Stackpole, Michael A. – Weg des Richters, Der

„Vom Autor der besten BATTLETECH-Romane“ (Cover) ist in meinen Augen nicht unbedingt eine Empfehlung. Hätte mir meine Stammbuchhändlerin, eine große Fantasy-Kennerin, dieses Buch nicht wärmstens empfohlen, hätte ich wohl kaum einen Blick hineingeworfen – und einen hervorragenden Roman verpasst.

Stackpole führt uns in die Welt eines längst zerbrochenen Imperiums, auf dessen Trümmern sich neue Reiche gegründet haben. Doch eine Konstante gibt es nach wie vor: die Tahlion, Hüter des Gleichgewichts und des Rechts, ein Orden geradezu legendärer Kämpfer, Falkenreiter, Magier und Rechtsprecher, zu Hause in der uneinnehmbaren Stadt Tahlianna; von dort senden sie ihre Boten aus. Ihre Soldaten führen die Armeen aller Reiche, was meist eine Machtbalance garantiert. Geleitet werden die sieben Tahlion-Klassen von Hochwaltern, welche wiederum dem Meister unterstehen. Eine besondere Gruppe bilden die Dienstleister, angeführt von Seiner Exzellenz, einer Figur, die nur in wenigen Szenen auftritt, aber höchst zwiespältig und ebenso interessant ist. Die spektakulärste Klasse jedoch sind die Rechtsprecher. Ihr Training ist extrem hart, denn sie müssen praktisch alles können, selbst ein wenig Magie beherrschen. Als Einzelkämpfer durchstreifen sie das Land, um Verbrecher zu eliminieren und andere gefährliche Aufträge zu erfüllen; man schätzt ihre Dienste, aber man fürchtet sie auch, denn sie können ihre Feinde töten, indem sie ihnen die Seelen nehmen.

Nolan, Ich-Erzähler und Hauptfigur des Buches, ist einer von ihnen. Als er zwölf war, wurde seine Familie von Eroberern aus dem Reich Hamis getötet, und er machte sich allein auf den Weg nach Tahlianna, um Rechtsprecher zu werden und den Mord einmal zu rächen. Dank seines Mutes und seines Willens wird Nolan in den Orden aufgenommen. Er durchläuft eine doppelt harte Schule, denn eigentlich ist er für einen Novizen schon zu alt. Stackpole wechselt stets zwischen zwei Handlungssträngen: Ein Kapitel erzählt vom aktuellen Auftrag Nolans, das nächste von wichtigen Stationen seiner Ausbildung, und so fort. Allmählich entsteht ein intensives Bild des Haupthelden, eines nachdenklichen, mutigen und gerechten Mannes; zugleich lernt man die Tahlion-Gesellschaft als eine (spartanische) Utopie kennen. Der Autor schildert dabei auch Details wie die Einnahme des Essens und die Vergabe der Zimmer, doch gerade diese machen das Buch über die spannende Handlung hinaus interessant. Beeindruckend ist das Mysterium, das hinter den Tahlion steht und besonders die Rechtsprecher betrifft; stark angetan hat es mir das Reinigungsritual, das sie durchlaufen müssen, wenn sie eine Seele genommen haben. Hier erfährt man auch, wieso die Richter ihre Macht nicht missbrauchen können. Doch das Bild des Ordens ist kein ganz und gar lichtes – Stackpole zeigt auch, dass politisches Geschäft bisweilen nicht nur edle Mittel erfordert …

Die Handlung spitzt sich zu, als König Tirrell von Hamis von unbekannten Attentätern beseitigt werden soll. Nolan scheint der einzige geeignete Kandidat zu sein, um den König zu retten. Er besteht die erforderliche Prüfung, lehnt jedoch den Auftrag ab: Schließlich müsste er den Mann beschützen, dessen Soldaten seine Familie ausgelöscht haben. Aber Seine Exzellenz, der Politiker hinter den Kulissen, vermag ihn auf drastische Weise umzustimmen – und die Geschichte geht äußerst spannend weiter, mit unerwarteten Umschwüngen und Enthüllungen …

„Der Weg des Richters“ hat alles, was sehr gute Fantasy braucht: eine schlüssig und komplex konstruierte Welt, Kämpfe, Magie, den Weg eines Jungen zum Helden, Konflikte und Gefahren, Bestien in Menschen- und anderer Gestalt, Barden und Lieder, Liebe, Rivalität und Verrat … Stackpole schrieb das Buch 1986, vor Beginn seiner eigentlichen Karriere. Der Text wurde abgelehnt: Für den Erstling eines unbekannten Autors sei er zu lang. Doch verschaffte die Talentprobe dem Autor seinen ersten BATTLETECH-Auftrag. Es folgten STAR WARS-Romane, schließlich ein veröffentlichter Fantasy-Roman – und endlich konnte auch „Der Weg des Richters“ erscheinen.

Zum Glück!

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|