Jodi Picoult – Kleine große Schritte

Ruth Jefferson ist Hebamme und Krankenschwester aus Überzeugung und mit Herzblut. Seit über 20 Jahren arbeitet sie im Mercy West Krankenhaus und hat schon unzähligen Babys auf die Welt geholfen. Doch eines Tages möchte sie den neugeborenen Sohn eines Paares versorgen, das sich äußerst merkwürdig verhält. Als sie das Zimmer betritt, liegt direkt eine Spannung in der Luft. Schnell untersucht sie den Jungen, doch als sie die frisch gebackene Mutter untersuchen möchte, wird ihr das verweigert. Später bittet ihre Vorgesetzte sie, das Baby auf Wunsch des Vaters nicht mehr anzufassen – denn Ruth ist schwarz, der Vater des neugeborenen Jungen aber ein Rassist.

Ruth ist verletzt und gekränkt, beugt sich dem Wunsch der Eltern aber – bis sie eines Tages in einer personellen Notsituation auf den Jungen aufpassen muss und bemerkt, dass dieser aufgehört hat zu atmen. Ruth gerät in einen Gewissenskonflikt – sie kann das Kind nicht einfach sterben lassen, darf es aber eigentlich nicht anfassen. Nach kurzem Zögern beginnt sie mit der Wiederbelebung, doch alle Hilfe kommt zu spät. Der Junge stirbt. Als der wütende und trauernde Vater das Krankenhaus verklagen will, rät die Krankenhausanwältin ihm, sich an die behandelnde Krankenschwester zu wenden. Und so muss sich Ruth einem Prozess stellen, der ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Des Nachts wird sie im Nachthemd von bewaffneten Polizisten abgeführt, die Arbeitserlaubnis wird ihr entzogen. Doch die Pflichtverteidigerin Kennedy McQuarrie nimmt sich des Falls an und will für Ruth einen Freispruch erwirken.

Im Prozess steht dann die Frage im Raum, ob Ruth den Jungen hätte helfen können oder gar aktiv zu seinem Tod beigetragen hat. Doch unterschwellig geht es um Rassismus und die Frage, was passiert wäre, wenn Ruth weiß wäre…

Schwarz-weiß

Wieder einmal greift sich Jodi Picoult thematisch ein „heißes Eisen“ heraus und strickt eine spannende und ergreifende Geschichte drumherum, die wie üblich aus wechselnden Perspektiven erzählt ist. So schlüpft man als Leser in die Rolle der Krankenschwester Ruth, der Anwältin Kennedy und in die Rolle des trauernden Vaters Turk, der eine schwarze Krankenschwester von seinem Sohn fernhalten wollte und nun Rache sucht. Die meiste Zeit verfolgen wir Ruths Gedanken und Gefühle und erleben mit, wie sie sich dafür verantworten muss, dass sie schwarz auf die Welt gekommen ist, denn den Jungen hätte sie aufgrund eines Gendefekts gar nicht retten können. Mit ihr fiebert und leidet man daher von der ersten bis zur allerletzten Seite mit.

In dem Prozess steht nicht die Frage zur Debatte, ob der Fall anders läge, wenn Ruth weiß wäre. Doch unterschwellig geht es die ganze Zeit genau nur darum. Der Rassismus der trauernden Eltern und ihres gesamten Freundeskreises tritt offen zutage, doch Kennedy darf diesen Konflikt nicht im Prozess ansprechen. Völlig unverständlich bleibt aber, wie eine ebenfalls farbige Staatsanwältin mit einer solchen Vehemenz gegen Ruth vorgehen kann, wie die Staatsanwältin Odette das in diesem Buch tut. Selbst als die Ergebnisse des Neugeborenenscreenings als Beweis auf dem Tisch liegen und klar ist, dass der kleine Junge nicht hätte gerettet werden können, lässt Odette nicht nach, sondern nutzt jeden Fehler der Gegenseite aus, um Ruth in schlechtem Licht dastehen zu lassen.

Das Buch stimmt unglaublich nachdenklich und auch traurig. Man fragt sich, wie es sein kann, dass ein Vater eine schwarze Krankenschwester von der Behandlung seines Sohnes ausschließen kann und ihm dieser Wunsch erfüllt wird. Man fragt sich, wie ein Krankenhaus seine langjährige, verdiente Mitarbeiter den Hunden zum Fraß vorwerfen kann. Und man fragt sich, wie Ruth es unter diesen Voraussetzungen überhaupt so weit hat bringen können.

Jodi Picoult wartet zum Ende hin mit einem echten Knüller auf, der dem Buch eine äußerst spannende Wendung gibt. Mich hat sie damit von den Socken gehauen, und so endet das Buch durch diese Wendung noch stimmiger als ohne.

Unbedingt lesen

Ich habe das Buch innerhalb weniger Tage verschlungen und bin komplett in der Geschichte versunken. Auf jeder einzelnen Seite habe ich mit Ruth gelitten und war wütend über die Behandlung durch ihre Mitmenschen. Das Buch stimmt sehr nachdenklich – ich wünsche ihm daher sehr, sehr viele Leser!

Gebundene Ausgabe: 592 Seiten
ISBN-13: 978-3570102374
www.randomhouse.de/Verlag/C-Bertelsmann

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