Siegel, James – Lügenspiel

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er mal die Wahrheit spricht – dieses Sprichwort aus dem Volksmund beschreibt in einem Satz, worum es in „Lügenspiel“, dem aktuellen Thriller von James Siegel, geht. Protagonist Tom Valle ist ein ehemaliger Starjournalist, dessen Ruhm auf erfundenen Storys aufbaute – bis man ihm auf die Schliche kam. Nun lebt er in einem abgelegenen Nest namens Littleton und arbeitet für die dortige Lokalzeitung. Anders als erwartet kann dies jedoch überaus nervenaufreibend sein …

Toms beschauliches Berufsleben spielt sich zwischen der Berichterstattung über kleine Autounfälle und den Geburtstagswünschen für die ältesten Bewohner des Ortes ab. Doch er kann froh sein, dass er diesen Job überhaupt bekommen hat. Sein „Ruhm“ eilt ihm nämlich immer noch voraus. Er ist bekannt als der lügende Journalist, und niemand möchte glauben, dass er sein Leben tatsächlich herumgedreht hat.

Eines Tages gibt es einen Verkehrsunfall, bei dem ein gewisser Dennis Flaherty ums Leben kommt. Die Leiche, die unter diesem Namen begraben wird, gehört aber nicht einem Weißen, sondern einem Afroamerikaner mit unklarer Identität, wie Tom herausfindet. Selbstverständlich glaubt ihm niemand, auch nicht, als er glaubt, den Namen des Schwarzen herausgefunden zu haben – Benjamin Washington, Sohn von Belinda Washington, die er zu ihrem 100. Geburtstag im Altersheim besucht hat.

Offiziell ist Benjamin bei einer Flutkatastrophe in Littleton Flats vor fünfzig Jahren ums Leben gekommen. Damals brach ein Staudamm und spülte das kleine Dörfchen mit seinen über 800 Einwohnern weg. Niemand in Littleton möchte darüber reden, doch Tom erfährt, dass John Wren, sein Vorgänger, an genau dieser Sache dran war – und dann verrückt wurde und in den Wald in ein Blockhaus zog. Tom wittert eine große Story und macht sich auf die Suche nach John Wren, Benjamin Washington – und der Wahrheit über eine Katastrophe vor fünfzig Jahren. Dumm nur, dass jemand verhindern möchte, dass er recherchiert, und auch nicht davor zurückschreckt, sein Leben zu bedrohen …

„Lügenspiel“ ist eines jener Bücher, die sich direkt an die Leser wenden und wie aus der Erinnerung des Protagonisten geschrieben wirken. Da dieser Journalist ist, ist die Geschichte entsprechend gut aufbereitet und sorgt mit Rückblenden in die Vergangenheit, Vorgriffen in die Zukunft und sorgfältig gesetzten, bodenständigen Metaphern für Lesegenuss. Der Autor James Siegel schafft es anhand seines Schreibstils tatsächlich, dem Leser das Gefühl zu vermitteln, Tom Valle bei seinen Erlebnissen über die Schulter zu sehen und nur dessen subjektive Sichtweise serviert zu bekommen. Man macht sich dadurch automatisch Gedanken während der Lektüre, denn Tom Valles Leumund ist aufgrund seiner Vergangenheit selbstverständlich nicht der beste. Soll man ihm glauben oder soll man ihm nicht glauben? Der Autor beantwortet diese Frage nicht, sondern überlässt dies dem Leser.

Dieser wird Tom Valle vermutlich Glauben schenken, so ausgefallen die Story auch ist. Tom kommt nämlich trotz seiner Fehler sehr glaubhaft und sympathisch rüber. Auf den ersten Blick wirkt er wie einer dieser typischen abgestürzten Karrieretypen, die alleine wohnen und zu viel Alkohol trinken. Die neue, unglaubliche Geschichte rettet ihn quasi aus seiner Lethargie, wenn auch nicht unbedingt davor, stellenweise klischeehaft zu wirken. Der Loser, der den Weg zurück ins Leben findet, wurde einfach schon zu oft präsentiert, und Siegel kann diesem nur wenig Neues hinzufügen. Nichtsdestotrotz ist Tom Valle ein netter Erzähler, mit dem man sich identifizieren kann und der sehr gut ausgearbeitet ist. Die anderen Personen wirken ebenfalls realistisch und bodenständig, wenn auch stellenweise mehr wie Kulisse denn wie echte Figuren.

In der Summe ist „Lügenspiel“ jedoch eine sehr runde Sache mit einer harmonischen Personenkonstellation und einem durchgängig spannenden Plot. Die Handlung braucht eine Weile, um in Gang zu kommen, und legt auch kein sonderlich flottes Tempo vor, weiß die Spannung aber zu halten. Während der Anfang noch gut verständlich ist, wird das Buch gegen Ende immer abgedrehter und verliert beinahe den Boden unter den Füßen. Die Betonung liegt auf „beinahe“, denn James Siegel schafft es, der Geschichte trotz der teils absurden Verschwörungstheorien einen realistischen Anstrich zu geben.

James Siegels Geschichte über einen Journalisten, der einer ungeheuerlichen Sache auf die Spur kommt, hat durchaus ihre guten Seiten. Der sympathische Protagonist, der sichere Schreibstil und die gut konstruierte Handlung sorgen für eine Menge Lesespaß. Dieser wird allerdings dadurch beeinträchtigt, dass die Handlung sich an einigen Stellen verheddert und die Personen teilweise etwas stereotyp wirken.

|Originaltitel: Deceit
Übersetzt von Axel Merz
Hardcover, 428 Seiten
ISBN-13: 978-3-431-03751-7|
http://www.ehrenwirth.de

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