Abercrombie, Joe – Kriegsklingen (The First Law 1)

Die |“The First Law“|-Trilogie:
Band 1: _Kriegsklingen_ (The Blade itself)
Band 2: [Feuerklingen 4199 (Before they are hanged)
Band 3: Königsklingen (Last Argument of Kings)

Fast hätte ich Joe Abercrombie in die Kategorie „noch ein britischer Fantasy-Jungautor“ eingeordnet. Denn der Klappentext von „Kriegsklingen“ klang so klischeehaft wie der Titel, der mit dem englischen „The Blade itself“, einem verkürzten Homer-Zitat („The Blade itself leads to violent action“), nur sehr wenig zu tun hat. Als ich dann die Auflistung „Ein Barbar. Ein Inquisitor. Ein Magier.“ auf den Buchrücken las, habe ich das Buch erst einmal zur Seite gelegt. Ein schwerer Fehler. Denn als ich es dann erst einmal in den Händen hatte, konnte ich mich kaum noch davon losreißen – und habe anschließend ungeduldig auf den mittlerweile erschienenen zweiten Band „Feuerklingen“ gewartet.

_Der Autor_

Joe Abercrombie wurde 1974 in Lancaster geboren und studierte Psychologie an der Universität Manchester. Dort zeigte er einen recht ausgeprägten Spieltrieb, er liebt Würfel- und Computerspiele. In dieser Zeit entstand auch die Figur des Barbaren Logen Neunfinger, die ihm jedoch selbst als etwas zu aufgeblasen erschien und schnell verworfen wurde. Schließlich zog Abercrombie nach London, um als Cutter in einem Post-Production-Studio zu arbeiten. Nach zwei Jahren verließ er das Studio und arbeitet seitdem freischaffend im selben Beruf. Im Jahr 2002, dank seiner freischaffenden Tätigkeit mit mehr Freiraum für andere Dinge, schrieb er erneut über die tragischen Abenteuer Logens. Im Jahr 2004 vollendete er „The Blade itself“, den ersten Band der „First Law“-Trilogie, die seit 2005 von |Gollancz| und seit kurzem von |Heyne| auch auf Deutsch verlegt wird. Der Erstling war zugleich sein Durchbruch und ein Erfolg auf der ganzen Linie: Die Serie wird bereits in acht Ländern in sieben verschiedenen Sprachen vertrieben.

_Eine Welt mit ungewöhnlich komplexen Beziehungsgeflechten_

Joe Abercrombie erzählt stets aus der Perspektive eines seiner zahlreichen ausgefeilten Hauptcharaktere, die zu Beginn getrennt voneinander an völlig verschiedenen Orten agieren. Dabei wechselt er jedoch nie in die Ich-Perspektive.

Dankenswerterweise beginnt die Geschichte recht einfach mit Logen Neunfinger, dem vermeintlich archetypischen Barbaren. Sein Stamm wurde gerade von den „Plattköpfe“ genannten Schanka, einer Art Orks, überrannt. Alleine und getrennt von seiner Jagdtruppe, die er für tot hält, kämpft Logen um sein Überleben. Im weiteren Verlauf der Handlung erfahren wir die Geschichte Logens, der sich als der „Blutige Neuner“ – einen Finger hat er bereits in der Schlacht verloren – einen Namen gemacht hat. Er diente auch unter Bethod, der sich selbst zum König des Nordens ausgerufen hat – ein Unding, denn so etwas gab es noch nie. Jeder Krieger oder Clan folgt nach alter Tradition einem von ihm selbst aufgrund seiner Fähigkeiten oder seines Rufes anerkannten Häuptling. Doch Bethod will mit seinen Mannen über den ganzen Norden herrschen, und er hat sein Auge auf die geschwächte Union im Süden gerichtet. Logen hat zudem noch ein Problem mit Bethod, mit dessen Söhnen er eine seiner zahlreichen Fehden führt.

Im Süden leidet die reiche von Adelsfamilien beherrschte Union unter ihrem schwachen König, der vor sich hin kränkelt und nur zwei leidlich geeignete Söhne hat. Die wahre Macht liegt bei der Inquisition, den Bluthunden des Königs. Diese hat das Recht, in der Art einer Staatspolizei jeden mutmaßlichen Feind des Königreichs unter der Folter zu befragen – und macht davon reichlich Gebrauch. In Sachen Religion hält sich Abercrombie bedeckt, sie ist unbedeutend und wird kaum thematisiert.

Großinquisitor Sand dan Glokta, ein verkrüppelter und von den Gurkhisen gefolterter ehemaliger Kriegsheld, ist der erfolgreichste Mann von Erzlektor Sult. Mit Gloktas Hilfe gelingt es ihm, die Macht der Tuchmachergilde zu brechen und der Inquisition noch mehr Macht im Inneren Rat zu verschaffen. Glokta sollte ein gebrochener Mann sein, er hat keine Zähne und keine Zehen mehr, humpelt und wird von Muskelkrämpfen gepeinigt. Doch sein zynischer Selbsthass macht ihn zu einem exzellenten Folterknecht, der seinem alten Leben als Liebling des Hofes und Kriegsheld nachtrauert. Die Gurkhisen haben ihn zu einem körperlichen Wrack gefoltert, und die wenigsten seiner alten Freunde wollen noch etwas mit ihm zu tun haben. Gemeinsam mit seinen Praktikalen (Schläger, Folterknechte und Diener in Personalunion) Frost und Severard klärt Glotka die vertracktesten Fälle, nur um festzustellen, das er von Erzlektor Sult für höchst eigennützige Ziele benutzt wird. Doch so schlau Glokta auch sein mag, er muss dieses perfide Spiel mitspielen – denn irgendwie hängt er trotzdem noch am Leben.

Der junge Adelige Jezal dan Luthar ist das, was Glokta einmal war: ein Frauenheld, Säufer, Zocker und Tunichtgut, der allerdings das Zeug zu einem begabten Degenfechter hat. Er soll wie einst Glokta das jährliche Fechtturnier gewinnen und wird deshalb von Marschall Burr zu einem harten Training verdonnert. Burr selbst hält abgesehen davon nicht viel von ihm, dafür aber umso mehr von seinem fechterisch nicht ganz so begabten, aber dafür vernünftigen und verantwortungsbewussten bürgerlichen Freund Collem West, der unter seinen Fittichen Karriere macht. Dessen hübsche Schwester Ardee verdreht Jezal gehörig den Kopf, für den es eine verstörende Erfahrung ist, dass eine Frau mit ihm spielt, und nicht umgekehrt. Doch die Affäre kommt West zu Gehör, und er verpasst Ardee eine ordentliche Maulschelle, während sich Jezal eingestehen muss, dass er Ardee trotz des in seinem bornierten Weltbild unüberbrückbaren gesellschaftlichen Unterschiedes liebt.

Die verschiedenen Charaktere treffen sich schließlich in der Hauptstadt der Union. Logen wurde von dem mächtigen Zauberer Bayaz, einem Schüler des mächtigen Juvens selbst, als Leibwächter angeworben. Doch niemand glaubt dies dem kahlköpfigen und ganz und gar nicht mächtig aussehenden Bayaz. Er muss erst mit einem misstrauischen Glokta und Luthar als Zeugen das seit Jahrhunderten magisch versiegelte Haus des Meisterschöpfers Kanedias öffnen, um sein Anrecht auf einen Sitz im Inneren Rat geltend zu machen.

Hier endet die Geschichte vorerst, und auch die Wege der Hauptpersonen trennen sich erneut. West wird mit Kronprinz Ladisla in den Norden geschickt, um der Bedrohung durch Bethod zu begegnen. Ardee bleibt zurück, während Luthar mit Bayaz, Logen und der auf Rache sinnenden Südländerin Ferro Maljinn in den Süden aufbricht, um einer vorerst von Bayaz diffus beschriebenen Bedrohung zu begegnen. In den Süden verschlägt es auch Glokta, der im Auftrag des Erzlektors die Stadt Dagoska gegen seine Erzfeinde, die Gurkhisen, verteidigen soll – angesichts der widrigen Umstände ein wahres Himmelfahrtskommando.

_Der Anfang einer unvorhersehbaren Geschichte_

Um was es eigentlich in dieser Trilogie geht, wird im ersten Band noch nicht ersichtlich. Vorerst baut Abercrombie seine faszinierenden Charaktere auf. Egal ob es Glokta, Logen oder Luthar sind – sie sind alle frisch und unverbraucht, man kann sie genauso wenig in Stereotypen pressen wie die Handlung. Diese entwickelt sich dynamisch, man weiß nie, wie es weitergeht. Das ist das herausragende Talent Abercrombies neben seiner Gabe, interessante und vielschichtige Charaktere zu schaffen. Seine Welt lebt, die Dinge entwickeln sich zeitgleich und man kann die Bedrohung nicht sofort im Sinne eines allwissenden Lesers identifizieren. Nur bruchstückhaftes Wissen erhält man appetitlich häppchenweise vorgesetzt, den Rest der Zeit verwendet Abercrombie auf seine Charaktere und die Kultur der Nordmänner, ihre Beziehungen untereinander und die Situation in der dekadenten Union, die zusätzlich von einem zwielichtigen Kaiser aus dem Süden bedroht wird – Khalul, wie Bayaz ein ehemaliger Schüler von Juvens. Dieser hat sich über einige Gesetze hinweggesetzt, die von Juvens und den anderen Söhnen des Euz propagiert wurden. Dazu gehören Gebote, kein Tor zu der „anderen“ Seite zu öffnen, dem Reich der Dämonen, oder kein Menschenfleisch zu verzehren. Leider ist jegliche Form der Magie letzen Endes ein Zugriff auf diese Mächte, was mitunter zu recht großzügiger Auslegung des ersten Gesetzes geführt hat …

Der von Kirsten Borchardt sehr gut übersetzte 796 Seiten dicke Schmöker ist somit keine abgeschlossene Geschichte, sondern der Anfang einer Trilogie. Trotz des martialischen Titels und des bei einem Folterknecht und Barbaren zu erwartenden Gemetzels machen blutige Schlachten und Folterszenen nur den geringsten Teil des Buchs aus; der Fokus liegt auf der Charakterisierung seiner Figuren, Abercrombie legt keinerlei Wert auf Splatter um des Splatters willen, wie in den oft nur aus aneinandergereihten Kampfeinlagen bestehenden |D&D|-Romanen der schlechteren Art – er spielt mehrere Klassen höher. Die Handlung geht so leider etwas unter, und mancher Leser mag sich deshalb etwas orientierungslos vorkommen, allerdings möchte ich keine Seite missen, auf der Abercrombie sein einzigartiges Talent zur Charakterisierung zeigt. Er bietet nicht nur abwechslungsreiche Geschichten einzelner Charaktere wie Logen, Luthar, Glokta oder Ferro, er verknüpft sie geschickt miteinander und schafft so eine lebendige und realistische Welt voller Dramatik garantierender Beziehungsgeflechte.

Nach und nach wird dem Leser die Haupthandlung klarer, während die Charaktere an ganz unterschiedlichen Orten nur individuelle Teile des großen Ganzen erleben. Diese geschickte und unvorhersehbare Handlungsführung ist neben der Charakterisierung der größte Pluspunkt des Romans und setzt neue Akzente in einem vor Stereotypen sonst nur so strotzendem Genre. Der zynische und selbstironische Humor Gloktas, seine messerscharfen Einsichten und der für einen Barbaren auf praktische Weise recht kluge Logen runden das positive Bild ab. Sogar der geckenhafte Luthar wird menschlich beschrieben und nicht zum Gespött gemacht, er ist glaubhaft und keine Witzfigur. Er wird von allen Charakteren in der Folge wohl die deutlichste Wandlung durchmachen.

_Fazit:_ Joe Abercrombie scheint Klischees zu bedienen – und zeigt, was man aus altbekannter Machart mit ein paar Kniffen in der Erzählweise, Handlungsführung und begnadeter Charakterisierung machen kann. Wenn er mit George R. R. Martin und Glen Cook und anderen Größen verglichen wird, ist das keineswegs anmaßend – Abercrombie selbst ist bekennender Leser und Kenner derselben und in dem dezidierten Martin-Forum http://www.westeros.org/ und bei [SFFWorld]http://www.sffworld.com/ aktiv an Diskussionen beteiligt. Auf seiner Webseite und in seinem Blog findet sich viel Lesenswertes über den Autor und seine Serie.

Ich kann das Buch nur ausdrücklich empfehlen. Ein derartiges Lesefieber habe ich sonst nur bei meinen Favoriten George R. R. Martin, David Gemmell oder Raymond Feist erlebt.

|Originaltitel: The Blade Itself – The First Law Book 1
Originalverlag: Orion
Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt
Mit Illustrationen von Dominic Harman
Paperback, 800 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|
http://www.heyne.de

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