Jack Vance – Herrscher von Lyonesse (Lyonesse-Trilogie Band 1)

Die rebellische Prinzessin

Lyonesse – das ist ein Königreich auf den Älteren Inseln, die einst im Golf von Biskaya vor den Tagen König Arthurs lagen. Sie sind die Heimat von zehn – natürlich zerstrittenen – Königen, von Barbaren (den Ska), von Recken, Hexen und Zauberern, Ogern und Elfen.

Jeder König will Herrscher über ganz Lyonesse, die Hauptinsel, werden, allen voran der ehrgeizige König Casmir von Lyonesse, der seinen alten Gegenspieler Aillas von Süd-Ulfland bekämpft, wo es nur geht. Die Inseln werden jedoch in ihrer Gesamtheit von den Ska bedroht, die als Herrenmenschen alle anderen Völker als minderwertig einstufen und entsprechend behandeln.

Bevor Artus kam

Dies ist der erste Band von Vances „Lyonesse“-Trilogie, zu der noch die Bände „Die grüne Perle“ und „Madouc“ gehören. Die Ideen zu dieser Fantasy-Trilogie hatte Vance noch vor 1950 konzipiert, vor seinem großen Erfolg mit „Die Sterbende Erde“. Der Heyne-Verlag hat alle drei Bände ausgezeichnet ausgestattet: mit Landkarte, Glossar und neuer Titelillustration. Der Autor selbst führt in die Historie von Lyonesse ein, die zwei Generationen vor dem Beginn der Artus-Legende endet.

Hinweis

Der Leser dieses Epos sei eindringlich vor diversen Todesarten, einer Reihe von Sexualakten (S. 272, 275 und 291) und schließlich dem Auftreten von Kannibalismus (S. 289) gewarnt. Nein, in dieser Phantasiewelt geht es fast so schlimm zu wie in der hiesigen.

Handlung

Suldrun ist das erste Kind von König Casmir und Königin Sollace und hat das
Pech, ein Mädchen zu sein. Die Enttäuschung, keinen Stammhalter und Erbfolger bekommen zu haben, sorgt auf allen Seiten für lange Gesichter. Und weil sie so wenig be- und geachtet wird, wächst das kleine Mädchen bei seiner Amme Ehirme auf. Die einfache Bauernfrau weiß alle Legenden, die die adeligen Ritter und Herrscher nicht kennen: über Elfen, Trolle, Zauberer, Kobolde und alles, was im Wald lebt. Besonders müsse man sich vor Kreuzwegen in Acht nehmen, wie sie durch eine grausig-wundersame Geschichte belegt.

Der alte Garten

Die Amme kennt heilende Kräuter, aber weder Tänze noch die Kunst des Lesens und Schreibens. Als dies bei der Leitung des Gesindes aus Neid auf die Amme gemeldet wird, bekommt Suldrun zum ersten Mal im Leben „richtigen“ Unterricht. Doch Magister Jaimes verfällt eher ihrem mädchenhaften Charme, als sie kaum zehn Jahre alt ist, und wird sehr nachsichtig mit ihr. Sie beginnt, die weitläufige Burg Haidion, die umgebende Stadt sowie die Umgegend zu erkunden. Dabei stößt sie auf ein uraltes, versperrtes Törchen, dessen Schloss sie knackt. Dahinter führt ein verwilderter Garten, der einen Mithras-Tempel und eine römische Villa umgibt, mit seinem zugewachsenen Pfad hinunter zu Meeresufer. Hier erblickt sie erstmals Meerjungfrauen, die ihr zuwinken. Schon bald gewöhnt es sich Suldrun, sich textilfrei unter den schattigen Bäumen zu bewegen und die Ruhe zu genießen.

Geheimtür

Eine weitere Entdeckung ergibt sich per Zufall, als ihr Vater bereits ernsthaft darüber nachdenkt, sie zu vermählen. Denn er ist seit kurzem Vater eines Stammhalters namens Cassander. Dynastische Macht über ganz Lyonesse liegt also in greifbarer Nähe, sobald er erst einmal seine Kinder mit anderen adligen Familien verbandelt hat. Als drei Fürsten zu Verhandlungen über einen Kriegszug gegen die barbarischen Ska in Nord-Ulfland eintreffen, verläuft die eigentliche Unterredung zwar ergebnislos – keiner will König Casmir den Oberbefehl überlassen -, doch gleich danach schlüpft der König vor den Augen seiner verborgenen Tochter durch eine Geheimtür – zu seinen Zauberern, wie es scheint. Wie aufregend!

Suldrun hofft, dass niemand sie erwischt, als sie nicht mehr anders kann als sich Zutritt zu der Geheimtür zu verschaffen. Sie entdeckt zwei bemerkenswerte Dinge: ein Flaschenteufelchen mit zwei Köpfen – und einen
großen sprechenden Spiegel mit Namen Persilian, Er lässt sie das Gesicht einen stattlichen dunkelhaarigen Mannes sehen. Das hinterhältige Flaschenteufelchen erhascht eine Strähne von Suldruns goldenem Haar und reißt sie ihr aus.

Entdeckt

Ihre Tanzlehrerin Desdea hat vom König den Auftrag erhalten, Suldrun auszuspionieren. Doch statt eines Stelldicheins trifft sie im wilden Garten nur die Prinzessin an – und verstaucht sich den Fuß. Sie missachtet Suldruns Wut ob dieses Vertrauensbruchs. Als sie ihre Zofe Maugelin beim Vögeln ihrem, Suldruns, Bett erwischt, hütet sie ein Geheimnis, das ihr Narrenfreiheit verschafft – vorerst. Maugelin stirbt an der Wassersucht und Magister Jaimes an einer Lungenentzündung. Die Burg ist wahrlich kein Kurort. Auch die Stadt nicht: Elf Piraten der Ska werden öffentlich vom Oberhenker durch Ausweiden hingerichtet. Sie haben sich nach der Rettung aus ihrem gestrandeten Schiff geweigert, für den König zu spionieren.

Der verlorene Garten

Ein christlicher Mönch findet seinen Weg nach Lyonesse und bekehrt die Damen reihenweise, allen voran Königin Sollace. Nachdem der Mönch den alten Garten Suldruns entdeckt hat und von ihr zurückgewiesen worden ist, überredet er die Königin, ein Machtwort zu sprechen. Diese findet endlich einen Anlass, ihrer Tochter eins auszuwischen und lässt aus dem alten Mithras-tempel eine christliche Kapelle machen. Suldrun ist am Boden zerstört. Sie hat ihr privates Paradies verloren.

Kriegshändel

Zwischen Königreichen Dascinet, mit dem König Casmir verbündet ist, und Troicinet ist über eine winzige Insel namens Skola Krieg ausgebrochen. Dascinet verliert und die lyonessische Flotte wird versenkt oder vertrieben. Der troicinische König stellt Casmir unannehmbare Bedingungen, der sie prompt zurückweist. Er lässt heimliche eine weitere Flottte bauen, doch troicinische Agenten brennen die Werft nieder. Nun verlegt sich Casmir auf Magie und lässt den Zauberer Shimrod kommen. Der sagt ihm unverblümt, dass ein Edikt des Oberzauberers ihm Eingriffe ins Geschehen verböten, doch er könne empfehlen, sich der Loyalität einer strategisch wichtigen Burg zu versichern, die den Weg nach Ulfland versperrt. Der Name des Burgherrn ist Faude
Carfilhiot. Suldrun soll ihm zur Frau gegeben werden.

Ungehorsam

Obwohl sich der Herzog des Evandertals sehr um Suldruns Wohlwollen, wenn nicht sogar um ihre Zuneigung bemüht, zeigt sie ihm mit formelhafter Höflichkeit die kalte Schulter. Ihr Vater, der König, besteht auf Gehorsam und dass sie in die Verlobung mit dem Herzog einwilligt, doch ihr Herz sagt „nein!“ Am Tag der Verlobung flüchtet sie in ihren Garten, wo ihr Vater sie bereits vermutet. Nun hat er die Nase voll von ihren Faxen und verbannt sie auf ewig an diesen Ort, wo sie sich am liebsten aufhält. Es sei denn, der erstbeste Mann, der sie hier findet, nehme sie zur Frau, ob sie wolle oder nicht.

Ein neuartiges Schiff

Casmirs Gegenspieler, König Gracine von Troicinet, verfügt ebenfalls über viele Spione, und so ist er völlig über Casmirs verzweifelte Lage im Bilde. Casmir ist nun auf ein Bündnis mit den Ska aus – na, viel Glück damit! Um diese Bemühung zu hintertreiben, schickt Gracine eine Expedition aus, die mithilfe eines besonders schnellen Schiffs Casmirs Abgesandte überholen und in weiteren Königreichen um Verbündete werben soll. Gracine will selbst König der Älteren Inseln werden, doch mit seiner Nachfolge sieht es schlecht aus: Seine Frau hat ihm nur Töchter geboren. Daher spannt er zwei Neffen ein, die quasi als bewaffnete Ritter und adlige Boten mit der „Smaadra“ segeln sollen. Es ist eine Feluke mit zwei Lateinsegeln und enorm schnell. Aillas und Trewan, beide um die 18 Jahre jung, trainiert und kräftig, stechen unter dem Kommando von Kapitän Fasmet in See.

Gestrandet

Prinz Trewan erweist sich als anspruchsvoll, denn als designierter Thronfolger erwartet er, ein Mitspracherecht in allen Dingen zu haben. Aillas wundert sich über Trewans Mangel an Einfühlungsvermögen, als die „Smaadra“ auf ihrer geheimen Mission einen Hof nach dem anderen besucht. Als Kapitän Famet von Ska-Piraten mit einem Pfeil getötet wird, übernimmt Trewan ganz selbstverständlich das Kommando, lässt aber wenigstens den neuen Kapitän die Navigation. In Ys ist die Rede von einer „neuen Lage in Troicinet“, doch nur Trewan erfährt durch eine troicinische Kogge davon. Danach ist er niedergeschlagen und launisch.

Deshalb meidet Aillas Trewans Gesellschaft und spielt lieber mit den Matrosen. Zwei Tagesreisen vom Heimathafen entfernt ruht er sich spätabends am Heck aus, als ihn ein starker Arm unvermittelt von hinten packt und flugs über die Reling wirft. Im kalten Wasser gelingt es Aillas, den Kopf über der Oberfläche zu halten, doch er wird abgetrieben, und das Schiff gerät schnell außer Sichtweite. Die Wellen werfen ihn auf die Felsen einer vorgelagerten Insel, doch wie dieses Land heißt, weiß er nicht. Er fällt erschöpft in tiefe Bewusstlosigkeit.

Ein Fund

Als Suldrun den reglosen Mann am Ufer ihres Gartens findet, befürchtet sie das Schlimmste. Doch er ist nicht tot, sondern erschöpft und verletzt. Es dauert drei Tage, bis er sich wieder regen und im Bett aufrichten kann. Er nennt sich Aillas, sie stellt sich ihm als verbannte Königstochter Suldruns vor. Da sind sie nun beide in einer Art Exil. Erkennen sie. Es ist klar, dass die gegenseitige Rettung im jeweils anderen ruht. Die Liebe folgt der Fürsorge auf dem Fuße, und sie verbringen wundervolle Nächte.

Fluchtpläne

Als nächstes steht die Flucht auf dem Programm. Zunächst müssen sie Suldruns Aufpasserin, die ihr stets zur Mittagsstunde das Essen vor die Pforte stellt, überlisten. Bis zur nächsten Essenslieferung hätten sie dann 25 Stunden plus eine Stunde Vorbereitung für die Verfolgung Zeit – nicht gerade viel Zeit. Doch Aillas wendet sich im Namen Suldruns an ihre einstige Amme Ehirme, die auf einen genialen Plan verfällt. Mit zusätzlicher Zeit könnten sie es schaffen, König Casmirs Häschern zu entgehen und ans andere Ende der Hauptinsel zu gelangen. Denn dort stehen immer noch die Kleinodien des Gesamtreiches: der Thron und der runde Tische aus alten Zeiten. Und dann stünden ihre Chancen viel besser, den Thron zu besteigen und das Reich zu einen…

Verliebt, verlobt, verbannt

Doch es kommt anders. Suldrun und Aillas gelingt es zwar, ihre Juwelen und den Zauberspiegel aus dem Palast zu holen und wieder in den Garten zu gelangen, doch dort wartet bereits Pater Umphrey, der sich ein
Schäferstündchen mit der Sahneschnitte Suldrun sichern will. Sie weist ihn standhaft ab und auch Aillas greift ein. Sie vollziehen das Heiratsritual und erklären sich für Mann und Frau. Leider gelingt es Umphrey, in den Palast zu entkommen und Alarm zu schlagen. Während Suldrun in ihren Garten verbannt bleibt, waltet der Oberhenker seines Amtes: Er lässt Aillas, der Herkunft bis dato unbekannt ist, in einen tiefen Schacht hinab, aus dem es kein Entkommen gibt. Suldrun ist am Boden zerstört. Doch was sie wieder aufrichtet, ist die Entdeckung, dass sie guter Hoffnung ist…

Shimrods Abenteuer

Etwas nordöstlich der alten Straße, die den Südrand des großen Waldes von Tantrevalles quert, liegt das Gut Trilda, das vom schlauen Magier Shimrod bewohnt wird. Er ist der Lehrling des Erzmagiers Murgen und hat dessen Zauberbücher und Gerätschaften geerbt. In letzter Zeit hat er seltsame Träume: Sie handeln von einer schönen Frau, die ihn fürchtet. Es gelingt ihm, seiner Traum-Frau ein wenig Vertrauen einzuflößen, deshalb lädt sie ihn zu einem Stelldichein ein: auf dem Goblinmarkt an Twittens Kreuzung. Diese liegt ziemlich genau im Mittelpunkt der Waldwege, die den Großen Wald durchkreuzen. Shimrod trifft Vorkehrungen und lässt seinen neuen Freund Grofinet das Haus bewachen.

Natürlich stellt ihn die Traum-Frau auf die Probe und kommt erst am dritten und letzten Tag, an dem der Goblinmarkt abgehalten wird. Sie nennt sich Melancthe und hat einen ungewöhnlichen Wunsch: Juwelen aus einer ganz bestimmten Waldhöhle. Sofort wird der schlaue Shimrod misstrauisch, doch was tut Mann nicht alles, um die Liebe einer so schönen Frau zu erringen? An der Höhle ist ein Schloss angebracht, doch sie hat den Schlüssel, er muss nur noch eintreten, um nach Irerly zu gelangen, wo die begehrten 13 Juwelen lagern.

Auf einen „Vorschuss“ auf ihre Gunstbezeigung will sie sich nicht einlassen. Was bleibt Shimrod noch übrig? Er muss seine Magie wirken lassen und die Zeit in sieben Stränge teilen. Im siebten Strang lässt er eine Zeitlücke und gelangt zu seinem Mentor Murgen. Der wird wohl Rat wissen. Murgen verrät ihm, das Melancthe ein Geschöpf des Erzmagiers Tamurello sei, der im Norden lebe. Shimrod besteht alle Prüfungen, doch am Schluss gibt es keine Spur von melancthe, und er schwört ihr Vergeltung.

Aillas auf der Suche

Nachdem Aillas am hundertsten Tag aus dem Schacht entkommen ist, gelangt er in Suldruns Garten. Doch ist niemand außer einer toten Frau, die am Ast einer Linde baumelt. Schmerz durchfährt Aillas, dann erblickt das Gespenst: Es ist seine Frau. Sie berichtet, dass sie ihrer beider Sohn geboren hatte und das Kind zusammen mit Ehirme durch einen Tausch vor ihrem Vater in Sicherheit bringen wollte. Der Plan ging schief, denn Pater Umphrey verfüge über Magie. Ehirme wurde gefoltert, um das Versteck des Sohnes zu verraten. Suldrun musste es preisgeben: Es sei bei Ehirmes Eltern tief im Wald von Tantrevalles. Als drei Tage verstrichen waren, ahnte Suldrun, dass sie ihr Kind verloren hatte und fand einen schönen Ast, um sich daran zu erhängen. Übrigens heiße sein Sohn Druhn. Das Gespenst verschwindet.

Wechselbalg

Ehirme, die inzwischen entstellt ist, weist ihm den Weg zu ihren Eltern. Diese erzählen, dass die Männer des Königs gekommen seien, um das Kind mitzunehmen. Doch statt Suldruns Sohn nahmen sie ein Mädchen mit roten Haaren mit, das Madouc heiße. Aillas ist sehr verwundert, wie es zu dieser erneuten Vertauschung gekommen sei. „Die Elfen haben uns dieses Wechselbalg in die Krippe gelegt, als wir auf der Madling-Wiese waren, und sie nahmen den Sohn mit in ihren Palast, um ihn als einen der Ihren aufzuziehen.“ Sie warnen ihn eindringlich davor, sich mit dem Elfenpack einzulassen. Er beschließt, einen Zauberer aufzusuchen. Das rät ihm auch sein Zauberspiegel Persilian: „Frag Murgen.“ Natürlich gebe es auf dem Weg ein oder zwei Hindernisse, es könnten auch drei sein…

Mein Eindruck

Ist dies wirklich ein Ritter-Epos, mag sich der Leser verwundert fragen. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine hochwohlgeborene Gesellschaft aus Königen, Herzögen, Baronen und dergleichen zu handeln. Der erste Teil des Romans liest sich wie die weibliche Variante von Mervyn Peakes Klassiker „Gormenghast: Der junge Titus“: Hier wird die Welt des Haidion-Palastes und von Lyonesse vor uns ausgebreitet. Hier liegen verheimlichte Magie und christlicher Glaube (wohl eher Bigotterie) miteinander im Clinch. Hier wächst die arme Suldrun auf und wird alsbald in ihren eigenen wilden Garten verbannt. Der Leser ist gespannt, welches Schicksal sie dort erwartet.

Doch es gibt auch Magier und Waldhexen, die dieser Ordnung, die dem Spiel der Throne frönt, subversiv entgegensteht und sie untergräbt. Wo Magie herrscht, ist das Chaos nicht weit. Da ist beispielsweise Herzog Carfiliot, ein Geschöpf des Magiers Tamurillo, mit dem sich König Casmir verbünden will. Carfiliot hat seine eigenen finsteren Pläne. Sie werden im letzten Fünftel des Romans, quasi als Showdown, enthüllt, als Prinz Aillas Carfiliots Burg angreift. Aillas‘ eigener Sohn Druhn gerät zwischen die Fronten: ein klasse Action-Finale.

Doch zuvor sind, wie in einer Art Parallelwelt, allerlei Abenteuer in der nicht so ritterlichen Wildnis des alten Waldes Tantrevalles zu bestehen. Auch hier gibt es Königreiche, doch sie sind meist anderer Natur: Hier herrschen die Elfen. Und sie sind, wie alles wilde Volk, den sterblichen Menschen nicht wohlgesonnen.

Hier wächst der junge Druhn auf, und zwar mit einem erstaunlichen Tempo. Aus Missgunst eines Elfen wird ihm ein Fluch des Unglücks und Leides auferlegt. Glücklicherweise verliebt sich dennoch das Mädchen Glyneth in ihn. Wird ihnen eine schöne Zukunft beschieden sein? Wohl eher nicht, denn sie kreuzen den Weg von Shimrod, er Rachepläne hegt, und diverser Hexen, Baumnymphen und Scharlatane. Dieser Spannungsbogen erstreckt sich vom Anfang des zweiten Drittels bis zum Wiedersehen mit Aillas, der gerade die Burg von Carfiliot angreift.

Die Ska

Man kann sich die nordischen Ska als eine Mischung aus Germanen und Wikinger vorstellen, deren einzige Mission darin zu bestehen scheint, eroberte Völkerschaften für sich als Sklaven rackern zu lassen, um die eroberten Ländern auszubeuten. Kurzum: Sie sind eine Landplage. Kein Wunder, dass jeder sie loswerden will. Als Aillas, der frischgebackene König von Troicinet, Süd-Ulfland erbt, macht er sich ans Werk, Verbündete für einen Krieg gegen die Ska zu gewinnen. Daumen drücken!

Anhänge

Glossar 1 bis 3

Ein Glossar stellt jeweils Ska und Elfen detailliert vor – dies ist eine fein bis in die letzte Einzelheit herausgearbeitete Welt. Sie ist komplex, durchdacht und detailliert geschildert. Die für Vance typischen Gestalten fehlen ebenfalls nicht: ehrgeizige und arglistige Herrscher, trickreiche Zauberer und verwegene Gesellen, die in erster Linie auf den eigenen Vorteil bedacht sind, nie aber derart in Schwarz und Weiß gezeichnet.

Der Stammbaum ist ziemlich überflüssig, denn er erklärt nichts.


Die Landkarten

Eine Landkarte zeigt die Älteren Inseln in ihrer Lage im Golf von Biskaya, die zweite, größere zeigt die Älteren Inseln im Detail.

Diese Landkarten sind ihr Papier in Gold wert, denn es gibt sie weder in Band 2 noch in Band 3 der Lyonesse-Trilogie. Und doch enthält sie weder eine Karte vom Palast Haidion zu Lyonesse noch eine genauere Ansicht von anderen Schauplätzen der Handlung.

Die Titelillustration

Auf dem Cover ist einer der Schlüsselmomente der Geschichte Suldruns zu sehen: Sie entdeckten den Gestrandeten Aillas, verliebt sich in ihn und schenkt ihm einen Sohn. Sowohl Aillas als auch sein Sohn werden zu Hauptfiguren der verschlungenen Geschichte, doch Suldrun ereilt das traurigste Schicksal.

Die Übersetzung

Der Übersetzer Joachim Pente stammt offensichtlich aus dem kühlen Norden, denn er kennt sich bestens mit Küsten und Segelschiffen aus. Das bedeutet aber auch, dass er beim Leser voraussetzt, dass dieser weiß, was Wanten sind und was eine Pardune sein soll. Wie „bisterbraun“ (S. 456) aussieht, entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis.

Die Liste der Druckfehler, die ich fand, ist fast eine ganz Buchseite lang. Daher will ihn niemanden damit langweilen, worin all die Fehler bestehen. Keineswegs fehlerhaft sind hingegen die vermerkten Vorkommnisse von Geschlechtsverkehr und von Kannibalismus. Alle anderen Grausamkeiten, von denen unzählige aller Art gibt, habe ich nicht extra notiert.

Nicht unerwähnt soll hingegen eine Verdopplung von Zeilen auf S. 208 bleiben. Der Leser sei mit der Nase darauf gestoßen, dass vier Zeilen doppelt gedruckt worden sind.

S. 358: falsche Fußnote! Nicht „Gomar“ wird im Text erwähnt, sondern „Mordet“ – und dies bleibt dadurch unerklärt.

Unterm Strich

Selbst als Einzelwerk – und nicht als Startband einer Trilogie – betrachtet, ist „Herrscher von Lyonesse“ ein herausragendes Fantasy-Werk von höchstem Unterhaltungswert. Das habe ich mehrfach festgestellt. Die Geschichte Suldruns ist verknüpft mit der von Königshäusern, verzweigt sich aber rasch in die Abenteuer der Jugendlichen Dhrun und Glyneth, Shimrods des Zauberers und vieler anderer Figuren.

Schon nach den ersten 20 Seiten weiß der Leser, dass er einen Roman von Jack Vance vor sich hat. Eine bis dato unbekannte Welt wird bis ins kleinste Detail entworfen und mit Leben erfüllt. Frauen haben den gleichen Anteil an der Handlung wie Männer. Gerade die Figurenzeichnung ist bei Vance ebenso wichtig wie die Schauplätze. Es sind nämlich die Figuren, die für den Humor ebenso sorgen wie für die dunklen Seiten der Geschehnisse.

Gauner, Diebe und Scharlatane finden sich immer in Vance-Romane, und noch wesentlich dunklere Gesellen. Wenn etwa ein Mann der Kirche eindeutige Absichten gegenüber einer Prinzessin verfolgt, ist dies ein Seitenhieb auf die nicht so aufrichtigen Seiten der Mission der katholischen Kirche. Alle diese Figuren verfolgen ihre allzu menschlichen Absichten und Pläne. Sie bringen sie in Konflikte aller Art, und diese Konflikte sorgen für die – meist ironisch gestaltete – Unterhaltung: Jagden, Fluchten, Belagerungen und Abenteuer – in denen nicht selten Magie eine Rolle spielt. Ich nenne nur mal Shimrods ziemlich schräge Unternehmungen.

Kurzum: Mir hat der Roman recht gut gefallen, und ich habe gleich die Fortsetzung angefangen. Diese beginnt noch viel ironischer als der vorliegende Startband. Schade nur, dass in „Die grüne Perle“ die zwei Landkarten und der Stammbaum fehlt.
Der Leser ist daher gut beraten, auf jeden Fall mit „Herrscher von Lyonesse“ anzufangen. Trotz der unzähligen Druckfehler. Diese Übersetzung gehört gründlichst modernisiert und korrigiert!

Der Autor

Jack Holbrook Vance wurde 1916 in San Francisco geboren und wuchs im idyllischen San Joaquin Valley auf. Das prägte seine Liebe für das Land, die selbst in abgewandelten Polizeithrillern wie der „Dämonenprinz“-Serie immer wieder aufscheint.

Vance studierte Bergbau, Physik und schließlich Journalismus. Im 2. Weltkrieg war er Matrose bei der Handelsmarine und befuhr den Pazifik. Er wurde auf zwei Schiffen Opfer von Torpedoangriffen. Ansonsten weiß man wenig über ihn: Er lebt in Oakland, liebt alten Jazz, spielt Banjo und bereist unermüdlich die Welt.

Seine Karriere begann 1945 mit der Story „The World Thinker“ in dem Magazin „Thrilling Wonder Stories“. Bis 1955 schrieb er abenteuerliche Science Fiction, bereits durch farbig geschilderte Schauplätze und spannende Handlungsbögen auffiel. Es war das Goldene Zeitalter der Magazin-Science Fiction. 1950 wurde sein erstes und berühmtestes Buch publiziert, der Episodenroman „The Dying Earth“. Die Episoden spielen in einer fernen Zukunft, in der die Wissenschaft durch Magie abgelöst wurde. Dadurch spannt sich die Handlung zwischen reiner Science Fiction und einer Spielart der Fantasy, die nicht ganz von der Logik aufzulösen ist.

Hervorstechende Stilmerkmale sind bereits die Ironie in Sprache, Handlungsverlauf und Figurenbeschreibung, aber auch schon der Detailreichtum darin. In der Science Fiction wurde Vance selbst zu einem „world thinker“, der exotische Kulturen mit ulkigen Bräuchen und Sitten erfand, so etwa in der wunderbaren Novelle „Die Mondmotte“ (Musik und Masken als Formen der Kommunikation).

Vance schrieb ab 1957 etwa ein Dutzend Kriminalromane, darunter auch unter dem bekannten Pseudonym Ellery Queen. Er bekam sogar für einen Roman, „The Man in the Cage“, einen Edgar verliehen. Dieser kriminalistische Einschlag findet sich in mehreren von Vances Hauptfiguren wieder, darunter bei den galaktischen Spürhunden Magnus Ridolph, Miro Hetzel und Kirth Gersen. Gersen ist der Held der Dämonenprinz-Serie, der Rache an fünf grausamen Sternkönig-Aliens nimmt.

Vances Stärke ist sein Prosastil. Er baut in wenigen beschreibenden Detail eine Atmosphäre, eine Stimmung auf, die er dann immer wieder mit wenigen Schlüsselwörtern aufrufen kann. Insofern ist Vance, fernab von jeglicher Hard SF, der farbigste und barockeste Autor im Genre, dessen charakteristische Sprache in jedem beliebigen Absatz erkennbar ist. Leider verstand es in seinen Werken bis in die 80er Jahre nicht, eine Geschichte durch eine Konstruktion zu stützen, die wenigstens eine kompletten Roman getragen hätte: Er schrieb meistens Episodenromane oder Fix-up-Novels. In ähnlicher Weise ließ auch sein Interesse an Fortsetzungen nach , so dass spätere Romane in einer Serie in der Regel schwächer ausfielen als der Anfangsband.

Vance hat die Kunst der Namensgebung zu wahrer Meisterschaft getrieben: Seine Namen sind phantasievoll und haben stets den richtigen Klang. Ich weiß nicht, woher er seine Einfälle nimmt: aus dem Mittelalter, aus exotischen Kulturen der Erde oder sonstwoher. Im 1. Band der Dämonenprinz-Serie sind dies beispielsweise die Namen „Attel Malagate“, „Lugo Teehalt“ und „Hildemar Dasce“, im 3. Band „Jheral Tinzy“ und „Viole Falushe“ bzw. „Vogel Filschner“.

Da Vance aber kein einziges Buch geschrieben hat, das ihn durch seine Thematik weltberühmt gemacht hätte – so wie es George Orwell mit „1984“ gelang -, ist er immer ein Geheimtipp, ja ein Kultautor der Science Fiction-Szene geblieben. Das bedeutet nicht, dass vance unkritisch oder unaktuell gewesen sei: Er griff Themen wie Religion, Sprachwissenschaft, Social Engineering und Ökologie auf, um nur ein paar zu nennen.

Romane und andere Werke mit dt. VÖ-Jahr:

1954 Verschwörung im All
1958 Kosmische Vergeltung
1959 Start ins Unendliche
1960 Magarak, Planet der Hölle
1965 Das Weltraum-Monopol
1966 Die Weltraumoper
1967 Homo Telek
1967 Kaleidoskop der Welten
1967 König der Wasserwelt
1968 Jäger im Weltall
1968 Start ins Unendliche
1969 Die Mordmaschine
1969 Der Dämonenprinz
1969 Planet der gelben Sonne
1969 Die Abenteurer von Tschai
1969 Im Reich der Dirdir
1971 Emphyrio
1975 Baum des Lebens
1975 Der Mann ohne Gesicht
1975 Der Kampf um Durdane
1976 Das Auge der Überwelt
1976 Der neue Geist von Pao
1976 Die Asutra
1976 Die Drachenreiter
1976 Planet der Ausgestoßenen
1977 Die Stadt der Khasch
1977 Trullion: Alastor 2262
1977 Die lebenden Häuser
1978 Die sterbende Erde
1978 Gestrandet auf Tschai
1978 Marune: Alastor 933
1978 Jäger im Weltall
1979 Der graue Prinz
1980 Maske: Thaery
1980 Im Reich der Dirdir
1980 Showboot-Welt
1980 Im Bann der Pnume
1981 Der Azurne Planet
1981 Das Segel im Sonnenwind
1981 Wyst: Alastor 1716
1982 Weltraum-Oper
1983 Jean – eine von acht
1983 Kaste der Unsterblichen
1983 Die sterbende Erde
1983 Das Weltraum-Monopol
1981 Alastor
1983 Das Buch der Träume
1983 Der galaktische Spürhund
1983 Das Gesicht
1984 Freibeuter des Alls
1984 Das Gehirn der Galaxis
1984 Krieg der Gehirne
1984 Die Welten des Magnus Ridolph
1985 Herrscher von Lyonesse
1985 Die Kriegssprachen von Pao
1985 Staub ferner Sonnen
1986 Die Augen der Überwelt
1986 Drachenbrut
1986 Verlorene Monde
1987 Cugel der Schlaue
1988 Die Welt der Zehn Bücher
1988 Grüne Magie
1990 Die Grüne Perle
1993 Herrscher von Lyonesse
1993 Madouc
1993 Morreion
1995 Ecce und die alte Erde
1995 Station Araminta
1995 Throy
1996 Rhialto der Wunderbare
1996 Nachtlicht
1997 Der Lachende Magier
1998 Die Domänen von Koryphon
1998 Kaleidoskop der Welten
2000 Der Sternenkönig
2004 Jenseits der Leere (Lurulu)
2005 Myrons Reisen (Ports of Call)

Die Serien

Planet der Abenteuer

Die Stadt der Khasch
Gestrandet auf Tschai
Im Reich der Dirdir
Im Bann der Pnume

Drachenbrut

Die letzte Festung
Die Drachenreiter
Der Baum des Lebens
Die Häuser von Iszm

Durdane

Der Mann ohne Gesicht
Der Kampf um Durdane
Die Asutra

Alastor

Trullion: Alastor 2262
Marune: Alastor 933
Wyst: Alastor 1716

Taschenbuch: 587 Seiten
O-Titel: Lyonesse, 1983;
aus dem US-Englischen übertragen von Joachim Pente;
ISBN-13: 978-3453009967

www.heyne.de

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