Marr, Melissa – Gegen das Sommerlicht

_2005 begann Stephenie Meyer_ ihren Siegeszug als Jugendbuchautorin mit Hang zur Blutsaugerei. Bislang hat ihre [Reihe 5508 um Teenager Bella und ihre Vampirliebe Edward vier Bestseller und einen nicht minder erfolgreichen Kinofilm hervorgebracht. Kein Wunder, dass Geschichten mit ähnlichen Inhalten plötzlich aus dem Boden sprießen. Melissa Marr springt in ihrem Debütroman „Gegen das Sommerlicht“ zwar nicht auf den Vampir-Zug auf, aber die Geschichte, die sie erzählt, weist einige Parallelen zu denen ihrer amerikanischen Kollegin auf.

_Ashlyn besitzt ein Geheimnis_, das niemand erfahren darf, wenn es nach ihrer Großmutter geht: Sie kann seit ihrer Geburt Elfen sehen. Wer glaubt, dass es sich dabei um zarte, beflügelte Wesen handelt, der liegt allerdings falsch. Elfen sind menschengroß und es gibt sie in allen möglichen Variationen. Als Tiere, Hexen, Waldwesen oder eben als Menschenähnliche. Sie gehören nicht unbedingt zu den friedlichsten Zeitgenossen: Sie quälen sich nicht nur gegenseitig, sondern erlauben sich auch ihre Späße mit den Leuten, die sie natürlich nicht sehen können.

Ashlyn gibt nicht zu erkennen, dass sie von der Existenz der anderen weiß. Doch eines Tages wird es schwer für sie, dies zu verbergen. In einem Comicladen wird sie von Keenan, dem Sommerkönig der Elfen, angesprochen. Er versucht mit ihr zu flirten, doch Ashlyn kann hinter seinen Menschenzauber sehen. Und sie weiß, dass man Elfen nicht trauen sollte. Tatsächlich hat Keenan nicht ganz uneigennützige Hintergedanken. Das Machtgleichgewicht in seiner Welt ist aus dem Lot geraten, seit Beira, die Winterkönigin, seinen Vater getötet hat. Nun regiert sie selbst und sie ist keine besonders freundliche Monarchin. Die einzige Möglichkeit für Keenan, die Macht an sich zu reißen und damit die Welt vor der Kälte zu retten, ist das Auffinden der Sommerkönigin. Jahrhunderte verbringt er schon damit, nach der Richtigen zu suchen, aber viele haben Angst vor der letzten Prüfung oder bestehen sie nicht.

Doch bei Ashlyn glaubt er, dass sie die Richtige ist. Sie kann nicht nur die Elfen sehen, sondern widersteht auch seinem betörenden Charme. So glaubt er jedenfalls. Ashlyn hingegen klammert sich an ihr letztes bisschen Trotz, um nicht in Keenans Fänge zu geraten. Sie erhält dabei wertvolle Hilfe von Seth, ihrem besten Freund. Oder ist er sogar mehr als nur ein Freund? Eines Tages vertraut sie sich ihm an und gemeinsam versuchen sie, vor Keenan und seinen Plänen zu entfliehen. Doch ein Elf gibt nicht so schnell auf …

_Ähnlich wie bei Meyers Büchern_ fällt es auch bei „Gegen das Sommerlicht“ schwer, es in ein Genre einzuordnen. Die Elemente aus der Fantasy sind allgegenwärtig, aber die Liebesgeschichte, sie sich zwischen den Buchdeckeln findet, könnte auch in einem Kitschroman stehen. Ashlyn und der ewig geduldige Seth sind ein legitimes Pendant zu Bella und Edward. Obwohl jung an Jahren, geht es ihnen weniger um Sex, Drugs und Rock ’n‘ Roll, sondern vielmehr um wahre, romantische Liebe. Das mag man nun authentisch finden oder nicht – Tatsache ist, dass Marr die Geschichte recht schön erzählt, aber nur wenig Neues hinzufügen kann. Teilweise wirkt gerade der Teil der Handlung, der sich um Ashlyn und Seth dreht, ziemlich abgenutzt.

Lob verdient Marr für ihre Darstellung der Elfenwelt. Sie hat einen Kosmos geschaffen, der von einer Vielzahl unterschiedlichster Wesen erfüllt ist und viele Überraschungen bereithält. Manchmal hätte sie beinahe noch mehr ins Detail gehen können, obwohl ihre Darstellungen sehr bildhaft und teilweise humorvoll sind. Der Handlungsstrang, der sich mit Keenans Suche nach seiner Sommerkönigin beschäftigt, überzeugt wesentlich mehr als die Liebesgeschichte. Die Ereignisse sind nicht vorhersehbar, und immer wieder kommt es zu überraschenden Wendungen. Gerade bei der Frage, ob Ashlyn auf Keenan hereinfallen wird oder nicht und ob sie den Elfen helfen wird, kann die Autorin punkten. Sie erschafft eine quälende Ungewissheit, die dazu führt, dass man das Buch nicht mehr zuschlagen kann.

Daran ist ihr Schreibstil allerdings nicht ganz schuldlos. Mit sehr einfachen, aber wirkungsvollen Worten schmückt sie ihre Geschichte aus und zieht den Leser in ihren Bann. Leichtfüßig und sehr nah an ihrer Hauptperson schildert sie nicht nur die Handlung, sondern auch die Gedanken- und Gefühlswelt von Ash. Kursiv gedruckte Überlegungen sorgen dafür, dass man sich gut mit Ashlyn und ihren Sorgen identifizieren kann, auch wenn das Sujet der Geschichte eher ein jüngeres Publikum anspricht. Obwohl nicht aus der Ich-Perspektive erzählt wird, erzeugt die Autorin dabei eine ähnliche Beziehung zwischen Leser und Protagonistin, wie dies auch Meyer in ihren Büchern gelingt.

Die Parallelen sind vielleicht nicht beabsichtigt, aber sie sind da. Eine Liebesgeschichte mit Happy End, eine jugendliche Erzählerin mit Sympathiefaktor und ein Hauch Kitsch sind die Zutaten, die „Gegen das Sommerlicht“ mit den Büchern Stephenie Meyers gemeinsam hat. Was die Geschichte angenehm von den Bestsellern abhebt, ist zum einen die überraschend bunte Welt voller magischer Wesen, zum anderen ist die Geschichte düsterer und wesentlich näher an der heutigen Jugend. Ashlyns Freundinnen sind normale, pubertäre Gören, während Seth alles andere als der perfekte Lover ist. Er wohnt in einem Wohnwagen, zusammen mit einer Boa Constrictor, und ist gepierct und tätowiert. Dieser Hauch von Subkultur ist ungewöhnlich für ein Jugendbuch mit dieser Thematik und hätte gerne mehr ausgearbeitet werden können.

_Wem die „Bis(s)“-Bücher_ dementsprechend zu harmlos sind, der kann sich vielleicht mit Melissa Marr anfreunden. „Gegen das Sommerlicht“ ist zwar kein Überwerk, aber durchaus genießbar und macht Appetit auf mehr. Und wer weiß: Vielleicht wird Marr ja eines Tages nicht mehr Meyer, sondern mit „richtigen“ Dark-Fantasy-Autorinnen verglichen …

|Originaltitel: Wicked Lovely
Aus dem Englischen von Birgit Schmitz
347 Seiten, Hardcover
ISBN-13: 978-3-551-58168-8|
http://www.carlsen.de
http://www.melissa-marr.com

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