Florian Schwiecker & Michael Tsokos – Der 13. Mann

Der zweite Fall, den Anwalt Rocco Eberhardt und Rechtsmediziner Justus Jarmer aufklären wollen, ist wahrlich brisant und lässt es einem eiskalt den Rücken hinunterlaufen: Im Rahmen des sogenannten Granther-Experiments haben Berliner Jugendämter bis ins Jahr 2003 Pflegekinder aus zerrütteten Familien zu pädophilen Pflegevätern vermittelt – in dem aberwitzigen Glauben, dass sie dort besonders liebevoll behandelt werden.

Nun wollen Timo Krampe und sein Freund Jörg Grünwald ans Licht bringen, was ihnen bei ihrem Pflegevater passiert ist und dass sie jahrelang sexuell missbraucht worden sind, ohne später je eine Entschädigung dafür erhalten zu haben. Mit ihrer Anfrage auf Entschädigung wurden sie einfach auf Berufung der Verjährung abgewiesen. Nun aber haben sie sich an eine engagierte Journalistin gewandt, die ihnen helfen möchte, alles aufzuklären und für eine Art Wiedergutmachung zu sorgen.

Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Jörg Grünwald verschwindet spurlos und meldet sich nicht mehr. Stattdessen wird eine Wasserleiche gefunden, die am Rücken ein riesiges Hämatom aufweist – ein Anzeichen dafür, dass der Mann absichtlich ins Wasser geschubst oder getreten wurde. Bei der Leiche handelt es sich um Jörg Grünwald. Kurz darauf wird auch auf Timo ein Anschlag verübt.

Rocco Eberhardt nimmt sich des Falls an, versteckt Timo Krampe und will mit seiner früheren Freundin, der Staatsanwältin Claudia Spatzierer, aufdecken, was damals auf Veranlassung der Jugendämter geschehen ist. Doch damit stehen sie einem mächtigen Gegner gegenüber…

Tiefe Abgründe

Wie schon das erste Buch über Eberhardt und Jarmer hat mich auch dieses von der ersten bis zur letzten Seite absolut gefesselt. Zunächst war mir gar nicht klar, was für ein grusliges Experiment sich hinter dem Namen Granther verbirgt – umso schlimmer, als das Nachwort erläutert, dass es ein vergleichbares Experiment tatsächlich gegeben hat!

Rocco Eberhardt tritt dieses Mal nicht als Strafverteidiger auf, sondern vertritt die Nebenklage und unterstützt damit die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung. Dieser Rollenwechsel hat definitiv seinen Reiz, zumal die Beziehung zwischen Rocco und Claudia, die lange zurückliegt, nun möglicherweise neu aufzuflammen scheint.

Auch die anderen Figuren im Buch gefallen mir gut – der ruhige und besonnene, aber sehr souveräne Rechtsmediziner, der über jeden Verdacht erhaben ist. Und auch Timo Krampe, das gebrochene Missbrauchsopfer, das dann im Laufe des Buches aber etwas Selbstbewusstsein gewinnt und beschließt, die Schuldigen von damals anzuklagen, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

Natürlich tritt auch wieder Roccos befreundeter Privatermittler auf, der aber dieses Mal nicht ganz so entscheidend mitwirkt wie noch im ersten Fall. Aber was alle gemeinsam aufdecken, ist wirklich unfassbar grausam und vor allem vollkommen unverständlich. Wie man Pflegekinder zu verurteilten Sexualstraftätern vermitteln kann, lässt sich einfach nicht nachvollziehen. Dafür beginnt beim Lesen das Kopfkino und die Gedanken kreisen, was den armen Kindern dort wohl zugestoßen sein wird. Über Jahre. Unter Duldung des Jugendamts. Gruselig!

Verworrene Ermittlungen

Eine andere wichtige Figur ist der Politiker Markus Palme, der zur Wahl des nächsten Berliner Oberbürgermeisters antritt und die größten Chancen auf das Amt hat. Zunächst ist vollkommen unklar, wie Palme in die Ermittlungen zum Granther Experiment passt, aber auch hier überraschen uns die Autoren wieder gekonnt.

Erst nach und nach erfahren wir Timo Krampes Geschichte und lesen, was sich hinter dem Granther-Experiment verbirgt und vor allem welche Personen hinter diesem Experiment stehen. Das Buch wird dadurch wieder zu einer einzigen Schnitzeljagd, die kurz vor Ende noch an einen völlig überraschenden Wendepunkt gerät. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, doch Schwiecker und Tsokos verkaufen diese Wendung vollkommen schlüssig.

Der 13. Mann und das 2. Buch

Das Buch hat leider nur rund 330 Seiten, die sich in über hundert kurze Kapitel unterteilen. Dadurch wird das Buch zu einem einzigen Pageturner, da viele Seiten auch nur halb bedruckt sind. Von Kapitel zu Kapitel springen wir zwischen den Situationen und handelnden Situationen hin und her, was den Spannungsbogen immer weiter ansteigen lässt.

Nur leider kommt man dadurch viel zu schnell ans Ende. Und was mich etwas unbefriedigt zurückgelassen hat: Am Ende von Band 1 wird ein Cliffhanger angekündigt, der mich dem neuen Buch hat entgegenfiebern lassen. Der Cliffhanger wird dann anfangs zwar zweimal erwähnt, aber dann nicht wieder. Das fand ich etwas merkwürdig und unbefriedigend.

Unter dem Strich fand ich den Auftakt zur Eberhardt-Jarmer-Reihe etwas überzeugender, da der Fall noch undurchsichtiger war und sich noch geschickter in der Spannung gesteigert hat. Aber zu 4 von 5 Sternen reicht es hier allemal. Dieser Reihe werde ich treu bleiben!

Taschenbuch: 336 Seiten
ISBN-13: 978-3426528440
www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)