Robert B. Parker – Family Honor – Ein Sunny-Randall-Krimi

Für weibliche Krimifans: Eine neue Detektivin

Mit diesem Roman führte Robert B. Parker seine Bostoner Privatdetektivin Sunny Randall ein. Sie kennt die Straße, kann schießen, ist sexy – und findet sich unvermittelt zwischen den Fronten eines Bostoner Gangsterkrieges wieder. Die Einsätze auf Seiten der Politik sind ebenso hoch wie die Moral der Mafia-Killer niedrig. Gelingt es Sunny, ihren ersten Fall zu überleben und ihre Klientin zu schützen?

Die deutsche Übersetzung trägt den nicht ganz zutreffenden Titel „Ehrensache“.

Der Autor

Der US-Autor Robert B. Parker, 1932-2010, gehörte zu den Topverdienern im Krimigeschäft, aber auch zu den fleißigsten Autoren – er hat bis zum seinem unerwarteten Tod im Januar 2010 über 50 Romane veröffentlicht. Am bekanntesten sind neben der „Spenser“-Reihe wohl seine neun „Jesse Stone“-Krimis, denn deren Verfilmung mit Tom Selleck in der Titelrolle wird gerade vom ZDF gezeigt. Parker lebte in Boston, Massachusetts, und dort oder in der Nähe spielen fast alle seine Krimis.

Jesse Stone„-Krimis:

1) „Night Passage“
2) „Trouble in Paradise“
3) „Death in Paradise“
4) „Stone Cold“
5) „Sea Change“
6) „High Profile“
7) „Stranger in Paradise“
8) „Night and Day“
9) „Split Image“

Die „Sunny Randall„-Reihe:

1) „Family Honor“
2) „Perish Twice“
3) „Shrink Rap“
4) „Melancholy Baby“
5) „Blue Screen“
6) „Spare Change“

Unter anderem in der „Spenser“-Reihe, die derzeit 39 Romane umfasst, erschienen:

„Paper Doll“
„Stardust“
„Potshot“
„Walking Shadow“
„Widow’s Walk“
„Hugger Mugger“, „Small Vices“, „Bad Business“, „Back Story“ …

Und viele Weitere.

Außerdem schrieb Parker ein Sequel zu Raymond Chandlers verfilmtem Klassiker „The Big Sleep“ (mit Bogart und Bacall) „und mit „Poodle Springs“ einen unvollendeten „Chandler“-Krimi zu Ende. „Gunman’s Rhapsody“ ist seine Nacherzählung der Schießerei am O.K. Corral mit Wyatt Earp und Doc Holliday, ein klassischer Western.

Handlung

Sunny Randall ist die Tochter eines Polizisten und nach ihrem irischen Daddy geraten statt nach ihrer konservativen Mutter. Folglich hat sie Schießen gelernt und kennt sich auf der Straße aus. Sie hat eine Lizenz als Privatermittlerin erworben und arbeitet jetzt an ihrem Master-Abschluss für die Schönen Künste: Im Nebenberuf ist sie Kunstmalerin. Dass sie mit Richie Burke, einem Mitglied der Bostoner-Gangsterfamilie Burke, verheiratet war, soll sich in ihrem neuesten Fall als günstig herausstellen. Andererseits: Wie viel will man schon mit seinem Ex zu tun haben?

Ein schwerreiches Ehepaar hat sie in seine palastartige Hütte eingeladen. Betty und Brock Patton ist in der Politik sehr rührig und er soll in zwei Jahren der nächste Gouverneur des Commonwealth von Massachusetts werden. Sie haben allerdings ein Problem: Ihre 15-jährige Tochter Millicent ist seit zehn Tagen verschwunden. Man hat die Polizei nicht eingeschaltet, um kein Aufsehen zu erregen, und hofft, ein Privatschnüffler würde die ausgebüxte Tochter zurückbringen. Nach zehn Tagen könnte das Töchterlein allerdings bereits sonst wo sein. Natürlich ist das Honorar entsprechend fürstlich.

Sunny hält sich an die Faustregel, erst einmal in der nächsten Umgebung zu suchen, also auf den Straßen von Boston. Millicent hat nämlich weder Geld noch Klamotten mitgenommen. Folglich braucht sie entweder eine Wohltätigkeitsorganisation oder einen Beschützer und Zuhälter, der sich um sie kümmert. Nach einer positiven Auskunft in einer Armenküche beginnt Sunny ihre Suche auf dem Straßenstrich: kein Glück. Sie sucht die Hilfe des Oberbosses aller Zuhälter, Tony Marcus. Wie bereits vermutet, ist es der Zuhälter Pharaoh Fox, der sich Millicent gekrallt hat und sie auf den Strich schickt. Gerade als Sunny sich die Kleine schnappen will, taucht Pharaoh auf. Ist sie Manns genug, ihm die Kleine wegzunehmen? Sie ist es, und am nächsten Tag ist Pharaoh Fox mausetot.

Sunny bringt Millicent erst einmal in ihrer eigenen Wohnung unter. Das Mädchen hat sich in sich selbst zurückgezogen. Sie will um keinen Preis zu ihren Eltern zurück. Sie hasse ihre Mutter. Sie habe Fotos von Mom gefunden, die sie beim Sex mit fremden Männern zeigen. Und nach einigem Bohren findet Sunny auch heraus, warum die Kleine überhaupt weggelaufen ist: Als Millie in Moms Bad war, kam Mutter mit einem gefährlichen Kerl herein, mit dem sie den Mord an einem Unbekannten verabredete. Und der gefährliche Kerl – er trägt den irischen Namen Cathal Kragan – sah Millie, die alles gehört hatte. Da war ihr klar, dass er sie umbringen müsste. Also lief sie schnurstracks aus dem Haus.

Die Eltern sind überhaupt nicht davon erbaut, dass sich Sunny aufgrund dieser Umstände weigert, den Aufenthaltsort ihrer Tochter preiszugeben, und drohen ihr. Sunny ist klar, dass sie ihr Honorar jetzt wohl vergessen kann. Aber sie ist auf alles gefasst. Als zwei fremde Männer am nächsten Tag ein Päckchen abliefern wollen, ist sie deshalb gewappnet. Die zwei Muskelmänner benutzen das Päckchen nur als Vorwand, um in die Wohnung einzudringen, damit sie Millicent schnappen können.

Dazu lässt es Sunny allerdings nicht kommen. Als der Würtführer der beiden eine Waffe zieht, feuert sie ein Schrotgewehr ab. Den Zweiten kann sie danach leicht überwältigen. Die Polizei auch bald da sowie ein attraktiver Kriminalinspektor namens Brian Kelly. Die Sanitäter räumen die Leiche des Erschossenen weg und säubern die Wohnung von Blut. Als alle wieder weg sind, brauchen Sunny und Millicent erstmal einen starken Drink. Erst dann ist Zeit für Tränen.

In kürzester Zeit hat sich Sunny mächtige Feinde geschaffen. Aber nachdem sie mit Millie umgezogen ist, kann sie auf den Schutz des schwulen Karatekämpfers Spike und von Richie Burke zählen. Wie sich zeigt, wird sie ihn nötig haben …

Mein Eindruck

Es gibt ja schon eine ganze Reihe von Detektivinnen, so etwa Modesty Blaise (etwas betagt) oder etliche der skandinavischen Ermittlerinnen, etwa bei Asa Larsson oder Anne Holt. Aber in den USA sind weibliche Ermittler – ganz im Gegensatz zu Forensikerinnen wie Kay Scarpetta – immer noch Mangelware. Die einzige moderne Detektivin, die mir dort auf Anhieb einfällt, ist die bereits auf Film gebannte V.I. Warshawski, eine Schöpfung der Autorin Sara Paretsky. Sie ist genauso taff wie die Kerle um sie herum.

Doch zweierlei hat Warshawski auch mit Sunny Randall gemein: Ihre Klienten sind in der Regel weiblich und zweitens kümmert sie sich durchaus auch um deren menschliche Belange. So hat beispielsweise Millicent Patton ein schweres Kognitionsdefizit, will heißen: Sie hat keine Ahnung von der Welt und wie sie funktioniert. Erst Sunny und ihr Freund Spike machen aus Millie eine „Person“, also ein Individuum, das auf intelligente Weise unter verschiedenen Möglichkeiten zu wählen imstande ist. Das bedeutet allerdings auch, dass das Mädchen ihrer Mentorin regelrecht Löcher in den Bauch fragt. So etwa über das Malen, aber auch über Sunnys kompliziertes Liebesleben. Hier muss sich der männliche Leser in Geduld fassen und Verständnis aufbringen.

Spike ist die humorvollste und komischste Figur des Ensembles um Sunny herum. Während der Gangstersprössling Richie diese gewisse Gefährlichkeit ausstrahlt, die wir von Andy Garcia in „Ocean’s Eleven“ kennen, wirkt Spike neben ihm geradezu unbekümmert. Spike ist schwul und stolz darauf. Und wenn ihm einer homophob kommt, macht er ihn gerne mit bissigem Sarkasmus nieder. Andererseits ist Spike als Restaurantbesitzer auch ein leidenschaftlicher. Zu schade, dass seine Kunst an die ungebildete Millie völlig vergeudet ist. Wer den Fehler macht, Spike zu unterschätzen, bekommt seine Karatekünste zu spüren. In einer feinen Actionszene macht er beispielsweise Cathal Kragans Gorilla fertig.

Action

Überhaupt Action. In einem Krimi mit einem weiblichen Ermittler, der folglich für ein vorwiegend weibliches Publikum geschrieben wurde, darf sich die Action nicht allzu sehr ausbreiten, sonst glauben die Leserinnen am Ende noch, im falschen Film zu sitzen. Nein, die Action muss wohldosiert eingesetzt werden. Eine Ballerei am Ende des ersten Drittels – das muss für eine Weile genügen. Zwar tauchen zwischendurch eine ganze Reihe Leichen auf, doch die nächste Schießerei gibt es erst im Finale. Und da hat Sunny schon eine Menge Partner und Freunde auf ihrer Seite.

Neben der anrührenden Kindererziehung sind die weiblichen Leser wahrscheinlich vor allem an Liebe und Sex interessiert. Von beidem gibt es genügend, und Sunny ist sowohl aktiv tätig als auch rezeptiv, will heißen: Sie kommt im Hause Patton einem wahren Sündenpfuhl auf die Spur. Eines dieser enthüllenden Fotos wird dem künftigen „Gouverneur“ dann auch zum Verhängnis.

Aber das Foto ist natürlich kein Beweis dafür, dass Brock Patton irgendetwas mit den zahlreichen Leichen in und um Boston zu tun haben, geschweige denn für eine Verbindung zu dem zwielichtigen Cathal Kragan und seinem Hintermann aus der Mafiaszene. In Ermangelung von Beweisen greifen Parkers Ermittler jedoch stets auf ein bewährtes Mittel zurück: Geständnisse. Um diese zu erlangen, sind jedoch sowohl hohe Intelligenz als auch Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl gefragt. Sunny wie auch Jesse Stone und Spenser verfügen darüber im Übermaß, denn sie haben alle einen gewichtigen Ratgeber an der Hand: einen Psychologen. Das ist eines der Markenzeichen der Parker-Krimis.

Die ganze Wahrheit erfährt Sunny deshalb nicht über die ach so hochgelobten forensischen Untersuchungsergebnisse à la Kay Scarpetta und CSI. Vielmehr bringt sie die Menschen zum Reden. Das klingt einfacher als es ist. So ist etwa Millicent ganz in sich verschlossen, und ihre Mutter Betty ist eine Perfektionistin mit Standesdünkel. Aber Betty Patton ist wenigstens eine Mutter und enttäuschte Ehefrau – sie glaubt, sie kann ihre Tochter noch zurückgewinnen. Und mit diesem Pfund weiß Sunny zu wuchern. Er das Geständnis – das später vor Gericht Verwendung findet – bringt die Wahrheit ans Licht. Und dann erfährt der Leser auch, worum es in jenem Gespräch in Wirklichkeit ging, das Millicent belauschte. Mehr sei hier nicht verraten.

Unterm Strich

Ich habe den Krimi in nur zwei Tagen gelesen. Er ist im ersten und im letzten Drittel ganz schön spannend, sodass ich vom Autor bei der Stange gehalten wurde. In der Mitte pflegen sich die Autoren in ihren Geschichten um jene Dinge zu kümmern, um die es ihnen eigentlich geht, nämlich um Kommentare über die gesellschaftlichen Kreise, in denen sich die Figuren bewegen, und um das Liebesleben der Helden bzw. der Heldin.

Während das Liebesleben Sunny Randalls, das sich zwischen einem geschiedenen und einem befreundeten Mann entwickelt, recht kompliziert ist (ähnlich wie bei Jesse Stone, der 1997 das Licht der Welt erblickte), ist die Sozialkritik ziemlich einfach. Dass die beiden Pattons zwar Musterbürger, aber miserable Eltern sind, verwundert den Parker-Kenner nicht: Das ist die Regel, nicht die Ausnahme. Dass sich aber ein künftiger „Gouverneur“ von der Mafia kaufen lässt, um sein Sexleben zu befriedigen, ist eher ungewöhnlich – und eine entsprechend bittere Erlenntnis.

Diese Aussage hat mich jedoch fatal an den ermordeten Bankier in „Widow’s Walk“ („Die blonde Witwe“ erinnert, und der korrupte Politiker ähnelt dem ebenso verdorbenen Senator in „Paper Doll“. Ich habe nach einem halben Dutzend Parker-Krimis den leisen Verdacht, dass diese Figuren und Aussagen zum Standard-Repertoire des Autors gehören. Aber es kommt eben darauf an, wie sie kombiniert werden, damit sich der Leser spannend unterhalten fühlt.

Dieser erste „Sunny Randall“-Krimi ist noch gespickt mit langen Beschreibungen von Sunnys Herkunft und Hintergrund sowie längeren Passagen, die ihr Verhältnis zu Millie und Richie beschreiben. In späteren Romanen schrieb der unlängst abgetretene Autor mehr wie in einem Drehbuch, also sehr dialogbetont. Das habe ich vermisst, denn Dialoge lassen sich sehr leicht lesen, müssen aber keineswegs oberflächlich sein, wie die Jesse-Stone-Romane belegen. Dennoch gefiel mit „Familiy Honor“ gut genug, um die Geschichte an nur zwei Tagen zu genießen.

Taschenbuch: 320 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN-13: 978-0425177068
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