Ein Mercedes SL 500 – „zwei Tonnen deutsche Ingenieurskunst” – rast in eine Menschenmenge. Es gibt viele Todesopfer, der Fahrer entkommt. Der Wagen wird später gefunden. Auf dem Beifahrersitz liegt eine Clownsmaske, das Lenkrad ziert ein grinsender Smiley. Monate später meldet sich der Massenmörder und droht ein Inferno mit Tausenden Opfern an … (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
Ein wenig sehr reißerisch finde ich den Klappentext, aber im Grunde stimmt es schon und im Grunde sind Klappentexte ja auch dazu da, Käufer anzulocken … wenn das der Name „Stephen King“ nicht allein schon macht.
Denn was auch immer der „Meister des (insert genre here)“ anfasst oder über was er seine oftmals ziegeldicken Romane schreibt, er schafft es immer wieder, seine Leser zu packen und in seine Welt zu ziehen. Denn oftmals ist es ja der ganz normale Wahnsinn, immer auch mal mit einem Schuss Übersinnlichem gewürzt, der so unter die Haut geht.
In dieser düsteren Detektivgeschichte ist das Übersinnliche aber nicht mit dabei … das hätte auch nicht gepasst. Vielmehr gehts um Brady Hartsfield … Spoiler? … nein, das ist keiner, auch wenn das der Name von „Mr. Mercedes“ ist. Denn anders als in manch anderem Krimi, bekommen wir recht zügig erzählt, wer denn hinter dem absichtlich herbeigeführten Verkehrsunfall steckt. Den kann man sogar sozialkritisch analysieren, denn immerhin rast ein ziemlich teures Auto in eine Menge von Menschen, die eh schon nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Auch von der Hintergrundgeschichte des Fahrers erfahren wir und jeder Leser kann sich ein Bild davon machen, ob die Komponenten nun Klischees sind oder tatsächlich ausreichen, um so etwas zu tun.
Und im Übrigen stimme ich Mr. Mercedes zu, wenn er behauptet, dass nicht von ungefähr so viele Menschen Blutrünstiges im Fernsehen sehen oder in Büchern lesen wollen, denn im Grunde würden sie es selbst gern tun, machen es aber aus verschiedenen Gründen nicht. Mr. Mercedes hat sich dazu entschlossen, es einfach zu tun. Ist er nun das Produkt einer gewaltverherrlichenden Gesellschaft oder einfach nur irre oder eine Kombination aus beidem? Hätte er eine Schusswaffe benutzt, hätte man alles problemlos auf den Waffenirrsinn der Amerikaner schieben können … hat er aber nicht … und das macht es so interessant.
Auf der anderen Seite, also auf der Jagd nach Herrn Hartsfield, finden wir einen Detektiv im Ruhestand. Davon gabs in der Literatur jede Menge und selbst komplette Fernsehserien drehten sich um solche Charaktere. Und weil es noch was zu tun gibt, kommt er na klar aus dem Ruhestand zurück und rettet mal eben die Welt … vor Mr. Mercedes. Zumindest ist das der Plan von Kermit … nein, nicht dem Frosch, sondern „Bill“ Hodges. Der hat nämlich diesen Fall während seiner Amtszeit nicht lösen können. Die aktuellen Verspottungen von Mr. Mercedes aber, holen ihn schriftlich aus dem Lesesessel zurück, kurz bevor er sich vor Langeweile das Hirn rausblasen kann. Im Gegensatz zu vielen Klischee-Detektiven des Genres, ist Hartfield kein Alkoholiker … er guckt halt nur jede Menge Fernsehen. Was soll man auch machen?
Nicht nur ihn lernen wir sehr gut kennen … was manchmal auch ein wenig die Spannung bremst … auch stellt der Autor ein paar Charaktere aus dem Ort vor, die durchaus interessant sind. Janelle Patterson zum Beispiel, die Schwester der alten Dame, mit deren Auto Mr. Mercedes damals in die Menschenmenge gerast ist und die sich aufgrund dessen später das Leben nahm. Ihre emotional kranke Nichte Holly ist mit dabei, die mit der Zeit immer wichtiger für den Fall wird und … der Quotenschwarze. Das fühlte sich für mich zumindest so an, als ich von Jerome gelesen hab, der beim Detektiv den Rasen mäht und sich prima mit der modernen Technik versteht … ganz im Gegensatz zu Kermit selbst. Und übrigens auch im Gegensatz zu Herrn King, der es auch nicht so mit der Technik hat und für die Recherche zu diesem Roman auf die kommunikationselektronischen Kenntnisse seiner Frau Tabitha und seines Sohns Joe zurückgreifen musste … konnte.
All diese Personen machen die Geschichte so fesselnd, auch wenn wir wissen, wen wir jagen und weshalb. Dennoch ist es spannend, wenn wir rausfinden, warum auf dem Cover des Romans ein blauer Regenschirm abgebildet ist und nicht plump einfach ein Mercedes SL500, denn auf einmal ergibt auch das einen Sinn, der sich nur dem erschließt, der sich vom „Meister des (insert genre here)“ mit auf die Jagd nehmen lässt.
Der Autor:
Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Schon als Student veröffentlichte er Kurzgeschichten, sein erster Romanerfolg, „Carrie“, erlaubte ihm, sich nur noch dem Schreiben zu widmen. Seitdem hat er weltweit 400 Millionen Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft. Im November 2003 erhielt er den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. (Verlagsinfo)
Mein Fazit:
Detektivromane mit Ermittlern, die extra für einen ungelösten Fall wieder zurück aus dem Ruhestand kommen, gibts jede Menge … in einigen kommen sogar Autos vor … und bestimmt ist auch der eine oder andere Mercedes mit dabei.
Unser Detektiv heißt Kermit und Mr. Mercedes heißt Brady. Dass man dieses Buch aber dennoch lesen sollte, auch wenn wir das schon früh wissen, zeigt wiedermal die Kunst des Autors, durch Beschreibungen, Umschreibungen, viele Details und interessante Charaktere, den Leser immer tiefer in die Story hineinzuziehen. Außerdem hat Mr. Mercedes ja noch etwas vor, das es zu verhindern gilt.
Und schon sind wir auf der Jagd nach einem irren Autofahrer, der nebenan wohnen könnte und über den die Leute in Fernsehinterviews immer wieder sagen „Also das hätte ich ihm nicht zugetraut, er war immer so nett.“ Gerade das macht für mich den echten Horror aus. King zeigt uns aber auch, dass jeder von uns ein Held sein kann, denn keine seiner Figuren unterscheidet sich in seinen Makeln und Ticks von uns selbst.
Und … Herr King lässt sich trotz erwartetem Show-down sogar eine Hintertür offen. Mal schauen, ob er sich für die so lange Zeit lässt, wie bei der Fortsetzung zu SHINING …
Gebunden mit Schutzumschlag: 550 Seiten
Originaltitel: Mr. Mercedes
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
ISBN-13: 978-3453269415
www.randomhouse.de/heyne
Der Autor vergibt: