Blatty, William Peter – Exorzist, Der

Washington, um 1970: Während sie in der Hauptstadt der USA Außenaufnahmen für einen neuen Film dreht, hat sich die erfolgreiche Schauspielerin Chris MacNeil in einem vornehmen alten Haus im ruhigen Stadtteil Georgetown eingemietet. Die geschiedene Frau und allein stehende Mutter bewohnt das weitläufige Anwesen mit ihrer zwölfjährigen Tochter Regan und einem Dienerpaar aus der Schweiz.

Die Karriere läuft gut für Chris MacNeil, doch privat gibt es einigen Ärger. Regan scheint ihren Vater zu vermissen, der sich nie um seine Tochter gekümmert hat. Außerdem kommt sie in die Pubertät, was mit ein Grund sein könnte, dass sie seit kurzem unruhig, übernervös und gleichzeitig verschlossen ist.

Das Haus der MacNeils liegt ganz in der Nähe der Universität von Georgetown. Außerdem gibt es ein Jesuitenkolleg, dessen Mitglieder zum Teil an der Hochschule lehren. Pater Damien Karras ist ein neues Gesicht in dieser Runde. Eigentlich ist er Psychiater und medizinischer Berater für die Angehörigen seines Ordens. Doch privates Unglück hat ihn aus der Bahn geworfen und an seiner Berufung zweifeln lassen. Seinen Vorgesetzten erscheint es ratsam, ihn einige Zeit „leichten Dienst“ verrichten zu lassen.

So kann Karras seinen jesuitischen Brüdern nicht zur Seite stehen, als diese von der Polizei um Hilfe angegangen werden. In Georgetown häufen sich neuerdings die Hinweise auf schwarze Messen! Kirchen des Stadtteils werden des Nachts blasphemisch geschändet. Was für die Polizei jedoch nur Auswüchse einer dekadenten „Mode“ sind, beunruhigt die Geistlichkeit naturgemäß stärker. Dennoch glaubt hoch im 20. Jahrhundert niemand mehr daran, dass hinter diesem Treiben der Teufel persönlich steckt – mit einer Ausnahme: Pater Merrin ist ein Kirchenmann von altem Schrot und Korn, der fest davon überzeugt ist, dass das Böse existiert und Dämonen durchaus |in persona| auf Erden wandeln können. Seit Jahrzehnten erforscht er überall auf der Welt alte Mythen und historische Überlieferungen und hat zahlreiche Beweise für seine Theorien gefunden, die von der aufgeklärten Wissenschaft, aber auch von seinen Vorgesetzten indes mit Skepsis aufgenommen werden.

Seit kurzem nun meint Merrin deutliche Hinweise auf die Wiederkehr eines ganz besonders höllischen Widersachers gefunden zu haben: Pazuzu, die Personifizierung des Süd-Westwindes und dämonischer Herr über Krankheit und Elend, steht schon in den Startlöchern, die Welt wieder einmal als biblische Heimsuchung zu plagen. Er fährt ausgerechnet in die kleine Regan MacNeil. Mit dem Erzeugen von Klopfgeräuschen, dem Verrücken von Möbeln und dem Verschwindenlassen von Kleidungsstücken läuft sich Pazuzu warm für größere Übeltaten, die alsbald folgen: Regan sprengt eine Party im Hause MacNeil, indem sie auf den Teppich pinkelt. Ihren Wortschatz hat sie mit bemerkenswerten Obszönitäten bereichert. Alles nur die Nerven, beruhigt der in Amerika stets fast zur Familie gehörende Psychiater, aber als Regan dann des Nachts über ihrem Bett zu schweben beginnt, kann Chris diese Erklärung nicht mehr zufrieden stellen. Die Ärzte – bald in Kohortenstärke um Regans Krankenlager versammelt – sind ratlos, bis einer zaghaft vorschlägt, man könne es doch mit einem Exorzisten versuchen … natürlich nur aus streng medizinischen Gründen, um Regans böser Hälfte ihrer gespaltenen Persönlichkeit einen tüchtigen Schrecken einzujagen.

In ihrer Not und obwohl Atheistin, wendet sich Chris MacNeil an Pater Karras, den sie vom Campus der Universität flüchtig kennt. Karras merkt bald, dass ihm alle Schulweisheit nicht helfen wird, Regan zu „heilen“. Die ständige Anwesenheit des penetranten Inspektors Kinderman von der Mordkommission erinnert zudem alle Mitwirkenden dieses Dramas daran, dass Regans Besessenheit möglicherweise bereits ein Todesopfer gefordert hat. Erst als Pater Merrin auf der Fährte Pazuzus nach Washington und ins Haus der MacNeils kommt, scheint sich das Blatt zu wenden. Gemeinsam machen sich die beiden Priester daran, Pazuzu auszutreiben – zu exorzieren – und zurück in die Hölle zu jagen. Aber der Dämon denkt gar nicht daran zu weichen, und die beiden Exorzisten sind ein wenig eingerostet. Als Pazuzu auch noch merkt, dass Pater Karras im Glauben schwankend geworden ist, bekommt er endgültig Oberwasser, und das alte Haus in Georgetown wird Schauplatz eines wahren Pandämoniums …

Was könnte man an dieser Stelle nicht alles schreiben über ein Buch, das vor über drei Jahrzehnten in aller Munde war und weltweit die Bestsellerlisten gestürmt hat! Erst heute wird deutlich, was die unheimliche Literatur und selbstverständlich der Film William Peter Blatty und seinem „Exorzisten“ verdanken! Nach drei Jahrzehnten ist in Vergessenheit geraten, wie viele mehr oder minder abgewandelte Gruselgeschichten auf dieses eine Buch zurückgehen. Das wäre wohl auch so geblieben, wenn nicht ein unerhörtes und so vorher noch nie da gewesenes Ereignis das Interesse am gedruckten „Exorzisten“ neu oder – bei den „Nachgeborenen“ – überhaupt zum ersten Mal belebt hätte: Der Film zum Buch, immerhin auch schon stolze 28 Jahre alt, kehrte – aufpoliert und durch eine Reihe niemals zuvor gesehener Szenen ergänzt – 2000 in die Kinos zurück – und stürmte erneut die Charts!

Das ist (um an dieser Stelle einmal kurz abzuschweifen) auch kein Wunder, denn unabhängig von der ulkigen Kleidung und den bescheuerten Frisuren der Darsteller ist „Der Exorzist“ zwar wahrlich keine große Kunst, aber ein fabelhaftes, zeitloses Stück Unterhaltung. In etwas eingeschränktem Maße trifft das auch auf die Romanvorlage zu, die ja nicht als „Buch zum Film“, sondern als selbstständige Geschichte konzipiert wurde.

William Peter Blatty, ein zu diesem Zeitpunkt vergleichsweise unbekannter Autor, hatte sich große Mühe gegeben. Er war tief in die Materie eingestiegen, hatte über den Teufel in Geschichte und Religion, über Satanismus, die Kirche und den Exorzismus, über Besessenheit und Geisteskrankheiten recherchiert – kurz gesagt: Er hatte seine Geschichte ernst genommen, und das war höchst ungewöhnlich in einer Zeit, in der Horror (wie übrigens auch Science-Fiction) für albernen Kinderkram gehalten wurde. Blatty bewies, dass dem keineswegs so sein musste – mit durchschlagendem Erfolg. Ihm gelang ein Klassiker; mehr noch: Er schuf einen modernen Mythos, dessen Kultfaktor und Langlebigkeit irgendwo zwischen Bram Stokers „Dracula“ und Peter Benchleys „Der weiße Hai“ anzusiedeln sind.

Der Scherz liegt nahe und sei an dieser Stelle trotzdem nicht gemieden: Die Geister, die er rief, wurde Blatty nicht mehr los. Niemals wieder sollte ihm ein auch nur annähernder Erfolg beschieden sein. (Dasselbe Schicksal traf übrigens auch William Friedkin, den Regisseur des Kino-„Exorzisten“, oder Linda Blair, die Darstellerin der Regan MacNeil.) Vom „Exorzisten“ kam er aber auch nicht los. Wie wir aus den Medien erfahren können, trauerte er um „seinen“ Film, den Friedkin seiner Ansicht nach rüde verschnitten hatte, und piesackte den ohnehin gebeutelten Regisseur dreißig Jahre lang mit Hinweisen darauf, was er (Friedkin) versaubeutelt und er (Blatty) besser gemacht hätte.

Blatty bekam übrigens die seltene Chance, seine eigene Vision zu realisieren, nur ist das nur den hartgesottenen Freunden des Unheimlichen aufgefallen: Es gibt nicht nur e i n e Fortsetzung des „Exorzisten“ (ein eindeutig fluchbeladenes Unternehmen …), sondern noch eine weitere, deren Romanvorlage Blatty 1983 nicht nur verfasst hatte, sondern deren Verfilmung er sieben Jahre später höchstpersönlich inszenieren durfte! Hatte er sein angelesenes Wissen eingesetzt, um Hollywood in seinen Bann zu zwingen? Dann erreichte seine Macht allerdings nicht das zahlende Publikum. 1990 war definitiv kein besonders gutes Jahr für den Teufel (und Blatty kein übernatürlich talentierter Regisseur …), so dass „Der Exorzist III“ eher ein Schattendasein in Videotheken und später im Nachtprogramm des Fernsehens fristen musste.

Doch kehren wir zurück zur literarischen Teufelshatz von 1971. Wenn man „Der Exorzist“ heute aufmerksam liest, fällt durchaus auf, dass der Roman gealtert ist. Die moderne medizinischen Psychoanalyse war um 1970 sichtlich etwas Neues, und so reitet Blatty im Urteil seiner durch die Medien und besonders das Fernseher besser geschulten Lesern des 21. Jahrhunderts ein wenig zu ausführlich auf diesem Thema herum. Auch Pater Karras’ ausgiebiges Ringen mit seinen religiösen Zweifeln, die schließlich zu seinem Untergang führen, sind aus heutiger Sicht ein wenig langatmig geraten und dürften außerdem auf ein Publikum, das erleben konnte, wie Arnie Schwarzenegger den Fürsten der Finsternis mit seiner großkalibrigen Kanone Mores lehrte, nicht mehr überzeugend wirken.

Vieles, das noch unerhört oder wenigstens neu für Blattys Leser war, ist heute so selbstverständlich geworden, dass es bei der Lektüre gar nicht mehr zur Kenntnis genommen wird. Das betrifft nicht einmal unbedingt die Szenen, in der die besessene Regan ihre wahrhaft teuflische Vorstellung gibt – die haben es allerdings auch heute noch in sich! Aber Chris MacNeil ist beispielsweise nicht nur eine allein lebende Frau und allein erziehende Mutter, sondern eine beruflich und privat erfolgreiche Frau und Mutter, die auch der Teufelsspuk zwar biegen, aber nicht brechen kann – um 1970 beileibe noch keine Selbstverständlichkeit.

So darf man also froh sein, dass die Wiederaufführung des Kino-„Exorzisten“ auch das Buch zurückgebracht hat. Wer sich darüber hinaus dafür interessiert, wie Blatty die Geschichte später weiterentwickelt hat, sollte versuchen, sich die Romanvorlage zum weiter oben erwähnten dritten Teil antiquarisch zu beschaffen: Sie ist in Deutschland anno 1991 im Goldmann-Verlag unter dem (nichts sagenden) Titel „Das Zeichen“ (TB-Nr. 8088) erschienen.