Robin Hobb – Der Weitseher (Die Chronik der Weitseher 1)

Die Chronik der Weitseher

Band 1: „Der Weitseher“
Band 2: Der Schattenbote
Band 3: Der Nachtmagier

Als der sechsjährige Bursche in die Obhut von Burrich gegeben wird, hat er nicht einmal einen Namen. Und so nennt Burrich ihn Fitz. Denn der Junge ist ein Bastard, der uneheliche Sohn des Kronprinzen Chivalric, Burrichs Dienstherrn. Der sich allerdings bemüßigt fühlt, dem Jungen erst gar nicht zu begegnen und sich statt dessen unter Verzicht auf die Thronfolge in eine der Provinzen des Reiches zurück zu ziehen. So wächst Fitz als Stallbursche auf. Als Bastard hat er von Anfang an kein leichtes Leben in der Burg. Doch dann läuft er mehr oder weniger versehentlich dem König über den Weg. Und das Schicksal nimmt seinen Lauf …

Fitz ist ein aufgeweckter Bengel, der von seinem Vater nicht nur die Gabe geerbt hat, sondern offenbar auch noch über die alte Macht verfügt, die ihn befähigt, extrem engen Kontakt zu Tieren zu knüpfen, vor allem zu Hunden. Ansonsten ist er hauptsächlich bemüht, seinen Platz in der Welt zu finden, was aufgrund des Makels seiner Geburt extrem schwierig ist. Auf der einen Seite ziemlich stur, auf der anderen auch noch sehr leicht beeinflussbar, oft unbeholfen oder naiv, erinnert er den Leser stets daran, dass er noch lange nicht erwachsen ist.

Burrich dagegen ist ein ziemlich knurriger Kerl, dem die ihm anvertrauten Tiere – Pferde, Jagdhunde, Falken – nahezu über alles gehen. Einst war er eine Autorität, doch nachdem Chevalric ohne ihn ins Exil gegangen ist, ist er nicht mehr derselbe. Er trinkt zu viel und den Jungen, den man in seine Obhut gegeben hat, empfindet er als eine Last, zumal er sich vor der alten Macht, über die Fitz verfügt, regelrecht zu fürchten scheint. Doch wie seine Pflichten als Stallmeister nimmt er auch die Erziehung des Jungen sehr ernst. Er tut sein Bestes, allerdings scheint er in seiner direkten, fast derben und wenig einfühlsamen Art manchmal einfach nicht der Richtige dafür zu sein.

Mit Chade kommt Fitz besser zurecht. Chade ist ein alter Mann, aber immer noch stark, zäh und voller Energie. Er bildet Fitz zum Assassinen aus, allerdings mit weniger ruppigen Methoden. Bei ihm lernt Fitz, nicht nur seine Hände zu benutzen, sondern auch seinen Verstand. Die Übungen, die er Fitz absolvieren lässt, erfordern nicht nur körperliches Geschick, sondern auch Ideenreichtum, und er ermuntert Fitz dazu, nicht nur genau zu beobachten und zuzuhören, sondern auch das Beobachtete zu interpretieren und mögliche Zusammenhänge herzustellen. Von allen Beteiligten kommt er einem Freund am nächsten.

Edel dagegen, der jüngste Sohn des Königs, kann Fitz auf den Tod nicht ausstehen. Der ehrgeizige Schönling empfindet den Jungen offenbar als Konkurrenten, obwohl Chivalric Fitz nie anerkannt hat. Abgesehen davon ist Edel auch so eitel und selbstsüchtig genug, um auf dem wehrlosen Fitz herumzuhacken.

Und dann wäre da auch noch Galen zu nennen, der Gabenmeister der Feste. Zu arrogant, um auch nur irgendjemanden des Unterrichts im Gebrauch der Gabe für würdig zu halten, macht er seinen Schülern das Leben zur Hölle. Ganz besonders hasst er Fitz, denn er spürt nur zu bald, dass dessen Potential das seine weit übersteigt. Und so versucht er auf feige und hinterlistige Art, Fitz loszuwerden.

Ich finde die Charakterzeichnung hervorragend. Robin Hobb hat nahezu sämtliche Klischees erfolgreich umschifft, indem sie zum Beispiel die Beziehung zwischen Fitz und Burrich so zwiespältig gestaltet hat. Auch ist Fitz zu keiner Zeit ein strahlender Überheld, trotz seiner doppelten Begabung macht er immer wieder Fehler. Allein Edel in seiner übertriebenen Eitelkeit und Arroganz droht ein wenig ins Klischee abzurutschen, doch da er so selten vorkommt, hält sich dieser Eindruck in Grenzen.

Der Ort des Geschehens nennt sich die sechs Provinzen. Sie sind auf demselben Kontinent angesiedelt, der schon als Kulisse für Robin Hobbs Zyklus der |Zauberschiffe| diente, genauer gesagt befinden wir uns in dieser Geschichte nordöstlich von Bingtown, an der Grenze zu Chalced. Allerdings verweisen darauf nur eine kurze Bemerkung und die Karte. Eine paar Andeutungen lassen mich vermuten, dass es sich bei den erwähnten Uralten um die Drachen handeln könnte. Ansonsten konzentriert sich die Darstellung des Hintergrunds auf das direkte Umfeld, sprich, auf die sechs Provinzen, die bei Weitem kein einheitliches Reich darstellen. Nicht, dass dabei besonders ins Detail gegangen worden wäre. Sowohl der geschichtliche Hintergrund als auch die Magie, sowohl im Hinblick auf die Gabe als auch auf die alte Macht, sind noch ausbaufähig, aber vielversprechend.

Die Handlung verläuft erstaunlich ruhig. Hier wird nicht die Welt vor dem abgrundtiefen und übermächtigen Bösen gerettet, zumindest vorerst nicht. Statt dessen wird der Leser Zeuge, wie Fitz in Bocksburg aufwächst, erlebt die Gleichgültigkeit und Abneigung, die ihm entgegen gebracht wird, die kaltblütige Berechnung, mit der man ihn benutzt, die Verluste, die ihm nach und nach zugefügt werden. Fitz gehört zu den einsamsten Protagonisten, über die ich je gelesen habe.

Das heißt natürlich nicht, dass sonst nichts passiert. Sowohl die Ausbildung bei Chade als auch die bei Galen sorgen für ein paar turbulente Szenen außerhalb der Burgmauern, und außerdem stellt sich schließlich heraus, dass da im Geheimen einiges gemauschelt wird. Diese Intrige sorgt dafür, dass der Spannungsbogen sich gegen Ende ziemlich strafft.

Und außerdem wären da auch noch die Roten Korsaren. Sie sind der eigentliche Feind; das, was sie mit den Menschen anstellen, wirkt außerordentlich bedrohlich. Bisher hat die Autorin diesen Aspekt jedoch nur gestreift. Er muss ja auch noch für zwei Folgebände reichen, also ist Robin Hobb diesbezüglich eher sparsam.

So kommt am Ende eine sehr gelungene Mischung aus Lebensgeschichte, politischen Verwicklungen, vielfältigen Charakteren und unterschwelliger Bedrohung durch eine Macht des Bösen heraus, die ich regelrecht verschlungen habe. Ich hatte den „Weitseher“ kaum weggelegt, da hätte ich am liebsten schon nach dem „Schattenbote“ gegriffen, und es hat mich einiges an Selbstbeherrschung gekostet, mich erst einmal dieser Rezension zu widmen, ehe ich weiterlese. Was ich aber hiermit sogleich tun werde.

Robin Hobb war bereits unter dem Namen Megan Lindholm eine erfolgreiche, mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin, ehe sie mit der Weitseher-Trilogie erfolgreich ins Genre der Fantasy einstieg. Neben dem bereits erwähnten Zyklus der Zauberschiffe stammen aus ihrer Feder Die zweiten Chroniken von Fitz, dem Weitseher und die Nevare-Trilogie, sowie unter dem Namen Megan Lindholm der Windsänger– und der Schamanen-Zyklus. Derzeit schreibt sie an ihrem neuen Zyklus The Rain Wild Chronicles, dessen erster Band unter dem Titel „Dragon Keeper“ im Juni 2009 auf Englisch erschienen ist. Sie lebt mit ihrem Mann in Tacoma/Washington.

Taschenbuch: 624 Seiten
Originaltitel: Assassin’s Apprentice (Farseer Trilogy 1)
Deutsch von Eva Bauche-Eppers
ISBN-13: 978-3453524811

http://www.robinhobb.com/index.html
http://www.randomhouse.de/penhaligon/index.jsp

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