Terry Carr (Hg.) – Die schönsten Science Fiction Stories des Jahres 2

Schöne Novellen, durchwachsene Erzählungen

In dieser Anthologie sind 17 SF-Erzählungen amerikanischer AutorInnen aus dem Jahr 1981 vereinigt:
– die Novelle „Das Saturnspiel“ von Altmeister Poul Anderson
– Sowie den Kurzroman „Schwärmer – Schneller“ von NEBULA-Preisträger Gregory Benford („Zeitschaft“) und viele weitere edle Fundstücke.

Der Herausgeber

Der US-amerikanische Autor und Anthologist Terry Carr (1937-1987) gab bereits Anfang der 1950er Jahre Fanzines heraus und schrieb Artikel. Unter dem Einfluss der Beatniks versuchte er sich als Autor im Mainstream, allerdings erfolglos. 1961 zog er nach New York City um und ging ins Verlagswesen, wo er Lektor und Literaturagent wurde.

Zusammen mit Donald W. Wollheim, der später den DAW-Verlag gründete, initiierte er 1965 die Reihe „World’s Best SF“ und ab 1971 die Anthologiereihe „Universe“, die nur Erstveröffentlichungen brachte. Nach mehreren Roman-Kooperationen erschien 1978 sein erster SF-Alleingang mit dem Roman „Cirque“, der deutsch bei Heyne erschien. Carr veröffentlichte über 50 Anthologien, wofür er 1987 posthum mit dem HUGO Award als bester Herausgeber geehrt wurde.

Die Erzählungen

1) Poul Anderson: Das Saturnspiel (1981)

Die „Chronos“ ist bereits acht Jahre unterwegs, als sie endlich den Saturn erreicht, der doppelt so weit von der Erde entfernt ist wie der Jupiter. Das besondere Interesse der Forscher gilt dem Saturnmond Japetus, der völlig vergletschert ist. Wenn das Eis aus Wasser besteht, dann könnte es hier auch Leben geben. Die drei Besatzungsmitglieder Scobie, Broberg und Garcilaso ersteigen die steile Kante des Gletschers und bewundern gerade dessen optische Wunder, als die Innenkante unter ihren Füßen zusammenbricht und sie unter Eismassen in einem Krater begraben werden.

Was ist bloß schiefgegangen, fragt sich Expeditionsleiter Mark Danzig, als der Funkkontakt unvermittelt abreißt. Er hat das Trio mehrmals davor gewarnt, sich in den Tagträumereien des Fantasy-Psychodramas, das sie spielten, zu verlieren, aber sie haben ihn einfach ausgeschlossen, indem sie den Funkkontakt abstellten. Das vermaledeite Psychodrama – sie haben es schon seit Jahren gespielt, mit Broberg als schöne Edelfrau, Scobie als Ritter Sir Kendrick und Garcilaso als Elfenzauberer Alvalar. Dass die drei etwas miteinander hatten, war ja wohl sonnenklar, auch wenn sie es immer abstritten.

Und jetzt? Nach etwa einer Stunde erwacht Colin „Sir Kendrick“ Scobie aus seiner Bewusstlosigkeit und stellt gleich fest, dass ihn mehrere gebrochene Rippen schmerzen. Dennoch gelingt es ihm, sich aus dem seltsam griesigen Sandeis, in dem er steckt, freizukämpfen und auch Jean „Lady Ricia“ Broberg aus ihrem eisigen Gefängnis zu befreien. Nachdem sie ihre Akkus ausgetauscht haben, machen sie sich an die schwierige Aufgabe, den Zauberer Alvalar alias Garcilosa zu befreien. Er wird es nicht mehr lange machen, denn er hat eine stark blutende Kopfwunde.

Sobald sie mit Mark Danzig Funkkontakt hergestellt haben, machen sie sich an den Aufstieg aus dem Krater, doch der eisbedeckte Fels ist so steil, dass sie viele Stunden brauchen, um auch nur die Hälfte der Strecke zu schaffen. Zunehmend nähern sich Sir Kendrick und Lady Ricia dem Ende ihrer Kräfte. Da fasst Mark einen verzweifelten Entschluss: Er will mit der Landefähre direkt über den Krater fliegen und sie per Seil rausholen – ein Unterfangen, das sich als Katastrophe erweist…

Mein Eindruck

Stilistisch gesehen vermengt der versierte Autor hier Fantasy und Science-Fiction. Er hat in beiden Genres erfolgreiche Romane veröffentlicht, wobei er die Fantasy auf den Sagen, Legenden und Mythen seiner nordischen Eltern-Heimat Dänemark und Norwegen basierte, etwa „Das zerbrochene Schwert“. Hier experimentiert er damit, wie es wohl möglich wäre, in einer ziemlich prosaischen SF-Umgebung und ernsten Notlage mit Hilfe von Fantasy-Rollenmustern zu überleben.

Lange bangt der Leser in einem anrührend geschilderten Überlebenskampf mit, ob es das Fantasy-Liebespaar Sir Kendrick und Lady Ricia schafft. Doch wider Erwarten sind es diese beiden, die zuerst sterben müssen, bevor ihre Rollenträger zur „Vernunft“ kommen und einen rettenden Einfall haben. Das romantische Drama muss also erst – auf sehr bewegende Weise – enden, bevor die Realität und das Fachwissen der Expeditionsmitglieder die Rettung bringen kann.

2) Mildred Downey Broxon: Geh übers Eis (1981)

Schulabschlussfeier: Die junge Inuit Nakarak erinnert sich, wie der Schulleiter ihr nicht nur eine Belobigung überreicht, sondern auch die alten Notizen ihrer Großmutter Anagan übergeben hat. Anagan war einem Alien begegnet, und als sie in einem Schulaufsatz darüber berichtete, hielt die weiße Lehrerin sie für eine Lügnerin und verpasste ihre eine schlechte Note.

Aber Nakarak weiß, dass Anagan nie log. Ihre Geschichte ist wahr, wenn auch – für Weiße – erschütternd. Es war ein schlimmer Winter und alle bis auf Anagan kamen darin um, auch der Fremde. Anagan setzte es sich zum Ziel, die Raumfahrt zu fördern. Und so kommt es, dass ihre Ururenkelin Nakarak heute von der Erde Abschied nimmt, um als Xenobiologin fremde Welten zu erforschen.

Mein Eindruck

Manchmal kommt der Alien auf leisen Sohlen – und wird als solcher gar nicht erkannt. Der Fremde, der Anagan und ihrer Familie im Eis der Arktis begegnet, hat nur drei Finger, kann keine menschlichen Laute von sich geben und sich nur mit Gesten verständigen. Er ist genauso hilflos wie die Ureinwohner, selbst wenn er ein Feuerzeug hat. Aber ohne Waffen kann auch keine Nahrung beschaffen.

Anagan, unsere Chronistin, muss erleben, wie ihre Familie stirbt, selbst das Neugeborene. Es ist besonders für den amerikanischen Leser, der wieder mal einen Triumph der Technik und des Überlebenswillens erwartet, niederschmetternd, das genaue Gegenteil erzählt zu bekommen. Und doch geht die Geschichte nicht schlimm aus: Denn Nakarak trägt die Fackel der Hoffnung weiter, zu den Sternen. Denn die Aliens könnten vielleicht auch unsere Hilfe brauchen.

3) Ted Reynolds: Muster ohne Wert (1981)

Damit der Austausch von Kultur, Wissen und Technik zwischen den Lebensformen der Galaxis in Schwung kommt, wird jeweils ein Vertreter einer Welt per Auslosung gewählt, ein Erdenjahr auf einer fremden Welt zu verbringen. Im Gegenzug dürfen die Besuchten einen der Ihren zu einer anderen Welt schicken, um so ihrerseits Kultur, Wissen und Technik zu erlangen.

Paul von der Erde hat unter den Scheckliten auf der Welt Scheckley ein hartes Los: Die Fledermausartigen hängen den ganzen Tag und die halbe Nacht kopfüber von einer Stange – und er muss so tun, als wäre das für ihn ganz normal. Nur so können sie ihn als einen der Ihren akzeptieren. Er tröstet sich mit der Hoffnung, nur noch zehn Erdentage durchhalten zu müssen, als nach einem mühsamen Tag das Schicksal zuschlägt: Die Scheckliten haben ihn ob seiner Verdienste ausgewählt, als einer der Ihren zu einer fremden Welt zu reisen – unter Wasser, Chlorgas. Paul stürzt sich in die Schlucht vorm Dorf…

Mein Eindruck

Diese humoristische Story zeigt die Tücken des Erfolgs ebenso auf wie die Quälerei der Anpassung, die von einem Erdenvertreter verlangt wird. Der Mittelteil ist besonders ironisch: Sogenannte Kümmerlings-Echsen sind irgendwie psychotherapeutisch drauf und fragen ihn ständig nach seinen Problemen. In dieser kafkaesken Situation wäre es jedoch das Verkehrteste, seine Probleme zu verraten. Denn dann würden die Scheckliten ja erfahren, dass er keiner von ihnen ist…

4) John Varley: Der Pusher (1981, HUGO Award 1982)

Ian Haise ist ein Raumfahrer, der auf dem Sternenschiff überlichtschnell zu anderen Welten Fracht fliegt. Eine Hin- und Rückfahrt mag sechs Monate dauern. Sein Problem entsteht durch die Zeitdehnung, die Dilatation, die schon Einstein fand – vergehen für ihn sechs Monate, so verstreichen auf der Erde, seiner Heimat, 30 Jahre. Wie soll man dann noch einen Freund finden, geschweige denn wiedersehen?

Deshalb ist er zu einem Pusher geworden. Er mag sich auf den sich laufend verändernden Spielplätzen seiner Heimat an junge Mädchen heran, die noch naiv genug, aber schon abenteuerlustig genug sind, um sich seine abgefahrenen Märchen von fremden Galaxien und Wundern der Sterne anzuhören. So eine ist die elfjährige Radiant. Zum Abschied schenkt er ihr einen Stein, von dem er behauptet, es handle sich um die eingefangene Lebensessenz einer Prinzessin, die schon lange tot ist, doch ihr Prinz suche immer noch nach ihr. (Romantisch, nicht?) Radiant verspricht beim Abschied, immer auf den strahlend roten Stein aufzupassen und auf den suchenden Prinzen zu warten.

30 Jahre später – nach IHRER Zeitrechnung – kehrt Ian Haise zurück. Er weiß nicht, ob sie noch an denkt, den Pusher. Deshalb freut er sich, als sie ihn sofort mit DU anspricht…

Mein Eindruck

Diese wunderschön romantische Erzählung stammt aus jener elegisch und träumerisch gestimmten Ära Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, in der einige der schönsten Novellen der Phantastik entstanden, so etwa auch von George R.R. Martin. Auch diese Story ist romantisch, elegisch, gleichzeitig versteckt sich in ihr auch eine bittere Wahrheit. Die Zeitdilatation ist gnadenlos in ihrer Gesetzmäßigkeit. Sie ist der Preis, den die Sternenschiffe für ihre Geschwindigkeit jenseits des Lichts zahlen müssen: die Abkoppelung von der irdischen Zeitrechnung. Schon Stanislaw Lem schrieb mit „Die Astronauten“ 1960 einen guten Roman darüber.

Aber es gibt auch Hoffnung für Sternfahrer wie Ian Haise: Geschichte und Erinnerungen. Sie bilden ein Band von Emotionen, hauchzart und doch das Festeste, an das sich ein Sternfahrer klammern kann. Erstaunlich.


5) Kim Stanley Robinson: Venedig unter Wasser (1981)

Nach den großen Orkanen des Jahres 2040 versanken Küstenstädte wie Venedig vollständig unter den anstürmenden Wogen. Die überlebenden Menschen mussten sich wie Carlo und seine Familie auf die Dächer zurückziehen und dort Bruchbuden bauen. Doch Carlo hat wenigstens einen Job: Er führt Ausländer zu Tauchausflügen in die versunkenen Ruinen. Diese Ausländer bergen viele Kunstschätze etc. und bauen sie in ihren Heimat wieder auf.

Heute hat er drei Japaner als zahlende Gäste an Bord seines Segelbootes. Sie wollen nach Torcello, und zwar in die schöne byzantinische Kirche dort. Ein Sturm zieht, und Carlo beeilt sich auf den Meilen bis Torcello. Die Japaner, so stellt sich heraus, haben es auf das wunderschöne Bodenmosaik der Santa-Maria-Kirche abgesehen. Doch beim Anblick der wissenden Augen der Madonna packt eine unbekannte Verzweiflung den Seemann, und er weigert sich, ihnen den Wunsch zu erfüllen, ganz gleich, ob die „Regierung von Italien“ das genehmigt hat. Hier ist die Republik Venedig.

Er legt ab und gerät in den übelsten Sturm, an den er sich erinnern kann. Mit knapper Not gelingt ihm das Anlegen an einem der Glockentürme, die den Kanal zum Lido markieren. Dort begegnet er einen alten, halbblinden Frau, die häkelt oder strickt. Sie hält ihn für den Tod, der endlich gekommen ist, sie, die einst von ihrem Liebsten im Stich gelassen wurde, zu holen, und seinen Bootshaken für die Sense des Schnitters. Oder ist er gar der ZWEITE ENGEL aus der Apokalypse des Johannes, der gekommen ist, die Welt zu ertränken?

Mein Eindruck

Die Folgen der Klimakatastrophe war schon von jeher das Thema des Autors, und er beschrieb immer wieder die sich daraus ergebenden Szenarien und Konsequenzen. „Venedig unter Wasser“ ist eine seiner frühesten Erzählungen. Hier bringt er die Themen Klimawandel, Überflutung und Religion zusammen.

Die Aspekte der Religion fallen ja bei einem Italiener wie Carlo auf fruchtbaren Boden: der Anblick der hellsichtigen Madonna, die verrückte Alte, die an eine der drei Parzen erinnert, seine eigene Frau Luisa mit dem neugeborenen Baby. Die Bedrohung des neuen Lebens, das Wissen um die Zukunft und die Prophezeiung aus der Offenbarung (= Apokalypse) des Johannes werden unterstrichen von den packenden Actionszenen, die gekonnt schildern, wie Carlo den verheerenden Sturm erlebt, der das Weltenende zu bringen scheint.

Alle Stärken Robinsons sind bereits in dieser kleinen Story vereint: korrektes Detailwissen, dessen humanistische Einbindung, Umweltkatastrophe und ein ideeller Überbau, der aus Religion, Philosophie, Wissenschaft gezimmert sein kann. Kombiniert mit seinen bergsteigerischen und seemännischen Erfahrungen – siehe seine Himalaya-Stories – wird daraus eine wirkungsvolle Geschichte.

6) Michael Swanwick: Walden Drei (1981)

Die Videoreporterin Maude Bataleur kommt von der Erde zu den zwei L5-Kolonien Walden und O’Neil. Bei der Führung wundert sie sich, warum Walden so idyllisch ist und die Bürger friedfertig und heiter wirken. Dagegen wirkt O’Neil wie verwüstetes Land: Hier fand einmal eine Atomexplosion statt. Die übervölkerte Erde plant, diese Kolonie zu restaurieren und neu zu besiedeln. Maude erforscht, ob dies nach dem Vorbild von Walden geschehen soll.

Walden ist eine Utopie im Sinne des Verhaltensforschers und Sozialreformers B. F. Skinner, der es seinem Vorbild Henry David Thoreau, der den biografischen Roman „Walden“ schrieb, nachmachen und eine ideale Gesellschaft gründen will. Diese ist nach dem Prinzip der positiven Verstärkung aufgebaut: „Glück ist ansteckend“. Maude fragt sich, ob das funktionieren kann. Sie ist auf der Erde eine berühmte Revolutionärin und lässt sich auf Walden nichts vormachen.

Deshalb fällt ihr der Clown Coco, gespielt von Dylan Corcoran, umso mehr auf. Die Zuschauer lachen in regelmäßigen Abständen von 20 Sekunden und immer auf sein Stichwort, auch an Stellen, die gar nicht lustig sind. Ein Hologramm, das an eine Luftnymphe namens Sylphe erinnert, erfüllt ihr ihren Wunsch und führt sie zu Dylan. Er wohnt in einer düsteren, einsamen Hütte im wüsten Land auf O’Neil. Von ihm erfährt sie die schreckliche Wahrheit über die dunkle Seite des Utopia Walden…

Mein Eindruck

Maude kommt zum Schluss, dass eine ideale Gesellschaft, die auf Konditionierung und Manipulation beruht statt auf dem freien Willen, nichts wert ist. Ihre Live-Übertragung dieses grotesken Schauspiels bei einem weiteren Clowns-Auftritt Dylans ruft auf der Erde Empörung und Bestürzung hervor. Als sich Dylan auch noch opfert, ist es vollends aus mit dem Plan, aus der verwüsteten Kolonie ein drittes oder viertes Walden zu machen. Sie wird in „Dickens“ umbenannt, selbst wenn das bedeutet, dass sich das reformierte Walden und Dickens nicht freundschaftlich gegenüberstehen.

Selten hat man ein gescheitertes Sozialexperiment so erschütternd und anschaulich in einer SF-Geschichte scheitern gesehen. Das verrät die große Klasse des Autors Michael Swanwick, dessen viele Geschichten und wenigen Romane in den achtziger Jahren beim Heyne-Verlag veröffentlicht wurden.

7) Pat Cadigan: Einmal zurück – gar nicht so teuer (1981)

Humphrey hasst Beerdigungen. Alle schluchzen erst, geraten dann in einen Verkehrsstau und man muss der Verwandtschaft und völlig Unbekannten ins gesicht sehen. Seine Frau Rita erleidet erst einen hysterischen Anfall, dann einen chemisch induzierten Todesschlaf, bei der Kapelle endlich kriegen sie sie wieder wach, er und Ritas Bruder Daniel Greyson und dessen Frau Aleene.

Rita weint, weil ihr Vater gestorben ist. Heute kommt er zurück, quicklebendig, eine prima Nachbildung. Er schwingt das Tanzbein, als wenn nichts gewesen wäre. Nur Veronica, Ritas Schwester, ist ganz in Schwarz, eine Rebellin. Der Abend ist schon fortgeschritten, als er seltsame Sätze hört: „Daniel sieht gut aus, seitdem sie ihn wieder hergerichtet haben“. Daniel ein Wiederauferstandener? Doch als er mit Veronica gesprochen hat, muss er erfahren, dass auch sie nur ein „Ding“ ist – wie so viele andere auf dieser Veranstaltung. Humphrey hasst Beerdigungen…

Mein Eindruck

Der O-Titel dieser satirischen Erzählung lautet „Second Comings – Reasonable Rates“. „Second Comings“, das weiß jeder amerikanische Fundamentalist, bezeichnet jedoch u.a. die verheißene Wiederkehr Christi. In dieser Geschichte geht es also um weit mehr als das Ersetzen von Toten durch Replikanten à la „Blade Runner“. Es geht um die Natur des Todes unter einem religiös-spirituellen Aspekt. Und das kann einen schon nachdenklich machen – und einen veranlassen, seinem Mitmenschen genau in die Augen zu schauen…

8) Damon Knight: Auf immer und ewig (1981)

Im Jahre 1887 erfindet ein Professor Essenwein in Wiesbaden das Elixier des ewigen Lebens. Als er es an seinem zwölfjährigen Sohn Gerd testet, hört dieser auf zu altern. Leider wird er aber auch nie erwachsen und somit zeugungsfähig. Das gibt dem Professor zu denken, und so spricht er entsprechende Warnungen für das Alter der Einnahme seines Wundermittels aus.

Acht Jahre später findet Louis Pasteur den Universal-Bakteriophagen, der jede Infektion beseitigt, heilt und verhindert. Nun können die Menschen beliebig alt werden. Schon nach wenigen hundert Jahren zeigen sich die fatalen Folgen dieser beiden Erfindungen, und nach sechshundert Jahren sind nur noch zwei Menschen übrig, eine 15-jährige junge Dame in Japan – und Gerd in Wiesbaden, der mittlerweile ein Meister auf der Piccoloflöte ist. Der einzige Meister. Werden die beiden letzten Menschen auf der Welt zusammenkommen?

Mein Eindruck

Solche Geschichten mit dem Thema „Der letzte Mensch auf Erden“ gibt es schon seit den Zeiten von Mary Shelley, der Autorin von „Frankenstein oder Der neue Prometheus“ (1818). Der berühmte Herausgeber und Autor Damon Knight strickt aus diesem Thema und dem Mythos des ewigen Lebens (siehe „Heiliger Gral“ usw.) eine Art Moritat, die sich dennoch recht flott, interessant und humorvoll liest. Am Schluss landen die Aliens. Und wen treffen sie an?

9) David R. Palmer: Ende und Anfang (Emergence) (1981)

Candida Foster ist ein Wunderkind, ein junges Genie, doch sie verlor ihre Eltern, als sie erst zehn Monate alt war. Als Pflegekind eines Pathologen und seiner Frau muss sie ihren Wissensdurst zurückschrauben, denn ihr Dad will, dass sie „normal“ aufwächst – was auch immer das heißen mag. Deshalb sucht Candy bei einem alten chinesischen Einwanderer Wissen, doch was sie bekommt, ist nicht Wissen, sondern die Fähigkeit, mehr zu lernen – Meister Soo Kim McDivott stellt immer bloß Gegenfragen. Und er bringt ihr Karate bei, bis sie den fünften Grad erreicht. Sie kann Ziegelsteine zertrümmern.

Eine Krise bahnt sich an, und ihr Dad muss in die Hauptstadt fliegen, um die Regierung zu beraten. Zuvor hat er ihr seinen Bunker gezeigt, der 70 Meter unter der Erdoberfläche ein eigenes unterirdisches Gebäude bildet. Als Candy wieder einmal den Bunker erkunden will, um Wissen zu suchen, nimmt sie Terry mit, den großen Hyazinth-Ara, der wie ihr Zwillingsbruder ist. Als sie die den großen Mikrofilm-Katalog entdeckt, der ihr die riesige Bibliothek erschließt, ertönt ein Alarmsignal. Dads Stimme kündigt die Schließung des Bunkerdeckels an. Candy verfolgt gebannt, wie der Bunker hermetisch gegen Radioaktivität abgeschottet wird. Der Krieg scheint begonnen zu haben.

Für die Nachwelt beginnt sie ein Tagebuch in Stenogrammschrift zu führen. Als sie nach drei Monaten zusammen mit ihrem Papageien wieder an die Außenwelt steigt, entdeckt sie zu ihrer Bestürzung keinen lebenden Menschen – nur abgenagte, stinkende Skelette. Eine zweistufig verbreitete Bio-Waffe hat die Menschen dahingerafft. Mit den hungrigen Hunden wird sie dank ihrer Karatekunst schnell fertig, dann sucht sie ein Heim in der Außenwelt. Eine neun Meilen entfernte Farm erweist sich als ideal und sie schafft alles zum Überleben notwendige Material dorthin.

Bevor sie endgültig auszieht, geht sie bei ihrem Lehrer Soo Kim vorbei. Das hätte sie schon längst tun sollen. Sie findet einen Brief, mit dem er sich von ihr verabschiedet – und ein paar erstaunliche Informationen preisgibt. Candy gehört demnach derjenigen menschlichen Spezies an, die auf den homo sapiens folgt: intelligenter, krankheitsresistent, kräftiger. Nur 150.000 weitere Exemplare dieser neuen Rasse gibt es noch weltweit, schreibt Soo Kim. Und einer davon, Peter, warte auf sie. Doch als sie bei Peter anruft, läuft bei ihm nur das Band des AB…

Mein Eindruck

Die ungewöhnlich formulierte Erzählung berichtet vom Ende der Welt, wie es der SF-Fan schon Dutzende Male gelesen hat. Doch halt: Die „letzte Frau auf Erden“ ist zugleich auch der Übermensch, der die letzte Rasse (genannt „homosapiens“, der kluge Mensch) ablöst. Die Umsetzung dieser Idee habe ich ebenfalls schon etliche Male gelesen, so etwa in „Die letzte Generation“ (deutsch 1988 bei Heyne) – nicht zu verwechseln mit Arthur C. Clarkes Roman „Childhood’s End“.

Alles in allem bringt die Novelle keine neue Ideen, aber diese in so umwerfend komischer und durch Stenoschrift lückenhafter Form, dass sich der Leser selbst einbringen muss – und so fühlt er die Verluste mit, die Candy erlebt und erleidet.

10) R. A. Lafferty: Es gibt kein Zurück (1981)

Die meisten Menschen denken, die Erde habe nur einen Mond. Sie könnten sich nicht mehr irren. Denn in Arkansas, im Osage County, schwebt über dem Lost Moon Canyon ein Fels, den die Eingeborenen, meist Osage, den Whote Cow Rock nennen. Die meisten Weißen meinen, es handle sich nicht um einen Mond, sondern um einen Felsen. Um diese Frage zu entscheiden, begeben sich eine Handvoll Neunjährige zur Erkundung des Felsens.

Ein Schacht führt durch eine Höhle auf die andere Seite des Mondes, von wo man eine prächtige Aussicht auf Osage County hat. Helen Palmer spielt mit ihrer magischen Mondbeinflöte eine Melodie, und der Mond beginnt wie ein Ballon aufzusteigen – er misst nur hundert Meter im Durchmesser, was den Bewohnern nicht besonders viel Platz lässt.

Über 30 Jahre später fragen sich die damals Neunjährigen, ob sie sich das alles eingebildet haben oder ob es den Mond wirklich gab. Mittlerweile hat Helen eine aufgeweckte 17-jährige Tochter namens Catherine, die sich nichts vormachen lässt. Sie kommt anstellen von Helen mit und fliegt im Helikopter zum White Cow Rock. Im Inneren des Felsigen Mondes macht sie eine nicht gerade umwerfende Entdeckung: eine Familie stinkender Yetis…

Mein Eindruck

„Man kann nicht zurück“ ist das Motto dieser Schnurrpfeiferei, die typisch für ihren Autor ist. Man weiß nicht, ob man ihm glauben soll, aber es wäre ein Fehler, ihn wörtlich zu nehmen. Entscheidend für die Aussage ist jedoch die Kluft, die zwischen der kindlichen Wahrnehmung der Welt und der eines Erwachsenen liegt. Für Kinder wie Helen ist die Welt magisch, und ihre Mondbeinpfeife kann Zauber bewirken. Die nächste Generation, vertreten durch Catherine, zweifelt schon an allem, selbst wenn die Yetis direkt vor ihrer Nase auftauchen.

Bemerkenswert ist das schöne Wortspiel mit dem Mondschein. „Moonshine“ bezeichnet im US-Englischen immer schwarz „bei Mondschein“ gebrannten Schnaps. Leider ist das schöne Wortspiel, das der Autor daraus entspinnt, nur schwer im Deutschen wiederzugeben. Der Übersetzer verweist noch nicht einmal darauf, dass es sich um dieses Wortspiel handelt.

11) Roger Zelazny: Walpurgisnacht (1981)

Raymond geht in der Walpurgisnacht ans Grab seines Onkels Arthur. Die Gräber sind heutzutage auch nicht mehr, was sie mal waren. Er drückt auf einen Knopf, und das 3D-Hologramm von Onkel Arthur erscheint. Es sieht verblüffend lebensecht auf. Raymond kann ihm sogar seinen Rosenstrauß übergeben, der nicht sofort verschwindet. Onkel Arthur will eine Party schmeißen, und die weibliche Begleitung erscheint neben ihm: „Melissa De Weese wurde von ihrem Ehemann vergiftet – eine Schande.“

Raymond bringt seinen Wunsch vor: Er braucht als Erbe einen Finanztipp, und in Finanzdingen war Onkel Arthur immer unschlagbar. Den Tipp kriegt er auch, allerdings nur gegen eine Bitte: Er solle alle Knöpfe auf dem Friedhof drücken…

Mein Eindruck

Dieser Text ist eine absolute Rarität, denn er erschien zuvor nur in einer obskuren Unterhaltungsserie und in der Anthologie „Rhapsody in Amber“. Wie so häufig legt der Autor auch hier seinen sardonischen Humor an den Tag, und wer etwas dafür übrighat, wird bestens amüsiert. Ansonsten erinnert das Thema an Pat Cadigans Story (s.o.): Die Toten sind gar nicht so tot, ganz im Gegenteil: So mancher Tote ist lebendiger als so mancher Erdenbewohner.

12) Gene Wolfe: Die Frau, die das Einhorn liebte (The Woman the Unicorn Loved) (1981)

Dr. Anderson traut seinen Augen kaum und holt sofort seine Fotokamera. Ein strahlend weißes Einhorn tänzelt über den Campus vor seinem Institut und wird sofort von bewundernden Studenten umringt. Sein Kollege Dumont holt ihn nach unten, hat aber wieder mal sein Betäubungsgewehr vergessen. Nur eine junge Dame scheint in der Lage zu sein, das Fabelwesen zu beruhigen. Als ein Helikopter der Polizei auftaucht und Tränengas versprüht, löst sich die Versammlung auf. Das Einhorn entkommt den Kugeln der Cops.

Wenig später entdeckt Anderson die junge Dame in seinem Büro. Sie nennt sich Julie. Nach einer Weile merkt, was mit ihr los ist: Sie hat das Einhorn, ein genetisches erschaffenes Wesen, versteckt. Sie will es in Sicherheit bringen. Aber wo ist es? Na, in der Bibliothek, wo es immer dunkel ist und wo Julie den Wächter als Freund hat. In der Bücherei finden sie nur noch die Leiche des Wächters vor, durchbohrt von einem Horn.

Als Julie Dr. Anderson küsst, brauchen sie nicht zu warten, bis das Fabelwesen eifersüchtig aus seinem Versteck stürmt und Dr. Anderson mit seinem tödlichen Horn angreift…

Mein Eindruck

Soweit die oberflächliche Erzählung, doch wie so häufig bei Wolfe gibt es eine Tiefenstruktur, die in vielen Bemerkungen und Gedichten angedeutet wird. Dr. Anderson rezitiert klassische Gedichte über Einhörner – oder was man in vergangenen Epochen dafür hielt. Und er weist darauf hin, dass das schottische Wappentier das Einhorn sei, das englische aber der Löwe. Die Geschichte spielt aber in der Gegend von Chicago.

Wie auch immer: Julie scheint viel älter zu sein als ihre geschätzten 20 Jahre – sie ist Dozentin für Biologie und somit auch qualifiziert für genetische Experimente. Sie könnte eine Göttin der Liebe sein. Und Andersons Helfer Ed könnte ebenfalls viel älter sein als seine 18 Jahre, vielleicht eine Verkörperung des Merkur. Die antike, mythische Vergangenheit ragt in die Vergangenheit hinein, symbolisiert durch das Fabelwesen, das aus der Retorte kommt.

13) Spider Robinson: Schlangenzähne (1981)

Freddy und seine Frau Teddy betreten die Schnupper-Bar, in der man potentielle Eltern begutachten kann. Sie suchen einen Vater für ihren Sohn Eddy. Ihr Blick fällt auf einen Adonis, der sich allerdings als bösartig erweist. Er verspottet sie und ihr ganzes provinzielles Anliegen. Teddy, die brave Polizeibeamtin, hat einen schweren Stand gegen seine finsteren Unterstellungen und unverschämten Beleidigungen, bis auf einmal Freddy sich ermannt und dem Möchtegern-Adonis klipp und klar sagt, er solle sich zum Teufel scheren. Der Mann gibt klein bei und verzieht sich, ganz verblüfft von so viel Härte. Beim Barkeeper, der hier das Gesetz darstellt, bekommt Freddy einen viel besseren Tipp.

Mein Eindruck

Die kurze, aber sehr anschauliche und unterhaltsame Geschichte verrät die libertäre Geisteshaltung, die typisch für die vielen SF-Jünger von Robert A. Heinlein ist: Alles wird untereinander ohne Einmischung der Behörden geregelt, und wem das nicht passt, na, der soll sich zum Teufel scheren. Deshalb wird in dieser Schnupper-Bar auch gleich Tacheles geredet und kein Blatt vor den Mund genommen. Teddy und Freddy müssen sich einiges gefallen lassen. Aber Freddy kann auch Paroli bieten.

Interessant ist die Vorstellung, dass Eltern und Kinder keine Schicksalsgemeinschaft bilden und dass Eltern keinen Besitzanspruch auf Kinder und deren Entwicklung haben. Vielmehr, so der Adonis, sollten sich Kinder frei entfalten können, selbst wenn das den Eltern die Tränen in die Augen treibt. Freddy und Teddy betrachten sich in diesem Sinne als gescheiterte Eltern und suchen einen Ersatzvater für ihren missratenen Sohn Eddy. Das ist schon recht ironisch. Mit den titelgebenden „Schlangenzähnen“ sind die Kinder gemeint…

14) Edward Bryant: Himmelskämpfer (1981)

Mairin und Lark sind schon seit ihrer Kindheit Rivalen in den Luftkämpfen, die sie mit Flugdrachen ausführen. Seitdem man das Zugseil mit gemahlenem Glas versehen dar, können die Kontrahenten einander die Zugleinen durchschneiden. Bislang ist Mairin immer die Siegerin in den Duellen geblieben, doch das kann sich nun ändern.

Sie ist erschüttert und aus dem Gleichgewicht gebracht, seit sie mit ansehen musste, wie eine junge Kämpferin zusammen mit ihrem großen Flugdrachen aus 600 Metern Höhe abgestürzt ist. Direkt vor Mairins Augen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Lark inzwischen mit Haley zusammen ist, die Mairins Geliebte war. Dadurch entsteht ein verhängnisvolles Dreieck aus Eifersucht, Rivalität und Aggression.

Am Tag der Meisterschaft über den Bergen von Colorado kommt es zu einem packenden Luftkampf zwischen Mairin und Lark, der indes in einer Tragödie endet…

Mein Eindruck

Ich erinnere mich, diese wunderbare Erzählung vor rund 35 Jahren in einer deutschen Ausgabe von „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ gelesen zu haben. Schon damals beeindruckte sie mich durch Szenen, die im Gedächtnis bleiben, aber auch durch die Emotionalität der Figuren und das Einfühlungsvermögen des Autors. Obendrein geht es um eine lesbische Beziehung zwischen Mairin und Haley.

Pedanten könnten meinen, hier würden bloß Luftkämpfe aus dem Ersten Weltkriegs wiederbelebt, aber das stimmt nicht: Die Kämpfer sitzen direkt in ihren Großdrachen und sind nur auf die Thermik als Auftrieb angewiesen. Ihr kleinerer Kampfdrachen fliegt unter ihnen und führt die Schneideleine ins Ziel. Das Kampfgeschehen wird also hautnah erlebt, und das verleiht dem erzählten Geschehen einen besonderen Nervenkitzel.

15) Jack Dann: Untergang (Going Under, 1981)

Stephen hat eine Fahrt auf der nagelneuen „Titanic“ gebucht und freut sich schon auf das Abenteuer ihres Untergangs. An Bord lernt er die junge Esmé kennen, die einfallsreich, burschikos und drogensüchtig ist. Nach und nach verliebt er sich in sich. Allerdings hat sie auch ein kleines geheimnisvolles Kästchen bei sich, aus dem sie einen Kopf hervorzuholen und auf den Tisch zu stellen pflegt. Sie nennt den Kopf „Paps“, was Stephen nicht sonderlich beruhigend findet. Der Kopf spricht mit seiner „Tochter“, so als verfüge er über alle Erinnerungen ihres echten Vaters.

Der Tag des Untergangs ist gekommen – einen Tag früher als gebucht. Ein riesiger Eisberg rauscht, das Schiff aufreißend, an der Reling vorbei, an der Stephen mit Esmé steht. Er zerrt sie ins Innere; sie behauptet, das Kästchen verloren zu haben. Passagiere, die vorgehabt hatten, beim Untergang zu sterben, schlucken Giftpillen. Aber merkwürdig: Obwohl Esmé ebenfalls gesagt hatte, sie wolle beim Untergang sterben, geht sie noch ins Türkische Bad, als sei nichts gewesen. Hat sie es sich anders überlegt?

Nach dem Untergang und seinen Schrecken erwacht Stephen an Bord des riesigen Luftschiffes „California“ und kann sich die Videos vom Versinken des Riesendampfers anschauen. Er hat es unwillentlich zu einem gewissen Heldenstatus gebracht. Ach, und das sind auch Esmé und – leider, leider – auch ihr „Paps“…

Mein Eindruck

Der berühmteste Schiffsuntergang wird zur ultimativen Belustigung der Passagiere neu inszeniert – immer wieder. Dies war definitiv nicht Esmés erster Untergang, lernt Stephen. Es gibt jede Menge leise Ironie dieser Art in dieser lebhaft und anschaulich erzählten Geschichte, die sicherlich zu den besten ihres Autors gehört. Jack Dann hat auch den anrührenden Roman „Der schmelzende Mensch“ geschrieben. Wem dieses Thema gefällt, sollte unbedingt auch Jack Finneys Version lesen.

16) George Florance-Guthridge: Die Ruhe (1981)

Zwischen Südafrika und dem kommunistischen Angola ist der Krieg ausgebrochen. Doch bevor die Kampfhandlungen auch die Buschmänner der Kalahari erreichten, hat die Anthropologin Dr. Morse das kleine Volk der Gwi in Sicherheit gebracht – auf den Mond. Hier erwacht die junge Mutter U aus ihrem Kälteschlaf und wird von der Ärztin Dr. Stefanenko behutsam mit ihrer Umgebung vertraut gemacht. U will nur eines: ihren Sohn Kuara wiedersehen. Es beruhigt sie, dass Kuara noch immer im Kälteschlaf liegt, sich aber bald zu ihr gesellen wird.

Dr. Stefanenko hat keine Ahnung von U’s Fähigkeit, ihren Geist auf die Reise zu den Toten zu schicken. Der Mond, auf dem sie sich befindet, ist jedem Gwi als Heim der Toten bekannt. Als Kuara zu ihr zurückgekehrt ist und U in einer künstlichen Kalahari jagt, entdeckt sie, dass es unsichtbare Beobachter gibt, denen Dr. Stefanenko Vorträge über die Gwi hält, so etwa über den ausgeprägten Steiß, der den Frauen als Fettpolster dient. Doch wehe, wenn U auf die Jagd geht, beute erlegt und anschließend Feuer macht! Das seien alles Tätigkeiten für Männer, tadelt sie U. Ja, aber wo sind die Männer, fragt, U, Männer wie ihr Gatte Tuka und Gai und all die anderen?

In der nächsten Nacht verabschieden sich die Geister von U und ihrem Sohn, um zu den geistern der Toten zu gehen, wo Tuka und Gai sie bereits freudig erwarten…

Mein Eindruck

Man die letzten Eingeborenen aus der Kalahari nehmen, aber man kann die Kalahari nicht aus ihnen entfernen. U und ihr Sohn leben weiterhin nach den Gesetzen der Wüste, selbst wenn dies nur künstlich ist (eine Idee, die bereits Heinlein und seine Jünger ausformulierten). Aber die Anthropologen wie Dr. Morse oder Dr. Stefanenko haben keine Ahnung, dass die Kalahari in den Eingeborenen mit den trügerisch flachen Schädeln eine einzigartige, psychische Fähigkeit hervorgebracht hat. Eine sehr schöne Parabel über die Kluft zwischen West und Süd, über Wissenschaft und Realität, über Plan und Notwendigkeit.

17) Gregory Benford: Schwärmer – Schneller (Swarmer, Skimmer) (1981)

Die Erde sieht sich einer außerirdischen Invasion der besonderen Art ausgesetzt. Die Aliens kommen nicht aufs Land, sondern breiten sich in den Ozeanen aus. Dort greifen sie zunächst nur Fischkutter an, deren Verschwinden niemanden aufregt. Doch als die ersten Handelsschiffe erst SOS senden und dann von den Radarschirmen verschwinden, breitet sich Sorge aus. Man beginnt, die Wesen „Schwärmer“ zu nennen, weil sie nur noch in Schwärmen auftreten, wenn sie ein Schiff überfallen, mit quallenartigen Nesselsträngen umschlingen und sich durch die Stahlhülle nagen. Während das Schiff untergeht, springen die Menschen über Bord, wo sie schnell willkommene Beute der Schwärmer werden. Als selbst Riesentanker Beute der Aliens werden, kommt alle Schifffahrt zum Erliegen, was eine schwere Wirtschaftskrise auslöst.

Kaum noch traut sich aufs Meer hinaus, doch Warren ist Maschinist und wagt sich an Bord der „Manamix“, deren Stahlplatten extra verstärkt worden sind. Von Japan aus geht die Fahrt in den Pazifik Richtung Hawaii. Der Überfall der Schwärmer folgt schnell und effektiv: Nach einer halben Stunde sinkt das Schiff. Warren stellt sich im Wasser, was ihn rettet, bis er ein Rettungsboot erreicht. Es erweist sich als leckgeschlagen. Er nimmt eine der Journalistinnen auf, und Rosa erweist sich als nützlich beim Bau eines Floßes, mit denen sie sich davonmachen können.

Schon nach wenigen Tagen ist der aus dem Rettungsboot geborgene Wasservorrat verbraucht, was Rosa zur Verzweiflung treibt und Warren umso mehr zwingt, seinen trägen Grips anzustrengen. Mit Verdunstung gelingt es ihm, pro Tag einen Schluck Süßwasser zu erzeugen. Rosa lästert, was für ein lausiger Seemann er doch sei. Aber die Schwärmer haben ihn nicht vergessen. Warren erkennt seine Chance: Während Rosa sein Hemd wie eine Muleta als Köder schwenkt, feuert er auf den emportauchenden Schwärmer einen Pfeil ab, dessen Spitze aus einem Nagel besteht. Das Tier an Bord zu hieven und mit dem Messer abzustechen, ist eins. Sofort fängt er die gelbe Flüssigkeit, die hervorquillt, in einer Dose auf – die ihm Rosa prompt aus der Hand schlägt. Sie hält so etwas für eklig. Warren schlägt sie nieder und trinkt weiter. Schließlich schließt sie sich seinem Beispiel an.

Viele Tage unter sengender Sonne später taucht eine andere Art von Aliens auf, die Warren schon mal beobachtet hat: Schneller (im Original: Skimmer = Scherenschnabel). Sie springen aus der Wasseroberfläche, segeln mit ausgebreiteten Vorder- und Hinterflossen übers Meer und tauchen wieder ein. Womit Warren nicht gerechnet: Sie überbringen ihm Botschaften. Das Material ist unzerstörbar und der Text schwer zu entziffern, als wäre es ein Geheimcode. Doch Warren kann deutsche, englische und japanische Wörter erkennen. Immer wieder wird er nach WSW (West-Süd-West) gewiesen, ein Kreis aus Steinen wird erwähnt und eine Warnung ausgesprochen.

Eine Insel taucht auf, an deren weißen Stränden sich seltsame Wesen wälzen. Rosa schlägt seine Warnung in den Wind, schnappt sich ein Brett und surft über das Riff, das die Lagune schützt. Während er weitersegelt, hört er sie aufschreien. Mehr Botschaften von den Schnellern, dann endlich wieder eine Insel: Hier lebt der ebenfalls schiffbrüchige Chinese Gijan. Gijan ist ein gewöhnungsbedürftiger Zeitgenosse: Er versteht kein Englisch, betäubt Fische mit Pistolenschüssen, verzehrt seine Beute aber roh, weil er offenbar nicht versteht, Feuer zu machen. Warren schafft es, sowohl Feuer zu machen, als auch eine Wasserdestille in Gang zu bringen. Einzige Sorge: Die Kokosnüsse werden höchstens einen Monat reichen.

Die Schneller kennen die Insel und haben Warren schnell gefunden. Sie beginnen, mit ihm Botschaften auszutauschen. Nach ein paar Wochen ist er in der Lage, ihre komplette „Genesis“ niederzuschreiben, wonach die Schwärmer die entartete jüngere Generation der Schneller darstellt. An diesem Punkt zeigt Gijan endlich sein wahres Gesicht. Als Warren erneut zum Fischen hinausfahren will, hebt er die Pistole und sagt in deutlichem Englisch: „Das wird nicht nötig sein.“

Über seinem Kopf hört Warren, wie sich das unheilvolle Dröhnen von Flugzeugmotoren seiner Insel nähert…

Mein Eindruck

Wie schon in „Timescape“ (1980, dt. „Zeitschaft“) geht es dem Autor auch in diesem Kurzroman um Kommunikation. Waren es dort noch Tachyonen, die als Medium dienten, sind es hier kleine Schnipsel von Schreibmaterial, die, entziffert und zusammengefasst, eine komplette Vorgeschichte ergeben: Die Alien kommen mit Hilfe eines großen „Tieres“ (= Raumschiffes) auf unsere Welt und beginnen schon bald, sich in zwei Arten zu spalten. Die Schneller sind die ältere Erscheinungsform, die Schwärmer die jüngere. Doch die Schwärmer werden von Wahnsinn befallen, weil ihnen ein wichtiges Glied in ihrer Entwicklungskette (Metamorphose) fehlt, ein Tier, das in den heimischen Ozeanen lebte. Nun halten sie Schiffe und dergleichen für dieses Tier und greifen sie an. Der Schrecken, den sie verbreiten, hat als eine tragische Ursache.

Das muss Warren dem chinesischen Major Wong Tseng erklären, welcher der Vorgesetzte von Gijan zu sein scheint. Gijan war Mitglied der letzten Forschungsexpedition der Chinesen und sollte mit den Aliens Kontakt aufnehmen. Da ihm dies aber gründlich misslungen ist, wird er von Tseng geschasst. Doch wie kann Warren dem Major helfen? Soll er ihm die Aliens preisgeben, damit man sie erledigen kann, oder ist eine Koexistenz möglich?

Die Antwort erhält Warren wenige Tage später: Die Schwärmerinvasion ist in vollem Gange. Unter Kanonendonner und Gewehrfeuer windet sich Warren durch den Fluchttunnel, den er in weiser Voraussicht gegraben und macht sich den Weg zu seinem Floß. Der Weg erweist sich als extrem gefährlich. Als er die Insel doch noch verlassen kann, wird Warren einer weiteren Landung von Aliens: Jene grauen Schiffe, die in der Schneller-Genesis erwähnt werden – Raumschiffe von Maschinenwesen. Bringen sie den Weltuntergang?

(An dieser Stelle macht der Autor einen Ausflug in seinen CONTACT-Zyklus, der 1972-77 mit „Im Meer der Nacht“ begann. Daher ist es kein Wunder, dass die Novelle in leicht erweiterter Form Teil des CONTACT-Romans „Durchs Meer der Sonnen“ ist. Will man diesen Lesen, spart man sich durch Kenntnis dieser Novelle eine Menge Aufwand.)

Die Übersetzungen

Dies sind die schewersten Fehler, auf die ich stieß.

S. 30: „Karbondioxid“, besser bekannt als „Kohlendioxid“.

S. 50: “Radio” statt deutsch „Funk“ bzw. „Funkgerät“.

S. 119: „und aus dem Austauschverfahren angeschlossen haben.“ Statt „aus“ sollte es korrekt „uns“ heißen, damit der Satz Sinn ergibt.

S. 181: „die alte ther[m]onukleare Anlage“. Das M fehlt.

S. 185: „ein Creche-Clown“: „creche“ heißt eigentlich „Krippe“, aber hier handelt es sich wohl auch um ein Wortspiel mit „crash“, also „Sturz, Fall“.

S. 191: „wissen, was los[t] ist.“ Das T ist überflüssig.

S. 194: „…bildete einen verschwommenen Holo um die beiden Kolonien.“ Gemeint ist ein „Halo“, als ein umgebender Hof.

S. 267: „Beachte, dass von 1,284 Fällen…“ Gemeint sind 1284 Fälle. Das Komma stammt aus der US-Vorlage.

S. 371: „Mit der rechten an der Hüfte stem[m]te ich mich gegen den Zug. Das 2. M fehlt.

S. 386: „unter dem Stehkargen eine Seidenkrawatte.“ Ein simpler Buchstabendreher: „Stehkragen“ wäre wohl korrekt.

S. 408: Kein Fehler, aber leider völliger Unsinn: „Unweigerlich führt der Fortschritt der Zivilisation zum Niedergang, oft sogar zur Ausrottung verschiedener Eingeborenenstämme.“ Der sogenannte „Fortschritt der Zivilisation“ – also wohl der westlichen, europäischen – führt nur dann zur Ausrottung, wenn dem Kapitalismus freier Lauf gewährt wird UND die jeweilige Machtelite aktiv daran beteiligt ist, so etwa beim Landraub an den nordamerikanischen Eingeborenen.

S. 478: „Wie behalten einige unserer Werkzeuge…“ Korrekt wäre „Wir“ anstelle von „Wie“.

S. 496: „jede Lebensform hatte seine eigene Sprache.“ Als ich zuletzt nachgesehen habe, war „Lebensform“ noch weiblich. Daher müsste es korrekt „hatte ihre eigene Sprache“ heißen.

Unterm Strich

Die beiden Novellen von Poul Anderson und Gregory Benford sind herausragend und umfassen die Auswahl wie zwei Buchstützen, die den Rest der Beiträge zusammenhalten. Außerdem begrüßen und entlassen sie den Leser mit bester Qualität, so er dieses Buch in guter Erinnerung behält. Benfords Novelle findet sich in seinem zweiten CONTACT-Roman wieder.

Die Story-Auswahl ist indes durchwachsen. Die Beiträge von John Varley und Kim Stanley Robinson, mittlerweile Veteranen, sind herausragend, die anderen haben durchaus gute Einfälle, sind aber noch in deren Präsentationspotential eingeschränkt. Das wird besonders deutlich bei David Palmers Novelle „Ende und Anfang“, das zwar sprachlich ausgefallen, aber inhaltlich abgedroschen ist.

Die anderen Erzählungen beschäftigen sich auffallend oft mit dem Sterben und dem Tod beziehungsweise dessen Aufhebung. Pat Cadigan, Jack Dann, Roger Zelazny (auch ein Veteran) – sie alle heben den Tod als endgültiges Ereignis auf, ja, machen sogar aus diesem eigentlich traurigen Anlass so etwas wie ein Unterhaltungs-Event, etwa auf der „Titanic“. Sehr schön finde ich hingegen die ethnischen Stories: Tod und Überleben bei den Inuit in der Arktis, Überleben als südafrikanische Buschfrau auf dem Mond. Schon lange kannte ich Ed Bryants famose Drachenflieger-Story – sie war in einem der Auswahlbände des „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ bei Heyne erschienen.

Insgesamt sind die Stories nicht so schön wie im 1. Auswahlband, aber dennoch sehr interessant – wenn man Sammler ist. Ärgerlich sind indes die zahlreichen Druckfehler, die Verwechslungen und das Fehlen von Illustrationen.

Bonus

Den Beiträgen ist ein Vorwort von Terry Carr vorgeschaltet, und ein wirtschaftlicher Jahresüberblick aus der Feder des Herausgeber des LOCUS Magazins, Charles N. Brown, schließt das Buch ab. 1981 – das waren noch Zeiten! Die Buchveröffentlichungen waren überschaubar, es gab nur wenige Top-Titel wie etwa „Die Schneekönigin“ von Joan D. Vinge. Hier lassen sich vom Sammler noch ein paar gute Tipps aufspüren.

Taschenbuch: 526 Seiten
Info: The best science fiction of the year #11, 1982, Heyne, 1984
diverse Übersetzer
www.heyne.de

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