Jack Vance – Grüne Magie. Fantasy-Erzählungen

Dieser Autor (geboren 1916!) gehört zum unentbehrlichen Repertoire sowohl der Fantasy als auch der Science-Fiction. Die Fantasy, zu der auch die Storysammlung „Grüne Magie“ gezählt werden könnte, bereicherte er um die Romane „Die sterbende Erde“ (1950) und die des Lyonesse-Zyklus. Für den Lyonesse-Roman „Madouc“ (1989) erhielt Vance den World Fantasy Award.

Die Erzählungen

Viele Erzählungen der Sammlung „Grüne Magie“ können sowohl als Fantasy – mit dem Wirkungsprinzip Magie – oder als Science-Fiction – mit dem Wirkungsprinzip Naturgesetz und Rationalität – gelesen werden.

Die Titelstory „Grüne Magie“ ist selbst ein Beispiel dafür. Der Protagonist sucht die Dimension, in der Grüne Magie wirksam ist, im Gegensatz zu den Dimensionen, wo z. B. weiße, schwarze und blaue Magie wirken. Er erschafft einen Golem, dem er als Auge eine Filmkamera eingepflanzt hat, und empfängt so Bilder aus einer elfischen Dimension. Leider zertrampelt der Golem auf seinem Weg etliche wertvolle Konstruktionen der Bewohner dieser Dimension.

Dem Protagonisten gelingt es, Zutritt zu erlangen und bei den Bewohnern etwa 200 lokale Jahre lang zu lernen. Nach der Rückkehr – zwei hiesige Stunden später – erscheint ihm alles schal und abstoßend: Essen, Trinken, Sex usw. Er besucht schließlich seinen Vorgänger, dem er ursprünglich gefolgt war. Der hat sich als Tankstellenbesitzer im Nirgendwo des amerikanischen Mittelwestens niedergelassen und neckt die Reisenden mit seinen magischen Stückchen Grüner Magie. – Vance betrachtet die Magie wie ein Stück angewandte Wissenschaft.

„Die Wundermacher“ gibt es in dieser langen Novelle (ca. 110 Seiten) eigentlich noch gar nicht. Vor langer Zeit landeten Sternenfahrer mit ihren wundersamen Fahrzeugen auf diesem fremden Planeten und verdrängten das Erste Volk, bis es sich im Wald verstecken mußte. Das war vor 1600 Jahren. Nun üben die Unheilsbringer ihre höchst wissenschaftliche und rationale Tätigkeit mit Hilfe von Voodoo-Puppen und Dämonenbeschwörung aus. Sie verhelfen Lord Faide zum entscheidenden Sieg über die restlichen Festungslords.

Leider können sie gegen den Widerstand des Ersten Volkes überhaupt nichts ausrichten, wie der Oberste Unheilbringer gestehen muss: Das Erste Volk ist nicht menschlich und somit nicht für Dämonen etc. empfänglich, vielmehr benutzt es die Methoden der Wundermacher von anno dunnemals, um Lord Faides Burg zu umzingeln, seine Ritter zu töten und ihm mit einem hohen Wall plus Deckel die Luft abzuschneiden. Kurz vor dem Erstickungstod aller Burginsassen gelingt es dem bislang als Nichtsnutz betrachteten Novizen Sam Salazar, den harten Schaum des Walls der Aliens mit Hilfe von Essig aufzulösen. Man schließt ein Abkommen zur friedlichen Koexistenz ab. Sam wird der erste der „Wundermacher“ – natürlich ein Wissenschaftler aufgrund seiner Methode – und nimmt sofort neue Anhänger in seine Gilde auf. Die alten Unheilsbringer aber haben ausgedient.

In „Die Mondmotte“ (1961), einer der ausgefeiltesten Kurzgeschichten Vances, dient Musik auf einem fremden Planeten als zweite Form der Kommunikation. Die Etikette verlangt, dass man die korrekte Maske trägt – die des Protagonisten ist die der einheimischen Mondmotte. Die Story ist eine spannende Detektivgeschichte mit überraschendem Ausgang. Sie wurde häufig in Anthologien aufgenommen, auch in der SF.

Mitr„, möglicherweise die letzte Menschenfrau auf dieser Welt, lebt zurückgezogen am Strand eines Meeres. Sie entdeckt eines Tages, wie Astronauten landen und willkürlich Jagd auf die Wesen am Strand machen. Kaum, dass sie sich aus ihrem Versteck hervorgewagt hat, wird sie selbst gejagt, entkommt aber. Eine Sterbende-Welt-Szenerie mit SF-Hintergrund.

In der seltsamen Story „Die Menschen kehren zurück“ ist ein Planet in eine Dimensionstasche des Chaos geraten, so dass alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt wurden: Luft wurde essbar, Wasser floss nach oben. Der letzte Mann und die letzten zwei Frauen kämpfen mit verschiedenen Strategien ums Überleben, die nicht selten den Tod eines Artgenossen fordern. Die alten Männer sind schon draufgegangen. Da endet das Zeitalter des Chaos, die Menschen werden wieder das, was sie mal waren. Eigentlich eine SF-Story.

Das Schmale Land“ ist die Zone zwischen den Watten eines Meeres und den Klippen bzw. einer hohen Mauer. In dieser Zone gibt es menschenähnliche Wesen, bei denen die weiblichen Eier in den Schlamm legen. Je nachdem, wie sich die verschiedengeschlechtlichen Eier miteinander verbinden, entstehen Wesen mit einem Knochenkamm auf dem Schädel oder mit zweien.

Als Ern erwachsen wird, wird er von den Einern an die Zweier verkauft und genießt eine Ausbildung. Sein Einer-Wesen wird entdeckt – man jagt den „Grotesken“, der inzwischen drei Kämme entwickelt hat. Er trifft den letzten Dreier auf der Erde (?) in dessen Festung. Ern beschließt, genetische Experimente vorzunehmen und sich ein Weibchen zu erschaffen. – Ein Beispiel für eine geradezu wissenschaftliche Beobachtungsweise.

Die Story „Die Pilger“ präsentiert einmal mehr die Figur von Cugel dem Schlauen, einem Trickster, der anderen Pilgern etc. Streiche spielt, die stets zu Cugels Vorteil sind, die aber auch nach hinten losgehen können. Die Pilgerfahrt führt 59 Pilger durch gefährliche Länder bis zum Wallfahrtsort Erze Damath, wo man das Standbild Gilfigs verehren will. Cugel verleitet seine Mitpilger zum Durchqueren der Silbernen Wüste, denn er will die jenseits davon gelegene See überqueren und nach Ameryl weiter.

Diese Reise ist ein Beispiel dafür, wie unangepasstes Verhalten zum Tode führen kann: Als Einziger bleibt Cugel übrig. – Interessant, wie die Pilger die Glaubensfragen diskutieren: Warum sie wen anbeten und wie sie ihr Leben dementsprechend ausgerichtet haben. Da schimmert viel Ironie durch. (Cugel ist eine Figur aus Vances wichtigstem Roman, „Die sterbende Erde“.)

Das Geheimnis„, das die Südsee-Insulaner entdecken, wenn sie ihre Insel des ewigen Lebens verlassen und – jeweils alleine – nach Westen segeln, ist der Tod.

Liane der Wanderer“ ist einer der Protagonisten des Episodenromans „Die sterbende Erde“ („The Dying Earth“, 1950). Vance hat den melancholischen Ton von Clark Ashton Smiths „Zothique“-Erzählungen übernommen, aber ironisch gewendet. Seitdem haben sich alle „Sterbende-Erde“-Storys an diesen Ton zu halten, z. B. bei Michael Moorcock. Die sterbende Erde ist bevölkert von Ungeheuern und Dämonen, mit denen sich die Protagonisten auseinandersetzen müssen. Viele Themen der Fantasy werden aufgenommen und mit einer neuen Pointe versehen.

Liane der Wanderer ist sehr von sich selbst überzeugt: mutig, gut aussehend und mit einem unsichtbar machenden Bronzereif ausgestattet – so muss ihm auch die neu zugewanderte „Goldene Hexe“ Lith sozusagen in den Schoss fallen. Mitnichten! Das Frauenzimmer besteht darauf, dass er (!) ihr (!) einen Dienst erweist, bevor sie ihn erhört. Er soll ihr die andere Hälfte ihres magischen Gobelins bringen, die ein Dämon namens „Chun der Unvermeidliche“ geraubt haben soll.

Mutig, wie Liane ist, macht er sich auf die Socken und kann schließlich sogar den Gobelin Chuns von der Wand reißen – doch dahinter kommt der Dämon zum Vorschein. Als Liane sich unsichtbar macht, glaubt er sich in Sicherheit. Doch der unvermeidliche Chun ist bereits da! Wenig später bringt Chun der goldenen Hexe zwei Fäden, mit denen sie ihre Häfte des Gobelins erweitern kann. Die Fäden haben die goldene Farbe von Lianes Augen. Eines Tages wird Liths Gobelin fertig sein, und sie kann in ihre Heimat zurückkehren …

Unterm Strich

Diese Storysammlung macht den Leser mit einigen der wichtigsten Storys und Figuren in der Fantasy bekannt – Cugel, die Mondmotte, die sterbende Erde – , gehört also in die Bibliothek. Zudem sind fast alle Erzählungen sehr unterhaltsam.

Der Autor

Jack Holbrook Vance wurde 1916 in San Francisco geboren und wuchs im idyllischen San Joaquin Valley auf. Das prägte seine Liebe für das Land, die selbst in abgewandelten Polizeithrillern wie der „Dämonenprinz“-Serie immer wieder aufscheint.

Vance studierte Bergbau, Physik und schließlich Journalismus. Im 2. Weltkrieg war er Matrose bei der Handelsmarine und befuhr den Pazifik. Er wurde auf zwei Schiffen Opfer von Torpedoangriffen. Ansonsten weiß man wenig über ihn: Er lebt in Oakland, liebt alten Jazz, spielt Banjo und bereist unermüdlich die Welt.

Seine Karriere begann 1945 mit der Story „The World Thinker“ in dem Magazin „Thrilling Wonder Stories“. Bis 1955 schrieb er abenteuerliche Science-Fiction, die bereits durch farbig geschilderte Schauplätze und spannende Handlungsbögen auffiel. Es war das Goldene Zeitalter der Magazin-Science-Fiction. 1950 wurde sein erstes und berühmtestes Buch publiziert, der Episodenroman „The Dying Earth“. Die Episoden spielen in einer fernen Zukunft, in der die Wissenschaft durch Magie abgelöst wurde. Dadurch spannt sich die Handlung zwischen reiner Science-Fiction und einer Spielart der Fantasy, die nicht ganz von der Logik aufzulösen ist. Herausstechende Stilmerkmale sind bereits die Ironie in Sprache, Handlungsverlauf und Figurenbeschreibung, aber auch schon der Detailreichtum darin. In der Science-Fiction wurde Vance selbst zu einem „world thinker“, der exotische Kulturen mit ulkigen Bräuchen und Sitten erfand, so etwa in der wunderbaren Novelle „Die Mondmotte“ (Musik als eine Form der Kommunikation).

Vance schrieb ab 1957 etwa ein Dutzend Kriminalromane, darunter auch unter dem bekannten Pseudonym Ellery Queen. Er bekam sogar für einen Roman, „The Man in the Cage“, einen Edgar verliehen. Dieser kriminalistische Einschlag findet sich in mehreren von Vances Hauptfiguren wieder, darunter bei den galaktischen Spürhunden Magnus Ridolph, Miro Hetzel und Kirth Gersen. Gersen ist der Held der Dämonenprinz-Serie, der Rache an fünf grausamen Sternkönig-Aliens nimmt.

Vances Stärke ist sein Prosastil. Er baut in wenigen beschreibenden Detail eine Atmosphäre, eine Stimmung auf, die er dann immer wieder mit wenigen Schlüsselwörtern aufrufen kann. Insofern ist Vance, fernab von jeglicher Hard SF, der farbigste und barockeste Autor im Genre, dessen charakteristische Sprache in jedem beliebigen Absatz erkennbar ist. Leider verstand er es in seinen Werken bis in die 80er Jahre nicht, eine Geschichte durch eine Konstruktion zu stützen, die wenigstens einen kompletten Roman getragen hätte: Er schrieb meistens Episodenromane oder Fix-up-Novels. In ähnlicher Weise ließ auch sein Interesse an Fortsetzungen nach, so dass spätere Romane in einer Serie in der Regel schwächer ausfielen als der Anfangsband.

Vance hat die Kunst der Namensgebung zu wahrer Meisterschaft getrieben: Seine Namen sind phantasievoll und haben stets den richtigen Klang. Ich weiß, woher er seine Einfälle nimmt: aus dem Mittelalter, aus exotischen Kulturen der Erde oder sonstwoher. Im ersten Band der Dämonenprinz-Serie sind dies beispielsweise die Namen „Attel Malagate“, „Lugo Teehalt“ und „Hildemar Dasce“.

Da Vance aber kein einziges Buch geschrieben hat, das ihn durch seine Thematik weltberühmt gemacht hätte – so wie es George Orwell mit „1984“ gelang -, ist er immer ein Geheimtipp, ja ein Kultautor der Science-Fiction-Szene geblieben. Das bedeutet nicht, dass Vance unkritisch oder unaktuell gewesen sei: Er griff Themen wie Religion, Sprachwissenschaft, Social Engineering und Ökologie auf, um nur ein paar zu nennen.

Taschenbuch: 345 Seiten
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Andreas Brandhorst.
ISBN-13: 9783453010123

www.heyne.de
|The Jack Vance Archive|: http://www.jackvance.com