William Jon Watkins – Gegner des Systems

In den zur Diktator entarteten USA nutzen Rebellen eine Erfindung, die sie auf Ameisenformat schrumpfen und die Verteidigung des bisher übermächtigen Gegners unterwandern lässt. Der schlägt brutal zurück, was den Einfallsreichtum der Freiheitskämpfer erst recht herausfordert … – Autor Watkins kombiniert Orwells „1984“ mit einer typischen Science-Fiction-Idee: der Miniaturisierung des Menschen, der sich den Überraschungen des Mikrokosmos‘ stellen muss. Die simple Handlung leidet unter (zu) vielen, detailfroh geschilderten Kampf- und Metzel-Szenen, bleibt aber – auch aufgrund ihrer Kürze – in der Spur und ist spannend.

Das geschieht:

In einer zeitlich nicht näher bestimmten, jedoch recht nahen Zukunft haben sich die USA in eine Diktatur verwandelt. Die Regierung kontrolliert ihre Bürger mit Hilfe der „Rehabilitierungstruppe“, deren Mitglieder als Büttel und Henker auftreten. Jegliche Kritik am System gilt als Verrat und wird bestenfalls mit einer ‚Umerziehung‘ geahndet, die tatsächlich eine Gehirnwäsche ist. Wer sich nicht brechen lässt, wird umgehend umgebracht. Die Brutalität soll von der Unfähigkeit des Regimes ablenken, die Folgen einer ungebremsten Umweltzerstörung in den Griff zu bekommen. Luft und Wasser sind vergiftet, doch jegliche Kritik wird mit Gewalt im Keim erstickt.

Der Kommunikationsexperte Welsh hat die „Rehabilitation“ einst mit gänzlich anderen Zielen mitentwickelt. Das Regime hat seine Ideen missbraucht. Welsh und Gattin Eve, eine Ärztin, stehen unter strenger Überwachung. Sie müssen jederzeit damit rechnen gefangengenommen und hingerichtet zu werden, zumal Welsh, der nun als Universitätsdozent arbeitet, aus seinem Widerstand gegen das System kaum einen Hehl macht.

Er hat Vorbereitungen zur Flucht in den Untergrund getroffen, der sich jedoch bei ihm meldet, als tatsächlich eine Aktion gegen echte und mögliche Systemkritiker bevorsteht. Der „Amorphus“ vermag der Übermacht der „Rehabs“ dank einer genialen Erfindung trotzen: Mit dem „Diminutor“ können sich die Rebellen auf Insektengröße verkleinern, dem Gegner unbemerkt nähern und zuschlagen. Welsh und Eve schließen sich dem „Amorphus“ an. Weil das System ahnt, dass die Rebellen an Zahl und Macht zunehmen, plant es einen Vernichtungsschlag. Der Kampf um die Zukunft des „Amorphus“ tobt im Makro- und Mikrokosmos, und er wird ohne Erbarmen ausgetragen …

Die Furcht vor dem „Großen Bruder“

In den frühen 1970er Jahren hatte sich die mehrheitliche Zufriedenheit der US-Bürger mit ihrer Regierung endgültig in Luft aufgelöst – dies aus vielen guten bzw. traurigen Gründen. Vor allem Präsident Richard Nixon bewies, dass zwischen dem Weißen Haus und dem organisierten Verbrechen nur noch wenige Unterschiede herrschten, wenn es darum ging, die Macht zu erhalten und Gegner in Schach zu halten. Da diese „Gegner“ der Regierung aus den eigenen Bürgern bestanden, lag eindeutig etwas im Argen.

Dass jene, die man gewählt hatte, um stellvertretend das Land zu leiten, in üble Machenschaften verstrickt bzw. keineswegs gewillt waren, anstehende Probleme wie die weiterhin übliche (Rassen-) Diskriminierung, die Umweltzerstörung oder die sich immer weiter zwischen Arm und Reich öffnende Schere energisch anzugehen, sorgte für realen Widerstand, der auch in gewalttätigen Konflikten mündete. Kunst und Kultur reagierten auf besorgniserregende Ereignisse, die eine Aushöhlung der Demokratie verdeutlichten. Vor allem Schriftsteller erinnerten daran, dass sich das Jahr 1984 näherte.

„1984“ war der Titel eines 1948 vom britischen Autor George Orwell (1903-1950) veröffentlichten Romans, der (neben dem bereits 1932 erschienenen „Brave New World“/„Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley) als sicherlich bekannteste Mahnung vor einer (nahen) Zukunft gilt, in der die Regierung zur Diktatur mutiert ist, die nicht nur das Handeln, sondern vor allem das Denken ihrer ‚Bürger‘ – die eher Gefangene sind – kontrolliert. Selbst jene, die dieses Buch nie gelesen haben, wussten bzw. wissen, wofür es stand und steht.

Zufriedenstellende Aspekte eines eigentlich aussichtslosen Kampfes

1973 war William Jon Watkins ein junger Nachwuchsautor, den die Unruhen seiner Gegenwart inspirierten, über ein Land nachzudenken, das einen falschen Weg kompromisslos weiterzugehen schien, um jeglichen Widerstand buchstäblich auszulöschen. Seine Resümee fiel quasi biblisch aus: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Während vor allem Orwell in Sachen Widerstand rabenschwarz sah, ging Watkins das Problem US-amerikanisch im Geist der Pioniere an: Wenn sie dir wehtun, zahle es ihnen doppelt heim!

Diese Position ist einer der Schwachpunkte dieses ansonsten lesenswerten Romans. Um dem System wirklich schaden zu können, muss Watkins in die Wundertüte der Science-Fiction greifen. Er postuliert eine Erfindung, die ihn und die übrigen „Gegner des Systems“ auf Insektengröße verkleinert. Bis es soweit ist, erschöpft sich der Widerstand in wilden Fluchten und Hinterhalt-Attacken, die – Watkins bleibt hier Realist – den Feind ärgern, ohne ihm elementar zu schaden.

Ebenfalls unbefriedigend bleibt die Einbettung des Geschehens in eine Zukunft, die mit der weitgehenden Zerstörung der irdischen Ökosysteme einhergeht. Watkins nimmt sich anfänglich viel Zeit, um die entsprechenden Folgen zu beschreiben. Als man dann den „Rehabs“ gegenübersteht, fällt dieser Aspekt unter den Tisch. Die Handlung verwandelt sich in eine Kette von Gefechten, die oft Splatter-Qualitäten erreichen. Natürlich stellt es in gewisser Weise zufrieden, das grausame System leiden und seine Helfershelfer sterben zu sehen. Dass der Roman auf diesem letztlich trivialen Niveau verharrt, ist nach dem aufwändigen Einstieg durchaus enttäuschend.

Keine Gnade auf beiden Seiten

In gewisser Weise war Watkins seiner Zeit voraus: Heute wimmelt es auf dem SF-Buchmarkt von Geschichten, in denen Soldaten und Söldner (meist, aber nicht immer außerirdisches) Gezücht in Stücke schießen. „Military Science Fiction“ nennt sich das und ist das Loblied auf den alten „Landser“, der nun im Weltraum sein Unwesen treibt, und „Krieg“ mit „Abenteuer“ gleichsetzt. So weit geht Watkins glücklicherweise nicht; deutlich wird der Grimm, mit dem der Autor die Diktatur ‚seiner‘ Zukunft betrachtet. Es bereitet ihm offenkundig Behagen, ihre Vertreter auf jede mögliche Weise zu Tode zu bringen.

Wohl automatisch bedingt dies eine Figurenzeichnung, die weder tief noch plausibel erscheint. Vor allem Welsh bietet ein fragwürdiges Bild. Unter dem Radar eines Systems, das Watkins als allgegenwärtig darstellt, trainiert Welsh für den Tag X, präpariert sein Haus mit Fallen und versteckt Waffen. Er und Gattin Eve lauschen seit Jahren rund um die Uhr auf jene Geräusche, die eine Razzia der „Rehabs“ ankündigen. Als der Widerstand losbricht, entpuppt sich Dozent und Wissenschaftler Welsh als Kampfmaschine, die im Alleingang die „Rehabs“ zu Dutzenden niedermäht.

Was sicherlich bald öde wirken würde, nimmt eine Wendung ins Unterhaltsame, als der „Diminutor“ ins wüste Spiel kommt. Der Mikrokosmos ist ein reizvolles Milieu: Plötzlich betreten wir eine Welt, die wir bisher im wahrsten Sinn des Wortes übersehen haben. Was wie beispielsweise eine Spinne höchstens lästig war, wird zur Lebensgefahr. Entsprechende Ideen wurden aufgegriffen, bevor die Science-Fiction überhaupt ‚erfunden‘ war bzw. ihren Namen bekam; so schrieb Fitz James O’Brien bereits 1858 über „The Diamond Lense“ (dt. „Die diamantene Linse“), die den Blick in eine Mikro-Welt gestattet.

Watkins verzichtet auf Auseinandersetzungen mit übergroßen Kerbtieren. Der „Diminutor“ ist für ihn Werkzeug und Waffe. Beide Aspekte weiß er überaus einfallsreich auszuspielen. Vor allem der rasche Wechsel zwischen Makro- und Mikrowelt wird anschaulich dargestellt. Das versöhnt nicht nur mit den genannten Krawall-Szenen, sondern auch mit einem abrupten Ende, dem heute eine Fortsetzung folgen würde. In diesem Fall wäre sie sogar wünschenswert, da Watkins‘ Garn Potenzial besitzt.

Autor

Geboren am 19. Juli 1942 in Coaldale, einer Bergarbeiter-Kleinstadt im US-Staat Pennsylvania, studierte William Jo(h)n Watkins Englisch, das er später als Dozent am Brookdale Community College in New Jersey lehrte. Künstlerisch tätig wurde er bereits in den 1960er Jahren; Watkins schrieb Gedichte, ein erster Sammelband erschien 1968.

Wenige Jahre später entdeckte Watkins die Science Fiction für sich. Eine erste Story (The People’s Choice) erschien 1974 im Magazin „Worlds of If“, ein erster Roman – gemeinsam verfasst mit Gene Snyder, einem Dozenten-Kollegen – bereits 1972 („Ecodeath“). In den nächsten Jahren legte Watkins – solo oder wieder mit Snyder – in rascher Folge SF-Romane vor, in denen er klassische Genre-Themen aufgriff, sie zeitgemäß und temporeich präsentierte, wobei er der Politik offensichtlich misstrauisch gegenüberstand.

Während seine ersten Werke vom Elan und Ideen geprägt waren, begann sich Watkins in den 1980er Jahren auf eher abenteuerliche SF zu konzentrieren. 1985 und 1986 erschienen zwei als „LeGrange League“ zusammengehörende Romane. 1996 veröffentlichte Watkins seinen bisher letzten Roman, blieb der SF aber noch einige Jahre – jedoch zunehmend sporadischer – als Autor von Kurzgeschichten verbunden, bevor er zur Poesie zurückkehrte.

Taschenbuch: 272 Seiten
Originaltitel: The God Machine (New York : Albert A. Knopf/The Doubleday Publishing Group 1973)
Übersetzung: Wolfgang Crass
Cover: Franz Wöllzenmüller

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