Kathrin Kompisch/Frank Otto – Teufel in Menschengestalt. Die Deutschen und ihre Serienmörder

Evolution des geschürten Schreckens

Serienmörder haben Konjunktur. Die Regale der Buchhandlungen biegen sich unter einschlägigen Fallgeschichten, mit denen sich ehemalige Fahnder, Profiler oder Pathologen ein hübsches Zubrot verdienen. Im Kino schlachten die Lecter-Klone, im Fernsehen mussten zeitweise gleich mehrere CSI-Teams bluttriefende Tatorte unter die Lupen nehmen. Auch den Medien sind die Fließband-Killer sehr willkommen, denn sie garantieren Leser- und Zuschauerzahlen.

Wie lange gibt es diese unheilige Symbiose eigentlich schon? In ihrer heute bekannten Form entstand sie nach Kathrin Kompisch und Frank Otto im späten 19. Jahrhundert, als sich die Boulevardpresse vom Journalismus abspaltete. Die Sensation rückte hier in den Mittelpunkt der Berichterstattung, denn vor allem sie sorgte für hohe Auflagen. Der Serienmörder entwickelte sich rasch zum Medienphänomen; nach Ansicht der Verfasser ein Prozess mit ständigen Wechselwirkungen.

In „Teufel in Menschengestalt“ konzentrieren Kompisch und Otto sich auf die Darstellung des Serienmords in der deutschen Presse nach 1945. Dabei stützen sie sich zunächst auf die Publikationen des Boulevards, beziehen aber auch die ‚seriöse‘ Presse ein, die sich oft und gern und kaum verhohlen vom Gossenjournalismus inspirieren lässt. Zehn Aufsehen erregende Fälle von Serienmord aus den Jahren 1950 (Rudolf Pleil) bis 2001 (Olaf Däter) greifen sie beispielhaft heraus. Hinzu kommt ein Kapitel über Bruno Lüdtke, den angeblich schlimmsten deutschen Serienkiller überhaupt, dessen ‚Karriere‘ bzw. Legende durch einen bundesdeutschen Kinofilm geschaffen wurde.

Böse Taten, skrupellose Darstellung

Die Schilderung der Mordtaten wird jeweils kurz abgehandelt, denn nicht sie sind dem Autorenduo wichtig. (In diesem Zusammenhang sei auf das vollständige Fehlen von Fotos hingewiesen.) Ausführlich werden demgegenüber die Aktivitäten der Presse unter die Lupe genommen, viele zeitgenössische Texte zitiert und ihre Bedeutungen entschlüsselt.

Wie sich herausstellt, verdichtet der Boulevard reale Ereignisse zu Stereotypen, Menschen verwandelt er in Figuren. Schlagzeilen und Berichte enthalten eine zweite Bedeutungsebene, die vom Historiker entschlüsselt werden kann und muss, denn nur so können die zugrunde liegenden Mechanismen offengelegt werden. Dazu gehört auch das Wissen, dass der Boulevard nicht ohne sein Publikum bzw. dessen Sensationsgier existieren kann. Es gibt einen Markt für drastische Schauerlichkeiten.

Wieso ist das so? Kompisch und Otto stellen Entwicklungen fest, die sie in der politischen, aber auch in der gesellschaftlichen und kulturellen Geschichte Deutschlands verankert sehen. Die Wirren der unmittelbaren Nachkriegsjahre, die Zeit des „Wirtschaftswunders“, die „68er-Revolution“, die Diskussion um die Liberalisierung des Strafvollzugs, Ölkrise, Terrorismus, Arbeitslosigkeit, Wiedervereinigung – diese historischen Verwerfungen blieben nicht ohne Folgen auf Behandlung und Darstellung von Serienmördern.

Perspektivenwechsel

Das Bild des Serienmörders war und ist folgerichtig nie ein objektives; immer ist es neben dem nach Höchstauflagen schielenden Boulevard der Zeitgeist, der es formt. So belegen Kompisch und Otto, dass 1945 für Deutschland einen politischen aber keinen geistig-moralischen Neubeginn bedeutete: In Beschreibung und Deutung von Serienmorden bedienten sich deutsche Journalisten kräftig und offenbar ohne sich dessen bewusst zu sein oder gar schuldig zu fühlen bekannter Vergleiche und Bilder aus der Weimarer Republik, die im Nationalsozialismus eine definitiv menschenfeindliche Färbung angenommen hatten.

Für die 1980er Jahre konstatieren die Autoren einen Sonderweg des deutschen Boulevards. Während Serienmörder besonders in den USA zu wahren Kultfiguren aufsteigen, verlieren sie hierzulande an Attraktivität. Die Leiden der Opfer werden als schlagzeilenträchtiger begriffen, während den Tätern nur mehr die bekannten Stereotype aufgeprägt werden – der Boulevard ist der Verteufelung des Mörders und dem im Angelsächsischen beliebten „Bodycount“ der Leichen vorerst müde.

Dem Leser die Augen öffnen

Klare Worte tun Not und gut. Man merkt oft erst, wenn man sie hört oder liest, wie sehr man sie vermisst hat. Seit Jack the Ripper ebenso blutig wie publikumswirksam seine Possen trieb, hat sich der Serienkiller zu einer regelrechten Kultfigur entwickelt. Die Lust – und dieses Wort findet hier mit Bedacht Verwendung – am grausigen Gemetzel ist indes schon viel, viel älter.

Das ist der eine Punkt, der durchaus einleuchtet: Der Mensch beschäftigt sich in Wort, Schrift und Bild seit jeher mit dem, das ihn ängstigt; es hilft ihm, besser mit den unerfreulichen Seiten des Lebens fertig zu werden. Weniger präsent ist dagegen die Tatsache, dass diese Sensationslust gesteuert und manipuliert werden kann – dies auch deshalb, weil womöglich in jedem von uns zumindest ein kleiner Psychopath sitzt, der den aktiven Mordkollegen um seine verwirklichte Freiheit beneidet; so lautet eine der Thesen dieses Buches.

„Bestien des Boulevards“ nannte das Autoren-Duo 2003 den ersten Teil einer Untersuchung, die weniger um die Schilderung von Serienkiller-Untaten bemüht ist, sondern sich mit der Darstellung dieser Taten und ihrer Täter in den Medien beschäftigt. Als Einstieg ins Thema diente die erste moderne Mordserie, mit der die innige Beziehung zwischen Blutbad und Boulevard begann: Im Herbst 1888 brachte der schon genannte Jack the Ripper in London mehrere Frauen auf besonders scheußliche Weisen um. Nach Ansicht der Autoren schuf die zeitgenössische Presse für ihre Berichterstattung jene Schreckensbilder, die seither immer wieder zur Anwendung kommen, wenn der Boulevard über Serienmord ‚informiert‘.

Dieser erste Teil fehlt dem Leser von „Teufel in Menschengestalt“, der sich u. a. selbst darüber in Kenntnis setzen muss, was „Boulevardjournalismus“ eigentlich ist: ein Bereich der Presse, der primär auf hohe Leserzahlen zielt und dabei an die Gefühle seiner potenziellen Kunden appelliert, um diese zum Kauf der Zeitung oder eines Magazins zu animieren. Von der Berichterstattung bis zur gewollten Übertreibung ist es unter diesen Umständen nicht einmal ein voller Schritt. Solches Hintergrundwissen ist wichtig, will man verstehen, wieso der Boulevard verdreht, unterstellt, manipuliert: Dieser Misthaufen-Journalismus ist quasi eine Schnittstelle zwischen Information und Unterhaltung, wobei der Realitätsfaktor von untergeordneter Bedeutung ist.

Ziel und Wirkung

Zu fragen bleibt, ob man den Verfassern in jedem Punkt zustimmen möchte. Sie betten lobenswerterweise ihr Thema in den historischen Zusammenhang ein. Dieser wird in der Darstellung jedoch sehr verkürzt bzw. versimpelt. So erscheinen die 1950er Jahre bei Kompisch und Otto als stillschweigende Verlängerung der Nazizeit, die Deutschen als konservative, autoritätsgläubige, gegenwartsfixierte, sexfeindliche Arbeits- und Konsumroboter der Wirtschaftswunder-Ära. Solche Verallgemeinerungen fallen immer wieder auf; sie deuten auf eine generelle Überspitzung der Untersuchungsergebnisse mit dem Ziel der Verdeutlichung hin.

Der Verzicht auf Bilder wurde bereits erwähnt. Er ist logisch und lobenswert dort, wo die Darstellung ‚wahrer Verbrechen‘ allzu gern ins Plakative verfällt, wenn blutverschmierte Tatorte, Mordwerkzeuge und verstümmelte Opfer präsentiert werden. Darum geht es in diesem Buch wie schon gesagt nicht. Andererseits gibt es keine Abbildungen derjenigen Zeitschriften oder Zeitungen, deren publizistische Aktivitäten definitiv im Mittelpunkt stehen. Das ist ein Manko, denn zum Boulevard gehören neben dem Wort auch das reißerische Bild sowie das publicityheischende Layout.

In der Sache treffen Kompisch und Otto freilich ins Schwarze. Sie fassen sich kurz, bleiben sachlich im Ton und scheuen nicht das Risiko des allzu deutlichen, vielleicht subjektiven Urteils. Nicht immer bleiben sie neutrale Betrachter; die negative Haltung zum Boulevard schlägt recht deutlich durch. Die Fakten sprechen jedoch für sich, die Beweise sind schlüssig. Für manche Leser mag es schmerzlich sein, erkennen zu müssen, wie man vom Boulevard manipuliert wird – und wie man sich manipulieren lässt, weil man in der Tat nur zu gern einen Blick in die Abgründe des Lebens riskiert, solange man selbst nicht Gefahr gerät abzustürzen.

Autoren

Kathrin Kompisch wurde 1973 in Hamburg geboren. Sie studierte dort Geschichte, Vor- und Frühgeschichte sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Schon während des Studiums wurde sie als Journalistin aktiv und arbeitete im Auftrag historische Ereignisse auf – ein Arbeitsbereich, der sich neudeutsch „History Marketing“ nennt. Als Autorin veröffentlichte Kompisch mehrere kriminalhistorische Studien. Sie lebt und arbeitet weiterhin in Hamburg.

Frank Otto (geb. 1967 in Mainz) studierte Geschichte, Volkswirtschaftslehre, Politische Wissenschaften und Neuere deutsche Literatur. Der habilitierte Forscher ist Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg und Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen.

Taschenbuch: 202 Seiten
http://www.luebbe.de

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