaftliche) Ordnung des Universums – hier die Linearität der Zeit – abermals als Illusion entlarvt und Kull aus seiner Vergangenheit geholt, um sich an einer gewaltigen Schlacht zu beteiligen. Auch der böse Magier Rotath sprengt in „Der Fluch des Goldenen Schädels“, welcher sich erst in der Gegenwart (des frühen 20. Jahrhunderts) entlädt, die Grenzen von Zeit und Raum. Kulls Welt ist in dieser Hinsicht ‚fantastischer‘ als die Conans. Obwohl auch dort Magie und Monster ihr Unwesen treiben, spielt der transdimensionale Überbau keine so wichtige Rolle.

„Kull – Verbannt aus Atlantis“ beinhaltet zahlreiche Entwürfe, die Fragment geblieben sind. Howard war ein routinierter Autor; zu seinem Alltag gehörten Ideen, die sich nicht entwickeln wollten, vom Käufer abgelehnt und schließlich beiseitegelegt wurden. Selbst diese Bruchstücke lesen sich erstaunlich gut. Als Leser bedauert man es, dass Werke wie „Die schwarze Stadt“ aufgegeben wurden: Man hätte gern gewusst, wie die Geschichte weiter- und ausgeht.

Zuviel des Guten?

„Kull – Verbannt aus Atlantis“ ist als Sammelband ein Füllhorn und eine Fundgrube. In Sachen Kull lässt das Buch keine Fragen offen, wobei sich die Hintergrundinfos auf den ‚literarischen‘ Kull beschränken und beispielsweise Peinlichkeiten wie den „Kull“-Film von 1997 (mit Kevin „Das-ist-kein-Jim-Beam!“ Sorbo in der Titelrolle!) aussparen. Der Text ist reich illustriert, wobei das Urteil über die Qualität der Abbildungen dem jeweiligen Betrachter überlassen sei. Wichtiger ist eine vorzügliche Übersetzung, die hilft zu erkennen, dass hier nicht nur ein Berserker Köpfe ein- und Gliedmaßen abschlägt, sondern im besten Sinn triviale, d. h. spannende Geschichten erzählt werden.

Da Howard von diesen noch mehr zu bieten hätte, ist es traurig, dass zumindest der Festa-Verlag keinen Nachschub mehr liefern wird. Die Erklärung ist simpel: Ein Konkurrent ist aufgetaucht, hat Howards Storys – deren Copyright offenbar hierzulande oder überhaupt abgelaufen ist – rasch übersetzen lassen und wirft sie als E-Books kostengünstig auf den Markt. Damit gräbt er den Festa-Editionen, die gediegen aufgemacht sowie mit Hintergrundmaterial ausgestattet sind, das Wasser ab: Qualität hat ihren Preis, den nun zu wenige Leser zu zahlen bereit sind.

So mischt sich in die Freude über diese feine Edition mehr als ein Wermutstropfen. Ein letztes Mal können – und sollten – die Freunde klassischer Fantasy die Gelegenheit nutzen. Robert E. Howard belegt ein Tugend, die dem heutzutage zur Zwangs-Epik neigenden Genre leider abhandengekommen ist: Fantasy kann rasant, ‚eindimensional‘ und effektzentriert sein, ohne seinen Unterhaltungswert einzubüßen!

Autor

Robert Ervin Howard wurde am 22. Januar 1906 in Peaster, einem staubigen Flecken irgendwo im US-Staat Texas, geboren. Sein Vater, ein Landarzt, zog mit seiner kleinen Familie oft um, bis er sich 1919 in Cross Plain und damit im Herzen von Texas fest niederließ. Robert erlebte nach eigener Auskunft keine glückliche Kindheit. Er war körperlich schmächtig, ein fantasiebegabter Bücherwurm und damit der ideale Prügelknabe für die rustikale Landjugend. Der Realität entzog er sich einerseits durch seine Lektüre, während er sich ihr andererseits stellte, indem er sich ein intensives Bodybuilding-Training verordnete, woraufhin ihn seine Peiniger lieber in Frieden ließen: Körperliche Kraft bedeutet Macht, der Willensstarke setzt sich durch – das war eine Lektion, die Howard verinnerlichte und die seine literarischen Helden auszeichnete, was ihm von der Kritik lange verübelt wurde; Howard wurden sogar faschistoide Züge unterstellt; er selbst lehnte den zeitgenössischen Faschismus ausdrücklich ab.

Nachdem er die High School verlassen hatte, arbeitete Howard in einer langen Reihe unterbezahlter Jobs. Er war fest entschlossen, sein Geld als hauptberuflicher Autor zu verdienen. Aber erst 1928 begann Howard auf dem Magazin-Markt Fuß zu fassen. Er schrieb eine Reihe von Geschichten um den Puritaner Solomon Kane, der mit dem Schwert gegen das Böse kämpfte. 1929 ließ er ihm Kull folgen, den König von Valusien, dem barbarischen Reich einer (fiktiven) Vorgeschichte, 1932 Bran Mak Morn, Herr der Pikten, der in Britannien die römischen Eindringlinge in Angst und Schrecken versetzte. Im Dezember 1932 betrat Conan die literarische Szene, ein ehemaliger Sklave, Dieb, Söldner und Freibeuter, der es im von Howard für die Zeit vor 12000 Jahren postulierten „Hyborischen Zeitalter“ bis zum König bringt.

Die Weltweltwirtschaftskrise verschonte auch die US-amerikanische Magazin-Szene nicht. 1935 und 1936 war Robert E. Howard dennoch in allen wichtigen US-Pulp-Magazinen vertreten. Er verdiente gut und sah einer vielversprechenden Zukunft entgegen, korrespondierte eifrig und selbstbewusst mit Kollegen und Verlegern und wurde umgekehrt als noch raues aber bemerkenswertes Erzähltalent gewürdigt.

Privat litt Howard an depressiven Schüben. Diese Krankheit war in den 1930er Jahren noch wenig erforscht und wurde selten als solche erkannt oder gar behandelt. In Howards Fall kam eine überaus enge Mutterbindung hinzu. Als Hester Ervin Howard 1935 an Krebs erkrankte und dieser sich als unheilbar erwies, geriet ihr Sohn psychisch in die Krise. Im Juni 1936 fiel Hester ins Koma, am 11. des Monats war klar, dass sie den Tag nicht überleben würde. Als Howard dies realisierte, setzte er sich in seinen Wagen und schoss sich eine Kugel in den Kopf. Er war erst 30 Jahre alt. Sein umfangreiches Gesamtwerk geriet in Vergessenheit, bis es in den 1950er und 60er Jahren wiederentdeckt wurde und nie gekannte Bekanntheitsgrade erreichte, was seinen frühen Tod als doppelten Verlust für die moderne Populärkultur deutlich macht.

Gebunden: 411 Seiten
Originalzusammenstellung
Übersetzung: Klaus Schmitz
Cover u. Illustrationen: Timo Wuerz
http://www.festa-verlag.de

E-Book: 1221 KB
ISBN-13: 978-3-86552-463-8
http://www.festa-verlag.de

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