Phillip Drummond – 12 Uhr mittags. Mythos und Geschichte eines Filmklassikers

Zivilcourage auf dem Prüfstand

Eine (scheinbar) einfache Geschichte: Marshall Will Kane hat gerade geheiratet und will mit seiner jungen Frau Amy das kleine Städtchen Hadleyville verlassen, als ihn die Nachricht erreicht, dass der Räuber und Mörder Frank Miller, den er vor fünf Jahren hinter Gitter brachte, begnadigt wurde und nach Hadleyville zurückkehren will, um sich zu rächen. Sein Pflichtbewusstsein zwingt Kane, auf seinem Posten auszuharren und sich Miller und seiner Bande zu stellen. Hilfe kann er nicht erwarten; die Bürger der Stadt, in der Kane so lange für Ordnung gesorgt hat, weisen seine inständigen Bitten eingeschüchtert, gleichgültig oder sogar feindselig zurück; selbst seine Frau stellt sich gegen ihn. Ganz allein muss er sich seinen Feinden stellen – und bleibt wider Erwarten siegreich. Nun wollen die Bürger ihren neuen/alten Helden feiern, doch Kane wirft ihnen verbittert den Marshall-Stern vor die Füße und verlässt Hadleyville endgültig.

„Zwölf Uhr mittags“, ein Western, schwarzweiß entstanden vor mehr als einem halben Jahrhundert: Was macht diesen Film noch heute so interessant, dass ein ganzes Buch darüber geschrieben wird? Phillip Drummond, Dozent für Film und Medienkommunikation am renommierten „Institute of Education“ in London, vermag diese Frage auf 125 Seiten knapp aber erschöpfend zu beantworten.

Er beschränkt sich dabei nicht auf die Beschreibung der Dreharbeiten, die Vorstellung der vor und hinter der Kamera an diesem Film Beteiligten oder die Erfolgsgeschichte eines Klassikers, sondern geht weit darüber hinaus: Drummond wirft für seine Leser einen Blick auf das US-amerikanische Kino der frühen Nachkriegszeit sowie die Gesellschaft, die es formte. „Zwölf Uhr mittags“ wird zum integralen Bestandteil und Ausdruck der politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse seiner Ära. Seine Bedeutung geht daher weit über die filmhistorische Bedeutung hinaus.

Wurm im Herzen der Demokratie

Die Geschichte der Vereinigten Staaten im Jahre 1952 wurde geprägt durch ein Geschehen, das im Nachhinein völlig zu Recht als Schandfleck der modernen Demokratie beurteilt wird. Zu dieser Zeit war die UdSSR, der ehemalige Waffengefährte des Zweiten Weltkriegs, längst zur roten Gefahr mutiert, die nichts Geringeres als die Unterwanderung der USA plante und dabei womöglich auf die Hilfe unpatriotischer Elemente aus dem eigenen Land zählen konnte. Um diese „Verräter“ zu entlarven, wurde der sogenannte „Ausschuss für die Untersuchung unamerikanischer Umtriebe“ ins Leben gerufen.

Weil es so etwas wie eine „rote Gefahr“ tatsächlich niemals gab, die Mitglieder des Ausschusses jedoch daran nicht glauben bzw. ihren Platz im Scheinwerferlicht einer bestürzten Öffentlichkeit nicht räumen mochten, entartete die Untersuchung rasch in eine Hexenjagd. Von Rechts wegen konnte jede/r, die oder der vor den Ausschuss zitiert wurde, sich auf die Verfassung berufen und die immer wieder gestellte Frage nach der politischen Ausrichtung (hier: die Mitgliedschaft in einer „kommunistischen“ Partei oder Institution) zurückweisen.

Doch in der Realität wurde dieses Recht gebrochen und jene, die darauf pochten, wegen Missachtung in Haft genommen, auf jeden Fall aber auf (illegale) schwarze Listen gesetzt. Wessen Name auf einer solchen Liste auftauchte, fand in Hollywood keine Beschäftigung mehr. Viele Karrieren wurden in diesen Jahren zerstört.

Kommentar in historisierendem Gewand

Im Licht der hier skizzierten Ereignisse genoss „Zwölf Uhr mittags“ lange den Ruf eines Films, der den Terror dieser dunklen Zeit aufgriff und spielerisch in Form eines Westerns anprangerte. Diese Interpretation kann zwar gehalten werden, doch wie Drummond feststellt, ist sie zu relativieren.

„Zwölf Uhr mittags“ entstand 1952 unter der Leitung des Produzenten Stanley Kramer (1913-2001), der für seine zahlreichen sozialkritischen Filme noch heute hohes Ansehen genießt. Zweifellos wandte sich Kramer mit seinem Film gegen die unheilvolle Inquisition des Ausschusses. Auf der anderen Seite war es genau dieser Stanley Kramer, der Carl Foreman,(1914-1984) als seinen Co-Produzenten und Drehbuchautoren für „Zwölf Uhr mittags“ fallenließ, als dieser vor den Ausschuss zitiert wurde und dort die Aussage verweigerte.

Dennoch gerieten Kramer und sein Film in das Kreuzfeuer der Kritik, weil den Befürwortern des Ausschusses der Grundton des scheinbar harmlosen Westerns nicht verborgen blieb. (In diesem Zusammenhang deckt Drummond die unrühmlichen Aktivitäten der Schauspieler-Ikone John Wayne auf, der in der Realität nur wenige Züge des Helden aufwies, den er im Kino so gern verkörperte.)

Erfolg trotz Kritik

Dem Erfolg von „Zwölf Uhr mittags“ haben diese Auseinandersetzungen nicht geschadet. Das Publikum entschied zugunsten des kritischen aber gleichzeitig vorzüglich besetzten und meisterhaft inszenierten Films. In den 1950er Jahren gehörte „Zwölf Uhr mittags“ zu den Produktionen, die einen ordentlichen Gewinn an den Kassen erwirtschafteten, obwohl das Kino in eine seiner größten Notzeiten geraten war.

Der Kino-Krise dieser Zeit widmet Drummond ein weiteres Kapitel. Der Rückgang der Besucherzahlen durch den Siegeszug des Fernsehens und das veränderte Freizeitverhalten der Nachkriegs-Jugend zerstörte das in Jahrzehnten der Stabilität austarierte Gleichgewicht zwischen Kosten und Gewinn und brachte die großen Studios Hollywoods in arge Nöte. Ein Erfolg wie „Zwölf Uhr mittags“ sicherte den Beteiligten ihr Überleben in harten Zeiten.

Breiten Raum nimmt in Drummonds Beitrag die Interpretation des Films selbst ein. Als ‚normaler‘ Zuschauer ist man überrascht über die Fülle der Symbole und Chiffren, die „Zwölf Uhr mittags“ auszeichnet. In Kapiteln wie „Gesellschaftliche Allegorien“, „Mann und Männlichkeit“, „Frauenbilder“ etc. schlüsselt der Autor sie für seine Leser auf und enthüllt dabei viel Überraschendes. So verweist Drummond beispielsweise die immer wieder zu lesende Aussage, die Laufzeit des Films entspräche exakt der real ablaufenden Zeit – etwa anderthalb Stunden -, ins Reich der Legenden: Im Film wird die Zeit gedehnt oder gerafft, wie es die Handlung erfordert. Auch in der Zeichnung seiner beiden weiblichen Hauptrollen fällt „Zwölf Uhr mittags“ wesentlich moderner aus, als dies bisher deutlich war.

Geplatzte Geburtstagsüberraschung

Mit zahlreichen gut ausgewählten Bildern aus dem Film weiß Drummond seine Thesen schlüssig zu belegen. Unter dem Strich weckt seine kundige Analyse den Wunsch, den nicht grundlos mit vier Oscars ausgezeichneten „Zwölf Uhr mittags“ möglichst bald einmal wieder zu sehen, um dank des angelesenen Wissens womöglich einen ganz ‚neuen‘ Film zu erleben.

Phillip Drummond plante sein Buch als Beitrag zu den Feierlichkeiten anlässlich des 90. Geburtstags von Fred Zinnemann, der „Zwölf Uhr mittags“ 1952 inszeniert hatte. Doch Zinnemann starb Ende April 1997 wenige Tage vor diesem Datum. Zuvor hatte er jedoch Drummond im Rahmen mehrerer ausführlicher Interviews seine persönlichen Erinnerungen an „Zwölf Uhr mittags“ geschildert. Auf dieses wertvolle Material konnte sich der Autor stützen, und man merkt es dem durch eigene, umfangreiche Recherchen in den Archiven des „British Film Institute“ – seltsamerweise werden die wichtigsten zeitgenössischen Unterlagen zu diesem Western heute hier aufbewahrt) – Film-Buch jederzeit an.

Wenn sich überhaupt ein Einwand erheben lässt, so richtet er sich gegen die an einigen Stellen zu ausführlichen und unübersichtlichen Auflistungen von Zahlen (Kinobesucher, Filmkosten …), die in einem Buch mit knapp bemessenem Umfang fehl am Platze sind. Aber das sind nur Marginalien, welche die Freude an der Lektüre nur unwesentlich mindern können.

2004 wurde dieses Buch in Deutschland neu aufgelegt. Dieses Mal lag ihm die DVD zum Film „Zwölf Uhr mittags“ bei, was den direkten Vergleich zwischen Vorlage und Interpretation ermöglicht.

Paperback: 125 Seiten
Originaltitel: High Noon (London : British Film Institute 1997)
Übersetzung: Anja Hansen-Schmidt u. Wolfram Strörle
www.arthouse.de

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