Ronald M. Hahn & Harald Pusch – Die Temponauten

Zeitreise zu den Goldgräbern

Nick ist 1897 Goldgräber in Alaska während des großen Booms vor der Jahrhundertwende. Plötzlich tauchen seltsame Leute auf, die behaupten, er stamme aus der Zukunft, sei ein illegaler Zeitreisender, der schon so viel Unheil angerichtet habe durch seine Aktivitäten, dass er sein Leben verwirkt habe.
Nick kann sich an diese Zukunft zwar nicht erinnern, aber hinfort ist er ein Gejagter. Unter den Killern aus der Zukunft ist Constance, eine junge Frau, die im 21. Jahrhundert seine Geliebte war und ihn immer noch liebt. Sie schlägt sich auf seine Seite und rettet ihm das Leben.

Nach einer wilden und gefährlichen Flucht durch die Eiswüste Alaskas gelangen sie in Sicherheit und zu Reichtum, mit dem sie gelassen in die Zukunft blicken könnten. Nur – ist das die Zukunft, aus der sie ursprünglich stammen, oder ist es eine ganz andere? (abgewandelte Verlagsinfo)

Die Autoren

Der Herausgeber Ronald M. Hahn ist selbst ein bekannter Autor und Übersetzer. Zu seinen Veröffentlichungen gehört eine Jugendbuchserie im Ensslin-Verlag, die er zusammen mit Hans-Joachim Alpers, dem Autor des Nachworts, schrieb. Zudem war er mit Alpers der Mitherausgeber / Mitverfasser des „Heyne Science Fiction Lexikons“ (ca. 1280 Seiten!).

Er war auch als Redakteur und Literaturagent tätig. Als Übersetzer tat er sich v.a. beim „Wüstenplanet“-Zyklus Frank Herberts hervor. Als Herausgeber engagierte er sich besonders für die flämische und niederländische Science Fiction, die er in der Anthologie „Die Tage sind gezählt“ vorstellte. Bei Heyne edierte er das „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ von Band 64 bis 101.

Harald Pusch war laut „Heyne Science Fiction Lexikon“ Chefredakteur des Fachblatts „Science Fiction Times“, arbeitete als Journalist und Autor. Ein weiteres Buch von ihm ist „Der Planet der schlafenden Toten“, das er 1981 unter dem Pseudonym „Peter Toole“ veröffentlichte.

Handlung

Sie haben ihm gesagt, er heiße jetzt Nicholas Scott, nun jagen sie ihm eine Spritze in die Venen. Die Hitze in den Adern bringt ihn fast um den Verstand, doch dann kommt es noch schlimmer: Er landet in der falschen Zeit…

Der Chilcoot-Pass, der zur kanadischen Grenze führt, hat bis 1897 schon viele Männer umgebracht. Der Mann, der sich „Cody“ nannte, ist nur elf Meilen von Dawson City, dem gelobten Land, entfernt gestorben, aber wenigstens sorgt der zartfühlende Hellman dafür, dass er ein christliches Grab erhält – bevor Codys Habseligkeiten verteilt werden. Hellman, der Russe Gorskij, der Kanadier Devereaux und der seltsame Nick ziehen weiter. Um reich zu werden, versteht sich ja wohl von selbst. Devereaux fällt fast die Pfeife aus dem Maul, als Nick sagt, dass ihm das Gold im Grunde scheißegal sei.

Der ist schon seltsamer Kauz, der Nick Scott. Muss wohl ein Journalist sein, vermutet Gorskij, der nicht mal schreiben und lesen kann. Scott redet druckreif und verwendet unbekannte Ausdrücke, die sicher sehr gelehrt sind. Und er singt. Von einem Ort namens Hollywood, den kein Schwein kennt. In Australien vielleicht, oder Irland, meint Devereaux. Nein, meint Nick, nirgends. Tja, und dann kennt Nick auch noch viel schrägere Vögel, so etwa diesen geschniegelten Abenteurer und seine reizende Mieze. Das Pärchen sorgt dafür, dass Nick und Devereaux ihre schäbigen, aber teuren Zimmerchen in Dawson verlieren und im Zelt schlafen müssen. Warum bloß hat der Neureiche Nick so zwinkernd angeschaut, als ob sie einander kennen müssten? Nick kann es ihm nicht erklären, ebenso wenig wie die Liedzeile über Hollywood.

Am nächsten Tag stößt Nick im Krämerladen auf das Paar. Als er Vorräte kaufen will, taucht sie auf, wie die Königin von Saba schreitet sie zum Tresen. Er will sie gerade ansprechen, als sich von hinten ein Revolverlauf in seinen Rücken presst. Der Mann redet von unbekannten Leuten mit unverständlichen Plänen. Eines ist aber klar: Er setzt Nick eine Frist von zehn Tagen, um endgültig zu verschwinden. Zu einem geladenen Revolver sagt man nicht nein. Doch bevor Nick verschwindet, erkennt ihn die junge Frau – eindeutig. Aber warum kennt Nick sie nicht?

Dezember 1897

Zwei Monate sind vergangen, Nick und Devereaux haben ihr Lager an der Baumgrenze aufgeschlagen, da tauchen die Fremden schon wieder auf. Nick beschließt, diesem Unsinn ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Es sind vier: der Abenteuer, die junge Frau, zwei grimmige Begleiter. Während diese sich Lancer und Carstairs nennen, stellt sich der Abenteurer als Bill Malling vor. Er nennt die junge Frau Constance, sie wiederum nennt Nick „Roderick Harding“ – sie sei mit ihm von 1959 bis 1963 in Los Angeles zur Schule gegangen.

Momentchen mal, wann? Im 20. Jahrhundert? Ein Blitz, abgefeuert aus einem Gerät, das Carstairs abfeuert, schickt Nick in tiefe Bewusstlosigkeit. Als er benommen daraus erwacht, warnt ihn Constance, er müsse so schnell wie möglich verschwinden, bevor als Mounties verkleidete Polizisten der Temponauten kämen, um ihn abzuholen. Tempo-was? Dennoch findet Nick, dass Abhauen klüger sei, als mit ihr zu streiten.

Januar 1898

Die Mounties sind immer noch hinter ihm her. Royal Canadian Mounted Police, so ihre volle Bezeichnung, sind die berittenen Polizisten, die hier in Kanadas Yukon-Provinz, das Sagen haben. Aber Constance hat Nick gewarnt, dass diese „Mounties“ nur verkleidete Temponauten wären, die Nick eliminieren wollten. Nick wird kribbelig, während ihm Jack, der Abenteurer, ihm dies verrät. Sie würden Nick wegen des Todes seines Partners Devereaux suchen. Was für ein Scheiß?! „Keine Panik“, beruhigt ihn Jack, der ihm schon Dawson half. „Du kannst einen Claim in einem stillen Seitental des Yukon kaufen und dich dort verstecken.“ Ein guter Plan, und dass Gorskij wieder auftaucht und mit Nick gemeinsame Sache macht, richtet ihn wieder auf. Wenn bloß nicht diese seltsamen Erinnerungen wären, an fremde Orte – und an Liebesnächte mit Constance…

März/April 1898

Der Frühling rückt schon in greifbare Nähe, als Constance vor der Hütte auftaucht. Sie ist offenbar auf der Flucht, denn sie hetzt in großer Eile auf die Hütte zu. Er nimmt sie auf, um sie sie vor ihren Verfolgern in Sicherheit zu bringen, den beiden Typen, die er als Lancer und Carstairs kennt. Constance versucht Nick zu erklären, was eigentlich los ist. Sie redet von Touristen, wie sie eine gewesen sei, die nicht durch den Raum, sondern durch die Zeit reisten, „Temponauten“ eben.

Sie komme wie er selbst aus dem Jahr 1979. Zwei konkurrierende Zeitreiseunternehmen gebe es: Intertime, das sie gebucht hatte, und Faradays zwielichtiges Reisebüro, mit dem Nick reiste. Einer der beiden Verfolger glaube, dass Nick seinen Gedächtnisverlust nur vortäusche, der andere nicht. Sollte es jedoch zu Gewaltanwendung kommen, dann könnte die Zukunft verändert werden, und das könnte zur Schließung beider Zeitreisebüros führen. Dann wäre Nick hier ebenso gestrandet wie Constance.

Mai 1899

Lancer und Carstairs tauchen mit einem Mountie namens MacLagan auf, der offensichtlich ein Betrüger ist, denn Jack, der jeden im Yukon-Gebiet, kennt, kennt diesen Kerl nicht. Außerdem haben die Verfolger zwei einheimische Indianer dabei – ein regelrechtes Killerkommando. Doch Nick und Constance, mittlerweile ein Liebespaar, sind vorbereitet und haben sich in einer verlassenen Bärenhöhle oberhalb der Hütte in den Hinterhalt gelegt. Als die Killer die Hütte leer vorfinden, kann Nick seine Verfolger in aller Ruhe ins Visier nehmen. Aber er hat nicht mit ihrer futuristischen Technik gerechnet. Wie Connie ihm erklärt, haben sie ein Maschinengewehr dabei und sind dabei, es auf die Bärenhöhle zu richten…

Mein Eindruck

Die Geschichte beruht auf der Erzählung „The Sun Dog Trail“ von Jack London („Jack“ im Roman). Der Indianer Sitka Charley begleitet darin ein geheimnisvolles Paar, das in der Wildnis wie besessen Jagd auf einen Fremden macht. Auch Sitka Charley tritt im Roman auf. Connie bezahlt den Postkurier, sie auf dem Fluss nach Dawson zu bringen, wo sie sich mit Nick verabredet hat. Sowohl in der Story wie im Roman wird der Fremde – es ist Lancer – bis zur totalen Erschöpfung gehetzt und schließlich gestellt.

Der Clou ist allerdings das Symbol der Sonnenhunde, die der Story ihren Titel verleihen. Im hohen Norden, sie erklärt Sitka Charley, ist das seltene Phänomen einer dreifachen Sonne zu beobachten, quasi eine doppelte Spiegelung der Originalsonne. Die Indianer nennen die Scheinsonnen die Sonnenhunde. Sie scheinen die echte Sonne zu verfolgen, was genau die Situation widerspiegelt, in der sich der Fremde und seine beiden Verfolger befinden. Die Existenz dieses seltsamen Himmelsphänomens würde einem kein Fremder glauben, und so wird es zu einer Metapher des Wahnsinns, der Paranoia.

Verfolgungswahn ist ja auch das bestimmende Gefühl, das Nicks Erleben beherrscht, sobald er in Dawson das Temponautenpaar Bill und Constance Mallinger kennenlernt. Woher kennt er Constance nur? Es liegt ihm wie ein halb vergessenes Wort auf der Zunge. Erst als er durch das Maschinegewehr verwundet darniederliegt, gerät ihn jenen Traumzustand, der ihm erlaubt, an die Erinnerungen an seine eigene Zeit zu gelangen: Er sollte 1979 als Journalist eine Reportage über die Aktivitäten von Intertime schreiben, doch der Besitzer dieser Agentur zwang ihn dazu, mit der Konkurrenz namens Faraday zu reisen. Dabei ging etwas entscheidend schief: Als er im 1897 erwachte, hatte er sein Gedächtnis verloren.

Der Goldrausch

Doch die Temponauten mögen Touristen sein, doch sie sind wie die Goldgräber der Jahre 1897-1899 doch Fremde in einer tödlichen Natur. Im Unterschied zu den überall abgezockten Goldgräbern können die Zeitreisenden zwar komfortable Hotels an den Zielstationen benutzen, doch wenn sie sich auf Verfolgung begeben, stehen ihre Chancen, in der Wildnis zu überleben, genauso schlecht wie die eines Goldgräbers. Das gleicht ihren Vorteil wieder aus – es sei denn, sie holen ein höchst illegales Maschinengewehr heraus.

Das Buch ist eine harsche Kritik an solchen unfairen Methoden, und der Kapitalismus kommt dabei ganz schlecht weg. Zweimal ist von „Schlotbaronen“ die Rede, worunter man sich heutzutage kaum noch etwas vorstellen kann. Als das Buch 1983 erstmals erschien, gab es noch den Kohlebergbau im Ruhrgebiet, und mit Schlotbaronen waren zunächst die Zechenbesitzer und im weiteren Sinne ausbeuterische Industriekapitäne gemeint. Doch auch dieser „Goldrausch“ ist bekanntlich vorüber.

Eine beliebte Epoche

Der Leser dürfte sich von Anfang an wundern, wieso die Zeitreisenden überhaupt eine derart unwirtliche Epoche bevorzugen. Das Gold brauchen sie ja nicht: Sie müssen ja bereits reich sein, um sich die Zeitreise überhaupt leisten zu können. (Merke: Die untreue Constance hat sich also einen reichen Versorger geangelt und den Hungerleider Roderick Harding seinem Schicksal überlassen. Nichts Neues unter der Sonne.)

Die Temponauten bevorzugen diese Epoche, weil an Yukon und Klondike massenhaft fremdartige Ausländer aufeinandertreffen, die sich sonderbar verhalten und die seltsamsten Sprachen benutzen: Deutsch, Russisch, frankokanadisches Französisch, Amerikanisch, Britisch – von einheimischen Indianerdialekten ganz zu schweigen. Klar, dass man sich entweder mit Händen und Füßen oder einem Pidgin-Englisch behilft, wie es ja auch auf Handelsschiffen gesprochen wurde.

Humor

Um diese Epoche nicht allzu grimmig wirken zu lassen, haben die beiden Humor ihren spezifischen Humor spielen lassen. Jack London tritt auf, der Verfasser der Vorlage. Und ja – er stammt wirklich aus San Francisco, wurde auch tatsächlich dort als John Griffith geboren. (Ein kurzer Blick in seine Wikipedia-Biografie ist durchaus zu empfehlen.) Daneben gibt es noch einen viel schrägeren Kerl, mit dem es Nick zu tun bekommt (ab S. 146).

Er nennt sich Scrooge (nach „Ebenezer Scrooge“ aus Dickens Weihnachtsgeschichte), ist ein einsam lebender Geizkragen und lässt sich sogar von einem Mann in Not, wie Nick einer ist, fürstlich bezahlen. Nick entdeckt, dass an der Badewanne dieses Kauzes Goldstaub klebt. Pflegt Scrooge, der sich mit Selbstschussanlagen schützt, in Gold zu baden? Des Rätsels Lösung: Das Vorbild für diese Figur bildet Dagobert Duck, der reiche Geizkragen aus Entenhausen. Diese weltberühmte Ortschaft heißt hier Duckburgh.

Schwächen

Dass dies keine Übersetzung ist, dürfte klar sein, Dennoch haben sich vereinzelte Druckfehler eingeschlichen.

S. 30: „Abmachholz“. Gemeint ist Anmachholz, um ein Feuer anzumachen.

S. 66: „was in den Beistz eines Touristen übergeht“. Ein übler Buchstabendreher. Es sollte korrekt „Besitz“ heißen.

Unterm Strich

Die rund 180 Seiten fand ich ungemein kurzweilig zu lesen. Fast ständig passiert etwas, und die einzelnen, kurzen Kapitel sind nach dem Zeitraum, den sie abdecken, benannt, um so den Leser zu informieren, auf welcher Zeitschiene er sich gerade – in einem Zeitreiseroman eine wesentliche Gedächtnisstütze. Eines Kapitel spielt 1979, ein anderes 1949, Connies Geburtsjahr. (Dabei fragte ich mich natürlich, wie der angeblich 1859 „geborene“ Nick Scott noch 90 Jahre später am Leben sein kann, um Connies Geburt beizuwohnen. Tja, früher, vor den Atombombenversuchen und den Autoabgasen, wurden die Leute eben locker 100 Jahre alt und noch älter.)

Der Erzählstil ist schnörkellos und führt den Leser geradlinig durch die Handlung. Dieser Stil wird nur in der Mitte, während des Intermezzos im Jahr 1979, unterbrochen, um Raum für Assoziationen und Träume zu lassen. Danach geht es knallhart so weiter, bis zur Scrooge-Episode und so weiter. Die Naturbeschreibungen könnten direkt von Jack London stammen, so etwa Connies Reise mit Sitka Charley auf dem zufrierenden Fluss. Da möchte man am liebsten gleich die Koffer packen und in die sogenannte „Wildnis“ trampen. (Vor dieser Idee sei dringend gewarnt, und als warnendes Beispiel diene der mit Sean Penn verfilmte Roman „Into the Wild“, in dem die Hauptfigur elend verhungert.

Die erzählerische und metaphorische Grundlage von Jack Londons Vorlage „The Sun Dog Trail“ hat dem unterhaltsamen Buch zu einer Solidität, Dauerhaftigkeit und Glaubwürdigkeit verholfen, die man sich heute in der deutschen SF, soweit noch vorhanden, vielfach mehr wünschen würde. Diese Aussagen über den Goldrausch, den Casino-Kapitalismus, die Verfolgung Schwächerer – sie muten heute alle unheimlich aktuell an. Dass der Humor nicht vergessen wurde, nimmt mich für den Roman noch stärker ein. Nur die Romantik zwischen Nick und Connie habe ich vermisst.

Man kann das schmale Buch locker an einem Tag lesen – und nimmt doch ein paar Lehren fürs Leben mit. Im Untergenre „Zeitreise“ nimmt „Temponauten“ eine Sonderstellung ein: Die Problematik der Paradoxa wird zwar wie üblich abgehandelt, doch kein anderer Autor, hat Alaska als Schauplatz oder gar eine Jack-London-Story als Vorlage verwendet.

SPOILER

Die Kardinalfrage lautet: Werden Nick und Connie genau das tun, was Lancer um jeden Preis verhindern will? Nämlich eine alternative Zukunft erschaffen. Die Antwort liefert das letzte Kapitel: Connie wird 1949 in L.A. in eine Zukunft geboren, die genauso aussieht wie unsere unmittelbare Vergangenheit: voller Abgase und Lärm von Highways, die sich wie Würgeschlangen um die Stadtkerne schlingen…

Taschenbuch: 187 Seiten
Info: Originalausgabe bei Corian-Verlag Meitingen 1983
Auflage 1988
www.heyne.de

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