Marc Levy – Kinder der Hoffnung

Frankreich, 1940. Das Land ächzt unter der Besatzung der Militärmacht Deutschland unter der Führung der Nationalsozialisten. Als Frankreich besiegt und ein Waffenstillstand vereinbart wurde, schlug die Geburtsstunde der Widerstandsbewegungen in Frankreich, der Résistance. Sie kämpfte gegen die deutsche Besatzungsmacht und kollaborierenden französischen Institutionen und auch gegen Sympathisanten innerhalb der Bevölkerung. Die Résistance war hervorragend und streng organisiert. Es gab innerhalb der Widerstandsbewegung kleinere operierende Gruppen, die Bahn- und Nachschubverbindungen sabotierten, Anschläge auf Soldaten und Offiziere verübten sowie Kasernen und Stützpunkte zerstörten.

Unter ihnen waren einfache Frauen und Männer aus der französischen Bevölkerung, nicht nur Soldaten; auch Jugendliche und sogar Kinder schlossen sich dem Widerstand an und kämpften auf ihre eigene Art und Weise, die aber nicht minder gefährlich war als die Front, denn denunziert zu werden, kam einem Todesurteil gleich.

Unterstützt wurden die mutigen Männer und Frauen aus der Bevölkerung und natürlich auch von den alliierten Geheimdiensten, die sie in Sabotage und Geheimdienstmethoden unterwies und ausbildete. Ihr Hauptquartier lag vornehmlich in der jetzigen Pariser Métro, die kleinen Kommandoeinheiten wechselten allerdings ihre Standorte in regelmäßigen Abständen, denn ihre Mobilität war eine ihrer großen Stärken.

Ihr Idealismus war bewundernswert, doch ihr Glaube an eine höhere und gerechte Sache, an ihr Land und die Menschen darin verlangte von ihnen Opfer. Viele Kinder und Jugendliche träumten davon, etwas ‚Heldenhaftes‘ zu tun, sich zu beweisen, doch für viele dieser Kinder und Jugendlichen gab es nach den ersten Aktionen, dem ersten Töten deutscher Soldaten keine naive und behütete Kindheit mehr. Das erste Opfer, das diese jungen Menschen zu Grabe trugen, war ihre Unschuld.

Marc Levy, der Autor von „Solange du da bist“, der es brillant versteht, sensible Geschichten voller Gefühl und Emotionen zu verfassen, hat selbst eine wahre Geschichte aus dieser Zeit zu erzählen. Es sind die Erlebnisse seines Vaters in der Résistance, und aus den Erinnerungen dieser Kriegstage schuf er seinen neuen Roman „Kinder der Hoffnung“ – ein Zeitdokument, ein Porträt und eine Aufarbeitung der Vergangenheit.

_Inhalt_

Frankreich, Toulouse, inmitten des II. Weltkrieges. Frankreich ist besiegt, erobert und von deutschen Truppen besetzt. Angst und Misstrauen beherrschen das Denken und Handeln der Bevölkerung, doch es organisiert sich der Widerstand. Die Résistance arbeitet mit allen Mitteln gegen die deutschen Besatzer. Und diese mutigen Menschen sind nicht nur erwachsene Frauen und Männer. Gerade die Jugendlichen, die Mut und Risiko oftmals verwechseln mit Heldentum und Idealismus, kämpfen mit einem Engagement, das auch Opfer verlangt.

Der junge Raymond und sein noch jugendlicher Bruder Claude schließen sich dem Widerstand an und kämpfen gegen die militärische Macht Deutschlands. Sie kämpfen Seite an Seite mit anderen Mädchen und Jungen und merken sehr schnell, dass ihr Kampf anders verläuft, als sie es sich vorgestellt haben. Das Leben in Verstecken und die beständige Angst davor, verraten oder gefasst zu werden, kosten sie schnell ihre Ideale und ihre jugendliche Unbekümmertheit. Viele ihrer Freunde werden gefasst, verhört, gefoltert, und schließlich ist die Gerichtsverhandlung nur noch eine Farce, das Ende ist bereits Routine und bedeutet immer den Tod.

Ihr Leben und ihr Kampf gegen die Diktatoren Hilter und Mussolini vereint sie trotz strenger Regeln innerhalb der 35. Brigade, in der sie dienen. Diese wird in Toulouse zu einer Art von Ersatzfamilie, in der allerdings die Familienmitglieder einer gewissen Fluktuation unterliegen. Ihre Kindheit lassen sie hinter sich. Raymond träumt davon, der RAF zu dienen und in Luftkämpfen erfolgreich gegen die verhassten Deutschen zu kämpfen.

Anschlag folgt auf Anschlag und die Spirale der Gewalt dreht sich immer weiter. Als ein Freund Raymonds bei einer Aktion den Tod findet, nimmt dieser ihm im Sterben noch ein Versprechen ab: „Du musst eines Tages unsere Geschichte erzählen, sie darf nicht einfach so verschwinden wie ich“. Raymond verfolgen diese Worte ebenso wie die Entbehrungen und die Tötungen.

Jahre später, in Zeiten des Friedens, die Jugend vorüber, die Seele von Erlebnissen gepeinigt, hält Raymond dieses Versprechen und erzählt seinem Sohn von dieser schicksalhaften Zeit. Dieser Sohn ist Marc Levy.

_Kritik_

Marc Levy versteht es mit sensiblem Gespür, die Lebenserinnerungen seines Vaters in einen berührenden Roman zu verwandeln. Auf den ersten Blick ist diese Erzählung ein Roman, auf den zweiten zugleich ein Zeitdokument und Porträt dieser unmenschlichen Zeit.

Wir können uns kaum vorstellen, was die Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit erlebt und ertragen haben. Wie oft müssen sich diese jungen Menschen die Frage gestellt haben, ob sie eines Tages aus dem Alptraum erwachen werden, in dem sie so lange lebten. Zwischen Zivilcourage und dem täglichen Mut, den sie aufbringen müssen, lauern Tod, Verfolgung, Verrat und Folter. Was wir in Zeiten des Friedens als selbstverständlich betrachten, wissen wir oft nicht zu schätzen, und damit ist etwas so Profanes wie das Leben an sich gemeint, die herrliche, unbeschwerte Kindheit und Jugend, die so viele Geheimnisse für uns bereithalten. Die Erzählungen von Levys Vater sind mehr als nur Erinnerungen, es sind auch Mahnungen, die uns nicht vergessen lassen sollten, was in der Vergangenheit für Unrecht geschehen ist, für welche Werte dieser Kampf in der Résistance einstand.

Marc Levy wurde mit seinem Debütroman „Solange du da bist“ ein gefragter und berühmter Autor. Diesen Roman hat er für seinen Sohn verfasst, um ihm begreiflich zu machen, was Zeit für eine Bedeutung haben kann. Marc Levy hat ein Talent dafür, Geschichten mit atmosphärischer Tiefe zu erzählen. Auch das beweist er in seinem Buch „Kinder der Hoffnung“. Es erzählt die ergreifende Geschichte von Jungen und Mädchen, die in der französischen Résistance gekämpft haben und vielleicht überlebten, aber traumatisiert sind; eine Hommage an die Kinder und Jugendlichen, die für die Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben in Freiheit getötet haben oder getötet wurden.

„Kinder der Hoffnung“ ist ein spannender und sehr ergreifender Roman, der uns betroffen innehalten lässt. Es ist dabei jedoch kein Kriegsroman, der historische Erlebnisse im Detail schildert. Die vielleicht einzige Schwäche des Romans ist es, dass dennoch zu wenig Licht in die Seele der Protagonisten dringt. Sicherlich hätte Raymond, wenn er diesen Roman persönlich geschrieben hätte, die Anschläge und ihre Auswirkungen, die Gedanken und Ängste der Beteiligten geschildert. All das bleibt leider viel zu sehr offen, genau wie die Frage, was Menschen dazu bringen mag, in den Widerstand zu gehen, gerade in so jungen Jahren.

Der Widerstand in Frankreich war, wie Marc Levys Vater erzählt, eine Spirale der Gewalt. Auf viele Anschläge, die durch die Résistance verübt wurden, folgte die brutale Gegenreaktion der Besatzungsmacht, aber umgekehrt verhielt es ebenso. Auge um Auge, Zahn um Zahn, ist ein Motto, das beide Kriegsparteien recht wörtlich nahmen. Bedenklich finde ich es allerdings, dass Raymond und seine Gruppe der Résistance keine Unterschiede machten und keine Hemmungen hatten, wenn sie für die Freiheit deutsche Soldaten ermordeten. Als große Unbekannte in dieser tödlichen Gleichung taucht dann die Frage, was für Menschen diese Offiziere eigentlich waren. Sicherlich hatten auch sie Frau und Kind in Deutschland, aber heißt es nicht auch, im Krieg und in der Liebe sei alles erlaubt? Konnten die jungen Menschen die Tragweite ihrer Morde und Aktionen überhaupt absehen, oder waren sie von der Struktur der Résistance schon so sehr geprägt, dass es für sie nicht mehr möglich war, zwischen Schuld, Teilschuld oder gar Unschuld unterscheiden zu können?

Wir können ihr Handeln weder beurteilen noch verurteilen. Dies waren Situationen in einer extremen Zeit, die wir nicht nachvollziehen können. Wir leben in relativem Frieden, und die Erfahrungen und Erinnerungen der Alten sind die einzigen Zeitzeugen, die für uns diese Handlungsweisen erklären und beurteilen können. In „Kinder der Hoffnung“ gelingt es Marc Levy nur geringfügig, die Beweggründe und die Motivation hinter den Taten zu erklären. Die Aktionen werden beinahe schon emotionslos geschildert, kalt und nüchtern. Das Buch ist keine Beichte der jungen Widerstandskämpfer, kein Bedauern ihrer Taten wird deutlich, aber auch keine selbst gegebene Legitimation für die Lizenz zum Töten. Diese Kälte wirkt sich auf die ganze Geschichte aus, auch wenn diese im Grunde spannend bleibt und man sich emotional durchaus auf der Seite der Résistance wiederfindet.

_Fazit_

Marc Levy hat mit „Kinder der Hoffnung“ einen ausgezeichneten Roman über die Erlebnisse jener jungen Menschen geschrieben, die entgegen ihres geringen Alters viele Opfer brachten, um für eine friedvolle und gerechte Welt einzutreten. „Kinder der Hoffnung“ ist ein solider, lesenswerter Roman, der spannend erzählt wird, aber in dem man leider nicht viel über die Innenwelten der jungen Protagonisten und ihre Motivation, ihre Gedanken und Ängste erfährt.

Für treue Fans von Marc Levy bewegt sich dieser Roman in einem ganz anderen Genre als gewohnt und ist mit seinen letzten Romanen auch kaum vergleichbar. Mit Romantik und Liebesschwüren hat „Kinder der Hoffnung“ nichts zu tun. Das Buch ist eher nüchtern und regt zum Nachdenken und vielleicht auch Hinterfragen nach; es ist durchaus ‚unterhaltsam‘, aber doch mit elementaren Schwächen im emotionalen Bereich durchsetzt. Vielleicht ist dies immer der Fall, wenn eine Lebensgeschichte von einem neutralen ‚Ghostwriter‘ niedergeschrieben wird. Gefühle und Gedanken eines anderen – und sei es auch der eigene Vater – zu transportieren, ist eben eine schwere Bürde.

_Der Autor_

Marc Levy wurde 1961 als Sohn eines Verlegers in Frankreich geboren. Er ist von Beruf Architekt und entdeckte schon früh seine Liebe zur Literatur und zum Kino. Von 1983 bis 1990 lebte er in San Francisco, wo er studierte und sein erstes Unternehmen gründete.

Sein erster Roman [„Solange du da bist“ 3325 der 2005 von Mark Waters mit Reese Witherspoon verfilmt wurde, wurde zu einem internationalen Bestseller, genauso wie „Wo bist du?“, „Sieben Tage für die Ewigkeit“, „Bis ich dich wiedersehe“, „Zurück zu dir?“ und „Wenn wir zusammen sind“.

Seit seinem Welterfolg lebt Marc Levy als freier Schriftsteller in London und Paris.

364 Seiten, gebunden
Originaltitel: Les enfants de la liberté
Aus dem Französischen von Bettina Runge und Eliane Hagedorn
ISBN-13: 978-3-426-66301-1
http://www.knaur.de