Eschbach, Andreas – Black*Out

_Spannende Zukunftsvision: Warnung vor dem Upgrade!_

Christopher Kidd ist auf der Flucht. Nicht vor dem FBI, sondern vor den Upgradern. Sie wollen ihn zu einem der Ihren machen: per Chip aufgerüstet, um übers Internet von Gehirn zu Gehirn zu kommunizieren. Aber sie dürfen sein Geheimnis nicht finden. Er schlägt sich zu der Untergrundgruppe von Jeremiah Jones durch, dem von den Upgradern zum Terroristen erklärten Kulturkritiker. Nur im Untergrund hat Chris die Chance, gegen die sich ausbreitende Upgrader-Organisation etwas zu unternehmen. Sollte er scheitern, wird keiner mehr allein sein – aber auch niemand mehr lachen …

_Handlung_

(Hinweis: Die Geschichte wird keineswegs chronologisch erzählt, sondern mit vielen Rückblenden. Mein Handlungsabriss ist lediglich eine Annäherung.)

Der weltbeste Computerhacker Christopher Kidd ist ein 17-jähriger Junge aus Deutschland, der weltweit als „Computer Kid“ berüchtigt ist. Gerade befindet er sich in den USA auf der Flucht. Seine Begleiter sind die Kinder des Mannes, dem er sich anschließen möchte. Der Vater von Kyle und Serenity Jones, Jeremiah Jones, war bis vor Kurzem ein unbescholtener Architekturprofessor und Kulturkritiker, bis ihn das FBI zum Terroristen erklärte und zu jagen anfing. Er soll an der Ostküste ein Rechenzentrum in die Luft gejagt haben.

Ob solch ein Mann wohl die passende Gesellschaft für einen Hacker darstellt? Doch Christopher bleibt keine Wahl mehr, denn er wird nicht vom FBI gejagt, sondern von etwas viel Schlimmerem: von den Upgradern. Diese weltweite Organisation hat auch Christopher einen Chip eingepflanzt, mit dessen Hilfe er von Gehirn zu Gehirn kommunizieren könnte. Sein Bewusstsein wäre so Teil einer weltumspannenden Superwesenheit, in der keiner mehr allein ist und jeder alles weiß, weil er auf alle öffentlichen und geknackten Datenbestände der weltweiten Datensysteme Zugriff hat. Niemand verirrt sich mehr, jeder weiß, wo die anderen sind. Alle außer Christopher. Denn er hat seinen Chip deaktiviert. Als einziger Upgrader der Welt. Abtrünnig! Klar, dass die Upgrader ihn wieder in ihre Reihen aufnehmen wollen, koste es, was es wolle.

„Doch wie konnte es dazu kommen?“, fragen ihn Kyle und Serenity auf einer Landstraße in Nevada. Bislang lebten sie friedlich in der Bay Area von San Francisco, sie als Oberschülerin kurz vorm Abitur und Kyle als Student der Umweltbiologie. „Das ist eine lange Geschichte“, warnt sie Christopher. Aber das macht nichts, denn sie haben Zeit. Glauben sie.

|Die Vergangenheit|

Christopher ist als Sohnes eines englischen Softwareentwicklers und einer deutschen Investmentbankerin in Frankfurt/Main aufgewachsen. Sein Großvater stellte Prothesen von menschlichen Gliedern her und seine Oma war bis zu ihrer Erblindung Kunstmalerin. Chris konnte schon mit fünf Jahren lesen und mit acht sein erstes Programm schreiben. Kein Wunder, dass ihm die Schule stets langweilig vorkam. Schon bald knackte er Passwörter und Systemzugänge – nur nicht in der Bank seiner Mutter.

Richtig illegal wurde seine Tätigkeit jedoch erst, als seine Mutter mit dem Banksystem einen Bedienungsfehler machte, der die gesamte Familie aufgrund ihrer persönlichen Haftung ruinieren würde – um Punkt Mitternacht. Der Ausweg bestand in Christophers Hilfe. Leider konnte er die Ausführung dieser Investment-Order nicht mehr rückgängig machen, denn sonst hätten alle anderen beteiligten Systeme die Manipulation bemerkt.

Doch mit 13 denkt Christopher schon seit Langem in größeren Zusammenhängen, in Systemen. Das einzige System, das seine Familie noch vor dem Ruin bewahren kann, ist die Welt. Das Programm, das auf jedes Konto der Welt den Betrag von 1 Milliarde (hier Währung einsetzen) überweist, ist kurz und knackig – die Folgen seiner Ausführung jedoch gigantisch. Was Chris vorausgesehen hat, tritt ein: Um die Weltwirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren, müssen die Regierungen alle Systeme vor den Tag X zurückdrehen. Voilà! Natürlich kam die Sache raus, und Mama verlor ihren Job.

Die Familie zog nach England, wo sein Vater begann, Prothesen und Programme zu verbinden. Im Projekt von Dr. Stephen Connery sollte eine Schnittstelle zwischen dem menschlichen Gehirn und einer Maschine (Prothese mit Software) entwickelt werden. Allerdings machte sich der Mitarbeiter Linus Meaney mit den Forschungsergebnissen selbständig und entwickelte den Upgrader-Chip. Bei einem denkwürdigen Besuch, zu dem Linus die Familie von Christopher nach Singapur einlud, demonstrierte er die Gehirn-Gehirn-Kommunikation mit seiner Frau Ayumi: Die beiden sprachen im Chor! Christopher und seinem Vater lief es kalt den Rücken runter. Klammheimlich setzten sich die Kids noch in der gleichen Nacht ab.

Doch den Upgradern entkommt man nicht so leicht. Sie erwischten seinen Vater, dann seine Mutter. Und als sie auch noch Christopher den Chip verpassten, durfte er sich erst nicht anmerken lassen, dass er die Fähigkeit hat, den Chip abzuschalten. Aber er bereitete seine Flucht vor – und landete erst in Mexiko, dann in Kalifornien, bis er auf Kyle und die süße Serenity traf.

|Verfolgt|

Als das Trio in Nevada mal eine Rast an einer Tankstelle einlegt, verrät sich Christopher aus Versehen, indem er mit seiner Fingerspitze einen Sensor berührt. Sofort wird die Information über die Datennetze an den nächsten Upgrader weitergeleitet, der Alarm auslöst. Chris ahnt, was los ist und will schnellstmöglich verduften. Zu spät! Hinter ihnen tauchen vier Hubschrauber auf, die sie auf der Straße verfolgen. Und sie stellen sich keineswegs als harmlose Übungsflieger heraus. Sie beginnen, mit Bordkanonen auf Kyles Geländewagen zu feuern.

Doch als die Ausweichmanöver nichts mehr nützen und Kyle stoppen muss, weiß Christopher noch ein letztes Mittel, um sein Leben und das seiner Freunde zu retten. Er muss sich der „Kohärenz“ stellen, dem weltweiten Verbund aus Gehirnen und Datensystemen. Doch die Gefahr, dass die Kohärenz sein Bewusstsein überwältigt und wieder in sich aufsaugt, ist immens …

_Mein Eindruck_

Ich habe das Buch an nur einem Nachmittag und Abend gelesen. Es ist spannend bis zum Schluss, abwechslungsreich, raffiniert erzählt und enthält sogar Romantik, etwas, das man bislang bei Eschbach etwas vermisst hat. Außerdem entwirft er eine Welt, die wirklich furchteinflößend ist: Wenn alle vernetzt sind und keiner mehr allein, dann sind alle gleichgeschaltet und so etwas wie Gefühle gar nicht mehr nötig. Denn alle müssen bloß noch funktionieren wie Rädchen in einem Getriebe.

Welche Folgen dies haben könnte, erkennt Christopher, der Hacker, der nie mit anderen Menschen als seinen Eltern und Großeltern zusammenlebte, bei der entscheidenden Besprechung mit Jeremiah Jones. (Die Namensähnlichkeit zu „Jeremiah Johnson“, dem Trapper aus dem Film, ist sicher gewollt.) Denn Christopher muss erst noch erkennen, welchen Wert zwischenmenschliche Gefühle haben. Erst als ihm Serenity Jones sagt, dass sie auf gar keinen Fall gleichgeschaltet werden möchte, um ein Upgrader zu werden, wird ihm klar, dass sie ihm bereits zuviel bedeutet, um sie an die Upgrader zu verlieren. Er hat sich verliebt. Und Serenity hat auch eine Menge für ihn übrig – wenn er sie nur etwas mehr beachten würde!

|Cyberspace|

Selbst Leser, die sich nur wenig mit Computern und dem Internet auskennen, dürften durch Eschbachs Erklärungen wenig Mühe haben, den Darlegungen Christophers zu folgen. Die Ideen aus den achtziger Jahren, als SF-Autoren und Designer von der Zusammenschaltung des Gehirns mit der Maschine träumten (und diese Forschung wird bis heute im Medizinbereich vorangetrieben, um bei Prothesen und Locked-in-Syndrom zu helfen), kommen in „Black*Out“ wieder zum Tragen – der sogenannte „Cyberspace“ ist Realität: Der menschliche Geist taucht ein ins Datenmeer.

Und mehr als einmal musste ich bei Christophers Hackereskapaden an William Gibsons bedeutende Hackererzählung „Chrom brennt“ (in der Sammlung „Cyberspace“ und anderswo) denken. Scheinbar mühelos durchbricht der Hacker die Schutzvorrichtungen selbst der gehärtetsten FBI – und NSA-Rechner. Doch eine Glossar-Erläuterung oder Fußnote, was unter einer solchen „brute force“-Attacke zu verstehen ist, sucht man vergeblich. Dabei ist dieser Punkt für den Showdown mit den Upgradern von entscheidender Bedeutung.

|Vorsicht, Spoiler!|

Überhaupt der Showdown. War schon die anfängliche Erzählstruktur der ersten Hälfte ziemlich raffiniert, so ist es das Finale erst recht. Hin und her hüpft die Perspektive, bis der Leser reichlich irregeführt ist und nicht erkennt, was in Wahrheit passiert. Nicht der bis ins letzte Detail eingeübte Plan Christophers wird hier in die Tat umgesetzt, sondern etwas völlig anderes: Christopher hat seinen Vater, einen Upgrader, hierher nach San Francisco gelockt, um ihn mit der Hilfe von Jones’ Männern vom Chip zu befreien. Deshalb war ihm auch der Punkt, dass ein Medomobil, ein fahrbarer Operationsraum, mit von der Partie ist, so wichtig. Bevor die Upgrader es verhindern können, ist Daddys Chip bereits entfernt. Aber wird sich sein Geist von dieser Tortur erholen? Das ist die bange Frage.

(Ende Spoiler)

|Widerstandskampf|

In einer gewissen Weise ist dieses Buch für Eschbachs Sohn geschrieben (ich werde seinen Namen nicht verraten). Schon mit acht oder neun Jahren programmierte dieser kluge Bursche an heimischen PC mit BASIC und anderen Sprachen, wie ich bei Besuchen mitbekam. So verwunderte es mich nicht, dass er später Informatik studierte und heute Computerwissenschaftler ist – schließlich war auch sein Vater Softwareprogrammierer und hatte seine eigene Firma.

Das legt die Vermutung nahe, dass der Roman eine Zukunft für Eschbachs Sohn ebenso entwirft wie eine erschreckende Fehlentwicklung, gegen die der Sohn ankämpfen muss. Wer jetzt an Paul Muad’dib Atreides denkt, liegt nicht völlig verkehrt, andererseits gibt es unzählige Geschichten über junge Männer, die in den Widerstand gehen, um den Tyrannen zu stürzen.

Worauf es jedoch bei der Guerilla ankommt, ist das Ziel und sind die Mittel. Das Ziel besteht löblicherweise darin, zu verhindern, dass ein geliebter Mensch wie Serenity gleichgeschaltet und in die „Kohärenz“ absorbiert wird. Wer dabei an Stephen Baxters „Kinder der Zukunft“ denkt, liegt nicht ganz daneben. Und welchen besseren Grund als die treue Liebe könnte ein junger Mann brauchen?

Die Mittel des Kampfes sollten natürlich über jeden Zweifel erhaben sein. Dass sich die Jones-Leute, bislang unschuldig, aber als Terroristen verleumdet, einfach so mit Sprengstoff anfreunden und diesen auch einsetzen, finde ich dubios. Aber die Praxis sieht dann doch besser aus: Der Sprengstoff soll nur Tür und Tor öffnen, damit Christopher befreit werden kann. Denn natürlich haben die Upgrader ihm eine Falle gestellt. Sie sind mit ihren Millionen Recheneinheiten, vulgo: Humanressourcen, viel zu schnell im Denken, um seinen Plan nicht vorausgesehen zu haben.

Wie die Sache für Christopher ausgeht, soll hier nicht verraten werden. Aber der Text verrät uns, dass es eine Fortsetzung geben wird.

|Schwächen des Textes|

Ein Satz auf Seite 75 bereitete mir Kopfzerbrechen: „Man konnte förmlich hören, wie er sich wandte.“ Das er gibt erst dann einen Sinn, wenn es „wand“ statt „wandte“ heißt. Der Sprecher windet sich nämlich statt sich abzuwenden.

Seite 355: „Serenity, Senior-Schülerin kurz vor dem Anschluss“. Es sollte natürlich „Abschluss“ heißen.

Seite 445: Christophers Dad soll seinen Sohn in San Francisco treffen, doch an dieser Stelle fliegt er zuerst nach Los Angeles. Sinnvoll oder Fehler, ist die Frage. Sinnvoll ist der Umweg nur dann, wenn Daddy keinen Direktflug nach Frisco bekommen hat und den Umweg über L.A. nehmen musste. Kann man also gelten lassen.

_Der Autor_

Andreas Eschbach, Jahrgang 1959, studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, bevor er als Software-Entwickler und Berater arbeitete. Schon als Junge schrieb er seine eigenen Perry-Rhodan-Stories, bevor er mit „Die Haarteppichknüpfer“ 1984 seine erste Zeitschriftenveröffentlichung landen konnte.

Danach dauerte es noch elf Jahre bis zur Romanfassung von „Die Haarteppichknüpfer“, danach folgten der Actionthriller „Solarstation“ und der Megaseller „Das Jesus Video“, der mit dem renommierten Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschsprachigen Sciencefiction-Roman des Jahres 1998 ausgezeichnet und fürs Fernsehen verfilmt wurde.

Seitdem sind die Romane „Eine Billion Dollar“, „Perfect Copy“, „Exponentialdrift“, „Die seltene Gabe“, „Das Marsprojekt 1-5“ sowie „Der Letzte seiner Art“ erschienen, einige davon zudem als Hörbuch. Auch das Sachbuch „Das Buch der Zukunft“ gehört zu seinen Publikationen. Eschbach hat mehrere Anthologien herausgegeben und eine Reihe von literarischen Auszeichnungen erhalten. Heute lebt mit seiner Familie als freier Schriftsteller in der Bretagne.

_Unterm Strich_

Dieser Roman ist spannend bis zur letzten Seite, zeichnet ein Schreckensszenario und spendet doch Hoffnung – eben ein typischer Eschbach für die junge Generation. Wie schon beim fünfteiligen „Mars-Projekt“ finden sich hier Jugendliche angesprochen, nicht mit Pappkameraden, sondern mit Jugendlichen, die die gleichen Sorgen haben wie der Leser selbst.

Allerdings sind die Hauptfiguren keineswegs Durchschnitt. Serenity ist eine Amerikanerin, die ohne Handy und MP3-Player aufgewachsen ist, weil ihr Vater ein Kulturkritiker und Naturfreund ist. Christopher selbst ist durchweg zweisprachig aufgewachsen und ein richtiger Computerfreak – wie „normal“ kann er also sein? Doch genau darin liegt seine Überlegenheit, wenn es darum geht, es mit der sich ausbreitenden „Kohärenz“-Bewegung aufzunehmen. Er ist zwar weder Hellseher noch Telepath wie Paul Muad’dib, aber viel fehlt nicht mehr: Chris kann einen doppelbödigen Plan bis ins letzte Detail allein im Kopf austüfteln.

Ich habe nur einen Nachmittag und Abend benötigt, um die 460 Seiten zu lesen. Die Schrift ist groß, viel Text also nicht auf der Seite, und die Story verlangt dank vieler Rätsel und Geheimnisse danach, in einem Stück gelesen zu werden. Ich bin schon auf die versprochene Fortsetzung gespannt.

|Hardcover: 464 Seiten
ISBN-13: 978-3401060620|
[www.arena-verlag.de]http://www.arena-verlag.de
[www.andreaseschbach.de]http://www.andreaseschbach.de

Unsere Rezension zum Hörbuch von „Black*Out“ finden Sie [hier]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6574 .

Über 25 weitere Besprechungen zu Titeln von _Andreas Eschbach_ finden Sie in unserer [Datenbank]http://buchwurm.info/book .

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