Deutsche Sprache – schwere Sprache. Das weiß jeder Ausländer, der die Mühe auf sich nimmt, sie zu lernen. Aber im Grunde wissen wir Deutschen das auch selbst ganz gut. Wie oft ist schon über Spezialitäten der deutschen Grammatik diskutiert worden, wie oft fallen einem die regionalen sprachlichen Unterschiede auf und wie oft ist man schon selbst über so manche hinterlistige Gemeinheit des deutschen Sprachdschungels gestolpert.
Höchste Zeit also, dass da mal jemand aufräumt. Eigentlich hatten sich ja auch die Rechtschreibreformatoren dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben, aber bislang ist die so genannte Reform größtenteils verpufft und in gewissen Punkten auch noch zu strittig, um wirklich Klarheit zu schaffen. Aber was soll’s, wir haben ja Bastian Sick und seine „Zwiebelfisch“-Kolumnen, die dem geneigten |Spiegel|-Online-Leser wohl vertraut sein dürften.
Und der räumt endlich mal auf. Fleißig wird sortiert, was deutsch ist und was nicht, „Neophyten“ der deutschen Sprachen werden selektiert und gemeine grammatikalische Stolperfallen kenntlich gemacht – kurzum, Bastian Sick hat einen „Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache“ geschaffen, von dem man sich gerne belehren lässt. Grammatik ist gemeinhin eine trockene Angelegenheit und gehörte wohl für die Wenigsten zu den Highlights der schulischen Grundausbildung. Wie kann es also sein, dass ein Buch, das sich um genau diesen Themenkomplex dreht, zu einem Bestseller wird?
Ganz einfach. Bastian Sick, mittlerweile der Sprachpfleger der Nation, nimmt die Sache mit Humor. Anspruch auf vollständige Korrektheit hat er dabei nicht im Sinn. Er selbst sieht seine Mission eher darin, das sprachliche Bewusstsein zu schärfen. Er will die Leser ermutigen, nicht jeden sprachlichen Mist, den vor allem Medien, Politik und Werbung verzapfen, hinzunehmen. Er regt dazu an, über die eine oder andere Absurdität des deutschen Sprachgebrauchs einmal nachzudenken. Er schärft die Wahrnehmung dafür, wie sich die deutsche Sprache im Laufe der letzten Jahre verändert hat – und das nicht nur durch den teilweise völlig sinnentleerten, inflationären Gebrauch von Anglizismen. „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ ist letztendlich kein Nachschlagewerk, das im Bücherregal zwischen Duden und Langenscheidt stehen muss. Es passt durchaus auch in den Sektor Unterhaltung. Oder am besten irgendwo in die so genannte goldene Mitte.
48 Kolumnen vereint Sicks Buch, abgerundet durch „Das kleine ABC des Zwiebelfischs“, mit einer alphabetisch sortieren Zusammenfassung der wichtigsten Punkte. Die sind zwar nicht so vollständig, dass sie als Anlaufstelle beim Nachschlagen einzelner sprachlicher Unsicherheiten dienen könnten, geben aber dennoch einen ganz netten kleinen Überblick.
Ausrichtung und Intention der einzelnen Kolumnen sind teilweise sehr unterschiedlich. In einigen Kapiteln geht es ganz konkret um deutsche Grammatik, beispielsweise um das unselige Apostroph das sich in fast jeder Lebenslage einzuschleichen droht, egal ob vor dem Plural-s oder dem Genitiv-s. Sick zeigt das seit der Rechtschreibreform herrschende Chaos um Zusammen- und Getrenntschreibung auf, die Verwendung von ß und ss, die unreflektierbaren Adverbien, die immer mal wieder ganz unbeugsam gebeugt werden, sowie den doppelten Plural, der in Wörtern wie „Praktikas“ so gerne falsch verwendet wird.
Faszinierender sind Sicks Kolumnen allerdings da, wo er Veränderungen in der Sprache aufzeigt, die durch Fremdsprachen (in erster Linie natürlich durch Begrifflichkeiten aus dem englischsprachigen Raum) bedingt sind. Man kann daran eine gewisse sprachliche Globalisierung feststellen, denn die englische Sprache übt bei näherer Betrachtung einen weitaus größeren Einfluss auf das Deutsche aus, als man glaubt. Anglizismen spielen dabei eher eine Nebenrolle, denn sie sind als sprachliche Schnitzer teilweise einfach schon zu bekannt und augenfällig, als dass man noch Kolumnen drüber schreiben müsste. Interessanter sind da schon deutsche Sprachwendungen, die (dadurch, dass sie einfach nur wortwörtlich aus dem Englischen übersetzt werden) vollkommen undeutsch werden. Ein schönes Beispiel dafür ist der Ausdruck |Sinn machen|. Wenn man einmal einen Augenblick drüber nachdenkt oder spätestens wenn man Sicks überaus einfach nachvollziehbarer Argumentation folgt, wird einem klar, dass der Ausdruck lediglich eingedeutschtes Englisch ist, aber ganz bestimmt kein Deutsch, weil im Deutschen die Wörter „Sinn“ und „machen“ einfach nicht zusammen verwendet werden. Trotzdem tut es mittlerweile jeder, auch wenn’s „keinen Sinn macht“.
Was für ein Unsinn dabei herauskommt, wenn Deutsch und Englisch zusammen auf das Sprachgefüge einwirken, zeigt Sick anhand mehrer Beispiele. Er erklärt den Unsinn der |vitalen Rolle| und zeigt, wie aus |tractor trailers| (zu deusch: Sattelzüge) in der Presse plötzlich Traktoren werden. Und andersherum werden aus Rucksäcken im Sprachgebrauch des deutschen Einzelhandels bedauerlicherweise |body bags| (zu deutsch: Leichensäcke).
Sick schient ein Faible für solcherlei Stilblüten der deutschen Sprache zu haben und findet auch ohne unsinnige, sprachverhunzende Anglizismen viele schöne Beispiele dafür, wie der Gebrauch der deutschen Sprache sich verändert. Da wäre beispielsweise das Fugen-s, das im Amts- und Versicherungsdeutsch mittlerweile ein ausgesprochen trostloses Dasein fristet und von den meisten Versicherungsvertretern nicht nur im |Schadenfall| geflissentlich ignoriert wird (stimmt tatsächlich, denn mein Versicherungsvertreter macht das auch, wie ich kürzlich feststellen musste).
Auch Redewendungen sind für Sick ein gefundenes Fressen. Ironisch macht er sich über die „Phrasendrescherei“ in Politik und Presse her, nimmt den „Substantivierungswahn“ von Politikern und Juristen aufs Korn und zweifelt eine Bereicherung der deutschen Sprache durch die inflationäre Verwendung des Wortes |Bereich| im „Sprachbereich“ an. Ergänzt wird die Sammlung der Texte immer wieder durch Tabellen und Auflistungen, die zugrunde liegende grammatikalische Sachverhalte erläutern.
Sicks Hinweise auf fehlerhaften Sprachgebrauch mögen hier und da schon ein wenig haarspalterisch anmuten, aber andererseits muss man ihm zugute halten, dass endlich mal jemand auf diese Feinheiten hinweist, bevor unsere Sprache komplett „den Bach runtergeht“. PISA zeigt schließlich, dass da eine latente Gefahr lauert. Sicks Sprachbelehrungen mögen hier und da also etwas pedantisch und spitzfindig erscheinen, dass sie aber dennoch ohne erhobenen Zeigefinger und herablassende Besserwisserei auskommen, ist dem Sprachwitz des Autors zu verdanken. Sick formuliert gewitzt und ironisch, bastelt die Fehler, auf die er hinweist, selbst so gewieft in seinen Satzbau ein, strapaziert ihren Gebrauch sogar über, dass man über die kritisierten Sprachmängel immer wieder schmunzeln kann. Seine Texte wirken daher eher belustigend als belehrend. Der Lerneffekt wird ein wenig zur Nebenerscheinung, aber nicht zur Nebensache.
Sick argumentiert stets nachvollziehbar und klug, aber niemals neunmalklug. Die einzelnen Kolumnen sind teils so unterschiedlich erzählt, die Beispiele, die er bringt, bieten so vielfältige Abwechslung, dass man das Thema auch im Laufe des Buches nicht leid wird. Seine Beispielgeschichten sind teils so hinreißend komisch, sein Stil so locker und erfrischend, aber gleichzeitig argumentativ so klar, dass es wirklich Spaß macht, sich belehren zu lassen.
„Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ ist die schönste Art, sich Veränderungen im Sprachgefüge, Absurditäten der deutschen Sprache und irrwitzige Grammatikfehler bewusst zu machen – unterhaltsam, klolektürengeeignet und ganz bestimmt nicht nur für Legastheniker absolut empfehlenswert.
Taschenbuch: 240 Seiten
Zwiebelfisch online: www.spiegel.de/zwiebelfisch