L. Frank Baum – Der Zauberer von Oz

Uralt-Übersetzung wunderbar vorgetragen

Ein Wirbelsturm hat Dorothy und ihren Hund Toto ins Land Oz geweht. Nur der Zauberer von Oz, der Herrscher des Landes, kann ihr helfen, zurückzufinden. Auf dem Weg zu ihm begegnen die beiden einer Vogelscheuche, einem Holzfäller aus Blech und einem feigen Löwen. Doch damit nicht genug: Das größte Wunder erwartet sie in der Smaragdstadt, wo der Zauberer bereits auf sie wartet … (Verlagsinfo)

Eine Altersangabe ist nirgends zu finden, aber ich würde die Lesung erst ab acht oder neun Jahren empfehlen.

Der Autor

Lyman Frank Baum wurde 1856 in Chittenango/New York geboren. Er arbeitete als Journalist, am Theater und versuchte sich auf verschiedenen Gebieten selbständig zu machen – u.a. gründete er eine Zeitung –, allerdings ohne Erfolg. Sein 1900 erschienenes drittes Kinderbuch „Der Zauberer von Oz“ machte ihn dagegen über Nacht berühmt. Es kam bereits zwei Jahre später als Musical heraus und wurde 1939 mit Judy Garland in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt. L. Frank Baum ließ dem ersten Band mehrere Fortsetzungen folgen und gilt als der Erfinder des amerikanischen Märchens. Er starb 1919 in Hollywood. (Oetinger-Verlag)

Die Macher

Gesprochen von Andrea Sawatzki
Musik von Jan-Peter Pflug
Produziert von: Klaus Trapp
Regie: Frank Gustavus
Einbandillustration von Lisbeth Zwerger

Andrea Sawatzki

Andrea Sawatzki wurde 1963 in Schlehdorf in Bayern geboren. Nach ihrem Studium an der Neuen Münchner Schauspielschule hatte sie Engagements an Theatern in Stuttgart, Wilhelmshaven und München. Ihre erste Filmrolle spielte sie 1988, zahlreiche weitere Fernseh- und Kinofilme folgten. Einem breiten Publikum wurde sie als Frankfurter Tatort-Kommissarin Charlotte Sänger bekannt, die sie von 2002 bis 2010 spielte und für die sie mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Neben ihrem Schauspielberuf arbeitet sie auch als Hörbuchsprecherin und hat bislang in über 15 Produktionen mitgewirkt. 2009 wurde sie mit dem Lesewerk-Preis des Deutschen Vorlesepreises ausgezeichnet. Andrea Sawatzki lebt mit ihrem Lebensgefährten Christian Berkel, ihren beiden Söhnen und Hündin Calypso in Berlin.

Frank Gustavus:

Frank Gustavus, 1970 in Duisburg geboren, studierte Germanistik und Anglistik. Er arbeitete als Redakteur bei Klassik Radio (Hamburg) und absolvierte eine Sprechausbildung, u. a. bei Hans Paetsch. 2001 gründete er das Hörspiellabel >>Ripper Records<<. Heute arbeitet er als freischaffender Sprachregisseur, Autor, Hörbuch- und Hörspielbearbeiter und Produzent und ist TV-Off-Sprecher für Magazine und Reportagen.

Jan-Peter Pflug

Seit mehr als fünfzehn Jahren komponiert Jan-Peter Pflug, 1968 in Eutin geboren, mit großem Erfolg in seinem Hamburger Studio für die unterschiedlichsten Genres im Bereich Hörspiel, Hörbuch, Theater, Werbung und Dokumentarfilm. Mehrere dieser Produktionen wurden mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet.

Handlung

In Kansas schreibt man das Jahr 1899, und Dorothy lebt nicht bei ihren Eltern, sondern auf der Farm von Onkel Henry und Tante Em. Sie beschwert sich, dass hier alles grau sei, wo doch alles in Farben getaucht sein könnte. Da platzt Onkel Henry in die Küche und fordert alle auf, sofort in den Schutzkeller zu eilen, den ein Sturm sei im Anzug. Doch bevor sich auch Dorothy in Sicherheit bringen kann, muss sie erst ihren geliebten Hund Toto suchen. Als der Tornado zuschlägt, hebt er sie zusammen mit dem Haus in die Höhe. Erst nach einer Weile setzt er das Haus hart wieder ab – an einem sehr seltsamen Ort.

Die Ankunft

„Dies ist nicht Kansas, Toto“, ahnt Dorothy, denn ringsum ist die Landschaft voller bunter Blumen und grüner Bäume. Eine alte Dame in einem strahlend weißen gewand und einem ebensolchen Spitzhut auf dem Kopf begrüßt das Mädchen. Sie stellt sich als Hexe des Nordens vor und bezeichnet die drei blauen Männer neben ihr als „Munchkins“. Auch sie tragen Spitzhüte, scheinen aber Angst vor dem Neuankömmling zu haben.

Die Nordhexe bedankt sich bei Dorothy für das Töten der bösen Osthexe, die die Munchkins unterdrückt habe – ihr Haus habe die Hexe erschlagen. Dorothys Portest, das sei nur ein Unfall gewesen, verhallt ungehört. Sie dachte bisher, alle Hexen seien böse, doch die Nordhexe klärt sie auf: Sie und die Südhexe, Glinda, seien die Guten, doch die Osthexe und die Hexe des Westens seien abgrundtief böse bzw. es gewesen. Die Westhexe haben sogar den Zauberer Oz verjagt, der jetzt in der Smaragdstadt residiert.

Als sich die tote Osthexe verwandelt, gibt die Nordhexe Dorothy deren silberne Schuhe – ohne ihr zu sagen, dass die Schuhe eine magische Eigenschaft haben. Dorothy will zurück nach Hause, doch rings um die vier Bezirke erstreckt sich nur Wüste, die sie nicht überqueren kann. Die Nordhexe befragt ihren Hut, der sich in einer Tafel verwandelt, auf der steht: „Dorothy soll in die Smaragdstadt zu Oz gehen.“ Die liegt genau in der Mitte des Reiches. Doch den Weg dorthin zu Fuß zu bewältigen, sei gefährlich. Als Schutz küsst die Nordhexe das Mädchen auf die Sirn. Oz werde ihr helfen können. Sprach’s und verschwand.

Die Gefährten

Auf dem gelben Steinweg, der sie folgen soll, trifft Dorothy, begleitet von ihrem Hund, eine Vogelscheuche. Der Strohmann möchte losgebunden werden. Da er nur Stroh im Kopf hat, wünscht er sich am sehnlichsten Verstand. Den könnte ihm vielleicht der Zauberer geben, meint Dorothy. Als nächstes treffen sie einen Holzfäller, der nach mehreren Operationen nur noch aus Blech besteht. Nachdem sie ihn ordentlich geölt haben, bekennt er, dass er sich am sehnlichsten ein Herz wünscht, denn nicht Verstand, sondern nur Liebe mache glücklich. Auch ihm hilft vielleicht der Zauberer Oz.

Als nächstes gelangen sie in einen Wald. Dort brüllt ein Löwe sie gar fürchterlich an und erschreckt den armen Toto. Deswegen schimpft Dorothy mit dem Löwen: „Du bist ein Feigling!“ Da beginnt der Löwe plötzlich zu weinen und zuzugeben, er sei tatsächlich ein Feigling. Was er sich am sehnlichsten, ist Courage. Die könne ihm vielleicht der zauberer geben, meint Dorothy.

Der Zauberer

Der Törhüter der Smaragdstadt, die sie endlich erreichen, nötigt sie, grüne Brillen aufzusetzen, bevor sie die Stadt betreten: als Schutz vor dem Glanz der Smaragde, sagt er. Deshalb ist alles, was sie sehen, in tiefes Grün getaucht. Als sie zum Palast gelangen, werden sie zunächst abgewiesen, aber die Berufung auf die Nordhexe ändert alles. Seltsam, dass keiner weiß, wie der Zauberer aussieht und dass jeder Besucher nur einzeln vorgelassen wird.

Dorothy erblickt einen riesigen Kopf, der sie dröhnend nach ihren Hexenschuhen und dem Hexenkuss fragt. Sie nennt ihr Begehr: Sie will zurück nach Kansas. Warum er das für sie tun solle? Weil er stark und mächtig sei. Er aber tue etwas nie ohne eine Gegenleistung, behauptet er und verlangt, sie solle die böse Westhexe töten. Dorothy protestiert, sie sei doch keine Mörderin und der Tod der Nordhexe sei nur ein Unfall gewesen.

Die Vogelscheuche erblickt eine nette Dame, die er um Verstand bittet; der Blechmann bittet eine große bestie um Verstand, und der Löwe bittet einen Feuerball um Courage. Die Gegenforderung lautet immer gleich: Sie sollen die Westhexe töten und einen Beweis für deren Tod liefern. Dann werde Oz sehen, was er für sie tun könne.

Die Westhexe

Die fünf Gefährten – man sollte den Hund mitzählen – sehen keinen anderern Ausweg als zu tun, was der Zauberer von ihnen verlangt hat. Nachdem sie am Tor ihre grünen Brillen zurückgegeben haben, wagen sie sich hinaus in die Wildnis des umkämpften Reiches. Die Auskunft des Torhüters ist nicht gerade beruhigend: Sobald sie sich dem Westreich nähern, werde die Westhexe sie schon entdecken. Das würden dann schon mitkriegen.

Die Westhexe ist abgrundtief böse und will überhaupt keine Besucher in ihrem Bezirk. Erst schickt sie zuerst 40 Wölfe aus. Diese erschlägt der Holzfäller mit seiner scharfen Axt. Dann schickt sie 40 schwarze Krähen aus, doch diese tötet der Strohmann, dem sie nichts anhaben können. Als nächstes schickt die Hexe schwarze Giftbienen aus. Das Stroh deckt alle zu außer dem Holzfäller. Und dessen Blech ist gegen Stiche immun. Da sie ihren Stachel verloren haben, stirbt eine Biene nach der anderen. Schließlich soll die Winkies, ihre Untertanen, mit ihren Speeren den Sieg bringen. Doch ein gewaltiges Brüllen des Löwen schlägt auch die Winkies in die Flucht.

Sie setzt sich ihren magischen Goldhelm auf und ruft die geflügelten Affen herbei. Sie schulden ihr noch einen letzten Gefallen. Sie sollen die fünf Eindringlinge schnappen und ihr besonders die silbernen Schuhe bringen, die das Mädchen ihrer Schwester, der Osthexe, gestohlen habe. Und den Löwen will sie zu ihrem Pferdchen machen.

Schon bald versetzt ein seltsames Flügelrauschen die Gefährten in Angst und Schrecken …

Mein Eindruck

Obwohl Oz irgendwo in US-Amerika liegt, so weist es doch alle Eigenschaften eines „Polders“ auf: Es ist unzugänglich, will man es per Land erreichen; es unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der uns bekannten Außenwelt; und es verfügt über Magie. Das erste Problem, das Dorothy zu bewältigen hat, ist der Weg dorthin: ein Tornado. Dort ist sie allerdings eine Ausländerin, buchstäblich ein „Alien“. Folglich ist es ihr dringendstes Anliegen, Freundschaft und Unterstützung zu finden.

Bei diesem Unterfangen lernt Dorothy in einem langen Lernprozess nicht nur drei wichtige Gefährten kennen und lieben, sondern auch die unterschiedlichen Eigenschaften des Landes, das nach Oz benannt ist, dem Zauberer. (In Wahrheit herrscht aber Prinzessin Ozma, nur dass sie hier im ersten Buch keine Erwähnung findet.)

Das Land ist in die vier Himmelsrichtungen eingeteilt und farbkodiert, so dass man sich die Viertel leicht merken kann:

1) Purpurn ist das nördliche, bewaldete Land der Gillikins;
2) das östliche, mittelalterliche Munchkinland ist blau;
3) das westliche, windumtoste Land der Winkies ist gelb;
4) das südliche Land der exzentrischen Quadlinge ist rot.

Es gibt noch weitere Enklaven, so etwa das völlig weiße Porzellandland, das Dorothy und ihre Gefährten auf Zehenspitzen durchqueren – zumindest im Buch und in vollständigen lesefassungen. Es gibt viele weitere Zonen wie etwa Alte Wälder und natürlich in der Mitte von allen Bezirken die Smaragdstadt. Im Roman „Wicked“ von McGuire (Klett-Cotta 2008) findet man eine detaillierte Landkarte.

Warum ausgerechnet Norden und Süden „gut“ sein sollen, Westen und Osten aber „böse“, ist wohl der Phantasie des Autors zu schulden. Daraus folgt aber nicht nur eine moralische Aufteilung des Landes (= des Herzens, Bewusstseins, der Identität), sondern auch ein ständiger Kampf um die Vorherrschaft über Oz. Dass Dorothys harte Landung eine der vier Herscherinnen tötet, bringt das ganze Gleichgewicht durcheinander. Der kindliche Beobachter der Gesamtsituation stellt sich sofort die spannende Frage: Wer wird obsiegen – Gut oder Böse?

Hier kommen die fünf Gefährten ins Spiel sowie der Zauberer. Das Ziel der drei Gefährten, die Toto und Dorothy begleiten, ist die Vollendung des eigenen Charakters. Obwohl sie die gewünschte Eigenschaft längst aufweisen, verlangt es sie nach a) Herz, b) Verstand und c) Courage. Auf ihren Abenteuern wird dem jungen Leser mehr als deutlich, dass die drei Gefährten diese Desiderata mehr als genug bereits besitzen, sie wollen es nur nicht wahrhaben.

Statt auf sich selbst zu vertrauen, wenden sie sich erneut an den Zauberer. Dieser ist eine Metapher für die Regierung, die alles richten und einrenken soll. Leider stellt sich Oz als ein „guter Mensch, aber schlechter Zauberer“ heraus. Wie sich zeigt, verfällt er jedoch auf Mittel und Wege, wie er die drei vermeintlichen Defizite – Herz, Verstand, Courage – dennoch herbeizaubern kann: Der Glaube erledigt den Rest. So glaubt beispielsweise der Löwe, durch den Tapferkeitsorden sei nun belegt, dass er mutig sei, wie es sich für den König der Tiere gebührt. Dass auch das nur eine weitere Illusion ist, erkennt nur der Leser.

Die Botschaft dieses ersten amerikanischen Märchens von allgemeiner Verbreitung ist also sehr amerikanisch, denn sie beruht auf dem Frontier-Mythos: Nur wenn du genügend auf dich selbst vertraust, wirst du die nötigen Eigenschaften – Herz, Verstand, Mut – in dir selbst angelegt finden und sie verwirklichen können. Dann wirst du die Frontier (Grenzland in jeder Dimension) erobern, behalten und verteidigen können. Dieses Dogma, vielfach begründet und ausgebaut – gilt bis heute. Es ist der American Dream. Eine der Grundvoraussetzungen für dessen Verwirklichung ist natürlich Freiheit.

Kein Wunder also, dass der Autor Oz später mit utopischem Gedankengut (Idealen) verknüpft hat, um den Traum in bekanntere Bahnen zu lenken. Und kein Wunder, dass eine ganze Reihe von AutorInnen begannen, mittlerweile über 40 Romane im Lande Oz anzusiedeln.

Dass die Briten davon nicht erbaut waren, zeigt sich in ihrer Kritik an Oz, zu besichtigen in dem John-Boorman-Film „Zardoz“ aus dem Jahr 1974. „Zardoz“ ist selbst eine Kontraktion aus den Bruchstücken „-zard“ und „Oz“: Der American Dream ist in eine totalitäre Tyrannei erstarrt. Sean Connery, der den Helden verkörpert, hat eine Reihe von Erlebnissen und Prüfungen zu durchlaufen, bis er es mit „Zardoz“ aufnehmen kann, um die Tyrannei zu beenden.

Die Sprecherin/ Musik

Andrea Sawatzki ist zwar keine große Stimmkünstlerin, aber ihr gelingt der fast fehlerlose und recht flotte Vortrag dieses vielschichtigen Textes auf eine Weise, die das Verstehen einigermaßen leicht macht. Durchweg konnte ich die tiefere Tonlage für die männlichen Figuren, besonders für den Löwen und den Zauberer, leicht heraushören, wohingegen die weiblichen Figuren fast alle ziemlich gleich klingen, außer wenn Mädchen sprechen: Sie haben alle eine höhere Stimmlage. Insbesondere Dorothy klingt kindlich-naiv und hat von allen Figuren die höchste Tonlage. Es ist erstaunlich wie groß der Stimmumfang der Sprecherin ist – und hier kann sie diese Fähigkeit voll zum Einsatz bringen.

Es war unabdingbar, dass die Sprecherin jeder Figur eine eigene Sprech- und Ausdrucksweise zugewiesen hat. Die Vogelscheuche klingt manchmal wirklich unterbelichtet, was ihre Suche nach Verstand einleuchtend erscheinen lässt. Und der Blech-Holzfäller wechselt zwischen sehnsüchtig – er will ja ein Herz – und wilder Entschlossenheit – seine Axt tötet 40 Wölfe! – auf faszinierende Weise. Der Löwe wechselt ebenfalls zwischen tiefer Stimme voll Autorität und jämmerlichem Klagen. Am Anfang sind also alle unentschieden, doch am Ende ist alles klar – so muss ein Märchen sein.

Die Sprecherin legt anders als Sprecherinnen wie Franziska Pigulla keinen Wert auf Sentimentalitäten oder den Ausdruck von Kurzatmigkeit, Seufzen usw. Es ist ihr wichtiger, eine Figur durch die eigentümliche Sprechweise zu charakterisieren. In diesen Charakterisierungen erweist sich die Routiniertheit der Sprecherin, die hierbei offenbar auf ihre Schauspielausbildung zurückgreift. Ganz wunderbar ist ihr dabei etwa die Westhexe gelungen, ein grantiges, wütendes Weib, das zetert und jammert.

Musik

Musik, die Jan-Peter Pflug komponiert hat, wird jeweils als Intermezzo zwischen die einzelnen Szenen eingeschoben. Anders als in einem Hörspiel gibt es daher keine Hintergrundmusik, sondern nur Intro, Outro und Intermezzi. Dadurch wird der Hörer zwar nicht vom Vortrag abgelenkt und er kann sich stets eine Verschnaufpause gönnen, aber es kommt während des Vortrags keine von Musik gesteuerte Stimmung auf. Diese Stimmung muss die Sprecherin erzeugen – wenn sie kann: siehe oben.

Die Musik besteht meist aus idyllischen, romantischen, nahezu traumhaften Stücken. Nur selten wird sie auch flott oder gar lustig-skurril. Diesen träumerischen Charakter der Musik fand ich unpassend, denn damit wird der Hörer nur eingelullt statt aufgeweckt. Außerdem will sie nicht recht zu den zahlreichen Tötungsakten passen, die in der vollständigen Lesung zum Vorschein kommen.

Nicht nur die Osthexe stirbt, sondern auch die Westhexe, eine Wildkatze – der Strohmann, der Holzfäller gelten für tot, und der Löwe entgeht um Haaresbreite dem Verhungern, wenn da nicht die liebe Dorothy wäre. Voll Angst und Anspannung geht es für die Gefährten und ihre Gegner stets auch ums Leben – und dieser Aspekt der Geschichte wird von der Musik völlig ignoriert.

Die Ausstattung

Die vier CDs befinden sich in vier bedruckten und illustrierten Hüllen, welche zusammen mit dem Booklet in einer Klappschachtel liegen. Die Illustrationen aus dem Kinderbuch, angefertigt von Lisbeth zwerger, tragen erheblich dazu bei, dieser Produktion einen ganz eigenen optischen Charme zu verleihen, der besonders Kinder anspricht. Eine Altersangabe ist nirgends zu finden, aber ich würde die Lesung erst ab acht oder neun jahren empfehlen.

Das Booklet

… enthält im Innenteil folgende informative Texte:

1) „Der Erfinder von Oz“ (3 Seiten): Hier wird das wechselvolle Leben von Lyman Frank Baum nachgezeichnet, mit besonderem Augenmerk auf die Entstehung der ersten Oz-Bücher. Diese verlief nämlich alles andere als reibungslos. Die Illustratoren wechselten ebenso wie die Verlage.

2) „Die Bücher von Oz“: Baum veröffentlichte zwölf Oz-Bücher – und hinterlegte vor seinem Tod 1919 zwei weitere fertige Oz-Manuskripte in einem Banksafe. Weitere AutorInnen, allen voran Ruth Plumly Thompson, veröffentlichten bis 1963 weitere 26 Oz-Romane. Was danach publiziert wurde – etwa „Wicked“ – wird im Booklet nicht berücksichtigt.

3) „Oz erobert die Welt“: Der Export von Oz-Romanen verlief recht sonderbar. Erst 1932 bekamen die Franzosen die erste Übersetzung (die Briten brauchten 1906 batürlich keinen Übersetzer). Die Russen gingen ganz anders vor: Alexander Wolkow erzählte ab 1939 eine Nacherzählung, also keineswegs eine Übersetzung. Diese wurde in die DDR exportiert, so dass dort erst 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, die erste Übersetzung des Originals erschien. 1964 veröffentlichte der Cecilie Dressler Verlag die erste westdeutsche Übersetzung durch Sybil Gräfin Schönfeldt. Und deren Terminologie folgt die Lesung.

4) „Der Zauberer von Oz auf Leinwand und Bühne“: Schon 1902 gab es das erste Theaterstück und wenig später sogar einen Stummfilm mit Laurel & Hardy. Erst 1939 machte das Musical „The Wizard of Oz“, in dem Judy Garland vom Regenbogen sang, Oz in aller Welt richtig bekannt. Das Drehbuch und der Song „Over the Rainbow“ erhielten OSCARs. In dieser Verfilmung wechseln Dorothys Zauberschuhe, die eigentlich silberfarben sind, erstmals (und endgültig) die Farbe: Fortan sieht man sie nur noch rubinrot beschuht. Im Jahr 2000 wurde eines der letzten acht Originalpaare für 666.000 US-Dollar versteigert. So sieht Kult aus. Die Fortsetzung „Return to Oz“ fiel 1985 weniger erfolgreich aus. 2005 nahmen sich sogar die Muppets der Geschichte an.

5) „The International Wizard of Oz Club“: 1957 von einem 13-jährigen US-Jungen gegründet, existiert dieser Fanclub bis heute. Er veröffentlichte „The Baum Bugle“ als Fanzine und richtet jährliche Treffen in den USA aus, auf denen ein Gedenkpreis zu Ehren des Oz-Schöpfers verliehen wird.

6-9) Infotexte über die Übersetzerin, die Illustratorin, die Sprecherin und den Komponisten runden die Texte ab. Am Schluss folgen die Credits und ein Werbehinweis für die vollständige Lesung von „Alice im Wunderland“ (siehe meinen Bericht).

Unterm Strich

Diese vollständige Lesung des ersten Oz-Buches macht klar, dass hier Gut gegen Böse kämpft – und dass die fünf Gefährten (inklusive Toto) das Zünglein an der Waage bilden. Am Anfang sind sie noch unschlüssig und unvollkommen. Dem Löwen fehlt angeblich Courage, dem Strohmann („dumm wie Bohnenstroh“) angeblich Verstand und dem mechanischen Holzfäller angeblich ein Herz.

Sie sind wie die Einwanderer des 17. und 18. Jahrhunderts, vielfach Häftlinge, Vertriebene und Hungernde, die ein wildes Land namens Amerika betreten, das nach unbekannten Regeln funktioniert – und in dem sie ihren Platz zu finden suchen. Als das nicht ganz funktioniert, ersetzen sie die Regierung namens „Zauberer von Oz“ – und regieren sich fortan selbst. Nur Dorothy will wieder nach Haus ins heimische Kansas (dem Mittelpunkt der Vereinigten Staaten), aber es ist klar, dass sie die kleinen Leser immer wieder nach Oz zu entführen hat.

Was das Land Oz und seine Geschichte bis heute so faszinierend macht, ist seine durchdachte Struktur, seine Farbkodierung und die semirealistische Landschaft, bestehend aus Bergen, Ebenen und Wüsten (die ein Entkommen unterbinden). Hier wird wie im richtigen Amerika Forst- und Landwirtschaft sowie Bergbau (Smaragdminen) betrieben, aber die Bereiche sind völlig unterschiedlich entwickelt: Urwald, Mittelalter, Neuzeit – und Phantasie, beispielsweise Porzellanland.

Folglich bieten die Bewohner eine Mischung aus Realismus (ein Illusionist, mehrere Völker) und Märchen (sprechende Tiere aller Art). Das realistische Fundament bietet der metaphorisch gestaltenden Phantasie (Strohmänner, Blechmänner, Hexen) viel Raum – und das ist die Basis für die anhaltende Fruchtbarkeit dieses Entwurfs. Dass das Rezept funktioniert, kann man noch an dem modernen Musical „Wicked“ ablesen. Jede Generation bekommt das Märchen, das sie verdient: Hexen (wiccas) sind daher nicht mehr „nur“ böse (wicked), sondern haben eine Biografie, die sie vermenschlicht und ihnen Rechte zugesteht.

Oz unterscheidet sich von allen Tolkien-Phantasien und -Epigonen dadurch, dass nicht ein absoluter Herrscher die Erlösung bringt – er wird ja als Schwindler entlarvt. Vielmehr ist es das Teamwork der Tapferen und Einfallsreichen, das die neue Regierung zustande bringt, meist sogar nur in kleinen Lokalitäten wie etwa dem Alten Wald. Das sollte sich die heutige Demokratie der USA mal hinter die Ohren schreiben.

Das Hörbuch

Bei dieser Uralt-Übersetzung sind viele der Eigennamen eingedeutscht. So heißt es etwa nicht „Munchkins“, sondern „Mümmler“, was heute sehr gewöhnungsbedürftig klingt. Die Übersetzung stammt eben aus dem Jahr 1964, und das merkt man ihr deutlich an. Allerdings hat das Eindeutschen den Vorteil, dass jedes Kind die Namen versteht. Beim Ausdruck „Mümmeln“ (= ausgiebig kauen) bin ich mir da aber nicht so sicher.

Die Musik fand ich vielfach unpassend. Sie lullt ein, wenn im Text von Mord und Totschlag die Rede ist, Sie hat auch ihre netten Momente, so etwa bei skurril-lustigen und flott-dynamischen Intermezzi. Insgesamt vermittelt sie viel zu viel Idylle und Romantik, wo diese im Text gar nicht gefordert wird, ganz im Gegenteil. Aber das illustrierte Booklet bietet erstklassige Infos, die an das Werk und seinen Autor heranführen.

4 Audio-CDs mit 256 Minuten Spieldauer
Originaltitel: The Wonderful Wizard of Oz, 1900; Oetinger Audio 2010, Hamburg
Übersetzt 1964 von Sybil Gräfin Schönfeldt
Gelesen von Andrea Sawatzki
ISBN-13: 978-3837304350

www.oetinger.de

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