Victoria Jamieson und Omar Mohamed: Wenn Sterne verstreut sind

Über 200.000 überwiegend somalische Flüchtlinge leben heute in Kenia im Flüchtlingslager Dadaab. 1991 ursprünglich als Notlösung in Folge eines blutigen Bürgerkriegs in Somalia eingerichtet, ist es inzwischen zum weltweit größten Flüchtlingscamp angewachsen. 30 Jahre nach seiner Eröffnung beherbergen die Zeltstädte von Dadaab nun schon die zweite oder gar dritte Generation der Immigranten. Kinder wurden hier geboren, die jetzt selbst schon Kinder haben und keine andere Realität als das Leben im Camp kennen. Während die United Nations und andere Menschenrechtsorganisationen sich kaum um mehr kümmern können, als den Geflüchteten das Notwendigste zum Leben zu geben, und versuchen, sie in westlichen Ländern unterzubringen, droht Kenia immer wieder damit das Lager zu schließen, um die Welt darauf aufmerksam zu machen, dass hier eine Flüchtlingskatastrophe, die schon zu lange andauert, vergessen wird. Gegen dieses Vergessen schreiben und zeichnen auch Omar Mohamed und Victoria Jamieson in der autobiografischen Graphic Novel „Wenn Sterne verstreut sind“ an.

Omar selbst kam als Vierjähriger mit seinem jüngeren Bruder Hassan in Dadaab an. In ihrem Dorf in Somalia wurden sie nicht nur von ihrer Mutter getrennt, sondern auch Zeugen der völlig überraschenden und scheinbar unmotivierten Erschießung ihres Vaters. Kurz darauf wird ihr ganzes Dorf niedergemetzelt. Diejenigen, welche entkommen, versuchen sich nach Kenia durchzuschlagen. Nur wenige erreichen Dadaab tatsächlich und so verlieren die Jungen immer mehr Personen aus ihrem vertrauten Umfeld, bis sie sich schließlich ganz allein krank und ausgezehrt in dem Flüchtlingslager wiederfinden. Wo sie sich ihre Rettung erhofften, erwartet sie nur wenig mehr als eine Matte auf dem Sandfußboden in einem Zelt.

Seine frühe Kindheit hat Omar so stark traumatisiert, dass er sie mit allen Mitteln zu vergessen versucht, was ihm auch recht gut gelingt, bis er nach Jahren im Flüchtlingslager das große Los gezogen zu haben scheint: Er darf zu einem Gespräch zur Klärung einer Umsiedlung. Nach über der Hälfte der Graphic Novel erfährt der Leser erst, was Omar und Hassan nach Dadaab geführt hat. Da sind die beiden Jungen den Lesern schon als fast normale Kinder ans Herz gewachsenen. Man hat verstanden, dass Hassan behindert ist und Omar sich ganz besonders für ihn verantwortlich fühlt, dass sie am liebsten mit ihren Freunden spielen, dass Omar ganz versessen aufs Lernen ist und ihn ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn die doppelte Benachteiligung seiner Freundinnen in der muslimisch geprägten Gesellschaft des Camps erkennen lassen. Und doch vergehen noch Jahre, bis Omar und Hassan tatsächlich nach Amerika auswandern und das Camp verlassen dürfen. Da ist Omar schon fast volljährig und wieder muss er abgesehen von seinem Bruder alle geliebten Personen zurücklassen und noch einmal von vorn anfangen.

Während der Lektüre von „Wenn Sterne verstreut sind“ erfährt man, dass es in Dadaab nie genug zu essen und kaum medizinische Versorgung gibt. Das Leben ist von Routine geprägt und schrecklich langweilig. Man beginnt zu verstehen, wie wichtig und motivierend der Schulbesuch für Flüchtlinge ist, wie zermürbend das jahrelange Warten, wie schließlich die Hoffnung auf eine Zukunft immer mehr schwindet, aber auch wie auf der anderen Seite eine eingeschworene Gemeinschaft entsteht, in der man auf den anderen achtet, ihn ohne Worte versteht und versucht, einander Mut zu machen und das kleine Fünkchen Hoffnung aufrecht zu erhalten, ohne welches das Leben einfach unmöglich wäre.

In der englischsprachigen Welt hat dieses Buch schon viele Preise eingeheimst. Völlig zurecht. Mit vergleichsweise wenigen, aber treffenden Worten und gut ausgewählten Episoden aus dem Leben Omars öffnet diese Graphic Novel die Augen für die unglaubliche Realität der Flüchtlinge. Beispielsweise bleiben der sich immer wieder auflösende „Fußball“ aus Plastiktüten oder das endlose Warten im Gedächtnis haften, so wie auch Hassans einfache aber wirkungsvolle Art, Omar aufzumuntern, indem er ihm die Mundwinkel nach oben zieht. Neben der Geschichte der beiden Jungen, werden noch zahlreiche andere Flüchtlingsschicksale berührt. Die in dunklen Tönen und im Comic-Stil gehaltenen Bilder unterstreichen selbst in positiven Momente, dass man nie wirklich optimistisch sein kann, zu sehr hängt das Schicksal der Flüchtlinge von anderen Personen ab, die im Hintergrund bleiben, die Entscheidungen fällen, ohne den Menschen, über deren Schicksal sie entscheiden, jemals in die Augen zu sehen.

„Wenn Sterne verstreut sind“ ist eines dieser Bücher, das man nicht einfach so zuschlägt und vergisst. Seine Geschichte berührt. Seine Botschaft klingt nach: Es ist wichtig, nie aufzugeben und daran zu arbeiten bereit zu sein für die Chancen, die das Leben einem bietet, damit man diese dann auch nutzen kann. Gerade für Kinder aus westlichen Ländern, denen alles, was sich die Kinder in Dadaab hart erarbeiten müssen, in die Wiege gelegt wird, eine Geschichte wider die Selbstverständlichkeit. Unbedingt empfehlenswert!

Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
ISBN-13: 978-3985850501
Adrian Verlag

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