Mignon G. Eberhart – Tödliche Post

Ausländertücke scheint hinter einer Verfolgung zu stecken, der eine junge Frau und ihre Pflegetochter ausgesetzt sind. Verkompliziert wird die Sache durch eine Erbschaft, deren Nutznießer durch Mord ausgedünnt werden … – Klassischer „Frau-in-Gefahr-aber-Mr.-Right-ist-nahe“ Thriller, der die Heldin geschickt unter Druck setzt und bis zuletzt für Verwirrung sorgt, wobei die Autorin für eine zunehmend beklemmende Atmosphäre des Verdachts und der Angst sorgt: ungeachtet vieler Klischees spannend.

Das geschieht:

Vor drei Jahren starb Conrad Stanley, der als Conrad Stanislowski in Polen geboren wurde, später in die USA auswanderte und es dort als Geschäftsmann weit brachte. Für Schwierigkeiten sorgt sein Testament: Nicht nur Doris, die junge Witwe, sondern auch Conrad jr., ein Neffe, sollen viel Geld erben. Doch der jüngere Conrad ist in Polen verschollen, nachdem er den Missmut der kommunistischen Regierung auf sich gezogen hatte. Stattdessen fanden die Anwälte des Onkels in einem Wiener Kinderheim die achtjährige Jonni, die Großnichte des Alten. Sie wurde in die USA gebracht und wird in Chicago von Stanleys ehemaliger Sekretärin Laura March betreut. Vor allem Doris ist nicht begeistert. Am liebsten würde sie Jonni aus der Erbfolge streichen. Doch Anwalt und Testamentsvollstrecker Matt Cosden will davon trotz der Tatsache, dass er Doris bald heiraten wird, nichts wissen: Jonni soll erben!

Plötzlich taucht Conrad jr. in Chicago auf. Er bittet Laura March um Stillschweigen, da einiges regeln müsse, bevor er sich offiziell als Vater und Erbe melden könne. Kurz darauf erreicht ein Notruf Laura und ruft sie in Conrads Pensionszimmer, wo sie ihn erstochen vorfindet. Leutnant Peabody von der Mordkommission übernimmt den Fall – und findet Lauras Verhalten sehr verdächtig. Für ihr Treffen mit Conrad gibt es keine Zeugen, ein Alibi für die Zeit des Mordes hat sie nicht. Noch schlimmer: Sollten weder Conrad jr. noch Jonni die endgültige Testamentsvollstreckung erleben, wird ein Drittel des beträchtlichen Vermögens an Laura fallen, die der alte Stanley wie eine Tochter geliebt hat – mit ein Grund, der Peabody in seinem Verdacht bestärkt.

Für Laura bricht eine harte Zeit an. Ständig sitzt ihr Peabody im Nacken. Man scheint sie und Jonni zu beobachten und sogar in ihre Wohnung eingebrochen zu sein. Offensichtlich suchen die Mörder etwas, das sie bei Conrad jr. nicht gefunden haben und nun bei Laura vermuten. Aber die Polizei glaubt ihr nicht, sondern schießt sich endgültig auf sie ein, als es zu einem zweiten Mord kommt …

Frauen in doppelten Nöten

Der sogenannte „Lady Thriller“ ist ein ebenso beliebtes wie oft ärgerliches Subgenre des Kriminalromans. Zunächst ist es durchaus verständlich, dass weibliche Leser eigene Anforderungen an ‚ihre‘ Literatur stellen, die von Schriftsteller/inne/n und Verlagen gern erfüllt werden, da hier ein kopfstarker = zahlungskräftiger Markt zu bedienen ist. Die gedruckten Ergebnisse müssen die männliche Leserschaft keineswegs automatisch in die Flucht schlagen. Viele Autorinnen sind sowohl in der Lage als auch willens, den femininen Faktor – der gern mit Attributen beschrieben wird, die in die Wortgruppe „Gefühl“ fallen – zu betonen, ohne darüber die kriminelle Spannung zu vernachlässigen. Das sollte nicht verwundern, da der Krimi tief im Alltagsdenken und -handeln wurzelt, weshalb der menschliche Faktor sein integraler Bestandteil ist.

Allerdings begann sich das Gleichgewicht in der Unterhaltungsliteratur früh zu verschieben. Der Krimi wurde instrumentalisiert und der ebenfalls klassischen Love Story beigemischt, um auf diese Weise die Anhänger/innen beider Gattungen zu ködern. So entstanden „Lady Thriller“, die den Krimi höchstens als Feigenblatt benutzen, während es dahinter romantisch bis handfest zur Sache geht. Auch die Psychologie wird bemüht, die sich in diesem Zusammenhang auf das schwierige Verhältnis von Mars und Venus konzentriert. Einen Schritt weiter (und über die Klippe des Erträglichen hinaus) gehen schließlich jene ‚Krimis‘, die eigentlich nur eine verkappte Jagd nach Mr. Right darstellen. Mord & Todschlag reihen sich hier in die Kette jener Komplikationen ein, die dabei entstehen und vom Zielpublikum als Unterhaltung wahrgenommen werden.

Mignon G. Eberhard gehörte zu jenen Autorinnen, die es verstanden, das weiter oben erwähnte Gleichgewicht zu halten. Sie war fleißig und produzierte Krimis eher, als sie zu schreiben. Nichtsdestotrotz war sie eine Geschichtenerzählerin und ein Profi. Solides Handwerk milderte Klischees, weshalb auch in „Tödliche Post“ die größten Irritationen nicht durch Laura Marches Schmachten nach Anwalt Matt, sondern durch jene Klischees verursacht werden, die eine Evolution des Zeitgeists schmerzhaft als solche herausarbeitet.

Erbe bringt Sorgen – und Tod

Der Plot ist nicht unkompliziert, denn ihm wird ein Testament zugrunde gelegt, über dessen Klauseln sich selbst die in das Geschehen verwickelten Anwälte die Köpfe zerbrechen. Nie steht wirklich fest, wer letztlich das Erbe antreten wird, sodass es schwerfällt, die Motivation des Mörders zu erraten. Hinzu kommt ein Trick, den die jüngeren Leser womöglich nicht (mehr) in seiner Tragweite erfassen. Heute gibt es keinen „Eisernen Vorhang“ mehr, der einen „Ostblock“ vom „Freien Westen“ mit einer Konsequenz trennte, an die sich zumindest Zeitgenossen gut erinnern. Insofern konnte die (echte oder angebliche) Herkunft aus Polen tatsächlich eine ausgezeichnete Tarnung sein, da man vor Ort keine Nachforschungen anstellen konnte. Ebenfalls möglich (und historisch belegt) sind Mordattacken, die das sowjetische Regime und seine Trabanten an Flüchtlingen in der scheinbaren Sicherheit der neuen Heimat arrangierten.

Eberhart sorgt weiterhin dafür, dass auch Motive jenseits von Erbschaftsstreitigkeiten und kommunistischer Heimtücke möglich sind. Ins Zentrum rückt dabei die Hauptfigur Laura March, die von Eberhart mit großem Geschick unter Druck gesetzt wird. Obwohl faktisch ohne Schuld, wirken die ihr gegenüber geäußerten Verdachtsmomente durchaus logisch, wenn man – anders als Laura und die Leser – die Zusammenhänge nicht kennt. Eberhart arbeitet hier mit einer alten Angst, die zeitgleich Alfred Hitchcock zu filmischen Meisterwerken adelte: Wie kann ich mich gegen Vorwürfe wehren, wenn sie förmlich auf mich niederprasseln? Unschuld schützt vor Strafe nicht: Die Historie ist reich an entsprechenden Beispielen, weshalb dieser Funke problemlos auf die Leser überspringt.

Man muss die Verfasserin dafür loben, dass sie zwar emotional ordentlich auf die Tube drückt, dies aber durch entsprechende Ereignisse plausibel zu machen versteht. Die Frage, wie – ein „ob“ wird der erfahrene Leser rasch ausschließen – Laura aus der Schlinge schlüpfen und die Wahrheit hinter dem mysteriösen und mörderischen Treiben wird, bleibt daher spannend.

Rollenspiele

Der genannte Zeitgeist prägt vor allem die Figurenzeichnungen. Laura ist aus zeitgenössischer Sicht durchaus eine selbstständige Frau. Dennoch kreist ihr Denken nicht nur in der aktuellen Krise primär um das ihr anvertraute Kind und den Anwalt Matt Cosden, den sie heimlich liebt und für den sie eine viel bessere Gattin wäre als die aufgeputzte, oberflächliche Doris, die sich einst den alten Conrad angelte und nun dessen Erbe mehr oder weniger deutlich für sich allein beansprucht.

Wenn Laura nicht bangt, dann schmachtet sie, wobei Eberhart glücklicherweise nicht gar zu dick aufträgt. Dennoch wirkt Laura aus heutiger Sicht passiv. Sie leidet und fürchtet sich; Entscheidungen trifft sie selten. In der Regel wartet sie, bis Matt mit seiner breiten Brust erscheint und ihr sagt, was zu tun ist oder dafür sorgt, dass sich ihre zaghaften Wünsche in Realität verwandeln. Ebenso bedrohlich wie die mysteriösen Munkelmänner, die für die kriminellen Umtriebe verantwortlich sind, wirkt bei Eberhart Leutnant Peabody. Das ist selbstverständlich Absicht. Lauras Not wird verstärkt, indem die Polizei, die sie eigentlich schützen sollte, sich feindselig verhält. Dadurch wird Lauras Isolation unterstrichen.

Einziger Totalausfall der Figurengalerie ist Jonni Stanislowski, um die es sich in dieser Geschichte dreht. Man ertappt sich als Leser dabei, gemeinsam mit Doris diesem verstockten, trägen, offenbar beschränkten Balg in den Hintern treten zu wollen, was kaum in der Absicht der Autorin liegen dürfte. Eberhart deutet an, dass Jonni durch ihre Erfahrungen im Ostblock traumatisiert sein könnte. Niemand kann damit umgehen. Jede Befragung des Kindes mutiert zum strengen Verhör. Gleichzeitig fällt Laura nichts Anderes ein, als Jonni von der bösen Welt zu isolieren. Sie schleppt sie wie eine Puppe herum, flößt ihr heiße Schokolade ein und kauft ihr ein Kätzchen, statt in Erfahrung zu bringen, was dieses Kind wissen könnte.

Nichtsdestotrotz weiß Eberhart ihr Garn zu spinnen. Man begreift bald, wieso sie viele Jahrzehnte als Schriftstellerin erfolgreich war. Dass sie im Gegensatz zu Agatha Christie oder P. D. James zumindest hierzulande in Vergessenheit geraten ist, hat sie nicht verdient. Umso erfreulicher ist es, dass zumindest die einst im Scherz-Verlag erschienenen Eberhart-Krimis neu veröffentlicht werden.

Autorin

Mignon Good wurde am 6. Juli 1899 in Lincoln, Nebraska, geboren. Zu schreiben begann sie während ihres Studiums an der Nebraska Wesleyan University. Ab 1923 arbeitete sie als freie Journalistin. Zunächst nicht auf ein Genre festgelegt, reichte sie nach einigen für die Schublade bzw. den Papierkorb verfassten Geschichten und Theaterstücken das Manuskript eines Kriminalromans ein. Sehr richtig ging Good von der Voraussetzung aus, dass sie in diesem beliebten Genre am besten Fuß fassen könnte, obwohl sie stets versicherte, ein Thriller sei mindestens ebenso schwer zu schreiben wie ‚richtige‘ Literatur (worin man ihr nur zustimmen kann).

„The Patient in Room 18“ (dt. „Der Patient in Zimmer 18“) wurde 1929 Mignon G. Eberharts – sie hatte 1923 Allan C. Eberhart geheiratet – Romandebüt. Dies war bereits der erste Band ihrer erfolgreichen Krimi-Serie um Sarah Keate, eine altjüngferliche, energische Krankenschwester, deren Beruf sie an Orte verschlägt, wo Verbrechen verübt werden, an deren Aufklärung sie an der Seite des Ermittlers Lance O‘Leary tatkräftig mitarbeitet. In 59 (!) Jahren schrieb Eberhart mit uhrwerkgleicher Regelmäßigkeit 59 in der Regel gut geplottete und gern gelesene Romane sowie unzählige Kurzgeschichten, von denen mehrere für Kino und Fernsehen adaptiert wurden.

1971 wurde Eberhard von den „Mystery Writers of America“ mit einem „Grand Master Award“, 1993 mit dem „Malice Domestic Award“ für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sie stand den „Mystery Writers“ außerdem 1977 als Präsidentin vor. 1988 verabschiedete sich Mignon G. Eberhart mit „Three Days for Emeralds“ von ihrem Publikum. Am 8. Oktober 1996 ist sie im wahrlich gesegneten Alter von 97 Jahren gestorben.

Taschenbuch: 192 Seiten
Originaltitel: Postmark Murders (London : Collins 1956/New York : Random House 1956]
Übersetzung: N. N.
www.fischerverlage.de

E-Book: 929 KB
ISBN-13: 978-3-105-61170-8
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