Fforde, Jasper – Fall Jane Eyre, Der

Es gibt Romane, die lassen sich in keine Schublade pressen. „Der Fall Jane Eyre“ von Jasper Fforde ist so einer. Ein Roman mit Agenten und Bösewichten, aber dennoch kein Thriller. Ein Roman mit Zeitreisen und verrückten Erfindungen, aber dennoch keine Science-Fiction – „Der Fall Jane Eyre“ scheint in seinem ganz eigenen Kosmos zu schweben – surreal, schräg, spannend und witzig zugleich.

Thursday Next ist Geheimagentin bei den SpecOps, dem Special Operations Network, das sich in viele Einheiten unterteilt. Thursday arbeitet für SO-27, die LiteraturAgenten, auch LitAgs genannt. Die LitAgs befassen sich mit allen Verbrechen auf dem stetig lukrativer werdenden Literaturmarkt und spüren Fälschungen und gestohlene Erstausgaben auf. Eigentlich ist das kein allzu aufregender Beruf, wäre da nicht der geniale Oberschurke Acheron Hades.

Hades erregt einiges Aufsehen durch den spektakulären Raub von Charles Dickens‘ „Martin Chuzzlewit“-Original-Manuskript und die anschließende Entführung eines Protagonisten aus dem Text. Die LitAgs um Thursday Next können nur tatenlos zuschauen.

Doch das ist erst der Anfang. Wenig später entführt Hades Jane Eyre aus dem gleichnamigen [Roman 2740 von Charlotte Brontë, um ein horrendes Lösegeld von den englischen Behörden zu erpressen. Für die englische Literatur ein absoluter Super-Gau, den Thursday und ihre Kollegen unbedingt verhindern müssen. „Jane Eyre“ ohne Jane Eyre ist schließlich eine Katastrophe sondergleichen, und dabei hat das Vereinigte Königreich mit dem seit 130 Jahren tobenden Krim-Krieg doch schon genug Ärger am Hals. Unerschrocken macht Thursday Next sich daran, Jane Eyre und damit ein Denkmal der englischen Literatur zu retten …

„Der Fall Jane Eyre“ entwirft schon ein für sich genommen interessantes Ausgangsszenario einer parallelen Gegenwart. Einiges ist anders im Großbritannien von Jasper Fforde als in unserer Welt: England kämpft seit 130 Jahren mit den Russen um die Krim und Wales hat sich als autonome Republik von den Briten abgespalten. Für spezielle polizeiliche Aufgaben gibt es mit den SpecOps einen großen Apparat für geheimdienstliche Operationen, bei dem manche Abteilungen dermaßen geheim sind, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte gerade tut.

Als graue Eminenz im Hintergrund zieht der Konzern |Goliath Corporation| viele Fäden. Der Konzern mischt heimlich in politischen Dingen mit und redet auch den SpecOps immer wieder in ihre Arbeit rein. Wirtschaftliche und politische Interessen werden verschmolzen. Vor diesem Hintergrund versucht Thursday Next im beruflichen Alltag dennoch ihren Kopf durchzusetzen und das Richtige zu tun. Sie ist Geheimagentin sowie Krim-Veteranin und dementsprechend hartgesotten. Selbst vor temporalen Anomalien hat sie keine Angst, ist ihr Vater doch ein ausgestoßener Agent der ChronoGarde, der SpecOps-Abteilung, die nicht nur sprichwörtlich dazu in der Lage ist, die Zeit stillstehen zu lassen.

Thurdays Erzrivale Acheron Hades ist ein Superschurke, wie er im Buche steht. Intelligent, gerissen, skrupellos und mit besonderen Fähigkeiten gesegnet, ist Hades die größte Herausforderung, der sich Thursday in ihrer Laufbahn als Geheimagentin stellen muss. Doch Thursday weiß diese Herausforderung anzunehmen. Um Hades‘ Spur zu verfolgen, lässt sie sich von London in ihre alte Heimat Swindon versetzen, wo sie auch ihre alte Liebe Landen wiedertrifft, was sie auch privat auf Trab hält.

Und so muss Thursday sich gleichzeitig mit ihrer Vergangenheit und ihren Erlebnissen im Krim-Krieg auseinandersetzen und Jane Eyre retten, indem sie Hades zur Strecke bringt. Der Weg zu diesem Ziel stellt sich als ziemlich beschwerlich heraus, und Fforde schildert im Verlauf der Handlung so manche verrückte Begebenheit, die Thursday zu meistern hat.

Fforde verknüpft eine ganze Reihe schräger Ideen zu einem spannenden Plot, der gleichzeitig eine liebevolle Hommage an die Literatur ist. Das Leben in Thursday Nexts England zeichnet sich durch eine enorme Liebe der Menschen zur Literatur aus. Sie durchzieht den Alltag der Menschen wie ein roter Faden und ist von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Die Kultur ist nicht bloß Unterhaltung und Zerstreuung am Rande, sondern Teil des täglichen Lebens. Es gibt Automaten, die nach Münzeinwurf literarische Texte rezitieren, und ein Theater, das jeden Abend das gleiche Shakespeare-Stück spielt, dessen Darsteller zuvor aus dem Publikum rekrutiert wurden.

Wer gerne liest, dem wird Ffordes Welt gefallen, und wer darüber hinaus offen für Skurriles ist, der wird an dem Buch eine ganze Meng Spaß haben. Fforde schreibt gleichermaßen gewitzt wie intelligent, erfreut den Leser in jedem Kapitel aufs Neue mit seinen schrägen Einfällen und fügt dabei den Plot zu einem wunderbar stimmigen Ganzen zusammen.

Zwar hat man auch mal den Eindruck, Fforde wäre kurz davor, den Bogen zu überspannen (der Zeitenstrudel, in den Thursday und ihr Kollege geraten, ist dann doch schon eine extrem schräge Angelegenheit), dennoch führt er den Plot gelungen zu Ende und liefert dem Leser obendrein einen spannenden Showdown. Er führt am Schluss die losen Enden logisch zusammen, und jede Komponente des Romans ergibt ihren Sinn und findet ihren Platz.

„Der Fall Jane Eyre“ dürfte ein herrlicher Lesespaß für all diejenigen sein, die offen für schräge Ideen sind und schon Spaß an den Werken von Autoren wie Douglas Adams oder Matt Ruff hatten. Jasper Fforde hat eine lesenswerte und unterhaltsame Mischung aus Thriller, Science-Fiction und Satire geschaffen, die in keine Schublade passt: Gewitzt, intelligent und spannend zugleich, gespickt mit sympathischen Hauptfiguren und herrlich schrägen Einfällen, hat Jasper Fforde eine liebens- und lesenswerte Hommage an die Literatur abgeliefert.

http://www.dtv.de

|Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezension 2715 zur Hörbuchfassung von |Patmos|.|

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