Catherine Donzel – Legendäre Ozeanreisen

Donzel Ozeanreisen kleinInhalt

„Das Meer vergessen“ (S. 10-17): Die Einleitung versucht ein Paradoxon zu erklären, denn die Kunst des Reisens auf dem Wasser besteht darin, die Passagiere das feuchte Element, das sie trägt, möglichst vergessen zu lassen. Die großen Schiffe der Vergangenheit und Gegenwart waren so eingerichtet, dass mögliche Ängste im Luxus förmlich erstickt werden. Aus der möglichen Zumutung, Tage oder Wochen auf einem relativ kleinen, einsam dahin schippernden Gefährt zuzubringen, wurde auf diese Weise ein Erlebnis. Die Fahrt selbst war so wichtig wie das Ziel, bis schließlich die Kreuzfahrt erfunden wurde, die auf ein Ziel sogar völlig verzichten konnte.

„Sich einschiffen“ (S. 18-61): Die Reise mit einem Schiff war zumindest in der angeblich guten alten Zeit nicht identisch mit einer modernen Pauschalreise. Auf große Fahrt gingen primär jene, die sich dieses kostspielige Vergnügen leisten konnten. Während über Geld nicht gesprochen wurde – man hatte es –, musste der gesellschaftliche Status präsentiert werden. Um sich zur Schau stellen zu können, reiste man mit großem Gepäck; eigentlich nahm man einen guten Teil seines Hausstandes mit in ferne Länder. Das Einschiffen wurde unter dieser Voraussetzung zu einer logistischen Herausforderung. Unmengen von Kleidern, Anzügen oder Golfschlägern galt es an Bord zu nehmen und zu verstauen, während die anspruchsvollen Passagiere demutsvoll begrüßt und in ihre Suiten geführt wurden. Möglichst unbemerkt wurden gewaltige Mengen Nahrungsmittel, Wasser, Treibstoff und andere unverzichtbare Ladungen in den Bauch des Schiffes geschafft. Das Tohuwabohu, von dem die Passagiere der ersten Klasse nichts merken sollten, hielt noch an, während das Schiff bereits auf den Ozean hinaus steuerte.

„Die Überfahrt“ (S. 62-169): Zwischen den Häfen konnte man im Luxus schwelgen und ein Leben genießen, das selbst dem armen Unterdeck-Passagier einen Rundum-Service durch ausgebildetes Schiffspersonal garantierte. Um nichts musste man sich kümmern, während man die Zeit zwischen erlesenen Tafelfreuden mit müßigem Faulenzen, Spaziergängen oder den unzähligen Freizeitvergnügungen verbrachte, die ein Ozeanriese bot. Gleichzeitig zeigte man Flagge, präsentierte sich als ehrenwertes Mitglied der Hautevolee, besprach Geschäfte, verkuppelte Töchter und genoss den scheinbaren Ausnahmezustand einer Seereise, die tatsächlich keinen Luxus vermissen ließ, den man an Land gewöhnt war.

„Die Ankunft“ (S. 170-184): Das Erreichen des Reiseziels bedeutete das Ende der angenehmen Routine, zu der eine Schiffsreise rasch wurde. Die Hektik des Einschiffens wiederholte sich, wovon die Oberdeck-Passagiere erneut verschont blieben; sie traten über die Gangway an Land und spreizten sich womöglich vor der Presse, während hinter ihnen Besatzung und Dienerschaft damit beschäftigt waren, Unmengen von Gepäck aus dem Schiffsbauch zu holen und den Herrschaften hinterher zu schleppen. Anderes Schiffspersonal begann umgehend für Ersatz dessen zu sorgen, was während der Reise vertilgt oder als Treibstoff verbrannt worden war. Damit schloss sich der Kreis, denn die nächsten Passagiere für die neue Fahrt warteten schon.

Schwimmende Luxushotels und Menschentransporter

„Eine Seefahrt, die ist lustig“, lautet ein alter Spruch, der in der Regel übertrieben oder gar falsch ist, denn das nasse Element gilt dem Fachmann als launischer Gastgeber, den man nur arbeitsintensiv im Auge behalten kann. Lustig sind Seereisen vor allem für jene Passagiere, die eine Menge Geld dafür zahlen, dass ihnen derartige Mühen erspart bleiben. Wie die Autorin verdeutlicht, dauerte es lange, bis man solche Wünsche erfüllen konnte. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert war die Seefahrt technisch so weit entwickelt, dass außer ungemütlichen Transport- und Nutzfahrzeugen wahre Paläste zu Wasser gelassen werden konnten. Diese klassische Phase der großen Ozeanreisen dauerte etwa bis zum Zweiten Weltkrieg, der nicht nur die Privilegien beendete, die solchen verschwenderischen Luxus, wie er in diesem Buch gezeigt wird, ermöglichte, sondern auch den Beginn der Passagier-Luftfahrt brachte, die bald die Ära der Passagierschiffe ausklingen ließ.

Doch für knapp ein Jahrhundert stellten Schiffe die einzige Verkehrsverbindung zwischen den Kontinenten sicher. Mit der Möglichkeit, diese Herausforderung nicht nur zu bewältigen, sondern zur Routine werden zu lassen, wuchs der Aufwand, der um den Gast getrieben wurde. Schiffe wurden zu schwimmenden Städten, die nur noch vom Nachschub abhängig waren, der zwischen den Fahrten von Land geliefert werden musste; ansonsten ließen sie nichts von dem vermissen, was beispielsweise ein erstklassiges Großstadthotel bieten konnte.

Unter Deck sah es freilich anders aus. Donzel geht auch auf die Funktion der Ozeanriesen als Transportmittel für jene Auswanderer ein, die vor allem aus Europa ins hoffentlich gelobte Land Amerika reisten. Sie konnten nicht viel zahlen, waren aber so zahlreich, dass sich dies wettmachen ließ, indem man sie möglichst dicht in einfache Unterkünfte pferchte.

Unsichtbar bleiben aber allgegenwärtig sein

Ob Auswanderer, Geschäftsreisende oder Hautevolee: Für die Besatzung bedeutete der Alltag an Bord harte aber möglichst unsichtbare Arbeit hinter den Kulissen. Donzel zeigt auf vielen Fotos die harte Arbeit in den Maschinenräumen, den Laderäumen, den Wäschereien, den Küchen usw. Auch der Dienst des Kapitäns und seiner Offiziere wird dargestellt, der die Führung des Schiffes ebenso einschloss wie den korrekten Umgang mit den ranghohen Passagieren, die es gewohnt waren, gebauchpinselt zu werden.

Vom Bug bis zum Heck, vom Kiel bis zur Mastspitze stellt uns Verfasserin Donzel so den Alltag auf den großen Linern dar. Dass sie vor allem französische Schiffe präsentiert, liegt an ihrer Herkunft und den Archiven, die sie bevorzugt frequentierte. Die große Zeit der Passagierschiffe stellt sich in Frankreich jedoch nicht grundsätzlich anders als in Deutschland („Bremen“), Großbritannien („Queen Mary“) oder Italien („Andrea Doria“) dar.

Auch ein großformatiges Buch kann auf knapp 200 Seiten nur einen Überblick bieten. Donzel gelingt es, die historischen Fakten auf den Punkt zu bringen. Mit dem Mut zur Lücke, doch ohne dem Leser das Gefühl zu geben, ihm (oder ihr) würden relevante Informationen vorenthalten, arbeitet die Autorin ihr Thema ab. Die allgemeinen Fakten weiß sie durch viele anschauliche Beispiele zu belegen. Auch das Anekdotische scheut sie nicht und konfrontiert mit zahlreichen Alltäglichkeiten, die uns heute – die Illusion einer klassenlosen und chancengleichen Gesellschaft hat sich noch nicht gänzlich verflüchtigt hat – kurios oder empörend erscheinen.

Die Pracht und das Papier

„Legendäre Ozeanreisen“ ist ein Bildband im besten Sinn des Wortes; soll heißen: Die Fotos und Zeichnungen gehören integral zum Text, den sie sowohl anschaulich illustrieren als auch bei Bedarf ergänzen. Ein Bild sagt – wenn gut ausgesucht – in der Tat mehr als tausend Worte. Auf qualitativ hochwertigem Kunstdruckpapier wiedergegeben, beeindrucken vor allem die Jahrzehnte alten S/W-Fotografien durch ihre Qualität. (1,7 kg wiegt der Band!) Jedes Detail ist gestochen scharf zu erkennen. Das eindrucksvolle Buchformat von 25,1 x 33,0 cm ermöglicht es, sich vor allem auf den Doppelseiten in den Bildern förmlich zu verlieren.

Obwohl die Mehrzahl der Fotos, auf denen Menschen zu sehen sind, sichtlich gestellt sind – die zeitgenössische Technik gestattete keine Schnappschüsse, das Fotografieren war ein kompliziertes, zeitaufwändiges Handwerk –, zeigen sie einst lebendige Menschen mit individuellen Zügen, keine gesichtslosen, erstarrten Gestalten in altmodischen Kostümen vor ebensolchen Kulissen. Die Vergangenheit wird lebendig, weil sichtbar ist, dass diese Männer und Frauen in ihrer Gegenwart fotografiert wurden.

Darüber hinaus machen Donzel und ihr grafischer Gestalter Marc Walter deutlich, dass sich um das Reisen per Schiff eine eigenständige Kunst und Kultur entwickelte. Walter reproduziert nicht einfach alte Fotos und Museumsstücke; er arrangiert sie zu regelrechten Stilleben, lässt sie wirken wie Momentaufnahmen aus ihren Zeiten. Darüber hinaus nutzt er gern die Seitenränder, zeigt hier Kofferaufkleber, Billets, Abzeichen und andere Kleinigkeiten – zusätzliche Informationen, die wie in einem Suchspiel entdeckt werden müssen.

Autorin

Catherine Donzel ist eine Historikerin, die sich auf kulturhistorische Themen spezialisiert hat. Zusammen mit dem Grafiker, Fotografen und Buchgestalter Marc Walter hat sie u. a. mehrere Bildbände in der Reihe „Legendäre Reisen“ und Bücher über Paläste und feudale Hotels aus aller Welt veröffentlicht.

Gebunden: 192 Seiten
Originaltitel: Transatlantici. L’età d’oro (Novara : De Agostini Editore 2006)
Grafische Gestaltung: Marc Walter
Übersetzung: Marianne Glaßer
http://www.frederking-thaler.de

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