Wolfgang Hohlbein – Das Paulus-Evangelium

Vorschnelle Kritiker sollten sich nicht zu eilig über die Veröffentlichung des neuen Hohlbein-Romans „Das Paulus-Evangelium“ ereifern. Kritikpunkt könnte nämlich sein, dass sich der beliebte deutsche Fantasy-Autor inhaltlich bei Verschwörungstheoretiker Dan Brown bedient hat, und das nicht zu knapp. Schaut man allerdings etwas genauer auf die Hintergründe dieses Romans, wird man feststellen, dass das Skript von „Das Paulus-Evangelium“ noch eine ganze Zeit vor der Erstveröffentlichung solcher Bestseller wie „Illuminati“ und „Sakrileg“ entstanden ist und man Hohlbein so ziemlich alles vorwerfen kann, aber sicherlich keinen intellektuellen Diebstahl. Aber davon mal abgesehen, gibt es bei diesem neuen Meisterwerk kaum Anlasss, irgendwelche Vorwürfe loszuwerden. Denn wo Hohlbein draufsteht, da ist auch nach wie vor Hohlbein drin!

_Story_

In der Computerzentrale des Vatikans direkt unter dem Sommersitz des Papstes in Castel Gandolfo macht Kardinal di Milani einige skandalöse Entdeckungen. Sein ganzes Weltbild wird zerstört, als über den Bildschirm Szenen flimmern, die den tatsächlichen Hergang der Bibelgeschichte vollkommen auf den Kopf stellen. Es handelt sich zwar nur um eine clevere Computeranimation, die dem selbst ernannten zukünftigen Papstkandidaten zu Gesicht kommen, jedoch beruhen diese auf einigen geschichtsträchtigen Schriftrollen, die im Jahre 79 nach Christus im verschütteten Herculaneum gefunden wurden und in groben Zügen das Evangelium des Paulus beinhalten.

Di Milani weiß, dass er diese für ihn gänzlich neuen Erkenntnisse vor der Außenwelt schützen muss, kann dieses Vorhaben jedoch schon nicht mehr durchsetzen, weil in der Zwischenzeit die beiden PC-Spezialisten Marc und Guido von ihrem Wohnsitz Köln aus ins Netzwerk des Vatikans eingedrungen und ebenfalls auf diesen animierten Film gestoßen sind. Die beiden denken sich allerdings nicht viel bei ihrem neuesten Hacking-Streich und halten den heruntergeladenen Streifen für ein adäquates Geschenk zur Priesterweihe ihres Freundes Johannes.

Doch natürlich bleibt ihr Handeln nicht unentdeckt, und sobald di Milani von den Mönchen im Castel erfährt, dass man sich von außen an den geheimen Informationen bedient hat, schickt er seinen untergebenen Ziehsohn Alberto los, der mit seinen Helfern dafür sorgen soll, dass sowohl das Programm als auch die Urheber des verbotenen Downloads zur Rechenschaft gezogen und ins Jenseits befördert werden. Doch erst als die Hintermänner des Vatikans Guido zur Strecke bringen und Marc voller Entsetzen die Flucht nach Israel antritt, wird ihnen klar, welche Tragweite ihr anfänglicher Zeitvertreib tatsächlich hat …

_Meine Meinung_

Irgendwie schon komisch: Wolfgang Hohlbein hat die Idee zu „Das Paulus-Evangelium“ schon vor einigen Jahren an seine Verleger herangetragen, doch niemand konnte sich so recht für die Geschichte um die beiden Hacker Marc und Gudio und ihren skandlösen Fund begeistern. Erst nachdem Dan Brown mit seinen dem Christentum gegenüber kritischen Büchern einen Erfolg nach dem anderen landete, erinnerte man sich wieder an „Das Paulus-Evangelium“ und zeigte sich bereit, das Buch zu veröffentlichen. Komisch vor allem deswegen, weil Hohlbein wegen all seiner Verdienste für den Fantasy-Bereich schon lange kein Unbekannter mehr ist und eigentlich spielerisch einen Vertrieb aufbauen könnte. Aber es ist sicher müßig, über Wenn und Aber zu diskutieren, schließlich hat es ja am Ende doch noch geklappt.

Nach einer recht groß angelegten Werbekampagne und zahlreichen Vorabberichten, die sogar zur Erstellung einer eigenen [Homepage]http://www.paulus-evangelium.de führten, ist der Schinken nun über die |Egmont vgs| erschienen und tatsächlich das geniale Werk geworden, das man sich selbst in diesem Metier von Hohlbein erhoffen durfte. Alleine schon die Art und Weise, wie der Autor seine Charaktere vorstellt und mit detaillierten Umschreibungen in den Verlauf der Geschichte integriert, ist schlichtweg atemberaubend und kommt der Story ungeheuer zugute. Selbst ein Dan Brown, den man als Vergleich wohl ständig heranziehen muss, zieht hier den Kürzeren, weil er nicht so viel Liebe für gewisse Einzelheiten aufbringt. Das Erzähltempo leidet darunter aber keinesfalls. Man fühlt sich recht schnell als Teil der wilden Hetzjagd auf die beiden ahnungslosen Hacker und benötigt auch kaum Zeit, um den umfassenden Rahmen des Plots verinnerlicht zu haben. Dabei scheut Hohlbein aber absolut nicht davor zurück, den Leser durch zahlreiche Wendungen in die Irre zu führen, was vor allem ab dem Moment der Fall ist, in dem die Jagd auf den überlebenden Marc für diesen offiziell geworden ist und er darum kämpfen muss, dass man seinen Theorien und Befürchtungen Glauben schenkt.

Hohlbein treibt die Geschichte von dort an unheimlich rasant voran und bedient sich auch der notwendigen Härte, um der Story die dringend erforderliche Authentizität zu verleihen. Jeder falsche Schritt der Flüchtenden könnte unwiderruflich den Tod nach sich ziehen, und durch die kompromisslose Darstellung der fiesen Häscher aus dem Vatikan (man vergleiche auch hier mit „Sakrileg“) gelingt es dem Autor auch schon beinahe spielerisch, ein hohes Maß an Beklemmung bei der Erschaffung einer packenden Atmosphäre einzufügen.

Hohlbein beschränkt sich im Laufe der Erzählung aber nicht nur auf die brutale Jagd, sondern baut die Sache bei Marcs Ankunft in Israel noch viel weiter aus. Hier werden auch der ebenfalls ahnungslose Johannes und dessen schweigsame, mysteriöse Halbschwester Jezebel, in die sich Marc sehr schnell verliebt, mit einbezogen und der Spielraum des Autors um ein Vielfaches erweitert. Plötzlich spielen auch Gefühle eine Rolle, die als Kontrastpunkt zur faktischen Aufdeckung des historischen Irrtums sehr erfrischend wirken und damit vor allem die Werte vermitteln, die eigentlich hinter dem christlichen Glauben stehen und insofern auch von den Kardinälen des Vatikans vertreten werden sollten. Aber andere Umstände verlangen eben auch nach anderen Maßnahmen, und diese sind im Falle der jüngsten Ereignisse mit einer langen Blutspur verbunden.

Im direkten Vergleich mit dem bisherigen Brown`schen Vermächtnis kann Hohlbeins aktueller Roman sämtliche Standards halten. „Das Paulus-Evangelium“ ist rasant, ungeheuer abwechslungs- und detailreich, zu keiner Zeit vorhersehbar und in seinem Verlauf nicht selten richtig hart. Der Autor hat seine Erfahrungen aus dem Fantasy-Bereich zudem geschickt in die Handlung mit einbezogen und dabei bewirkt, dass Fiktion und Realität nur schwer voneinander – wenn überhaupt – zu trennen sind. Das verleiht dem Buch die bereits angesprochene Authentizität, aber auch den ziemlich erschreckenden Charakter, der einem immer wieder einen eisigen Schauer über den Rücken jagt, wenn ein derartiger Roman tatsächlich die gewünschten Zweifel beim Leser auslöst.

„Das Paulum-Evangelium“ hat begeistert und trotz bekannter Elemente eine ähnliche Reaktion ausgelöst wie noch vor einiger Zeit das meinerseits stärker eingeschätzte Brown-Buch „Illuminati“. Und solche Momente erlebt man als Leser nunmal wirklich selten, weshalb ich gar nicht anders kann, als diesen erstklassigen Thriller dringend weiterzuempfehlen – egal, wie man zur derzeitigen Flut an vergleichbaren Büchern steht!

Taschenbuch: 704 Seiten
www.vgs.de
www.paulus-evangelium.de