Der Meister des Spannungsbogens ist zurück: Sebastian Fitzek beglückt seine Fans mit einem neuen packenden Thriller, den man schon von der ersten Seite an kaum aus der Hand legen kann. Denn wenn Fitzek eins beherrscht, dann das Stricken einer mysteriösen Geschichte, die den Leser von Anfang an in Bann schlägt. Schon wie bei der „Therapie“, so musste ich auch Fitzeks „Amokspiel“ praktisch an einem Stück lesen, um endlich hinter die Fassade blicken und die Zusammenhänge verstehen zu können …
Zu einem Amokspiel lädt uns Sebastian Fitzek ein, indem sein Hauptprotagonist Jan May sich in einen Berliner Radiosender einschleust und dort eine Besuchergruppe als Geiseln nimmt. May hat sich für die laufende Morgensendung ein besonders perfides „Gewinnspiel“ ausgedacht, denn einmal pro Stunde wird eine zufällige Telefonnummer gewählt und nur wenn sich der Angerufene mit der richtigen Codeformel nennt, wird eine Geisel freigelassen, ist die korrekte Losung nicht zu hören, wird eine Geisel erschossen.
Die Psychologin Ira Samin wird als Vermittlerin eingeschaltet und erlebt einen schrecklichen Tag, der eigentlich ihr letzter sein sollte. Denn eigentlich wollte sie nur schnell eine Cola Light Lemon kaufen gehen, die die Krönung für ihren Selbstmord werden sollte, als ihr ehemaliger Geliebter Götz sie aus einer nicht minder verwegenen Situation im kleinen Supermarkt abholt und sie in den Berliner Radiosender bringt. Dort nimmt sie Kontakt zu Jan May auf, der alle ihre psychologischen Verhandlungstricks sofort durchschaut, weil er nämlich selbst vom Fach ist, wie Ira schnell herausfinden muss. Was sie jedoch auch bald erfahren muss, ist, dass ihre Tochter Kitty ebenfalls in der Gewalt des Geiselnehmers ist, denn als er sein Amokspiel begonnen hat, befand sie sich zufällig in der Küche des Radiosenders und damit in dem Bereich, der nun von May kontrolliert wird. Ira, die darüber hinaus unter Entzugserscheinungen leidet, beginnt ihre verzweifelten Verhandlungen, um ihre letzte Tochter zu retten, denn ihre Tochter Sara hat sich bereits das Leben genommen.
Doch schnell findet Ira heraus, dass auch Jan May einen großen Verlust erlitten hat, der die beiden nun verbindet. May nämlich ist auf der Suche nach seiner großen Liebe Leoni, die eines Tages aus seinem Leben verschwunden ist. Vor acht Monaten erhielt May einen merkwürdigen Anruf seiner damaligen Verlobten, der wegen der schlechten Verbindung für ihn ein großes Rätsel bleiben musste, doch noch bevor das Telefongespräch unterbrochen wird, klopft es schon an Mays Tür und er steht einem Polizisten gegenüber, der May weismachen will, dass Leoni bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Was ist wirklich passiert? Ist May durch den großen Verlust völlig durchgedreht oder ist Leoni doch noch am Leben? Aber was ist dann mit ihr passiert? Wieso meldet sie sich nicht mehr bei ihm? Diese Fragen und noch viele mehr sind es, die Fitzek bereits zu Beginn des Buches aufwirft und erst in nervenaufreibender Weise ganz allmählich beantwortet.
Wieder einmal schafft Sebastian Fitzek das Unglaubliche: Kaum hat man das Buch zu lesen begonnen, gerät man in einen Sog, dem man sich nicht mehr entziehen kann. Eröffnet wird das Amokspiel mit der Vorstellung Jan Mays, der den kryptischen Anruf seiner Verlobten erhält, der schlussendlich zu der Geiselnahme führen wird, denn den Medienrummel um die Geiselnahme im Radiosender will May dazu nutzen, seine Leoni wiederzufinden. Das nämlich ist seine Bedingung: Er will das Amokspiel nur dann beenden, wenn er Leoni wiedersehen kann. Allerdings hat May keine Ahnung, in welches Wespennest er durch seine Tat hineinsticht!
Sebastian Fitzek spickt seinen intelligent durchkonstruierten Psychothriller mit Hinweisen, die dem Leser nach und nach Informationen darüber geben, was wirklich mit Leoni geschehen ist. Immer wieder streut Fitzek Situationen ein, die zwar recht schnell deutlich machen, in welche Richtung sich das Geschehen entwickeln dürfte, die aber trotzdem immer wieder neue Fragen aufwerfen. Außerdem wird schnell klar, dass nicht alle beteiligten Personen ein ehrliches Spiel treiben, was dazu führt, dass man praktisch jedem misstraut und immer wieder den Maulwurf sucht. Fitzek fordert das eigene Mitraten geradezu heraus und belohnt den Leser damit, dass man den einen oder anderen Maulwurf doch ganz gut enttarnen kann. So wird man in die Erzählung hineingezogen und regelrecht in eine andere Welt entführt.
Eine ganz besondere Note erhält das Amokspiel dadurch, dass bei den Verhandlungen zwischen Ira Samin und Jan May zwei professionelle Psychologen aufeinandertreffen und sich gegenseitig auszuspielen versuchen. Nie weiß man, wer von beiden die Nase vorn haben wird, doch offenbaren die beiden immer mehr von den seelischen Wunden, die sie erfahren und die ihr Leben zerstört haben. Mit Ira Samin hat Sebastian Fitzek eine Figur geschaffen, wie sie für ihre Aufgabe bei der Geiselnahme kaum problematischer sein könnte. Eigentlich wollte Ira bereits tot sein, weil sie den Selbstmord ihrer Tochter Sara nicht überwinden kann und sich immer noch mit Schuldgefühlen herumplagt, gleichzeitig versucht sie verzweifelt, ihre andere Tochter Kitty zu retten, obwohl diese sich nach dem Selbstmord der Schwester von ihrer Mutter abgewandt hat.
Aber auch die Figur des Jan May birgt einige interessante Aspekte, denn trotz seiner brutalen Geiselnahme und trotz der Tatsache, dass er die erste Geisel im Handumdrehen geopfert hat, bevor diese ihm weitere Probleme machen konnte, wird er einem immer sympathischer. Man leidet mit ihm mit und wünscht ihm, dass er seine Leoni wiederbekommen möge. Fitzek lässt hier zwei Charaktere agieren, die das Buch im Alleingang tragen und der Geschichte das gewisse Etwas geben.
Wie man es von Fitzeks Debütwerk bereits gewöhnt ist, hat er zum Ende hin noch einige Überraschungen für seine Leser parat, die vielleicht nicht mehr ganz so überraschend sind wie einige Wendungen in der Mitte des Buches, aber nicht minder spannend – und im Übrigen verzeiht man Fitzek den einen oder anderen Schnitzer, weil er es schafft, seine Leser über eine Strecke von hier 425 Seiten so an das Buch zu fesseln, dass man beim Lesen alles andere vergisst und an seinen Fingernägeln knabbert, während man gespannt auf die Auflösung wartet.
Mit „Amokspiel“ ist Sebastian Fitzek erneut ein Pageturner gelungen, wie man ihn nur selten findet. Von Beginn an schlägt Fitzek ein Erzähltempo an, dem man nur schwer folgen kann. Insgesamt gefiel mir „Die Therapie“ zwar ein wenig besser, da man Fitzeks Wendungen schon beim zweiten Buch teilweise erraten kann, nichtsdestotrotz warte ich schon jetzt sehnsüchtig auf Fitzeks nächsten Thriller!
Taschenbuch: 448 Seiten
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