_Liebe, Tod und Kunst: Roma rockt!_
Rom im Jahr 1623: Während die katholische Welt den neuen Papst feiert, trifft in der Ewigen Stadt die 18-jährige Engländerin Clarissa ein, hungrig auf Leben und Freiheit. Sie stößt auf eine Welt verwirrender Gegensätze: von Glanz und Elend, Chaos und Größe, Freizügigkeit und Maßregelung.
Sie lernt die Liebe in Gestalt von gleich zwei berühmten Männern kennen: Lorenzo Bernini und Francesco Borromini sind die zwei besten Bildhauer und Architekten des 17. Jahrhunderts, aber grundverschieden. Durch die Rivalität der beiden gerät Clarissa in einen Zwiespalt, der sich nur auf tragische Weise auflösen lässt.
Durch ihre Rolle im Hintergrund dieser Künstler erregt sie die Missgunst und schließlich den abgrundtiefen Hass einer mächtigen Frau, und sie kann von Glück sagen, wenn sie das überlebt. Die Romanhandlung erstreckt sich immerhin über 50 Jahre: Clarissa erlebt alle Höhen und Tiefen des Lebens in der Heiligen Stadt.
|Der Autor|
Peter Prange, geboren 1955, studierte Romanistik, Germanistik und Philosophie in Paris, Göttingen und Tübingen. Als Autor von Drehbüchern, Sachbüchern und Romanen hat er sich einen Namen gemacht. Prange lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Tübingen. (Verlagsinfo)
|Der Sprecher|
Joachim Kerzel, 1941 in Hindenburg/Oberschlesien geboren, erhielt seine Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Als gefragter Synchronsprecher leiht er Jack Nicholson, Dustin Hoffman, Dennis Hopper und vielen anderen Stars seine sonore Stimme. Ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist mir seine Beteiligung an der Hörbuchfassung von Stephens Kings „Das Mädchen“, die er zusammen mit Franziska Pigulla bestritt. Seine charismatische Stimme macht aus jedem Gegenstand etwas Grandioses. Daher ist er häufig auch in der Werbung zu hören, so etwa zu den Medienprodukten um Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmung.
Kerzel spricht die von Tomas Kröger gekürzte Textfassung, der auch Regie führte. Die akustischen Motive (Intro, Extro) trug Michael Marianetti bei.
_Handlung_
Alles beginnt mit einem Ende: Der Papst ist tot, und am 6. August 1623 wird ein Konklave einberufen, um den Nachfolger zu wählen. Schon wenig später heißt es „Habemus papam!“ Der Kardinal, der zuvor Maffeo Barberini hieß, lässt sich nun Papst Urban VIII. nennen. Rom ahnt es noch nicht, aber er soll das Gesicht der Ewigen Stadt grundlegend verändern. Er hat eine lange Liste von Bauvorhaben.
Doch wer soll die Pläne umsetzen? Er lässt Gianlorenzo Bernini rufen, einen 25-jährigen Marmorbildhauer mit den zeichnerischen Fähigkeiten eines Architekten. Die wichtigste Baustelle, um die sich Bernini kümmern soll, ist die Basilika St. Peter, die Kirche der Päpste. Aber damit hat Bernini schwere Probleme, wie sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte zeigen soll. Der Petersplatz, den wir heute so bewundern, wird erst im Mai 1667 fertiggestellt. Und das erfordert andere Geister.
|Die Pamphili|
An der Piazza Navona, einem der zentral gelegenen und schönsten Plätze der Altstadt, steht der Palazzo Pamphili. Er ist zu dieser Zeit nicht besonders schön, denn die Pamphilis sind nicht sonderlich reich. Donna Olimpia, 30, empfängt die 18 Jahre junge Lady Clarissa Weltenham aus England. Clarissas Mutter war Olimpias beste Freundin, bevor sie ins neblige Britannien wegheiratete. Und Clarissa möchte gerne römische Luft schnuppern, bevor sie in England den schottischen Presbyterianer McKinney heiratet. Er ist schon 30 und somit geradezu steinalt. Ein Schriftsteller namens William passt auf ihre Tugend auf. Dass Clarissa im Palazzo nächtigt, ist ein wenig illegal, denn ihre Reiselizenz umfasst dies nicht. Aber Clarissa, eine selbstbewusste junge Dame, tut es trotzdem und lernt so den kleinen Sohn Olimpias kennen.
Als der Botschafter sie entdeckt, tadelt er sie erst und ersucht dann daheim um Anweisungen. Bis zur Antwort soll Clarissa bleiben. Sie wird in die Gesellschaft eingeführt, woraufhin es Heiratsanträge hagelt, doch leider ist sie ja bereits vergeben. Sie lässt sich mit dem Titel „Principessa“ anreden und ruft mit ihren klugen Ratschlägen Bewunderung hervor.
|Finstere Machenschaften|
Doch eines Morgens stößt sie auf geheime Machenschaften Olimpias. In einer Kapelle trifft sich die Pamphili mit einem Mönch, der ebenfalls zur Familie gehört. Verstört irrt Clarissa durch die quirlige Stadt. Francesco Castelli sitzt am Petersdom auf einem Baugerüst, als er einen Engel erblickt. Die junge Frau ist blond und schön und erobert sein junges Single-Herz im Nu. Das ist Vorbestimmung, Francesco weiß es. Doch sein Lombardenherz ist auch verschwiegen, und so sehr auch Clarissa – denn es handelt sich um keine andere – auch seine Cherubim bewundert, so übertritt er doch niemals die Grenzlinie des Anstands.
Sie werden lediglich Freunde, und als er sich später den Künstlernamen Borromini zulegt, gerät Clarissa in die Konkurrenzkämpfe zwischen ihm und Lorenzo Bernini. Dieser hat Francesco als Assistent eingestellt, um an dem Entwurf für den Hochaltar von St. Peter zu arbeiten. Die Statik ist knifflig, und Francesco macht einen hilfreichen Vorschlag. Im Lauf der Monate werden nicht nur die beiden Baumeister Freunde, sondern auch Clarissa und Francesco fühlen eine Seelenverwandtschaft. Als er ihr seine Pläne für St. Peters Fassade zeigt, ist sie hingerissen. Borromini hat im Gegensatz zum tüchtigen Bernini wirklich Visionen.
|Das Schicksal hat andere Pläne|
Schließlich steht Clarissa vor der Wahl, wie Borrominis genialer Entwurf für die Piazza Navona für den Petersplatz herangezogen werden kann, ohne dass Bernini ahnt, dass der Entwurf vom seinem Konkurrenten stammt. Und Borromini darf nicht wissen, was Clarissa damit gemacht hat. Denn die beiden größten Baumeister, die Rom seit Michelangelo gesehen hat, sind inzwischen, 40 Jahre und zwei Päpste später, regelrecht Todfeinde geworden. Und ohne Clarissas geschicktes Eingreifen sähe der Petersplatz heute bestimmt ganz anders aus.
_Mein Eindruck_
Dieser historische Roman erzählt die Geschichte einer aufregenden Architekturepoche auf eine menschliche und dramatische Weise, so dass sich der weibliche wie der männliche Leser sehr gut unterhalten fühlen dürfte. Es ist alles da: hochfliegende Ideale und reine Liebe ebenso wie Niedertracht und Boshaftigkeit. Das Ringen zwischen diesen beiden Seiten dauert durch den ganzen Roman hin an und die Frage, welche Seite obsiegen wird, verhilft der Geschichte zu einiger Spannung.
|Dan Brown lässt grüßen|
Für den heutigen Leser ohne die Vorbildung eines Architekten oder Kunsthistorikers bietet sich seit kurzem ein weiterer faszinierender Zugang. In seinem Roman „Angels and Demons“, zu deutsch [„Illuminati“, 110 beschreibt Bestsellerautor Dan Brown viele der in „Principessa“ erwähnten Schauplätze. Allen voran natürlich den Petersplatz in seiner heute noch zu bewundernden Form, aber auch viele der im Barock von Bernini und Borromini konzipierten und ausgeführten Bauten. Dazu gehören mehrere Kirchen, der Vier-Flüsse-Brunnen auf der Piazza Navona sowie das Grabmal des Kardinals Chigi mit seinen verschlüsselten Freimaurer- bzw. Illuminatensymbolen.
Wer diese Baudenkmäler nicht in natura besichtigen kann, der greife einfach zur illustrierten Ausgabe von „Illuminati“ oder „Angels and Demons“. Darin sind nicht nur exzellente Fotografien enthalten, sondern auch Grundrisspläne der wichtigsten Bauten.
|Schicksalsdrama|
Der Autor darf sich natürlich einige Freiheiten gegenüber der überlieferten historischen Wahrheit herausnehmen. Aber was heißt hier schon „Wahrheit“? Die Epoche, von der hier die Rede ist, liegt schon 350 bis fast 400 Jahre zurück. Und die damaligen Chronisten haben selbst ausgewählt, was ihnen erwähnenswert erschien und was nicht. Die Quellen, auf die der Autor zurückgreift, sind leider nicht aufgezählt – schon gleich gar nicht im Hörbuch.
Peter Prange verknüpft nicht nur geschickt die Epoche des römischen Barock mit seiner dramatisch aufbereiteten Handlung. Er zieht auch das Register, das schon Donna W. Cross’ Roman „Die Päpstin“ zu weltweitem Bestsellererfolg verhalf: eine Frau auf dem Papstthron. Dass noch niemand von einer Päpstin namens Olimpia Pamphili gehört hat, ist der einfachen Tatsache zuzuschreiben, dass die bewusste Dame lediglich im Hintergrund regiert hat und ihr Bruder oder Cousin die Tiara trug. Doch die zeitgenössischen Römer wissen Bescheid. Sie nennen sie „Olimpia Pontifex Maximus“. Nur Clarissa weiß, dass Olimpia eine Giftmörderin ist. So schlimm war die frühe Neuzeit – Zustände wie im alten Rom.
|Erotik|
Eine weitere sehr freie Interpretation der Kunstgeschichte ist das Zustandekommen von Berninis faszinierender Skulptur „Verzückung der Hl. Teresa“ (S. 308 in den illustrierten „Illuminati“). Die hl. Teresa von Avila ist mit einem geöffneten Mund dargestellt, der auch von sexueller Verzückung herrühren könnte – und das sieht Lady Olimpia genauso. Allerdings sieht das Gesicht der Skulptur dem von Clarissa Weltenham verblüffend ähnlich, und Olimpia braucht nur zwei und zwei zusammenzuzählen, um zu kapieren, dass Bernini sie mit Clarissa betrogen hat. Jetzt wird verständlich, wie sie zu Clarissas Todfeindin werden konnte („Hell hath no fury like a woman scorned“, wusste schon Shakespeare.)
Leider bleibt die Frage offen, ob es wohl Clarissa mit Bernini getrieben hat. Bei Borromini kommt dieser Verdacht eigentlich nie auf, dafür ist Francesco nicht draufgängerisch genug gezeichnet. Bei Bernini liegt der Fall anders. Das Dingsymbol seiner Bindung an Clarissa ist ein spezieller Ring mit einem großen Smaragd darin. Dieser wechselt mehrmals den Besitzer, und wer will, kann sich danach orientieren, um herauszufinden, wer nun wessen Herz besitzt.
Der Roman ist schon recht geschickt erzählt, aber manchmal beschlich mich durchaus der Verdacht, dass die – im Hörbuch verkürzte Geschichte – nicht weit vom Niveau eines Groschenheftromans entfernt ist.
|Der Sprecher|
Joachim Kerzels tiefe Stimme erweckt die Figuren zum Leben. Mit jeweils charakteristischer Intonierung und Ausdrucksweise stellt er Bernini und Borromini so dar, dass man sie ohne weiteres unterscheiden kann. Für Clarissa und ihre Gegenspielerin Olimpia wählt Kerzel höhere Tonlagen. Die energische Stimme Olimpias, die ja zwölf Jahre älter als Clarissa ist, klingt tiefer als die zaghafte, feinfühlige Ausdrucksweise der Jüngeren. Man sieht also, dass das Personal der Handlung sehr überschaubar ist.
Um bestimmte Extremsituationen darzustellen, kommt Kerzel nicht umhin, seine Stimme entsprechend anzupassen. Als Clarissa aussieht wie von der Pest gezeichnet, die Rom heimsucht, lässt er sie hauchen und keuchen. Auch als Borromini das Zeitliche zu segnen droht, sind spezielle Darstellungsmittel gefragt. Am Grab Borrominis begegnen sich Clarissa und ihr Verehrer Bernini ein letztes Mal. Da bleibt kein Auge trocken, denn es gelingt Kerzel, die tiefe Bewegtheit der beiden Figuren auf den Zuhörer zu übertragen.
_Unterm Strich_
„Principessa“ ist ein sehr kurzweiliger historischer Roman, der dem Leserherz alles bietet, wonach es lechzt: Liebe im Dreieck (oder sogar Viereck), Entführung, Pest und Todesangst, große Leistungen in der Kunst sowie einige Überraschungen, was den Ausgang der ganzen Geschichte betrifft. Vor allem in der Todesszene Borrominis bleibt kein Augen trocken, und auch als sich Clarissa und Bernini an seinem Grab treffen, sollte man eine Großpackung Kleenex hinzuziehen.
Das Hörbuch setzt die Höhepunkte der dramatischen Handlung angemessen, aber leider stark gekürzt um. Der Sprecher Joachim Kerzel macht das Beste daraus und erweckt nach bestem Können die Figuren zum Leben (siehe oben).
|383 Minuten auf 5 CDs|